Sunday 29 December 2019

Best of 2019: Film/Musik/Theater

MEINE BILANZ für 2019:

THEATER: 

1. 1927: Roots (Manchester, Home Theatre)

Ugly Duckling
2. Sherman Theatre, Cardiff: Ugly Duckling















FILM:
1. Jacques Audiard: The Sisters Brothers 

Buster Scruggs
2. Coen Brothers: The Ballad of Buster Scruggs 

3.Tamara Kotevska, Ljubo Stefanov: Honeyland







LIVE:
Dom Flemons
1. Schwarzbären Schuppel und Dom Flemons (LAUTyodeln Vol. 2, München)









2. Jeffrey Lewis & The Voltage (Bürokonzert bei Wagnerchic, Stuttgart)

3. Matthew Halsall & The Gondwana Orchestra (Yes, Manchester) 

4. Kraan (Dieselstraße, Esslingen)

5. Peter Pichler: Trautonium (Alter Schlachthof, Sigmaringen)


ALBEN:
Veretski Pass & Joel Rubin
1. Veretski Pass & Joel Rubin: The Magid Chronicles (Golden Horn Records)









2. Holzapfel & Rehling: Neues von früher / Klangbuch (Mandelbaum)

3. Brthr – A Different Kind of Light (Backseat)

4. Charles Rumback & Ryley Walker: Little Common Twist (Thrill Jockey)

5. Reid Anderson, Dave King, Craig Taborn: Golden Valley Is Now (Intakt)

6. Pram: Across The Meridian (Domino) 

Friday 20 December 2019

BaBa ZuLa: Turkish Psychedelia

Istanbuler Underground

Die türkische Rockgruppe BaBa ZuLa im Kulturzentrum Franz K in Reutlingen

                                                                                                                                               Fotos: C. Wagner

cw. Ende der 1960er Jahre war San Francisco überall. Die psychedelische Rockmusik, die 1967 in der Welthauptstadt der Hippies entstanden war, erfasste nicht nur die gesamte westliche Hemisphäre, auch hinter dem „eisernen Vorhang“ in Osteuropa sowie in Afrika, Asien und dem Orient spitzten junge Leute die Ohren. Musiker verbanden die flirrenden elektrischen Sounds von der amerikanischen Westküste mit ihren eigenen Traditionen, was interessante Stilmischungen ergab. In der Türkei griff vor 25 Jahren die Rockgruppe BaBa ZuLa aus Istanbul dieses musikalisches Erbe wieder auf und schuf einen Mix, der heute als „Turkish Psychedelia“ gilt. 
 
Um solch einen orientalischen Rock zu spielen, haben die beiden Saitenmusiker von BaBa ZuLa traditionelle Instrumente wie die Laute Oud, die Langhalslaute Saz und die winzige „Baglama“-Mandoline umgebaut und elektrifiziert, dazu noch ein Riesenarsenal an Fußpedalen angeschlossen, um mit Wah-Wah-Geräten, Echo-Effekten und anderen Verzerrern die traditionellen Melodien in kosmische Umlaufbahnen zu schicken. Die dickbauchige Baßtrommel Davul sorgt für einen knüppelharten Beat, der sich oft in ungeraden Taktzahlen bewegt. Bei anderen Stücken kommt die Handtrommel Darbuka zum Einsatz, wobei die Finger nur so auf das Trommelfell prasseln. Mit diversen Metallbecken akzentuiertein zweiter Perkussionist die komplexen Rhythmusfiguren und speist gleichzeitig mit dem Sampler vorprogrammierte Sounds ins musikalische Geschehen ein.

Der Blick auf die Bühne gleicht einer Reise in die Vergangenheit. Hier stapeln sich die heute legendären Orange-Verstärkertürme, Schwaden von Trockeneisnebel schweben durch den Raum und eine flackernde Lightshow sorgt für Atmosphäre. Die Musiker bewegen sich in fantasievollen Kostüme auf der Bühne und sehen aus wie Märchenfiguren aus „Tausendundeiner Nacht“. 

Die Musik gehorcht nicht dem 3-Minuten-Takt des Pop: Während ihres zweistündigen Auftritts spielten BaBa ZuLa gerademal ein halbes Dutzend Stücke, die sich alle durch lange kreischende Soli auf den Saiteninstrumenten zu großformatigen Epen auswuchsen. Dazwischen unternahmen die Musiker Ausflüge ins Auditorium, um das Publikum zu lebhaften Rundtänzen zu animieren. 

Nicht nur die zahlreichen türkischen Fans nahmen den orientalischen Rock von BaBa ZuLa dankbar auf, offenbart sich in ihm doch eine andere, weltoffenere Türkei, die im krassen Gegensatz zu dem derzeitig autoritären Staat steht, welcher durch sein repressives Gebaren die Jugend immer mehr abstößt.

Tuesday 17 December 2019

Jodelmania im SWR2

SWR2 MusikGlobal, SWR2

Jodelmania


Anläßlich meines Buchs „Jodelmania“ (Kunstmann Verlag, 2019) hat mich MusikGlobal-Redakteurin Anette Sidhu von SWR2 ins Studio eingeladen und kreuz und quer über die Geschichte des Jodelns befragt, dazwischen die passende Musik gespielt. Daraus ist jetzt eine Jodelreise von den Alpen nach Amerika geworden, eine einstündige Sendung, die auch solche Phänomene beleuchtet und solchen Fragen nachgeht, wie: Warum Jodeln heute wieder neue Gemeinschaftserlebnisse ermöglicht, wo es derzeit Workshops und Festivals zum Thema gibt und welche experimentellen Künstler sich mit dem Phänomen befassen?

Di, 17.12.2019 23:03 - 24:00 

Die Sendung kann nachgehört werden: 

Monday 16 December 2019

KRAAN - Krautrockpioniere auf der Höhe der Zeit

Groovemeister des Krautrock

Nach fast 50 Jahren zeigt sich Kraan in Esslingen immer noch in Höchstform

Foto: C.Wagner


cw.In etwas mehr als einem Jahr können sie 50jähriges Jubiläum feiern: Drei Schulkameraden gründeten 1971 in Ulm die Rockgruppe Kraan und machten Karriere: Die Band stieg zu einer der führenden Formationen des Krautrock auf! Bis heute sind die Veteranen des deutschen Underground in der Urbesetzung mit Hellmut Hattler (Bassgitarre), Peter Wolbrandt (E-Gitarre) und Jan Fride (Schlagzeug) unterwegs und bewiesen bei ihrem Auftritt im Esslinger Kulturzentrum „Dieselstraße“, dass sie noch lange nicht zum alten Eisen gehören. Ganz im Gegenteil: Ihre Musik strotzt vor Kraft, besitzt Eleganz und kommt mit großer Wucht und Dynamik daher, wobei die Evergreens aus ihrem Backkatalog wie „Borkward“ oder „Let it out“ vollkommen frisch und unverbraucht klingen. Das Publikum im nahezu ausverkauften Konzert ging voller Begeisterung mit.
                                                      
In den fünf Jahrzehnten als Profimusiker haben sich die drei Bandmitglieder zu ausgefuchsten Instrumentalisten und hochkarätigen Solisten entwickelt, die mit abgeklärter Souveränität musizieren und dabei einen kompakten Sound kreieren, der glasklar über die Rampe kommt. Als Groovemeister agiert Drummer Jan Fride: Er sorgt für den nötigen Drive. Fride treibt seine beiden Frontmänner zu ausgesprochenen Höchstleistungen an, wobei Gitarrist Peter Wolbrandt mit einer enormen Palette an Spieltechniken und Sounds aufwartet: Sein Spektrum reicht vom akkordischen Fingerspiel eines J.J. Cale über psychedelische Sounds à la Jimi Hendrix bis zu den synkopischen Rhythmen der schwarzen Funkmusik im Stile von Mother’s Finest. 

                                                                                                                   Meistergitarrist Peter Wolbrandt (Foto: C. Wagner)

Hellmut Hattler, den man mit Baseball-Mütze und Sonnenbrille auch aus anderen Bandprojekten wie Hattler, Tab Two oder Siyou‘n’ Hell kennt, klinkt sich auf überzeugende Weise ein. Der Bassgitarrist zupft die Saiten nicht mit den Fingern, sondern reißt sie mit dem Plektrum an, was den tiefen Melodien mehr Klarheit und Schärfe verleiht und Hattler öfters wie einen zweiten Gitarristen klingen läßt. 

Knackige Riffs, Melodiekürzel, Unisono-Passagen und rhythmische Akkordmuster gehören zum Fundus der beiden Saitenvirtuosen, welche sie gekonnt zu einem raffiniert verzahnten Spiel verdichten. Dabei entwerfen sie manchmal weite Klangflächen, die metallisch funkeln und schillern, dann wieder messerscharfe Rockriffs, die mächtig in die Beine gehen, oder Melodien, die orientalisch eingefärbt wie nach Tausendundeiner Nacht klingen.  

Zwischen den Stücken gab Hellmut Hattler ein paar skurrile Anekdoten zum besten, um die Titel von Stücken zu erläutern, welche oft aus grauer Vorzeit stammten, als Kraan noch als Hippiekommune in einem verlassenen Gutshof in der tiefsten Provinz  am Rande des Teutoburger Walds in Westfalen hausten mit Freundinnen, Hunden und Kindern, Drogen, makrobiotischem Essen, Urschrei-Therapie und Musikmachen rund um die Uhr. Damals haben die drei in endlosen Sessions diese schlafwandlerische Sicherheit im Zusammenspiel entwickelt, die bis heute ihr Spiel auszeichnet.

Das zahlreiche Publikum, von denen die meisten sicher schon Kraan-Fans waren, als Willy Brandt noch im Kanzleramt residierte, ging bei jedem Titel bereits nach den ersten Töne mit großem Enthusiasmus mit und entließ die Band erst nach einer langen Zugabe in die Garderobe. 

Der Artikel erschien zuerst im Schwarwälder Bote, große Tageszeitung im Südwesten.

Monday 9 December 2019

Trautonium-Konzert in Sigmaringen

Im Museum der vergessenen Klänge

Peter Pichler und das Trautonium im Alten Schlachthof in Sigmaringen


cw. Es ist ein Holzkasten mit zwei Manualen plus Knöpfen, Schaltern und Reglern dran, der bei oberflächlicher Betrachtung wie eine Hammond-Orgel aussieht. Erst bei genauerem Hinsehen springt der Unterschied ins Auge: Anstelle einer Tastatur besitzt der Klangkasten eine Stahlsaite, die über eine Metallleiste gespannt ist. Wenn man diese Saite niederdrückt, schließt sich der Schaltkreis und es erklingt ein Ton. Dieses Prinzip der Tonerzeugung macht das Trautonium zu einem einzigartigen Klangerzeuger und zu einem der ersten elektronischen Musikinstrumente überhaupt. 

 Nachbau eines frühen Trautoniums (Foto: C. Wagner)
1929 von Friedrich Trautwein in Berlin erfunden, beflügelte das Instument die Visionen einer neuen Klangfarbenmusik und inspirierte namhafte Komponisten zu Stücken. Erste Werke für drei Trautonium-Instrumente entstanden, die der berühmte Komponist Paul Hindemith unter dem Titel „Des kleinen Elektromusikers Lieblinge“ veröffentlichte. 

Seinen großen Auftritt hatte das Trautonium dann 1963, als Alfred Hitchcock mit dem Instrument seinen heute als Klassiker geltenden Film „Die Vögel“ klanglich untermalen ließ, wobei der Trautonium-Solist Oskar Sala zum Einsatz kam. Sala besaß lange Jahre ein Quasi-Monopol auf das Instrument, mit dem er für mehr als 300 Werbefilme den Soundtrack lieferte. 

Die spannende Geschichte dieses außergewöhnlichen Klangapparats erzählte der Münchner Musiker Peter Pichler im ersten Teil seines Konzertprogramms im Alten Schlachthof in Sigmaringen, wobei er die verschiedenen Etappen der Entwicklung mit Klangbeispielen und Kompositionen eindrucksvoll dokumentierte. Pichler, der sonst in der Band des bayrischen Liedermachers Hans Söllner seine Brötchen verdient, ist heute einer der wenigen Musiker, die überhaupt noch dieses rare Instrument spielen, das ansonsten vollständig in Vergessenheit geraten ist. 

In der zweiten Konzerthälfte stand dann der Film „A Voyage to the Moon“ (=Eine Reise zum Mond) im Zentrum des Auftritts, den die NASA 1975 bei Manfred Durniok in Auftrag gegeben hatte. Der bekannte Filmemacher erstellte seine Dokumentation aus dem originalen Filmmaterial der Apollo-Mondlandungen und ließ sie komplett vom Trautoniumspieler Oskar Sala klanglich kolorieren. 

Sala zog dabei alle Register seines Könnens und entlockte dem Trautonium alle nur erdenklichen Töne und Geräusche, die jetzt Peter Pichler „live“ zum NASA-Film wieder lebendig werden ließ, was deutlich machte, über welch ungeheure Palette an Möglichkeiten das Trautonium verfügt und die Frage aufwarf, warum das Instrument in den 1970er Jahre vom Synthesizer verdrängt wurde? Pichler erwies sich als ebenso kompetenter Kenner der Materie wie als virtuoser Instrumentalist, der die fast grenzenlos erscheinende Klangvielfalt des Trautoniums eindrucksvoll zu nutzen wußte und mit seinen Weltraumsounds das Publikum ein ums andere Mal in Erstaunen versetzte. Seine Leistung wurde am Schluß mit reichlich Applaus belohnt.

Die Konzertbesprechung erschien zuerst in der Schwäbischen Zeitung