Friday 5 April 2013

Zen-Funk: Interview mit Nik Bärtsch


Rituelle Energien
 
Der Schweizer Pianist und Komponist Nik Bärtsch spürt der Ruhe im Klang nach. Mit seiner Gruppe Ronin entwickelt er eine Musik, die die Leere der japanischen Ästhetik mit dem Groove des Funk und minimalistischen Pattern verbindet
 
Ein Interview von Christoph Wagner
 
Nik Bärtschs Ronin ist vielleicht die international erfolgreichste Jazzformation der Schweiz und gehört zu den herausragenden Formationen im Stall des Münchner Labels ECM. Als Ronin wurden einst im alten Japan die Samurai bezeichnet, die keinem Herren dienten. Diese herumvagabundierenden Ritter übten ihre Kampfkunst oft mit zen-buddhistischer Konzentration aus. So gesehen ist der Name der Band ein Hinweis auf die musikalische Ausrichtung des Zürcher Ensembles. Die fünf Musiker haben sich von der Herrschaft eines bestimmten Stils befreit und eine eigene Richtung eingeschlagen, die Elemente von Jazz, Funk, Neuer Musik, progressivem Rock und Minimalismus auf organische Weise verbindet. Bärtschs Musik nimmt sich Zeit, baut sich langsam auf. Rhythmische Muster und Formeln, Melodien und Riffs laufen in stoiischer Manier im Kreise und greifen dabei mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerks ineinander. Nur das Saxofon oder die Baßklarinette sorgen gelegentlich mit langen ausgreifenden Tönen für die harmonische Überwölbung des musikalischen Geschehens. Im Mittelpunkt steht der Gruppenklang, auf solistische Profilierung wird fast völlig verzichtet. Die  komplexen Linien treffen in einem herausstechenden Akzent punktgenau aufeinander, wobei von der Technik der Verdichtung und von dynamischen Steigerungen effektvoll Gebrauch gemacht wird.
                                                                                                                                                      
                                                                                                                                              © by Martin Möll    
 
Sie nennen ihre Musik ‘Zen Funk’. Was ist darunter zu verstehen und wie ist dieses Konzept entstanden?
 
Bärtsch: Am Anfang stand eine Affinität zu rhythmischer Musik generell, die ich schon als Kind verspürt habe. Ich habe zuerst Schlagzeug gelernt und dann noch Klavier dazugenommen. Bereits als Kind habe ich Kaspar Rast getroffen, mit dem ich bis heute zusammenspiele. Er ist der Schlagzeuger bei Ronin. Wir spielten Fussball zusammen und haben miteinander Musik gemacht. Das war eine wichtige Begegnung. Zu dieser Zeit erwachte mein Interesse am Jazz, danach an Neuer Musik, was zu einem klassischen Klavierstudium führte. Schon vor dem Studium hatte ich eine Faszination für japanische Kultur entwickelt. Die Filme von Akira Kurosawa waren wichtige Impulse. Ich hörte dort Musik, die neu und mir fremd war. Die Beschäftigung mit japanischer Kultur führte mich zur Kampfkunst Aikido. Parallel dazu beschäftigte ich mich mit Konzepten der Reduktion und Repetition. Das Zeremonielle, Rohe und gleichzeitig sehr Strukturierte hat mich angezogen. Dadurch habe ich zu einer rituellen Musikhaltung gefunden, die wir in einer Gruppe zu entwickeln und zu erforschen begonnen haben. Daraus ist die akustische Gruppe Mobile entstanden. Wir haben Konzerte von einer Länge von bis zu 36 Stunden absolviert. Über diese Musikrituale, die eigentlich musikalische und soziale Energien und deren Zusammenhang von Grund auf neu befragen und erforschen wollten, haben wir in diesen Stil hineingefunden und ihn Schritt für Schritt entwickelt. Unsere Ideen wurden ausprobiert und geprüft durch das Zusammenspiel in der Gruppe. Nach Mobile haben wir Ronin gegründet, zuerst als Trio, um mit dem erarbeiteten Material flexibler, direkter und auch wieder elektrisch verstärkt umgehen zu können.
 
Sie legen großen Wert auf eine kontinuierliche, enge Zusammenarbeit als Gruppe. Wie funktioniert das?
                                                                                                                                         © by Martin Möll
Bärtsch: Wir haben 2004 einen regelmäßigen Montagabend-Gig eingerichtet im Jazzclub Bazillus in Zürich und damit eine ununterbrochene Konzert-Serie gestartet, die bis heute andauert. 2008 habe ich dann mit vier Partnern einen eigenen Club namens “Exil” in Zürich eröffnet, um unabhängiger zu sein, und seither finden die Montagskonzerte dort statt. Das ist ein steter langsamer Prozess, ein Aufbau, der neue Ideen immer hart in der Praxis prüft und sie mit langjährigen Partnern weiterentwickelt. Als ich jünger war, war ich radikaler und hatte sehr viele Ideen, die sehr fruchtbar waren für die Klärung meiner Ästhetik. Ich habe mit der Zeit gemerkt, dass aber das Entscheidende an einer Idee vor allem ist, dass man sie realisiert. Erst in der Verwirklichung wird klar, was das Bedeutende daran ist und was in der Praxis überhaupt funktioniert, was Resonanz auslöst nach innen und außen, was Spaß macht und was mit einer Gruppe überhaupt umsetzbar ist und was nicht.

Ihre Musik ist von amerikanischer Minimalmusik beeinflusst?
 
Bärtsch: Das Interesse am klassischen Minimalismus ist bei mir schon während des Studiums erwacht. Gleichzeitig habe ich damals viel Jazz von Musikern wie Steve Coleman gehört sowie Funk, wo ja Patterns und ihre Verzahnung eine wichtige Rolle spielen. Beim klassischen Minimalismus, vor allem bei Steve Reich, hat mich speziell das formale und orchestrale Denken interessiert, zum Beispiel die Strategie, dass man das Material sich selber entdecken läßt aufgrund einiger weniger kompositorischer Entscheidungen. Beim Funk hat mich neben den Rhythmen die rituelle Energie im Groove fasziniert. Im Gegensatz zum Minimalismus, der eher mit Pulsen als mit Rhythmen arbeitet, ging es mir immer um die Dramaturgie ausgewogener Grooves, also um die Energie und Spannungsmöglichkeiten rhythmischer Musik. Es geht um Beatbalancen wie man sie zum Beispiel auch bei Strawinsky findet. Darüber hinaus kultiviert unsere Musik auch meditative Elemente und Energien.
 
Einfachheit und Reduktion spielen eine wichtige Rolle.
 
Bärtsch: Ich habe von Morton Feldman gelernt: Wenn man eine musikalische Idee klar kommunizieren will, dann sollte man das so einfach wie möglich tun. Das bedeutet, dass man seine Ästhetik total klärt und zuspitzt. Wenn also wie bei uns die Mikrophrasierung, die kleinen Verschiebungen, das Timing, das Timbre und die Ghost Notes eine Rolle spielen sollen, dann muss auch in der Musik genug Platz sein, um all das überhaupt wahrnehmen zu können. Wenn zum Beispiel zuviel im melodischen Bereich passiert, geht Aufmerksamkeit für diejenigen Aspekte der Musik verloren, die mir wichtig sind, etwa die rhythmischen Verzahnungen beim Funk. Das Narrative einer Melodie kann sehr spannend sein, hat aber auch einen starken Sog für das Ohr und zieht Aufmerksamkeit vom rhythmischen Geschehen ab. Deswegen versuchen wir den musikalischen Strategien, die uns interessieren, auch wirklich genug Raum zu geben. Das ist gleichzeitig die Stärke und Schwäche unserer Musik, denn wenn das nicht funktioniert oder stereotyp wird, kann sie scheitern.
 
Welche Funktion kommt der Repetition zu?
                                                                                                                                                                                    © by Martin Möll  
Bärtsch: Repetition ist ein uraltes musikalisches Prinzip. Es findet sich in vielen traditionellen Musikstilen, auch in rituellen Musiken, weil Trance, im Sinne einer Erweiterung der Wahrnehmung, erst aufkommt, wenn man in Ruhe repetiert, sich also Zeit lässt, damit Groove und Flow in der Musik entstehen können. Deshalb begreifen wir das Prinzip der Repetition nicht als innovativ, sondern es ist einfach ein Merkmal unserer Ästhetik. Wir sind ja auch mit elektronischen Loops in der Club-Musik aufgewachsen. Die Veranstalter glaubten uns anfangs auf Grund der CDs nicht, dass wir die Musik rein manuel erzeugen, also keine Samples, Loops und Overdubs verwenden. Wir spielen die Repetitionen immer. So können wir im Gegensatz zu einem Loop den Beat sehr subtil beleben. Wenn also Repetition richtig gespielt wird, führt sie zu mehr Groove und mehr Flow. Diese rituellen Strategien führen wie von selbst zu einer spiralförmigen Energie- und Spannungszunahme, aber nur, wenn man relaxed ist und die Repetitionen locker gespielt sind. Man massiert sich so selbst.

Sie prakizieren asiatische Kampfkunst. Welchen Einfluss hat das auf die Musik?
 
Bärtsch: Ich praktiziere Aikido. Die Grundideen sind dort: Partnerschaftliches Denken und Agieren, Umgang mit dem Gegner in einem selber und mit der eigenen Angst und das Training von präzisen Bewegungen dafür - es geht also um Präsenz. Von der Kampfkunst kann man lernen, beim Wachsein nicht zu schlafen. Es gibt nur eine Chance im Kampf, es geht um die eine passende und präzise Antizipation oder Reaktion in der Bewegung. Man muss mit dem Körper denken. Beim Musik machen geht es für mich um dasselbe: Man setzt als Spieler sehr präzise seinen Körper ein, weil dadurch mehr und klarere musikalische Präsenz entsteht. Im Ensemble ist es wichtig, dass wir als Gruppenkörper diese Präzision spüren, weil dadurch die entscheidenden Resonanzen passieren: Die Schwingung in der Luft ist anders, wenn man sehr genau zusammenspielt. Bei Aikido kann ich das lernen: Die Ruhe und Genauigkeit in der Bewegung. Es geht also um die Fokussierung der Energie auf einem einzigen Moment. Dazwischen gibt es viel Leere und Warten. Gerade dadurch entsteht positive Spannung. In dieser Hinsicht habe ich viel von japanischer Ästhetik gelernt, auch von japanischer Musik. Zum Beispiel gibt es im Noh-Theater Musiker, deren Funktion darin besteht, zu einem bestimmten Zeitpunkt sehr präzise, organisch und locker, aber gleichzeitig mit höchster Spannung, einen einzigen Schlag auf einer Trommel zu vollführen. Das ist nicht überstilisiert. Im besten Falle kommt es zu etwas Ähnlichem, wie dem Vorgang, wenn ein Tautropfen von einem Blatt rutscht. Dies zu inszenieren ist sehr schwierig, es braucht eine große Kontrolle des Körpers, die aber nicht missbraucht wird, sondern die eher zuläßt, dass Präzision "passiert". Diese spannende Paradoxie fasziniert mich seit langem. Unsere Musik lebt von diesem Verhältnis von Spannung, Resonanz und Dramaturgie. Sie lebt von Spannung zwischen Nichtstun am richtigen Ort und zusammen Etwas tun im entscheidenenden Moment.
 
Müssen die Mitglieder von Ronin deswegen konstant trainieren, also permanent zusammenspielen?
 
Bärtsch: Ja, aber damit entstehen natürlich auch Herausforderungen: Es schleicht sich Routine ein, es gibt Konflikte, man kann sich sozial auseinander entwickeln - solche Dinge. Vergleichen wir es mit einer Fußballmannschaft, in der es durch Training und Spiel-Erfahrung zu einem fast blinden Verständnis unter den Spielern kommt. Wenn sie begreifen, wie ein Team funktioniert, können durch die Mischung von Transpiration und Inspiration unglaubliche Leistungen erbracht werden. Das geht aber eben nur durch konstantes Arbeiten. Da scheinen mir zehn Jahre keine lange Zeit (Im Fussball allerdings heute schon...): Spannende Sachen entstehen nach 20 oder 30 Jahren. Dieses Wissen ist bei uns im Westen mit dem Niedergang der Handwerkskunst etwas in Vergessenheit geraten. Die Handwerkskunst lebt davon, dass man ständig an etwas weiterfeilt und durch die stetige Erweiterung der Erfahrung ein präziser und doch neugieriger Praktiker wird, also irgendwann ein Meister.
 
Wie läuft der allwöchentliche Montagabend-Auftritt ab?
 
Bärtsch: Wir üben quasi immer die Konzertsituation und trainieren den Bandorganismus. Mittlerweile hat Ronin 32 längere Stücke, die zum Teil auch kombiniert werden können, mehr oder weniger verinnerlicht. Es kommt darauf an, ob eine Tour, ein Projekt oder ein Festivalkonzert ansteht oder nicht. Das entscheidet oft darüber, wie und was wir am Montag spielen. Manchmal musizieren wir freier, manchmal werden gezielt bestimmte Stücke und Stückzusammenhänge durchgegangen.
 
Oft ist in der Musik nicht klar, welche Teile komponiert und welche Improvisiert sind.
 
Bärtsch: Die Mischung von Komposition, Interpretation und Improvisation interessiert uns sehr. Bei Ronin gibt es zwar auch klassische Improvisation, wie man sie aus dem Jazz kennt. Gleichzeitig versuchen wir aber auch die Grenzen zwischen Interpretation und Improvisation zu verwischen und aufzuheben. Von außen ist oft kaum mehr zu erkennen, ob eine bestimmte Sequenz improvisiert oder fixiert ist. Dass das gut funktioniert, hat natürlich damit zu tun, dass wir das komponierte Material in- und auswendig kennen und es immer weiter erforschen. Wir sind so fähig zum ’Instant Composing’ als Gruppe. Das hat auch mit dem Sound zu tun: Wir sind uns bewußt, dass der Klang der von mir geschriebenen Kompositionen nur durch die Gruppe und in der Gruppe entsteht. Die Haltung aus der Popmusik, dass ein eigener Bandsound wichtig ist, ist uns nahe. Es reicht nicht, einfach eine Gruppe von guten Leuten zusammen zu würfeln, die dann eine Komposition interpretiert. Letztendlich geht es immer ums Ganze: dass wir jedesmal von Neuem in der Konzertsituation eine Dramaturgie entfalten können, die natürlich, locker und organisch wirkt, aber gleichzeitig eine dringliche und verführende Spannung entfaltet.
 
Welche Funktion haben die Leerstellen, die Stille?
 
Bärtsch: Es gibt verschiedene Arten von Ruhe und Pausen in der Musik. Ruhe bedeutet ja nicht unbedingt Stille, also die Abwesenheit von Geräusch, sondern es kann auch eine Ruhe im Klang gemeint sein. Damit man einen Klang überhaupt wahrnimmt und er einen berüht, braucht er oft eine ruhige Stringenz. Pausen als Ruhe im Fluss kreieren Bedeutung und Spannung. Lange passiert nichts, plötzlich ereignet sich etwas in der Musik, was überraschend wirkt - wenn es denn zum richtigen Zeitpunkt passiert. Es braucht bestimmte dramaturgische Kniffe, um das steuern zu können. Meine modulare Kompositionsweise erlaubt es, die Dramaturgie des Konzerts zu verändert und zu gestaltet je nach dem wie der Abend läuft, denn es geht letztlich immer um den großen Bogen. Bei Ronin ist die Mischung zwischen Spielen und Nicht-Spielen sehr entscheidend. Pausen bedeuten auch, Dinge nicht zu tun, die das Publikum oder man selber erwartet.

                                                                                                                                              © by Martin Möll    
 
Ist diese asketische Haltung eine Reaktion auf die Überladenheit aktueller Musik?
 
Bärtsch: Nein, ich empfinde einfach so. Ich verstehe, dass ein Virtuose seine Kunst zeigen will. Aber wofür macht das genau Sinn? Ich glaube, dass man in der präzisen Hingabe eines Musikers an die Musik seine Virtuosität ohnehin erkennt. Konkret geht es bei uns darum, dass den Solisten ihre Individualität nicht wichtiger ist als die Dramaturgie des Ganzen und die Idee von der Einheit der Gruppe, d.h. die Integrität der Musik. Am Schluß geht es immer darum, Etwas zu tun, anstatt Irgendetwas. Wenn die Solostimme weg ist, hört man die Musik anders. Das finde ich spannend. Bei Ronin steht Akrobatik jedenfalls nicht im Vordergrund. Das verstellt nur den Blick auf die subtileren Dimensionen der Musik und des gesamten Bandorganismus.
 
Nik Bärtsch’ s Ronin: Live (Do-CD / ECM)

Das Interview erschien zuerst in der Neue Zeitschrift für Musik, ein spannendes zweimonatliches Magazin für Neue Musik und avantgardistische Klänge:
http://www.schott-music.com/shop/Journals/Neue_Zeitschrift_fuer_Musik/ 

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