Saturday 27 January 2018

FLASHBACKS: französische Straßenszene mit Musikerinnen

Französische Straßenszene mit Musikerinnen, ca. 1910

Ist das ein Filmgerät, das der Mann (links) in der Hand hält? Vielleicht haben sie gerade damit das Mädchen und den Jungen aufgenommen, die zwischen der Geigerin und der Mandolinenspielerin stehen und ganz offensichtlich besondere Kleidung tragen, alle anderen auf dem Bild tragen Alltagskleidung – die beiden nicht. Nun wird zum Abschluß der Film-Session noch ein Foto gemacht. Danach wird gefeiert. Ein Mann (ganz links) schenkt dem Filmkastenträgen schon mal ein Glas Wein ein (aus einer seltsamen Karaffe?)

Wednesday 24 January 2018

Zum Tod von MARK E SMITH von THE FALL

2010 erschien das Album „Your Future Our Clutter“ von The Fall. Damals schrieb ich für den Schwarzwälder Bote einen Artikel über die Band und Mark E. Smith. Gestern ist Smith verstorben – 60 Jahre alt. Hier der Artikel in leicht modifizierter Form.

Der ewige Punk


Zum Tod von Mark E. Smith  (1957-2018)


cw. Seit mehr als 40 Jahren wütet die englische Band The Fall gegen die biedere Wirklichkeit und hält damit den Geist des Punk am Leben. Ihre Musik klingt heute noch fast genauso schrill, zerrissen und unbändig wie in den späten siebziger Jahre, als die Gruppe in berüchtigten Punkschuppen und Pubs im Norden von England für Tumult sorgte. Die Formation aus einem Vorort von Manchester, die ihren Namen einem Roman von Albert Camus verdankt, wird heute von einer einzigen Person verkörpert: dem charismatischen Sänger Mark E. Smith, der als unberechenbaren Quertreiber gilt und den viele für ein Ekel halten. 

Jedes neue Album der Band machte durch seine Wucht und wilde Energie klar, dass die Formation nicht zum alten Eisen gehört. Daneben tauchte Mark E. Smith als Gastsänger auf diversen Einspielung auf, etwa auf einem Album von Gorillaz, wobei er seine Sache so gut machte, dass sich Bandleader Damon Albarn veranlaßt sah, ihn als “gebildeten Rülpser aus dem Norden” zu preißen.

Mark E. Smith wird von den Medien geliebt, weil er der romantischen Vorstellung vom tragischen Popstar entspricht, der ganz Genie sich skandalumwittert mit Alkohol, Drogen und sonstigen Exzessen langsam aber sicher zu Grunde richtet. Smith hat es in der Vergangenheit ziemlich wild getrieben und scheint bis heute kein Bedürfnis zu verspüren, seinen Lebenswandel zu ändern. Aus seiner Vorliebe zu Hochprozentigem hat er nie ein Geheimnis gemacht. Daneben ist der Kettenraucher ein Freund von Aufputschmitteln, was sich mehr und mehr in seiner aufgeschwemmten Physiognomie zeigt. Der Mann kommt einem wie die Anti-These zum blühenden Leben vor. “Wenn sie meinen, der zahnlose Alkoholiker Shane McGowan von der irischen Folkpunkband The Pogues sieht fertig aus”, schrieb neulich ein Musikjournalist, der den Fall-Bandleader zum Interview traf, “dann sind sie noch nie Mark E. Smith begegnet.” 

In angetrunkenem Zustand kommt man dem Wüterich besser nicht in die Quere. Dann kann er streitsüchtig bis aggressiv werden. Die Erfahrung mußten seine Bandkollegen 1998 bei einem Konzert in New York machen, als gruppeninterne Spannungen explodierten und in einer handfesten Schlägerei auf offener Bühne mündeten, was Mark E. Smith eine Nacht in einer Gefängniszelle einbrachte. Er hatte kurzerhand die komplette Band entlassen. 

Smith heuert und feuert seine Begleiter, wie es ihm passt. Sein Musikerdurchlauf ist gigantisch. In Salford bei Manchester kursiert der Witz, dass, wenn man nachts aus einem Pub kommt, jede zweite Person, der man auf der Straße begegnet, schon einmal bei The Fall gespielt hat. 
Da gilt es schon als bemerkenswert, wenn eine Besetzung der Band wenigstens ein paar Jahre besteht. 

Smith ist ein Dickschädel, der sich wenig sagen läßt. Vor allem künstlerisch folgt er kompromisslos seinem inneren Kompass. Das bekam bei einer der letzten Einspielungen sein damaliger Produzent Grant Showbiz zu spüren, der den Mix des Albums übernommen hatte. Mark E. Smith war mit dem Resultat nicht einverstanden: zu brav, zu zahm, zu geschiegelt! Kurzentschlossen ging er ins Studio zurück, um mit einer Endabmischung wieder aufzutauchen, die mit ihren harschen Brüchen, zerrupften Songs und zersplitterten Klangcollagen an Radikalität kaum zu überbieten war. 

Smiths Texte, die er im bellenden Sprechgesang herausschleudert, gelten unter Kennern als hochkarätige Poesie, in der sich die Abgründe unserer labyrinthischen Gegenwart ungeschminkt spiegeln. Vielleicht ist er eine Art Dylan Thomas des Rock, weil er wie der wallisische Dichter auch am liebsten in Bars und Pubs herumhängt und das Delirium offenbar für seine kreative Inspiration braucht. 


Bei einem Podiumsgespräch wurde Mark E. Smith unlängst gefragt, was er davon halte, neuerdings als englisches “Nationaldenkmal” umschmeichelt zu werden. Der Widerborst verzog nur das Gesicht zu einem höhnischen Grinsen, was wohl bedeuten sollte: Ihr werdet mich nicht zum Schoßhündchen machen! Dem Grundsatz ist er bis zu seinem Tod treu geblieben. 

Thursday 18 January 2018

Embryo-Bandleader Christian Burchard verstorben

VON MÜNCHEN NACH KALKUTTA

ZUM TOD VON CHRISTIAN BURCHARD (1946-2018)


Ich kannte Christian Burchard seit Mitte der 70er Jahre. Wir luden ihn mit der Gruppe Embryo ein paar Mal zu Gigs nach Balingen ein. Wir schätzten die Musik der Münchner Band, diesen Freerock mit viel Improvisation, außerdem die alternative Philosophie, für die die Gruppe stand und die sich gegen die kommerzielle Plattenindustrie richtete. Als Embryo mit anderen Musikern und Bands wie Julius Schittenhelm, Ton Steine Scherben, Missus Beastly und Munju das April-Label aus der Taufe hob (Motto: „Musik im Vertrieb der Musiker“), verkauften wir selbstverständlich das ganze Sortiment von April-LPs bei unseren Konzerten in der Balinger Eberthalle. Einmal fuhr ich extra nach Saarbrücken zu einem Festival aller Gruppen des April-Labels, das sich damals schon in Schneeball-Records umbenannt hatte. Christian Burchard war natürlich auch da, ziemlich angetörnt.

Melody Maker, 1972
Wir verfolgten die Aktivitäten der Schneeball-Gruppen, hörten von der großen Reise, die die Embryo-Kommune Ende der 70er Jahre nach Kalkutta unternahm und sahen uns später den Film darüber im SWF-Fernsehen an. Die Gruppe klang zunehmend orientalischer. 1992 hörte ich Embryo bei einem Konzert im Tübingen Sudhaus. Dabei war auch Amon Düül-Gitarrist Chris Karrer, der Oud spielte und den Christian Burchard noch aus alten Düül-Zeiten kannte. Ich machte ein längeres Interview für die Taz mit den beiden, was ich so spannend fand, dass ich von da ab weiter über den deutschen Underground recherchierte. Später wurde mein Buch 'Klang der Revolte' daraus, das 2013 erschien und ein längeres Kapitel über Embryos Weg zur Weltmusik beinhaltet.

Zum 40jährigen Jubiläum von Embryo im Jahr 2009 bat mich das Trikont-Label bei einer Doppel-CD mitzuhelfen, die die ganze Karriere der Band dokumentieren sollte. Christian Burchard schickte mir eine selbstgebrannte CD nach der anderen mit unveröffentlichten Aufnahmen aus seinem umfangreichen Archiv. Ich traf eine –hoffentlich – kohärente Auswahl, die seine Zustimmung fand. Ich glaube, „Embryo 40“ ist ein ganz passables Doppelalbum geworden. Seither hatte ich bei Christian einen Stein im Brett. Er schickte mir Neuveröffentlichungen, informierte mich über die Aktivitäten der Band oder wenn Musiker aus Marokko, Indien oder Afghanistan bei ihm in München zu Besuch waren. Embryo war nie eine starre Band mit fest fixierter Besetzung, sondern immer ziemlich durchlässig: Musiker kamen, Musiker gingen. Mehr als 400 sollen es im Laufe der heute fast 50jährigen Geschichte gewesen sein.

Ich traf Christian Burchard über die Jahre immer wieder, um ein Interview mit ihm zu machen oder auch nur auf einen Kaffee, gelegentlich bei Trikont, wo er den Fotokopierer benutzte, um seine collagenhaften Konzertankündigungsflyer zu fabrizieren. Oft gab es Neuigkeiten: Die No-Neck Blues Band aus den USA outeten sich als Fans und nahmen zusammen mit Embryo ein Album auf. Dann wurde Burchard vom amerikanischen Hiphop-Produzenten Madlib kontaktiert, der sich für Mal Waldron und die anderen schwarzen Jazzmusiker interessierte, die mit Embryo Aufnahmen gemacht hatten. Als Madlib nach Europa kam, spielte man ein paar Sessions zusammen. Als das Embryo-Mitglied Nick McCarthy von München nach Glasgow zog, teilte mir das Christian mit. Mit Verblüffung stellte ich etwas später fest, dass McCarthy mit Franz Ferdinand sich auf direktem Weg zu Weltruhm befand. Als ich McCarthy dazu in Manchester interviewte, wurde mir der rote Teppich ausgerollt: Ich kam ja auf Empfehlung von Christian, vor dem sie alle einen Riesenrespekt hatten. McCarthy nannte ihn den besten Musiker, dem er je begegnet war.

Als ich dann das Buch „Klang der Revolte“ in Angriff nahm, unterstützte mich Christian mit allen Kräften, schickte CDs voller historischer Embryo-Fotos und anderes Material. Nach der Buchveröffentlichung absolvierte Christian, Roman Bunka und ich zwei Auftritte in Ostdeutschland zum Thema, wobei die beiden Embryos eine famose Musik zu meinen Ausführungen improvisierten. Christian war damals ziemlich hager, ernährte sich wegen einer Zuckererkrankung äußerst vorsichtig und aß nicht arg viel. Doch auf seinem zerbeulten Vibrafon spielte er wie der Teufel.

Christian Burchard, Roman Bunka & Christoph Wagner, Altenburg 2014

Dann hörte ich von seinem Schlaganfall vor 1 ½ Jahren auf einer Embryo-Tour im Süden. Ich hoffte, dass er wieder zu Kräften kommen würde. Doch am Telefon wurde mir bewußt, wie schwer angeschlagen er war. Als ich letzten Sommer ein paar Wochen in der Nähe von München verbrachte, besuchte ich ihn ein paar Mal. Er lag in einem speziellen Krankenbett, war sehr schwach und schnell erschöpft. Das Sprechen fiel im schwer und mir das Verstehen. Aber geistig schien er völlig präsent zu sein. Jazz war die Begleitmusik zu seiner Krankheit. Er lag im Bett und hörte den ganzen Tag Sonny Rollins, Dizzy Gillespie oder wen auch immer. In der Sonderangebotskiste bei „Radio Beck“ in München fiel mir eine CD des amerikanischen Saxofonisten Monty Waters in die Hände, der zeitweise in München gewohnt und gelegentlich mit Embryo gespielt hatte und den Christian sehr schätzte. Ich kaufte sie ihm und er legte sie bei meinem Besuch gleich auf. Waters spielte ein wunderbares Saxofon auf der Platte. Christian mochte diese lose Improvisationsmusik.
                                                                                                     Marja & Christian Burchard
Letzten Herbst haben wir dann noch ein Embryo-Konzert im Atelier von Manuel Wagner (meinem Neffen) und David Späht in Stuttgart organisiert, was wunderbar verlief. Natürlich war Christian krankheitshalber nicht dabei, aber seine Tochter Marja führte die Band ausgesprochen kompetent und ganz im Sinne ihres Vaters – die Musik war exzellent!

Hier auf youtube:

https://www.youtube.com/watch?v=iTcM5WiCSWM

Heute morgen erreichte mich die Nachricht, dass Christian Burchard gestern, am 17. Januar 2018 nachmittags, 71jährig in München verstorben ist. Seine Frau Eva und seine Tochter Marja waren bei ihm, Abbey Lincoln sang aus dem CD-Player. Mit einem schwungvollen, ja fast immer etwas gehetzt wirkenden „ciao, ciao“ pflegte sich Christian normalerweise am Telefon zu verabschieden. Ich sags heute langsam: Ciao, ciao, Christian!

Roman Bunka & Christian Burchard, Altenburg 2014 (Foto: C. Wagner)

  
Zum einem ausführlichen Interview mit Christian Burchard:

http://christophwagnermusic.blogspot.co.uk/2012/08/embryo-krautrockurgestein-bandleader.html

Über EMBYRO (2nd Generation):

http://christophwagnermusic.blogspot.co.uk/2017/10/embryo-neu-formiert-in-stuttgart.html


Plattenempfehlung:

Embryo: 40. Do-CD, Trikont. 
(Hg.: Christian Burchard & Christoph Wagner / 28 zumeist unveröffentlichte Titel aus dem Archiv der Gruppe von 1969 bis 2009 mit u.a. Charlie Mariano, Mal Waldron, Sigi Schwab etc., plus reichbebildertem Booklet)

Thursday 11 January 2018

SCHOENHUT: Poetische Kinderwelten

MAGISCHE KINDERWELT

SCHOENHUT-AUSSTELLUNG GÖPPINGEN:



Gestern haben wir in Göppingen im städtischen Museum 'Im Storchen' die Sonderausstellung über den Göppinger Amerika-Auswanderer Albert Schoenhut besucht, der 1866 als 17jähriger in die Vereinigten Staaten reiste und dort Arbeit fand und hängen blieb. Er gründete eine Spielzeugfabrik, die bald zu den Größten der Branche gehörte. Neben dem berühmten Humpty-Dumpty-Zirkus mit Akrobaten, Clowns und wilden Tieren hat Schoenhut auch Puppen produziert sowie anderes attraktives Spielzeug. Dazu: das Toy Piano (Kinderklavier) mit Metallblättchen fabriziert, das heute als seriöses Musikinstrument mehr und mehr an Beachtung gewinnt.

                                                                                               
                                                                                                                                         Fotos: Rose Revitt
Die Ausstellung ist eine wunderbar poetische Zeitreise, die in die Kindheit zurückführt und im Humpty-Dumpty-Zirkus Spielzeug-Tiger, Löwen, Affen und Kamele lebendig werden läßt. Sie ist sehr übersichtlich gegliedert und mit genug Information versehen, so daß man auch über die sozialen Umstände etwas erfährt, die Albert Schoenhut und viele andere in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts veranlassten, Südwestdeutschland den Rücken zu kehrten, um in Amerika ihr Glück zu suchen. Den Besuch möchte ich jedem wärmstens empfehlen!






TOY PIANO KONZERT:

Als Rahmenprogramm zur Ausstellung findet am 24. Februar (19:30 !!!) in Göppingen im Zimmertheater im Haus Illig (Friedrich-Ebert-Straße 2) ein Konzert unter dem Titel 'Schoenhuts Traum' statt mit drei 'Acts': dem Duo Vera Kappeler / Peter Conradin Zumthor (Schweiz), Fifty-Fifty (Manfred Kniel, Ekkehard Rössle) und Isabel Ettenauer (Österreich). Sie werden das Toy Piano in all seinen musikalischen Möglichkeiten vorstellen. (Eintritt: 24 E. Vorverkauf: 20 E im Museum im Storchen)

Friday 5 January 2018

Die minimalistischen Anfänge des Krautrock: A. R. & MACHINES

In der Echoschleife

Ex-Rattle Achim Reichel kehrt mit seinem Krautrock-Projekt A.R. & Machines ins Scheinwerferlicht zurück


cw. In den sechziger Jahren wurde er mit den Rattles zum Popstar. Dann hob Achim Reichel 1970 mit A.R. & Machines ein psychedelisches Krautrock-Projekt aus der Taufe, das mit Loops und Echo-Gitarre arbeitete und revolutionär für die damalige Zeit war. Eine 10er-CD-Box unter dem Titel „The Art of German Psychedelic“ (BMG / Warner) dokumentiert jetzt diese abenteuerliche Phase in Reichels über 50jähriger Karriere. Für einen ausverkauften Auftritt in der Hamburger Elbphilharmonie hat er das Bandprojekt im September zu neuem Leben erweckt.

”Ich war ja noch ein ganz junger Kerl, als das mit den Rattles anfing,“ erinnert sich der Hamburger. ”Wir gewannen den Star-Club-Bandwettstreit, wurden zu einer Art Hausband dort, waren mit den Beatles auf Deutschland-Tour und sind mit den Stones in England aufgetreten. Für uns war das alles zu schön, um wahr zu sein.“ Der Einberufungsbefehl riß Reichel 1966 aus seinem Popstar-Dasein. Auch sein Manager konnte ihm den Wehrdienst nicht ersparen. Nach der Entlassung war seine Stelle bei den Rattles besetzt: Reichel gründete daraufhin 1968 die Gruppe Wonderland, die unter der Ägide von James Last, der als Produzent fungierte, mit „Moscow“ einen Hit landete. 

Doch Reichel hatte kühnere Pläne: 1970 gründete er A.R. & Machines, ein Bandprojekt, das sich der Underground-Rockmusik widmete und in dessen Zentrum Reichels Echo-Gitarre stand. Das waren ziemlich verwegene Klänge für einen ehemaligen Beatmusiker. Alben wie „Sgt. Pepper“ von den Beatles hatten die Tür aufgestoßen und Reichel animiert, sich als Schallplattenproduzent zu betätigen, wobei er deutsche Rockgruppen wie Ougenweide und Novalis im Studio betreute. Das Interesse an den Möglichkeiten des Studios wuchs, sein musikalischer Horizont weitete sich.
Ein Knopfdruck brachte dann die Erleuchtung. Als er eines Tages mit seinem neuen Akai-Tonbandgerät herumspielte, drückte er die Aufnahmetaste: „Das Gerät spielte alle Gitarrenläufe zurück, wodurch ein Gitarrenwald von musikalischen Linien entstand, die sich überlagerten und eine Polyphonie ergaben,“ erinnert sich Reichel an das Schlüsselerlebnis. „Ich dachte: ‘Das ist ja Wahnsinn!’ und überlegte, was ich damit machen konnte.“

Reichel rief die Band A.R. & Machines ins Leben, nahm das Debut-Album „Die grüne Reise“ auf und trat bald bei Underground-Festival auf, wie den Deutschrock-Meetings der Petards in Bad Hersfeld. 1972 eröffnete er mit seinem Loop-Rock vor 70 000 Popjüngern das 2. British Rock Meeting in Germersheim. „Wir haben das als eine Art Sessionmusik verstanden,“ erklärt er. „Es wurde viel improvisiert. Das war eine Musik, die ein gewisses Risiko beinhaltete und manchmal bewegten wir uns auf verdammt dünnem Eis.“

Bei den Krautrock-Festivals wurde der „Rock ‘n’ Roll-Fuzzi“ mißträuisch beäugt. „Was will den der hier?“ schienen sich einige zu fragen. Doch Reichel ließ sich nicht beirren. Vier Jahre lang war er mit den Machines aktiv, dann war das kreative Potential ausgereizt und er wandte sich anderen Projekten zu.
 

Als er letztes Jahr an der Wiederveröffentlichung des Gesamtwerks arbeitete, traf er zufällig seinen ehemaligen Konzertagenten Carsten Jahnke, der ihn drängte, das Projekt doch in der neueröffneten Hamburger Elbphilharmonie vorzustellen. Obwohl Reichel anfangs skeptisch war, wurde das Konzert ein phänomenaler Erfolg. Der ausverkaufte Saal jubelte dem Altrocker zu. Das Konzert in der Elbphilharmonie hat es leider nicht mehr in die CD-Box geschafft. Doch vielleicht wird es ja zu einem späteren Zeitpunkt noch veröffentlicht.

In der aktuellen Nummer der Musikzeitschrift JAZZTHETIK (Nr. 1/2, 2018) befindet sich ein Interview, das ich mich Achim Reichel über diese Phase seiner Karriere geführt habe.

A.R. & Machines: The Art of German Psychedelic 1970-1974 (10er CD-Box, BMG / Warner)