Sunday 25 November 2018

In Zürich hat das Unerhört-Festival begonnen

Feuerschweif aus Tönen

Das Unerhört-Festival findet zehn Tage lang in Zürich an verschiedenen Orten statt – neben Jazzstars wie Till Brönner und Marc Ribot steht ein lange verpöntes Musikinstrument im Rampenlicht


cw. Eine kleine technische Neuerung brachte Anfang des 20. Jahrhunderts den Durchbruch: Ein simples Fußpedal versetzte nun jeden Trommler in die Lage, die Baßtrommel gleichzeitig mit anderen Schlaginstrumenten zu spielen. Das Schlagzeug war geboren! Doch galt das Konstrukt aus großer Trommel (mit Fußmaschine), Metallbecken und kleiner Marschtrommel lange Zeit nicht als vollwertiges Musikinstrument – höchstens zum Takthalten geeignet! Erst im modernen Jazz gewann das Schlagzeug an Profil: Drummer ließen die Rolle des „time keeper“ hinter sich und begannen den Klangfarbenreichtum des Instruments zu erkunden. Heute ist von der mangelnden Wertschätzung nichts mehr zu spüren. Schlagzeuger bewegen sich ganz selbstverständlich auf gleicher Augenhöhe mit Saxofonisten, Pianisten und Trompetern, und kommen – wenn sie wollen –  auch ganz ohne sie aus: Dann klingen in ihrem Spiel sogar Melodien, Intervalle und Akkorde an –  Perkussion total! 

Die geglückte Emanzipation des Schlagzeugs bildet eine der Programmschienen des diesjährigen Unerhört-Festivals, das vom 23. November bis zum 2. Dezember in und um Zürich stattfindet. Dazu kommt eine Hommage verschiedener Pianisten (darunter Irène Schweizer und Alexander Hawkins) an den im April verstorbenen Freejazz-Berserker Cecil Taylor, sowie diverse Ausflüge ins Grenzland zwischen Jazz und Elektronik plus ein rarer Soloauftritt des neuen Stars der britischen Jazzszene, des Saxofonisten Shabaka Hutchings. 

Sylvie Courvoisier
Zu einer Begegnung zwischen Schlagzeug und Piano kommt es beim Tête-à-tête von Sylvie Courvoisier und Julian Sartorius. Der Berner Schlagwerker, der sein Arsenal an Klangerzeugern auf Flohmärkten und Schrottplätzen findet, hat sich in den letzten Jahren mit ambitionierten Soloprojekten und hochkarätigen Duo-Begegnungen in die erste Reihe der eidgenössischen Jazzdrummer gespielt, während sich die Lausanner Tastenmusikerin lange schon auf der New Yorker Jazzszene tummelt, wo sie viel mit ihrem Ehemann Mark Feldman auftritt, aber auch mit Tim Berne, Mary Halvorson und John Zorn. Courvoisier und Sartorius lassen ein aufgewühltes Improvisationduett erwarten, das sich zum Orkan hochschaukelt, wenn sich das Piano in eine Batterie aus 88 Trommeln verwandelt und das Schlagzeug in ein Klavier voll prasselnder Töne.  
                                                                                                                    Günter 'Baby' Sommer
Ebenfalls in Duo-Besetzung, aber mit transparentem Sound, agieren zwei Vertreter recht unterschiedlicher Jazzströmungen. Auf einem kürzlich erschienenen Album hat das Gespann des ostdeutschen Freejazz-Trommlers Günter „Baby“ Sommer und des Berliner Startrompeters des Jazz-Mainstreams Till Brönner bereits dokumentiert, wie problemlos die unterschiedlichen Ansätze zusammengehen. Brönner unterstreicht mit Nachdruck, wie abwegig es ist, ihn als leichtgewichtigen Jazz-Pfiffikus abzutun. Mit Sommer knüpft er an dessen Zusammenarbeit von 2006 mit dem afro-amerikanischen Trompeter Wadada Leo Smith an, wobei Brönner mit einem Feuerschweif aus Tönen, versunkenen Melodien und einer enormen Palette an Klangfarben aufwartet. Mit Geschmack, dezenter Zurückhaltung und viel Poesie hegt Sommer die Improvisationen des weit jüngeren Bläservirtuosen ein, wodurch ein sprühender Gedankenfluß entsteht, der jeder Zeit eine überraschende Wendung nehmen kann.

Für ein ähnlich farbenprächtiges Panoptikum aus Rhythmen und Klängen steht das Perkussionsgespann von Joey Baron und Robyn Schulkowsky. Geschult sowohl an John Zorn als auch an Morton Feldman bringt das Paar zusammen mehr als hundert Jahre Trommelerfahrung auf die Waage. Der Topdrummer des Jazz und die profilierte Schlagwerkerin zeitgenössischer Konzertmusik loten das ganze Spektrum an Trommelsprachen aus, wobei der Zusammenklang verschiedenster Perkussionsinstrumente im Zentrum ihrer Kompositionen steht. „Das Klangmaterial, das zum Einsatz kommt, haben wir über lange Zeit entwickelt mit dem Vorsatz, dass es optimal zusammenklingt, ja Akkorde und Intervalle hervorbringt,“ sagt die Amerikanerin. „Vorgaben werden improvisatorisch erkundet, wobei sich jedes Stück aus der Abfolge bestimmter Klangkombinationen entwickelt. Dabei ist das Hören unser wichtigstes Werkzeug. Wir lassen uns von unseren Ohren leiten und bringen alles ein, was wir bis dahin gelernt haben.“

Wenn Fahrt aufkommt und erkennbar wird, wohin die Reise geht, überlassen Baron und Schulkowsky den musikalischen Prozeß ihrer Intuition, was jeder Komposition eine individuelle Note gibt. Oft bilden Unisono-Passagen die Ankerplätze, an die sie immer wieder zurückkehren. ”Wir üben solche Unisono-Passagen sehr lange und sehr intensiv. Erst wenn wir sie wie im Schlaf beherrschen, können wir einen Schritt weitergehen,“ beschreibt Schulkowsky die Arbeitsmethode. ”Aus solchem Unisono-Spiel entwickeln sich dann Stücke. Wenn wir eine Passage ein halbes Jahr lang oder länger üben – richtig üben, jeden Tag Stunden –, dann entsteht daraus häufig ganz organisch ein Stück. Die Trommeln müssen dabei sehr sorgfältig gestimmt sein. Wenn sie eine falsche Stimmung haben, wird daraus ein anderes Stück. Wir denken in harmonischen und melodischen Dimensionen.“ Baron und Schulkowsky bestehen darauf: Was sie machen ist keine explizite Trommelmusik, sondern einfach nur: Musik!

Mehr Informationen:
https://unerhoert.ch

Tuesday 20 November 2018

JAZZTRENDS: SWR-NewJazz-Meeting in Tübingen

Jazz als Weltmusik

Das SWR-NewJazz-Meeting war in Tübingen zu Gast
  
cw. Jazz war von Anfang an ein Stil, der sich aus vielerlei Quellen speiste. Seit den 1960er Jahren hat der Jazz Einflüsse traditioneller Musik aufgenommen, ob afrikanische Trommelrhythmen, indische Raga-Klänge oder brasilianische Samba- bzw. Bossa Nova-Tänze. Diese Öffnung zur „Weltmusik“ wurde maßgeblich vom „Jazzpapst“ Joachim Ernst Behrendt beim Südwestfunk in Baden-Baden angestoßen. Durch die zunehmende Globalisierung haben sich solche Vermischungen in den letzten Jahrzehnten weiter intensiviert: Heute ist nahezu jeder Jazzer auch irgendwie als Weltmusiker unterwegs.

Diesen Trend spiegelte die SWR-NewJazz-Session dieses Jahr auf eindrucksvolle Weise wider. Zum 51. Mal trafen sich Musiker verschiedenster Herkunft, um eine Woche lang im SWR-Studio in Baden-Baden ein gemeinsames Programm zu erarbeiten, das dann in drei Konzerten in Tübingen, Karlsruhe und Mannheim der Öffentlichkeit präsentiert wird. Unter der Überschrift „Man trinkt Lumumba“ führte dieses Jahr der österreichische Kontrabassist Lukas Kranzelbinder Regie, der gerade mit seiner Band „Shake Stew“ für ziemlich Furore sorgt. Der Titel nimmt auf den afrikanischen Freiheitskämpfer Patrice Lumumba aus dem Kongo Bezug, nach dem bizarrer Weise ein österreichischer Schokoladen-Drink benannt ist. Kranzelbinder lud fünf Musiker und einen wortstarken Poeten zum gemeinsamen Auftritt ein, was einer Neuauflage des altbekannten „Lyrik & Jazz“-Konzepts gleich kam.

Neben typischen Jazzinstrumenten wie Saxofon, Trompete, Klarinette, Kontrabaß und Schlagzeug kamen exotische Klangerzeuger zum Einsatz, wie die arabische Laute Oud (gespielt von Gregory Dargent) oder die Guembri, eine nordafrikanische Kastenhalslaute, die Kranzelbinder bei den trancehaften Zeremonien der Sufi-Bruderschaft der Gnawa in Tanger kennengelernt hatte und die er wie eine Baßgitarre spielt. 

Oft bildete ein einfaches Riff auf der Guembri den Ausgangspunkt für einen treibenden Groove, den der englische Drummer Dave Smith mit Wucht in Szene setzte. Über diesem federnden Fundament entfalteten die Melodieinstrumente ihre Monologe und Konversationen, in deren Verlauf sich Mario Rom als fantasievoller Fabulierer und hochkarätiger Techniker auf der Trompete erwies, dem die iranische Klarinettistin Mona Matbou Riahi und der Berliner Saxofonist Johannes Schleiermacher kaum nachstanden.

Für außergewöhnliche Akzente sorgte der Schriftsteller Fiston Mwanza Mujila aus dem Kongo, der in Graz lebt und sich mit Versen, Wortkaskaden und Kehllauten stimmmächtig ins Geschehen einbrachte, was an die Beat-Poeten der 1950er Jahre erinnerte, die damals bereits ihre Verse zu den Klängen einer Jazzcombo herausschleuderten. Vom Publikum mit viel Applaus bedacht, konnte die SWR NewJazz Session diesem bekannten Modell neue Seiten abgewinnen.

Die Konzertbesprechung erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Südwestdeutschland

Sunday 18 November 2018

Saturday 17 November 2018

WELTMUSIK: Doneff-Dafka-Duo


 Im Herzen des Balkans

Das Doneff-Dafka-Duo mit mazedonischer Musik bei einem Radiokonzert des SWR in Sigmaringen

                                                                                                            Fotos: C.Wagner

cw. Die Tatsache, dass zwei Ländern (nämlich Griechenland und die ehemalige jugoslawische Republik Mazedonien) zur Zeit um den Namen „Mazedonien“ streiten, macht deutlich, dass der mazedonische Kulturraum über enge nationalstaatliche und politische Grenzen hinausreicht. Es ist eine historische Region, in der sich in den letzten Jahrhunderten mazedonische, griechische, albanische, bulgarische, osmanische und jüdische Einflüsse kreuzten, vermischten und vermengten. In einem Konzert, das vom Südwestrundfunk mitgeschnitten wurden, präsentierte das Duo von die ganze musikalische Vielfalt dieses Landstrichs im Herzen des Balkans.

Doneff, der mit griechischem Namen Kostas Theodorou heißt, ist ein 1965 in Nordgriechenland geborener Multiinstrumentalist, Komponist und Sänger, der beim renommierten Label ECM ein paar Platten veröffentlicht hat. In diesem Kleinensemble tritt er vor allem als Perkussionist auf, spielt aber auch die Langhalslaute Tambura, was aufmerken läßt, weil er in Jazzkreisen eigentlich als versierter Kontrabassist bekannt ist und zeitweise mit der Münchner Ethnojazz-Gruppe Embryo spielte. 

Ihm gegenüber sitzt die erst 19jährige Maria Dafka, die wie Doneff aus Nordgriechenland stammt und sich zum einen als ausdrucksstarke Sängerin profiliert, dazu ihr russisches Bajan-Knopfakkordeon mit einer Virtuosität und Souveränität spielt, die verblüfft. Das einstige „Wunderkind“ auf dem Akkordeon, das auch Bach und Scarlatti bravourös auf der Ziehharmonika spielen kann und etliche erste Preise bei internationalen Musikwettbewerben eingesammelt hat, absolviert gerade ein Studium an der Hochschule für Musik und Theater in München. 

Problemlos schafften es die beiden, sowohl die Melancholie als auch die quirrlige Lebensfreude der Musik des Balkans zum Ausdruck zu bringen. Etliche Stücke waren in getragenem Tempo gehalten und riefen eine Stimmung hervor, die von Traurigkeit und Schwermut geprägt war: die Tränen des Balkan Blues! 

Dem gegenüber standen rasche Tanznummern in ungeraden Metren, bei denen die Akkordeonistin ihre ganze Fingerfertigkeit demonstrieren konnte, während Doneff mit den Besen nur so über die Felle der Trommeln huschte. Augenblicklich meinte man sich auf ein Hochzeits- oder Tauffest versetzt, irgendwo auf dem Land oder in einer Gastwirtschaft in irgendeiner Stadt in der Grenzregion zwischen Griechenland und Mazedonien, wo der Wein in Strömen fließt und mit der Musik die ausgelassene Stimmung befeuert.

Dieses Jahr wurde das Doneff-Dafka-Ensemble beim Folkfestival in Rudolstadt mit dem Weltmusik-Förderpreis 2018 ausgezeichnet. Für die begeisterten Zuhörer im Sigmaringer Kulturzentrum Schlachthof stand außer Zweifel, dass mit dieser Entscheidung die Richtigen geehrt wurden. 

Sunday 11 November 2018

JAZZTRENDS: Stephan Crump Rhombal Quartet

Auf der Höhe der Zeit 

Der amerikanische Kontrabassist Stephan Crump und sein Rhombal Quartet vor begeistertem Publikum

cw. Stephan Crump ist ein Jazzmusiker, der sich nicht ins Rampenlicht drängt – im Gegenteil: Der New Yorker ist einer der Stillen und Bescheidenen der internationalen Jazzszene, obwohl er seit Jahren in der ersten Liga spielt. Als Bassist im Ensemble des Pianisten Vijay Iyer, der momentan vielleicht „besten Jazzcombo der Welt“ (so das renommierte Musikmagazin Downbeat), belegt Crump seit Jahren vorderste Plätze in den Kritikerpolls. Wenn es sein voller Terminkalender erlaubt, widmet er sich eigenen Bandprojekten, von denen das Rhombal Quartet vielleicht das bedeutenste ist. Beim Jazzclub Singen stellte sich die Gruppe im Kulturzentrum Gems erstmals im deutschen Südwesten einem begeisterten Publikum.

Drei Musiker hat Crump um sich geschart, die alle durch eine sehr individuelle Spielweise aufhorchen lassen. Da ist zum einen Tenorsaxofonist Ellery Eskelin, der einen lyrischen, abgeklärten Stil pflegt und dem es gelingt, seine singbaren Improvisationen mit wenigen Noten zu gestalten. Dagegen ist der junge Trompeter Adam O'Farrill eher ein Heißsporn, der mit starkem Atem und großer Virtuosität Feuer in die Musik bläst. Kassa Overall am Schlagzeug spielt pfiffig und einfallsreich und sorgt mit großem Gespür im Gespann mit dem geschmeidigen Bassspiel von Crump für punktgenaue Akzente und einen federnden Beat, über dem sich die Solisten optimal entfalten können.

 
Das erste Album der Gruppe, das vor zwei Jahren erschien, war Crumps verstorbenem Bruder gewidmet und deswegen von einer melancholischen Stimmung getragen. Die Kompositionen, die von dieser Einspielung stammten, zeichnen sich durch ein gemächliches Tempo und weite Melodiebögen aus. Sie sind transparent konstruiert, weil kein Akkordinstrument wie Klavier oder Gitarre die Musik zu sehr verdichtet. Dazwischen plazierte die Gruppe neuere Stücke, die Crump als „Songs“ bezeichnet. Sie sind in einem zügigeren Zeitmaß gehalten und folgen durchweg einem strengen Aufbau. Bei Stephan Crump’s Rhombal Quartet steht unverkennbar die kompositorische Form im Vordergrund. 

Oft tasten sich die beiden Bläser sehr zaghaft in eine Melodie hinein, deuten sie zuerst nur an, werfen Klangfetzen ein und spielen sich gegenseitig kurze Fragmente zu, bevor das Thema erst nach einiger Zeit komplett erscheint, um abermals weiterentwickelt und improvisatorisch variiert zu werden. Dabei besticht die ungeheure Musikalität, mit der die vier den Kompositionen Leben einhauchen. Die Gruppe offeriert einen modernen Jazz auf höchstem Niveau, der die besten Elemente aus der Historie originell zusammenführt und sie zu einem überzeugenden Ansatz vereint. 

Sunday 4 November 2018

JAZZTRENDS: Aruán Ortiz & Don Byron

Zufallstänze

Aruán Ortiz hat mit Don Byron ein Duo-Album aufgenommen – „universelle Musik“ schwebt den beiden vor


cw. Im diesjährigen Kritikerpoll des Down Beat hat sich Aruán Ortiz in der ‘Rising Star’-Kategorien mittlerweile in die Spitzengruppe vorgearbeitet. Man nimmt ihn wahr, den kubanisch-amerikanischen Pianisten! Seit er beim Schweizer Intakt-Label unter Vertrag ist, hat seine Musik an Brennschärfe und Farbigkeit gewonnen. Jetzt hat er mit dem Großmeister der Jazzklarinette, Don Byron, der sich inzwischen auch virtuos auf Tenorsaxofon und Baßklarinette in Szene setzt, ein Album eingespielt: feinfühlige Musik, die die Kategorie Jazz weit hinter sich läßt.

Don Byron wird im November 60. Sie sind 45. Sie beide gehören verschiedenen Generationen an. Wie kam das Duo zustande?

Aruán Ortiz: Don Byron war lange auf meinem Radar. Ich kannte seine Alben, hörte seine Musik, verfolgte seine Karriere. Mir imponierte, was für ein ungeheuer vielfältiger Musiker er ist. Ich hatte das Gefühl, dass wir künstlerisch eine ähnliche Vision verfolgen. Er schreibt fantastische Kompositionen. Dann spielte ich mit dem Drummer Ralph Peterson jr. zusammen, der auch mit Don Byron arbeitet. Er ist auf dem Album „Music for Six Musicians“ zu hören, das mich sehr beeindruckt hat. Es strahlt die Wärme eines Old-School-Jazz-Albums aus, daneben sind die Einflüsse klassischer Musik zu spüren, und gleichzeitig versprüht es die Gelassenheit lateinamerikanischer Musik, was mich als Kubaner natürlich elektrisierte. Don Byron ist ein umfassend gebildeter Musiker, eine äußerst faszinierende Persönlichkeit. Über Peterson kam dann ein Kontakt zustande. Ich fragte Don Byron, ob ich Komposition bei ihm studieren könnte, was auch geschah. Ich brachte ein paar Partituren mit, wir beschäftigten uns damit. Er hörte sich meine CDs an und holte mich dann in sein Quartett. Wir absolvierten eine Europa-Tournee zusammen. Seither ist der Kontakt nicht abgerissen. Wir fühlten, dass wir auf der selben Wellenlänge lagen, weil wir beide über die üblichen Barrieren des Jazz hinaus wollen. Wir gaben dann ein Konzert hier in New York als Duo, das sehr gut verlief, und daraus hat sich eine Freundschaft entwickelt. Langsam ist die Idee für ein Duo-Album gereift, was nur ein logischer Schritt war.

Die Titelliste des Albums spiegelt eine große Vielfalt wider. Neben Kompositionen von Don Byron und von ihnen gibt es Bach und Ellington, aber auch ein Stück des katalanischen Komponisten Federico Mompou. Wie kam es dazu?

Aruán Ortiz: Ich habe vor Jahren in Spanien Klavier studiert und kam dabei in Berühung mit dem Werk von Federico Mompou (1893-1987), einem Außenseiter-Komponisten, der dezente, unaufdringliche Musik schrieb, beeinflußt von Erik Satie und Claude Debussy. Sein Ansatz hat mich fasziniert. Vor allem sein bekanntestes Stück „Musica Callada“ war eine Offenbarung für mich, das ich seit langem in meinem Repertoire habe. Als ich mich mit Don Byron zusammensetzte und wir über eine Titelliste diskutierten, wurde schnell klar, dass wir kein Jazzalbum machen wollten, sondern ein Album mit universeller Musik, die keine Grenzen kennt. So ist auch unser Selbstverständnis als Musiker, die sich von keinerlei Schranken und Kategorien mehr einschränken lassen wollen. Deswegen hat jeder von uns eigene Stücke eingebracht und Fremdkompositionen vorgeschlagen, egal aus welcher musikalischen Gattung sie auch stammten. Don Byron hat sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Werk von Johann Sebastian Bach beschäftigt, weshalb die „Violin Partita No. 1 in B minor, BWV 1002“ auf dem Album gelandet ist. Er spielt das Violinenstück als Solo auf der Klarinette – atemberaubend! Von mir kam der Vorschlag Mompou dazuzunehmen, den Byron nicht näher kannte, der ihn aber sofort faszinierte. 

Die „Musica Callada“ ist ein Zyklus von Klavierstücken von Mompou. Sie spielen das Werk im Duo mit Piano und Klarinette. Wie kam das Arrangement zustande? 

Aruán Ortiz: Da ich das Stück vorgeschlagen habe, brachte ich ein Arrangement mit, das wir dann während der Proben weiter verfeinert haben, damit die Interpretation dem Geist der Komposition entsprach. „Musica Callada“ bedeutet soviel wie schweigsame Musik. Um das ging es uns, eine solche Atmosphäre einzufangen.

Dem steht eine Komposition von Duke Ellington gegenüber….

Aruán Ortiz: Ja, Ellington ist ein Idol von Don und mir. Wir haben seine Komposition „Black and Tan Fantasy“ ausgewählt, weil die ja auch von Thelonious Monk gespielt wurde. Und Monk ist einer meiner Favoriten, was das Jazzpianospiel betrifft, weshalb es wunderbar war, mit Don Byron dieses Stück zu erarbeiten. Auf was es uns ganz generell ankam, war, diese wunderbaren Melodien zum Leuchten zu bringen. Dabei kümmerten uns keinerlei Konventionen, die uns sagen wollen, wie man diese Musik „richtig“ spielt. Nonsense! Wenn es wie großartige Musik klingt, liegt man richtig.

Aruán Ortiz & Don Byron: Random Dances and (A)Tonalities (Intakt)

Das Interview erschien zuerst in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift JAZZTHETIK (jazzthetik.de)

Thursday 1 November 2018

Jazztrends: Manfred Kniels neuster Streich

Magische Beschwörung

Der Stuttgarter Schlagzeuger Manfred Kniel geht im Jazz neue Wege

Foto: Manuel Wagner

cw. Manfred Kniel ist das Enfant terrible der südwestdeutschen Jazzszene. Der Komponist und Schlagzeuger bürstet den Jazz gegen den Strich. Seit Jahren brütet der ehemalige Dozent an der Stuttgarter Musikhochschule immer wieder neue Projekte aus, die über die improvisierte Musik hinausgehen und trotzdem darin verwurzelt sind. Mit dem Schlagwort „Post-Jazz“ hat die Kritik diesen innovativen Trend auf den Punkt gebracht. Gerade ist ein neues Album von Kniel erschienen, das ebenfalls in diese Richtung weist. Kniel bricht nicht zum ersten Mal in seiner Karriere in musikalisches Neuland auf.
                                                                                                                           Foto: Martin Wagner
Seine Sporen verdiente Manfred Kniel in den 1970er Jahren bei der Frederic Rabold Crew und später beim Jazz Inspiration Orchestra, die beide damals zu den profiliertesten Jazzensembles der bundesdeutschen Szene zählten. Danach saß er im Quartett der Sängerin Lauren Newton auf dem Schlagzeug-Stuhl, wo er mit dem amerikanischen Vibrafonisten David Friedman zusammenspielte. Schon damals zeichnete sich Kniel durch große Virtuosität und eine humorvolle Exzentrik aus, Eigenschaften, die er bis heute beibehalten hat. 

Als Komponist wie auch als Drummer ist Kniel ein Meister der Verknappung. Von der Vielspielerei, der gedankenlosen Erzeugung einer Masse von Tönen, hält er nichts. „Reduktion!” lautet die Devise. Anstatt einen Wust an Noten zu spielen, orientiert er sich lieber am Motto „weniger ist mehr“. Kniel nimmt sich zurück, agiert mit Klarheit und Überblick. Sein jüngstes Werk namens „S.O.S.-Suite“ (erschienen bei Nytingale Records) ist ganz nach diesem Muster gestrickt. Transparente Kompositionen, stringent-logisch konstruiert, bestimmen das Album. Die Stücke wirken dennoch nicht überladen, obwohl fünf Musiker an der Einspielung beteiligt waren. 

Als Ausgangspunkt wählte Kniel ein paar wenige Bausteine, die auf dem S.O.S.-Morsecode beruhen: dreimal kurz, dreimal lang, dreimal kurz! Aus dieser Formel formte der Drummer einen 5/4-Takt, der als rhythmische Basis die Grundlage für jede der fünf Kompositionen bildet. Die Stücke strotzen vor Originalität und sind bis ins letzte Detail durchdacht und ausnotiert. Nur an genau ausgewiesenen Stellen wird der Improvisation Raum gegeben, die Ekkehard Rössle auf dem Saxofon und Keyboarder Hans Joachim Irmler in expressiver Weise nutzen. Während Rössle mit schlanken, singbaren Linien die Melodiekürzel der jeweiligen Komposition aufgreift und weiterspinnt, bringt Irmler – ehemaliger Keyboarder der Krautrock-Gruppe Faust – mit harschen Sounds Spurenelemente von Noise und Industrial ins Spiel. Die Sängerin Denise Taylor belebt mit dadaistischer Lautsprache das Geschehen, fügt den Kompositionen mit vokaler Finesse eine zusätzliche Klangfarbe hinzu. Dabei klingen die Liedverse manchmal wie Zaubersprüche einer magischen Beschwörung. 
Kniels musikalisches Universum ist Lichtjahre von den Gepflogenheiten des konventionellen Jazz entfernt, weil der Schlagzeuger auf beeindruckende Weise das macht, von dem viele Musiker nur reden. Kniel hat über die Jahre einen völlig eigenständigen Personalstil entwickelt, der all die Routinen und Klichees umgeht, die heute den Jazz gelegentlich etwas verbraucht erscheinen lassen. Sein Konzept könnte als Frischzellenkur für die improvisierte Musik taugen! 

Manfred Kniel: S.O.S.-Suite (Nytingale Records)

Bezug über: records@nytingalemusic.de

Mehr Infos:
http://christophwagnermusic.blogspot.com/2013/03/jazztrends-fifty-fifty-strategien-der.html

Auf SWR2 in der Sendung RADIOPHON – MUSIKCOLLAGEN am Donnerstag, 29. November 2018 (21:03 - 22:00) ist ein Titel aus der S.O.S.-Suite von Manfred Kniel zu hören.