Friday 22 February 2013

Jazztrends: MICHAEL WOLLNY mit [em] 'in the UK'



Ein Hit von Kraftwerk als Zugabe

Der deutscher Spitzenjazzer Michael Wollny mit seinem Trio [em] in England unterwegs

                                                                                               Foto: Grosse-Geldermann

cw. Michael Wollny ist der bekannteste deutsche Jazzmusiker der jüngeren Generation. Der 35jährige Pianist sorgt als Solist und mit seinem Trio [em] seit ein paar Jahren mit spektakulären ‘Live’-Auftritten und Platteneinspielungen für Furore und feiert daneben mit Altmeistern wie Joachim Kühn und Heinz Sauer Triumphe. 2011 wurde Wollnys Gruppe [em] zur besten deutschen Jazzcombo gekürt und mit dem ECHO Jazz Award ausgezeichnet, sein letztes Album “Wasted & Wanted” von der Kritik mit Begeisterung aufgenommen.

Viel zu Wollnys Erfolg trug seine Plattenfirma bei. Der Tastenkünstler aus Berlin ist beim rührigen Münchner Act-Label unter Vertrag, das vom ehemaligen Warner-Manager Siggi Loch geleitet wird. Loch hat es in den letzten Jahren immer wieder geschafft, Künstler seines Labels international durchzusetzen, wie den 2008 verstorbenen Pianisten Esbjörn Svensson. Mit seiner Gruppe E.S.T. wurde Svensson zu einem weltweit gefeierten Star. Das mag ein Ansporn für Michael Wollny gewesen sein, mit seinem Trio [em] jetzt zu einer ersten Tournee nach Großbritannien überzusetzen für Auftritte in London, Birmingham, Barnstaple und Manchester.
                                                                                                                                         Foto: Anna Meuer
Für ausländische Musiker ist England ein hartes Pflaster. Die britische Jazzszene leidet an chronischem Geldmangel und Inselmentalität, weswegen nur wenigen Gruppen den Sprung über den Kanal schaffen. Allerdings hat Wollny einen Trumpf: Er ist auf der Insel längst kein Unbekannter mehr. Seine Alben wurden derart positiv von der Presse besprochen, dass er letztes Jahr mit ein paar gefeierten Solokonzerten den Boden für die Tour mit seinem Trio bereiten konnte. Die britischen Medien geizten dann auch nicht mit Vorschußlorbeeren. Nur Freejazz-Altmeister Peter Brötzmann kann in England mit ähnlicher Beachtung rechnen.

In Manchester trat [em] im Club “Band on The Wall” auf, dem gediegensten Konzertort der nordenglischen Industriemetropole für Klänge jenseits des Mainstreams. In dieser Lokalität, die von der Stadt Manchester betrieben wird, wechseln sich sieben Tage die Woche Soul-, Jazz-, Folk-, Reggae- und Weltmusik-Auftritte ab. Mit ihrem abwechslungsreichen Jazz gelang es den drei Musikern aus “Germany”, das Publikum rasch auf ihre Seite zu ziehen, und bald brach sich Begeisterung Bahn. Links auf der Bühne ließ Wollny seine Finger flink über die Tasten des schwarzen Flügels tanzen, während gegenüber Drummer Eric Schäfer für komplexe Rhythmen und dynamisches Feuer sorgte. In der Mitte der Bühne bildete Eva Kruse mit ihrem Kontrabaß den Ruhepol. Sie gab der Musik selbst in den turbulentesten Passagen Halt. Beeindruckend war die große Bandbreite an Klängen und Stilen, die die Combo auf ihrem rasanten Parforce-Ritt durchquerte und die von Rock über Jazz bis zu radikalen Avantgarde-Sounds reichten. Am Ende gab es den Kraftwerk-Hit “Das Modell” als Zugabe.

Indem Wollny und Mitstreiter alle Register zogen, gelang es ihnen, das sonst als eher unterkühlt geltende englische Publikum aus der Reserve zu locken. Um allerdings in Großbritannien größere Konzerthallen zu füllen, wird noch viel harte Promotion-Arbeit nötig sein. Diese erste Stippvisite kann nur ein Auftakt gewesen sein.

Tuesday 12 February 2013

JAZZTRENDS: Neo Fake-Jazz mit Humor


Spielfreude statt Sinnsuche

Die junge New Yorker Band Mostly Other People Do The Killing wirbelt den Jazz mit Humor durcheinander

cw.«Wir spielen alle Jazzstile zur gleichen Zeit und so schnell wie möglich!», proklamiert die Gruppe Mostly Other People Do The Killing mit einem Augenzwinkern. Die New Yorker Combo schreckt vor nichts zurück! Frech, ungestüm und mit rotziger Punk-Attitude pflügt sie durch die Jazzgeschichte und wirbelt dabei Partikel der unterschiedlichsten Stilrichtungen auf, um sie ganz unverblümt und auf verblüffende Weise neu zusammenzusetzen. Das Quartett aus Brooklyn erfindet den Jazz mit parodistischer Punk-Attitude neu.

Kreuz und quer durch alle Stile zu spielen, ist für die Gruppe kein Problem, besteht sie doch aus ein paar der besten Musiker der jungen kreativen Szene von Brooklyn, wohin sich seit ein paar Jahren der innovative Impuls des New Yorker Jazzlebens verlagert hat. Die vier sind Alleskönner. Ob Swing, Bebop oder Freejazz, ob Punk, Funk oder Latein – jeden Stil beherrschen sie aus dem Effeff. Trompete Peter Evans tritt sogar gelegentlich als Solist in Bach’schen Barockkonzerten auf.
Moppa Elliot ist der konzeptionelle Kopf der Formation. Mit wuchtigen Basslinien treibt er die Musik voran, perfekt verzahnt mit den knackigen Drumbeats von Kevin Shea. Peter Evans spielt eine äußerst wendige Hochgeschwindigkeitstrompete, deren rasante Läufe von Jon Irabagons expressiven Saxofonausbrüchen gekonnt pariert und weitergesponnen werden.

Mit ihrer Musik setzt die Band einen bewußten Kontrapunkt gegen die Kopflastigkeit und Esoterik so mancher Jazzband moderner Prägung. Ihr Stil ist ausgelassen statt versonnen. Sie stellen wilde Exzentrik gegen elegische Tonschwelgereien und Spielfreude gegen Sinnsuche! Anstatt griesgrämiger Ernsthaftigkeit wird locker-lässig mit unbändiger Spielfreude musiziert. Diese Band ignoriert alle Stopschilder.

Damit knüpft die Gruppe an Zeiten an, als der Jazz noch ein populärer Stil war, keine Nischenkunst. Ein knackiger Groove – manchmal swingend, manchmal rockig – bildet das Fundament, über dem Saxofon und Trompete ein Feuerwerk an Tönen abbrennen. Parodistische Einlagen und ein anarchischer Humor sorgen dafür, dass nicht nur das Trommelfell sondern auch das Zwerchfell auf seine Kosten kommt. John Lurie’s Lounge Lizards, eine Kultband der achtziger Jahre, lassen grüßen. Mostly Other People Do The Killing unternehmen den Versuch, den Jazz vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen ohne sich dem vermeintlichen Massengeschmack anzubiedern. Diese Band kennt kein Pardon!

Aktuelles Album:

Mostly Other People Do The Killing:  “Slippery Rock!” (Hot Cup Records)

Sunday 10 February 2013

Die UKULELE - Minigitarre aus Hawaii


Kleines Instrument ganz groß!
 
Einst verspottet, erlebt die Ukulele momentan einem Boom
 

cw. Früher wurde sie belächelt. Nur Spaßmacher und Varieté-Unterhalter spielten Ukulele - die nervige und etwas vorlaute, kleine Schwester der Gitarre. Niemand nahm sie ernst. Doch seit das Zupfinstrument in der Popmusik immer mehr an Boden gewinnt, hat sich sein Ruf verbessert. Ob Noah And The Whale, The Magnetic Fields, Jack Johnson oder die Fleet Foxes - mehr und mehr Popkünstler schätzen die Unbekümmertheit des scheppernden Schrammelklangs. Jetzt tritt Popstar Eddie Vedder von der Rockgruppe Pearl Jam mit einem Soloalbum an die Öffentlichkeit, das für einen weiteren Popularitätsschub sorgen dürfte. Auf “Ukulele Songs” finden sich mehr als ein Dutzend Lieder, auf denen sich der Sänger nur auf der Ukulele begleitet und beweist, dass die viersaitige Minigitarre auch zu ernsthaftem künstlerischen Ausdruck geeignet ist.
 
“Weniger Saiten, mehr Melodie”, so bringt Vedder die Vorteile der Ukulele auf den Punkt. Verliebt hat er sich in das Saiteninstrument vor mehr als zehn Jahren bei einem Hawaii-Urlaub, als er sich von den Strapazen einer Pearl Jam-Tournee erholte. In einem Geschäft stach ihm das Instrument ins Auge, das so billig war, dass er es sofort erwarb. Vor dem Laden probierte er darauf herum, bis eine Melodie ertönte. “Ein paar Touristen blieben stehen und warfen mir Geld in die Instrumentenschachtel,” erzählt Vedder. “Ich dachte: Sapperlot, das Ding hat etwas!”
 
Sein demokratischer Charme ist der größte Vorteil des Instruments -  fast für jeden Geldbeutel erschwinglich. Dazu leicht zu erlernen: “In fünf Minuten Ukulele spielen!” garantiert ein Unterrichtswerk. Die geringe Größe macht sie außerdem für kleine Hände spielbar und zum idealen Schulmusikinstrument. “Mein Daddy zeigte mir ein paar Akkorde auf der Ukulele, bis meine Hände groß genug waren, um Gitarre zu spielen,” erinnert sich Bluesgitarrenlegende Johnny Winter. Der geringe Preis und die leichte Spielbarkeit machen die Ukulele heute zu einer Art Gegenmodell zum immer aufgeblaseneren und hochpolierteren Musikbusiness.
 
Die Stärken scheinen sich langsam herumzusprechen, denn die Verkaufszahlen zeigen nach oben. In Großbritannien, dem führenden Land der aktuellen Ukulele-Welle, ist das Instrument ein Verkaufsschlager. Allein im letzten Jahr wurde im Vereinigten Königreich mehr Ukuleles verkauft als E-Gitarren. Mit mehr als 40 % verzeichnete das Instrument den größten Umsatzzuwachs unter allen Musikinstrumenten. Kleine Ukulele - ganz groß!

Und sie werden auch gespielt, am liebsten im Verein. Auf der Insel schießen Ukulele-Clubs
wie Pilze aus dem Boden und das nicht nur in größeren Städten. Selbst auf dem
Land grassiert der Ukulele-Virus, wie in Hebden Bridge (Nordengland), wo sich ein halbes Dutzend Hobbymusiker einmal im Monat zum gemeinschaftlichen Musizieren  im “Cross Inn
Pub” treffen, oder im benachbarten Halifax, wo eine “Ukulele Gang” regelmäßig zusammenkommt. In Deutschland haben sich ebenfalls bereits erste Vereine gebildet.
 
“Jung und alt kommen zum Übungsabend - von Teenagern bis zu Rentnern. Menschen aus den unterschiedlichster Berufen  - das ganze Spektrum!” erzählt Rob Collins, der vor ein paar Jahren im nordenglischen Hebden Bridge den Spielkreis ins Leben rief. Collins hatte sich in das Instrument vernarrt, als er vor zehn Jahren auf die Idee kam, Ukuleles aus blechernen Keksdosen zu bauen, die unerwarteten Anklang fanden. Als er dann letztes Jahr arbeitslos wurde, machte er aus seinem Hobby einen Vollzeitberuf und liefert nun seine hochwertigen Instrumente aus makellos gedrechselten Rosenholz oder Eichenholz in die ganze Welt. Von Japan bis in die USA treffen Bestellungen ein. Die Auftragsbücher sind bis zum Jahresende voll.
 
Ursprünglich war die Ukulele in Hawaii aus einem Zusammenprall zweier Kulturen entstanden. 1879 hatten portugiesische Auswanderer traditionelle Zupfinstrumente wie die Braguinha und das Cavaquinho von der Insel Madeira in die Südsee gebracht. Auf Hawaii wurden die Instrumente den lokalen Bedürfnissen angepasst, in der Form vereinfacht, in der Stimmung simplifiziert und in “Hüpfender Floh” umbenannt, sprich: Ukulele!
 
Nach der Annexion durch die USA, avancierte Hawaii 1898 zum beliebten Ferienziel amerikanischer Urlauber. Bei den Touristen erfreuten sich die traditionellen Hula-Tänze und hawaiianische Folksongs besonderer Wertschätzung, die oft von einer Ukulele begleitet wurden. Das Instrument stimulierte Sehnsüchte, dem grauen Alltag zu entfliehen. Es rief Südsee-Fantasien hervor, in denen braune Schönheiten am Strand im Mondschein unter Palmen ihre exotischen Tänze zu den Melodien einer Ukulele vollführten. Das Motiv wurde von Songs wie “Ukulele Sweetheart” oder “My Honolulu Ukulele Baby” um die Welt getragen, gespielt von Musikgruppen aus Hawaii, die mit solchen Liedern internationale Erfolge feierten.
 
Die “Panama-Pacific International Exhibition” von San Francisco brachte 1915 den Durchbruch. Viele der 17 Millionen Besucher hörten dort zum ersten Mal hawaiianische Musik mit Ukulele. Die Begeisterung schlug hoch. 1926 hatte der Höhenflug seinen Kulminationspunkt erreicht, als die amerikanische Gitarrenfirma Martin - ein Gitarrenhersteller unter vielen - allein 14000 Ukulele verkaufte. Hawaii-Musik feierte weltweite Triumphe. 
 
Als 1933 das Instrument in einem Film mit Laurel & Hardy auftauchte, sowie ein paar Jahre später in “Waikiki Wedding” mit Bing Crosby, war die Mode bereits wieder im Abklingen begriffen. Erst in den 50er Jahren bescherte Marilyn Monroe in “Some like it hot” dem Instrument ein Comeback, zu dem auch Elvis mit dem Film “Blue Hawaii” beitrug, für den er auf dem Plakat mit Ukulele posierte. Ende der 60er Jahre wirbelte der schrille Entertainer Tiny Tim noch einmal Staub auf, dessen Markenzeichen die  Ukulele war. Danach wurde es stiller um das Instrument aus der Südsee.
 
Jetzt ist das Ukulele-Fieber wieder erwacht. Nicht ganz unschuldig ist daran das Ukulele Orchestra of Great Britain, das seit 1985 unermüdlich als Missionsorganisation für das Instrument fungiert und mittlerweile selbst in Japan große Säle füllt. Das professionelle Ensemble aus acht Ukulele-Spielern, zumeist ehemaligen Gitarristen, bietet ein buntgewürztes Programm aus klassischen Vaudeville-Nummern, alten Schlagern und Rock-Bearbeitungen wie “Anarchy in the UK” von den Sex Pistols. Selbst Hawkwinds “Silvermachine” wird die Ukulele-Behandlung zuteil, wobei die Diskrepanz zwischen den Pling-Plong-Tönen und den Rocksounds der Originale ihre komische Wirkung nicht verfehlt.
 
Im deutschsprachigen Raum sind Coconami die Speerspitze des neuen Trends. Das japanische Musikerehepaar aus München hat dem Rock ‘n’ Roll adé gesagt, ihre E-Gitarren bei Ebay versteigert, um eine unbeschwerte, heitere Musik zu machen - mit Ukulele. Nami singt wie ein Vogel beim Sonnenaufgang, nur lieblicher, während Miyaji auf den Saiten zirpt. Ob bayrisches Landler-Lied, japanische Folkmelodie oder ein Punk-Song  - Coconami machen die Ukulele zum kulturübergreifenden Weltenversöhner. “Jeder sollte eigentlich eine Ukulele besitzen,” meint Eddie Vedder. “Die Leute müssen sich ausdrücken können, das braucht es einfach!”

Sunday 3 February 2013

MAGMA - Interview mit CHRISTIAN VANDER


Musik von einem anderen Stern

Sie singen in einer eigenen Sprache und behaupten, vom Planeten Kobaia zu kommen - die französische Gruppe Magma meldet sich mit einem neuen Album zurück


 cw. Was Kraftwerk, Faust oder Can für Deutschland, war Magma für Frankreich: die Band, die in den 70er Jahren das Land auf die Weltkarte der internationalen Rockmusik setzte. Nach einigen Jahren Auszeit ist die Formation aus Paris jetzt wieder aktiv und hat gerade ein neues Studioalbum vorgelegt.

Magma gilt als eine der mysteriösesten Formationen der Popgeschichte. Die Mitglieder tragen einheitlich schwarze Kleidung mit dem vielzackigen Magma-Emblem auf der Brust. Sie schufen sich eine eigene Mythologie, wonach sie einst die immer unbewohnbarer gewordene Erde verlassen hatten, um sich auf dem Planeten Kobaia niederzulassen. Von dort unternehmen sie nur noch sporadisch  kurze Stippvisiten auf ihren ehemaligen Heimatplaneten.

Konsequenterweise singt Magma in einer eigens dafür erfundenen Sprache - “kobaianisch”, das sich wie ein Kauderwelsch aus  slawischen Sprachen, Deutsch und Französisch anhört. Und die Mitglieder treiben das Spiel noch weiter: Sie nahmen kobaianische Namen an. Dazu machen sie eine Musik, die wie von einem anderen Planeten klingt.
Schlagzeuger Christian Vander (Jahrgang 1947), der auf kobaianisch Zebehn Strain De Geustaah heisst, steht im Mittelpunkt der Gruppe, Magma ist seine Kreation. Vander komponiert die gesamte Musik und ersinnt die lautmalerischen Texte. Von seinem Schlagzeugstuhl aus dirigiert er das Ensemble und treibt mit komplexen, kraftvollen Trommelbeats seine Mitspieler zu Höchstleistungen an. Bei ihm laufen alle Fäden zusammen.

Vander gibt Magma eine eindeutig europäische Ausrichtung, mischt vertrakte Rockrhythmen, elektrische Sounds und Improvisationen mit Stilelementen aus der Klassik. Die Musik besitzt eine kompromisslose Unbedingtheit, klingt streng, kühl, ja monumental, manchmal geradezu apokalyptisch, ohne auf ekstatische Momente zu verzichten. Magma schuf einen völlig eigenständigen Sound, von dem die Gruppe bis heute keinen Millimeter abgewichen ist.
Stimmt es, dass sie ihr erstes Schlagzeug vom Jazztrompeter Chet Baker geschenkt bekommen haben?

Christian Vander: Richtig! Damals in den 50er Jahren lebte Chet Baker in Paris und wohnte zeitweise bei meiner Mutter und mir. Er war vom Schlagzeug faszinert und wir fingen an zu trommeln. Wir saßen uns gegenüber und spielten: Er 4 Takte, ich 4 Takte, er 8 Takte, ich 8 Takte usw.

Um die Nachbarn nicht zu stören, trommelten wir meistens mit Besen auf Löschpapier. Eines Tages sagte Chet: “Du machst dich gut! Du brauchst ein richtiges Schlagzeug. Ich finde dir eins.” Einige Tage später, als er im Jazzclub “Chat Qui Peche” ein längeres Engagement hatte, verabretete er sich mit mir vor dem Konzert. Als ich ankomme, sehe ich, wie Chet mit einem Schlagzeug unter dem Arm die Treppe des Clubs hochkommt. Wir packten es in ein Taxi und fuhren zu mir nach Hause ins 10te Arrondissement, in die Rue René Boulanger. Endlich hatte ich ein Schlagzeug. Ich war verrückt vor Freude - bis zu dem Tag als die Gerichtsvollzieher kamen. Chet hatte nicht nur das Schlagzeug von seinem Drummer geklaut, es war außerdem nur gemietet. Es wurde ein Verfahren eingeleitet und sie fanden schließlich das Schlagzeug. Ich fiel aus allen Wolken. Als 14jähriger kam ich zum Verhör vor Gericht. Weil ich so jung war, hatte der Richter ein Nachsehen. Trotzdem wurde ich dazu verurteilt, die Mietkosten für das Schlagzeug zu bezahlen. Ich habe Chet Baker später wieder getroffen und wir haben herzlich über die Episode gelacht.

Es heisst auch, dass sie das Schlagzeugspiel von Elvin Jones gelernt hätten?

Christian Vander: Ich lernte Elvin Jones durch den Saxofonisten Bobby Jaspar kennen, der bei uns wohnte. Bobby war der beste Freund meiner Mutter, ebenso wie Elvin Jones. Damals spielte Bobby Jaspar mit Elvin Jones im Orchester von Bob Brookmeyer. Bobby stellte mir Elvin mit dem Satz vor: “Von dem wirst du noch hören!”  Kurz darauf wurde Jones Mitglied im Quartett von John Coltrane. Mit Elvin habe ich über sein Schlagzeugspiel gesprochen, vor allem auch über die Wahl der richtigen Schlagzeugstöcke. Mit der Zeit wurde Elvin Jones so etwas wie ein spiritueller Vater für mich.

Als er mit Coltrane in Paris spielte, saß ich ganz nah an der Bühne, nur einige Meter vom Schlagzeug entfernt. Nach den Konzerten gingen wir oft noch zu einer Jam Session etwa ins “Blue Note”, einen Jazzclub. Es war ein Privileg, dabei zu sein, weil niemand wusste, ob die Musiker nach dem Konzert noch eine Jam Session bestreiten würden. Manchmal waren nur 10 Zuhörer im Club, um dem Trio von Elvin Jones, McCoy Tyner und Jimmy Garrison  zuzuhören.

Bei Jam Sessions habe ich John Coltrane nie erlebt. Einmal im “Blue Note” spürte ich jemanden hinter mir – es war Coltrane. Er hatte sein Saxofon dabei. Er hörte sehr intensiv dem Trio zu, das u.a. Stücke der Schallplatte “Inception” spielten, dem Debutalbum von McCoy Tyner. Ich war gepackt von der Musik. Ich ging von meinem Platz weg, und als ich zurückkam, war Coltrane nicht mehr da.

Paris war in den 60er Jahren vielleicht neben Kopenhagen die Hauptstadt des Jazz in Europa. Viele amerikanische Musiker lebten zeitweise in der Stadt etwa das Art Ensemble of Chicago oder Anthony Braxton. Hatten sie Kontakt zu dieser Szene?

Christian Vander: Nein, in diesem Milieu verkehrte ich nicht.
Ich habe diese Musiker gelegentlich gehört. Das waren tolle Improvisatoren, aber ich war damals total im Bann von John Coltrane und hatte für nichts anderes Ohren.

John Coltrane war ihr Vorbild. Gab es auch Einflüsse früher englischer Jazzrockformationen wie Soft Machine auf die Musik von Magma?

Christian Vander: Ich kannte Soft Machine von Schallplatten. Aber im Gegensatz zu anderen Leuten, war ich von der Gruppe nicht überwältigt. Ich hörte zu viele Einflüsse von John Coltrane in ihrer Musik. Sie nahmen eine seiner Phrasen und formten daraus ein Thema. Im Gegensatz zu Soft Machine war John Coltrane ein Ozean, eine Sintflut des Ausdrucks, eine Quelle der Inspiration – unbändig und ständig in Bewegung. Jede Platte hörte sich neu und überraschend an.

Magma macht eine spezifisch europäische Musik. War die Abkehr vom anglo-amerikanischen Modell der Rockmusik ihr Ziel?

Christian Vander: Ja, in der Tat. Ich hatte etliche kontinental-europäische Gruppen gehört, die anglo-amerikanische Musik machten. Wie kann man in England oder Amerika Beachtung finden, wenn man deren Musik kopiert? Sinnlos! Man musste also stark dagegen halten. An diesem Punkt setzte Magma an. Unsere Musik wirkte wie eine Flutwelle.

Warum haben sie für Magma eine eigene Sprache entwickelt?

Christian Vander: Das war keine intellektuelle Angelegenheit wie die Kunstsprache “Esperanto”. Vielmehr wurden Töne und Worte spontan zu der jeweiligen Komposition erfunden. Französisch klang für mich einfach nicht kraftvoll genug. Mit der Zeit kam ich dazu, bestimmte Stimmungen und Worte in kobaianisch zu übertragen. Auf jeden Fall unterliegt diese Sprache einer ständigen Entwicklung, weil für jedes Stück neue Wörter kreiert werden müssen. 

Magma verschwand in den 80er Jahren von der Bildfläche. Warum?

Christian Vander: Wir haben uns nie aufgelöst. Ich habe auf jedes Album geschrieben: “Magma – für das Leben, für den Tod und darüber hinaus!” Als Magma aber einen Sommer lang nicht mehr auftrat, schrieben die Zeitungen gleich: “Magma gibt es nicht mehr!” Man hatte den Eindruck, sie hätten nur darauf gewartet. 1983 mussten wir die Gruppe in einen erzwungenen Schlaf versetzen, weil wir nicht mehr genügend Konzerte fanden.

Das erwies sich als positiv, weil es uns erlaubte, an einem anderen Bandprojekt zu arbeiten, was zu der Gruppe Offering führte. Mit der Zeit ergänzte die Musik von Offering die von Magma. Es gibt heute ein echtes Offering-Publikum, obwohl ein Teil des Magma-Publikums uns diese Band nie verziehen hat. Bei Offering agierte ich auch als Sänger, aber das Publikum wollte mich am Schlagzeug hören. Was die Klangfarben anbelangt, machte Offering eine zerbrechlichere Musik als Magma und ließ mehr Platz für Improvisationen. Es war risikoreicher, aber wenn es funktionierte, war es magisch.

Auf Initiative eines Freunds haben wir Magma vor ein paar Jahren wieder ins Leben gerufen. Er versprach uns, 20 Konzerte zu beschaffen. Ich habe zugesagt, ohne zu wissen, mit wem ich die Auftritte bestreiten würde. Es passierte einfach und hat mich auch nicht weiter beunruhigt. Jetzt sind wir zurück!

Wenn sie zurückblicken, wie würde sie die Entwicklung von Magma beschreiben?

Christian Vander: Ich hatte das Glück, John Coltrane als Vorbild zu haben. Jede seiner Schallplatten war eine Überraschung. Das wurde auch für Magma mein Grundsatz. Jede Schallplatten sollte eine Weiterentwicklung darstellen – etwas Neues, Unerwartetes bringen. Niemals etwas zweimal machen, sonst wird man sein eigenes Plagiat. Niemals auf die Meinung des Publikums hören, das dazu neigt, die Musik in die Vergangenheit einsperren zu wollen. Niemals eine Schallplatten nur zum Selbstzweck machen. Ich habe nie auf musikalische Moden geachtet. Magma fließt durch die Zeiten hindurch.

Neuerscheinung:
Magma: Félicité Thösz (Seventh Records)

Das Interview erschien zuerst in der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.Jazzthetik.de)
Übersetzung aus dem Französischen: Ulrike Tyrs