Thursday, 8 June 2023

Moderner Jazz mit dem Bill Stewart Trio in Singen

In der Ruhe liegt die Kraft

Das Bill Stewart Trio beim Jazzclub Singen zu Gast


Fotos: Christoph Wagner

 

 

cw. Im Jazz sind Schlagzeuger als Bandleader eher die Ausnahme. In den ersten Jahrzehnten der Jazzgeschichte waren Drummer einfach nur Rhythmusknechte, die für einen steten Swing zu sorgen hatten, bis dann in der Bigband-Ära Gene Krupa und Buddy Rich diese Konvention durchbrachen und eigene Orchester gründeten. Max Roach und Art Blakey machten sich danach in der Zeit des Bebop und Hardbop als Bandleader einen Namen. An diese Ahnereihe knüpft heute Bill Stewart an, der jetzt mit seinem Trio beim Jazzclub Singen im Kulturzentrum Gems zu Gast war.

 

Stewart hat sich über Jahre als kompeteter Sideman einen Namen gemacht, dabei solche Größen wie John Scofield und Pat Metheny begleitet. Aus dem selben Stall kommt auch Kontrabassist Larry Grenadier, der ebenfalls unter den Bandleadern Scofield und Metheny gedient hat, sich aber auch durch sein Spiel mit Joe Henderson und Brad Mehldau in die Annalen des Jazz einschrieb. Dagegen ist der Tenorsaxofonist des Stewart Trios, Walter Smith III, in Europa ein noch ein recht unbeschriebenes Blatt.

 

In einem Jazztrio, das über kein Akkordinstrument (Gitarre, Orgel oder Piano) verfügt, wie es das Ensemble von Bill Stewart darstellt, ist für den einzelnen Musiker Schwerstarbeit angesagt. Er muß in jeder Sekunde voll bei der Sache sein, sowohl als aufmerksamer, hellwacher Begleiter als auch als unbegleiteter Solist. Durchhänger kann man sich in dieser Konstellation nicht leisten, da die Musik äußerst transparent ist.




Die drei Musiker wurden dieser Aufgabe mit Bravour gerecht, ob in dichten, schnellen Kompositionen oder eher lyrischen leisen, immer trafen sie den richtigen Ton. Dabei entpuppte sich Saxofonist Smith als die wahre Entdeckung des Abends, der mit seinem weichen geschmeidigen Spiel die Töne nur so sprudeln ließ, aber auch energisch-zupackend in sein Horn blasen konnte. 

 

Musiker solchen Kalibers sind Spitzenkönner, dass bräuchten sie eigentlich nicht mehr unter Beweis zu stellen, was heißen soll: Ich hätte gerne auf ein paar unbegleitete Solos von Baß und Schlagzeug verzichtet und lieber noch ein paar weitere langsame, verhaltene Nummern gehört, in denen die Band als Einheit ihre größte Stärke entfaltete. In diesen Kompositionen, die nicht immer die Balladenform annahmen, gelang es den Musikern ein klangliches Gewebe zu entwickeln, das in der Zurückgenommenheit die größte Kraft entfaltete und das zahlreiche Publikum – der große Gems-Saal war voll besetzt – andächtig zurückließ, bevor es dann – nach ein paar Augenblicken der Stille – in Begeisterung ausbrach. 


Die nächsten Konzerte des Jazzclubs Singen:

https://jazzclub-singen.de/programm.html




Tuesday, 6 June 2023

Die Rückkehr des Countryrock – was für eine Wohltat!

Lieber in die Sonne blinzeln

Die Rose City Band plus Rosali in der Manufaktur in Schorndorf – oder: die Rückkehr des Countryrock 

 

 Fotos: Christoph Wagner



cw. Was es mit der Wiederkehr – sprich: dem Revival – von Musikstilen auf sich hat: Man muß nur lange genug warten, dann macht alles wieder die Runde. Das muß nicht zwangsläufig auf nostalgische Verklärung hinauslaufen, sondern kann neu belebt und frisch klingen, je nachdem. Will man nach dem Auftritt der Rose City Band am 6. Juni 2023 im Club Manufaktur in Schorndorf urteilen, steht uns gerade ein Comeback der siebziger Jahre ins Haus. Wenn das Ergebnis so eigenwillig klingt wie die Musik der Rose City Band, soll's mir recht sein!


Die fünfköpfige Band um den Gitarristen, Sänger und Songschreiber Ripley Johnson (Moon Duo und Wooden Shjips) aus Portland, Oregon schöpft tief aus der Tradition des Southern- bzw. Country-Rock und ruft mit einem ganz eigenen, unverkennbaren Sound Erinnerungen an Gruppen wie die Byrds, die Allman Brothers Band, J.J. Cale, The Grateful Dead und The New Riders of the Purple Sage wach, die mit unterschiedlicher Gewichtung in den 1960er und 70er Jahren psychedelische Rock-Sounds mit Hillbilly, Bluegrass und Blues verbanden. Es durfte einen deshalb auch nicht wundern, dass man ältere Semester mit T-Shirts der The Flying Burrito Brothers im Publikum sah.



 

Nachdem die Singer-Songwriterin Rosali mit einem halben Dutzend einfühlsamer Songs den Auftakt gemacht hatte, nur begleitet von der eigenen Gitarre und dem Pedal-Steel-Gitarristen des Hauptacts, setzte nach der Pause die Rose City Band mit ein paar kürzeren Songs den Ton, die ungeheuer relaxed, federleicht und flüssig daherkamen. Was gar nicht auffiel, weil es so selbstverständlich und organisch geschah, war, wie sich die melodischen Linien von Pedal-Steel, E-Gitarre und des Keyboards kunstvoll ineinander verflochten. In den Soli – ja die gibt’s hier wieder in großer Ausführlichkeit – warfen sich Johnson, oft mit dem Fuß auf dem Wah-Wah-Pedal, Keyboarder Paul Haselberg und der Mann an der Pedal-Steel, Barry Walker, die Bälle nur so zu. Dabei erwies sich vor allem Haselberg als wahrer Klangzauberer, der seinen Synthi einmal wie eine Hammond-Orgel, dann wieder wie ein E-Piano oder ein Mellotron klingen ließ. In einer wilden, langen Jam-Nummer im Mittelteil des Konzerts ließ er den Synthi dann doch noch wie einen Synthesizer klingen. 




 

Haselberg war übrigens der einzige, der mit mächtigen Gesten die Ausdruckskraft der Musik auch körperlich ausdrückte, während die anderen in coolem Understatement dieses Stils in abgeklärter Pose stoiisch nicht die geringste Miene verzogen, auch wenn sie sich gerade musikalisch in immer ekstatischere Höhen schraubten. Äußerst solide agierte die Rhythmusgruppe, die sich nicht zu irgendwelchen virtuosen Mätzchen hinreißen ließ, sondern ihrer Aufgabe als Begleiter wirklich gerecht wurde.  

 

Angesichts der düsteren Weltlage meinen ja viele Künstler heutzutage, sie müssten sich als politische Kommentatoren betätigen (hoffentlich kommen Politiker und Zeitungskommentatoren nicht auf die umgekehrte Idee), nicht so Ripley Johnson und seine Band – gottseidank! Ihre Songs erzählen von wunderbaren Sommertagen, die man vielleicht daheim auf der Veranda verbringt – im Liegestuhl in die Sonne blinzelnd –  oder dahingleitend im Auto "down the freeway to LA". Was für eine Wohltat! 



Was die Manufaktur in Schorndorf im Verlauf des weiteren Jahres 'live' noch zu bieten hat:


Hörprobe vom neuen Album: The Rose City Band – Slow Burn (youtube)




  

 

Sunday, 4 June 2023

"Jazzweltkulturerbe" in Villingen

Drei magische Buchstaben

Das weltberühmte MPS-Studio in Villingen wird neu belebt

 

 Fotos: Christoph Wagner

cw. Im Innenhof wird gebaut. Nur ein winziges Schild gibt einen Hinweis auf die Besonderheit des unscheinbaren Gebäudes. Man muß um das Haus herumgehen, durch die Eingangstür und die Treppe hinauf, um in die für Jazzfans heiligen Hallen zu gelangen: In der Richthofenstraße 1/1 in Villingen befindet sich das weltberühmte MPS-Tonstudio, zehn Minuten zu Fuß vom Altstadtzentrum entfernt. 

 

Alles ist noch so wie zu seinen besten Zeiten. In den 1970er Jahren gaben sich hier internationale Jazzstars die Türklinke in die Hand: Oscar Peterson, Albert Mangelsdorff, George Duke oder Jean-Luc Ponty – alle haben im MPS-Studio aufgenommen. Für den Starpianisten Friedrich Gulda wurde sogar eigens ein großer Bösendorfer „Grand Imperial“ angeschafft, wobei ein Treppengeländer herausgenommen werden musste, um den riesigen, sündhaft teuren Flügel überhaupt ins Studio befördern zu können. 


Hinter der Scheibe im Kontrollraum: Das 24-Kanal-Mischpult im MPS-Studio 

Mehr als 500 Schallplatten hat das Label MPS (= Musik Produktion Schwarzwald) unter der Leitung des SABA-Erben Hans Georg Brunner-Schwer im Laufe seines 15jährigen Bestehens von 1968 bis 1983 herausgebracht und die meisten wurden hier in Villingen eingespielt, was das Studio heute in internationalen Jazz-Kreisen zu einer Legende macht und in der DJ-Culture zum Kult. 

 

Der Londoner Star-DJ Gilles Peterson kommt kaum mehr aus dem Schwärmen heraus, wenn die drei magischen Buchstaben fallen. Für ihn steht fest: “In den siebziger Jahren war MPS zweifellos das beste Jazzlabel in Europa.” 

 

Nach langen Querelen hat nun der Verein MPS-Studio e.V. die Betreuung übernommen, um dem Ort, der mittlerweile unter Denkmalschutz steht, wieder zu seinem alten Glanz zu verhelfen. Der Vorstand um den Musikverleger und Designer Töni Schifer und den Tontechniker Frank Baumann wollen das Studio abermals zu neuem Leben erwecken. Schon jetzt finden hier Konzerte und Musik-Workshop statt. Aber um wieder zuverläßig Musikaufnahmen machen zu können, muß das gesamte analoge Equipment generalüberholt werden, vom 24-Spur-Mischpult bis zu den hochwertigen Telefunken-Tonbandgeräten. Das steht noch an. Man hat Förderanträge gestellt und wartet nun auf die Bescheide der öffentlichen Hand. 


Der Mann an den Reglern: Tontechniker Frank Baumann am historischen 24-Kanal-Mischpult im MPS-Studio 

 

Es geht um nicht weniger, als ein einzigartiges Erbe zu bewahren und die Geschichte dieser für Villingen vielleicht bedeutensten Einrichtung zu dokumentieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine Herkules-Aufgabe ohne Zweifel, die der Verein aber mit Verve und Begeisterung angeht.

 

Konzert im MPS-Studio, Villingen:

Freitag, 16. Juni (Beginn: 20:00): Faust-Keyboarder Hans-Joachim Irmler & Monika Nuber (Visuals), sowie Ute Wassermann (Stimme)


Sie packen die Sache an: Vorstand Töni Schifer (links) und Frank Baumann vor der Eingangstür in MPS-Studio 



Saturday, 27 May 2023

Spitzenjazz in Singen - Bill Stewart Trio

Musikalisches Höhenerlebnis

 

Mit Schlagzeuger Bill Stewart und seinem Trio kommt ein Jazzensemble der Spitzenklasse aus New York nach Singen


Bill Stewart (Promophoto: John Rogers)

 



 cw. Manchmal kommt einem Musik wie ein Wunder vor. Dann erstarrt man vor der schieren Kraft und Exzellenz des Gehörten. Rudolf Kolmstetter, Vorsitzender des Jazzclubs Singen, hatte so ein euphorisches Erlebnis, als er 2018 auf Jazzreise in New York war. Im berühmten Jazzclub Village Vanguard hörte er das Trio des Schlagzeugers Bill Stewart und war wie elektrisiert: So eine fantastische Band hatte er lange nicht erlebt, obwohl er jedes Jahr Dutzende Konzerte besucht. In Kolmstetter erwachte augenblicklich das Bedürfnis, das Trio nach Singen zu holen, um den Jazzfans im Hegau nicht ein solches musikalisches Höhenerlebnis vorzuenthalten. 

 

Die Pandemie machte alle Pläne zunichte. Doch Kolmstetter blieb am Ball, und jetzt hat er es geschafft: Am Donnerstag, den 8. Juni (20:30) tritt das Bill Stewart Trio im Kulturzentrum Gems beim Jazzclub Singen auf. 

 

Stewart (Jahrgang 1966) ist einer jener Musiker, dem es nie richtig gelungen ist, aus dem Schatten von Jazzgrößen wie Pat Metheny oder John Scofield herauszutreten. Die Liste der Plattenaufnahmen, bei denen er in den letzten drei Jahrzehnten mitwirkte, hat die Zahl von 100 längst überschritten. Jazzmusiker schätzen sein melodisches Trommelspiel, das nie aufdringlich wirkt, dazu elastisch und voller Swing ist, aber auch enormen Druck entfalten kann, was den modernen Jazz seines Trio zu einer ebenso aufregenden wie vielfältigen Angelegenheit macht.

 

Durch Vermittlung des Saxofonisten Maceo Parker kam Stewart an seinen bisher spektakulärsten Job, als er von James Brown angeheuert wurde. Der „Godfather of Funk“ weihte ihn umgehend in die Geheimnisse der schwarzen Groove-Rhythmen ein. 

 

Zwei Spitzenkönner komplettieren Stewarts Trio. Sie können beide ebenfalls auf eine lange Referenzliste mit großen Namen verweisen. Kontrabassist Larry Genadier hat sich international vor allem als Mitglied im Trio des Pianisten Brad Mehldau einen Namen gemacht, während Saxofonist Walter Smith III. immer noch als Geheimtipp gilt, obwohl er beim renommierten Blue Note-Label unter Vertrag ist und in der Kaderschmiede des Jazz, am berühmten Berklee College of Music in Boston, die Saxofon-Abteilung leitet. Wenn das keine Empfehlungen sind!

 

Und jetzt wird Jazzclub-Chef Rudolf Kolmstetter nur noch darauf hoffen, dass beim Auftritt des Bill Stewart Trios der heiligen Geist des Jazz abermals überspringt.

 

 

Monday, 22 May 2023

'LICHTWÄRTS'–Besprechung in der 'SCHWÄBISCHEN HEIMAT'

 Zeitschrift SCHWÄBISCHE HEIMAT, Mai 2023




Im November 2023 bin ich (zusammen mit Ekkehard Rössle, Klarinette) mit einem Multimedia-Vortrag zur Geschichte von Lebensreform, Jugendbewegung und Wandervogel im Südwesten
 im Club Voltaire, Tübingen, Haaggasse (So, 12. Nov 2023), 
in Sindelfingen (Di, 14. Nov 2023 ),
 in der Stadtbücherei Schlossmühle, Bad Urach (Do, 16. Nov 2023)
 und im Kulturhaus Schwanen, Waiblingen (So, 18. Nov 2023)

Tuesday, 16 May 2023

MUSIC JOKE 3: The German accordion – a nightmare


 

Dazu zur Lektüre empfohlen:

Christoph Wagner: Das Akkordeon oder die Erfindung der populären Musik (Mainz, 2001 / Schott)


Tuesday, 9 May 2023

Taj Mahal mit neuem Album

Harlem Swing

Taj Mahal belebt den Sound der Bigband-Ära neu


 Taj Mahal (Foto: Abby Ross)



 

cw. Im Alter gewinnt die Musik der eigenen Kindheit und Jugend zunehmend an Bedeutung, und nicht wenige Musiker sehnen sich nach den Klängen ihrer frühen Jahre zurück. Dieser Befund gilt auch für den amerikanischen Bluesmusiker Taj Mahal (bürgerlich: Henry St. Claire Fredericks), der letztes Jahr 80 Jahre alt wurde. 

 

Unter dem Titel „Savoy“ hat Mahal gerade ein Album veröffentlicht, das die Klänge der 1940er Jahre neu belebt, als im berühmten Savoy Ballroom in der Lenox Avenue in Harlem die Post abging. Im „Savoy“, das als eine der wenigen Dancehalls keine Rassensegregation praktizierte, war der Schlagzeuger Chick Webb König. Er trat dort mit seiner Bigband auf und einer jungen Ella Fitzgerald. Unter den Tausenden Tanzwütigen, die das Lokal mit zwei Tanzböden bevölkerten, um sich dem Jitterbug, Jive oder dem Lindy Hop hinzugeben, befanden sich auch Taj Mahals Eltern, die sich hier kennenlernten.

 

Das macht das Album zu einem Spaziergang „down Memory Lane“ und taucht gleichzeitig tief in Mahals verästelte Familiegeschichte ein. Im Mai 1942 in Harlem geboren, war sein Elternhaus voller Musik. Sein Vater spielte als Jazzpianist mit karibischen Wurzeln beim Jump-Blues-Bandleader Buddy Johnson – Mahals Patenonkel. Seine Mutter, eine Lehrerin aus South Carolina, fiel sonntags in der Kirche durch ihren inbrünstigen Gospelgesang auf. „Ich wuchs sehr bewußt mit meinen afrikanischen Wurzeln auf“, erinnert sich Mahal, dessen Vater ein Anhänger von Marcus Garvey war, einem „Black Nationalist“ aus Jamaika. „Meine Eltern hatten sich durch die Musik gefunden, was damals Swing und die Anfänge des Bebop bedeutete. Das waren die Klänge, die mich in meiner Kindheit umgaben.“


Der Künstler als junger Mann



 

Kein Wunder, dass das neue Album mit „Stompin‘ at the Savoy“ beginnt, dem Jazzklassiker, mit dem Chick Webb 1934 einen Hit landete und der später auch von Ella Fitzgerald mit Louis Armstrong aufgenommen wurde. Im Gespann mit dem Produzenten John Simon, der sich durch seine Arbeit mit The Band, Leonard Cohen und Blood, Sweat & Tears einen Namen gemacht hat, läßt Mahal die Atmosphäre wieder aufleben, die einst in den Nachtclubs und Tanzhallen von Harlem herrschte, als die Bigbands den Ton angaben. 

 

Eine gestopfte Trompete leitet „Stompin‘ at the Savoy“ ein, Bläsersätze schmiegen sich an, während die Background-Sängerinnen Mahals rauhes Stimmorgan in weiches Timbre hüllen. Und dann bläst ein Tenorsaxofon ein Solo, bevor Mahal den Ball aufnimmt mit einer Scat-Gesangseinlage, die vor Energie nur so sprudelt – sabadibididu-dabedidum!

 

Es ist nicht das erste Album, mit dem Taj Mahal Geschichtsforschung betreibt. Bei Licht betrachetet, hat er in seiner langen Karriere nie etwas anderes gemacht, als sein Leben der Erkundung dem weitverzweigten Geflecht afro-amerikanischer Musiktraditionen zu widmen. 

 

Alles begann in Los Angeles im heute legendären Folkclub „Ash Grove“, wo der junge Bluesenthusiast alte Barden wie Mississippi John Hurt, Lightnin‘ Hopkins oder Muddy Waters hörte und so betört von ihrem Gesang und Gitarrenspiel war, dass er ihnen genau auf den Mund und die Finger schaute. Im „Ash Grove“ fand dann auch seine erste Band zusammen, die er 1965 unter dem Namen „Rising Sons“ mit Ry Cooder aus der Taufe hob. Nach diesen frühen Blues-Studien steuerte Mahal in den 1970er Jahren die Karibik an, um mit Reggae- und Calypso-Titeln seine Familiengeschichte väterlicherseits zu erkunden. Auch auf Hawaii machte er Station. Danach folgten Exkursionen nach Mali und Zansibar, um mit dem aktuellen „Savoy“-Album abermals eine andere Seite seiner musikalischen Genealogie aufzuschlagen.

Taj Mahal & the Tuba Quartet, 1971



 

Daneben wird mit dem Album eine alte Freundschaft neu belebt, die vor mehr als einem halben Jahrhundert begann, als der Produzent des Albums, John Simon, Keyboard in Mahals Band spielte und auf seinem Album „The Real Thing“ von 1971 mit von der Partie war, das mit vier Tuba-Spielern „live“ eingespielt wurde. 

 

Außer als Produzent ist John Simon bei den „Savoy“-Sessions als Pianist zu hören in einer Band, die aus lauter Größen der Studio-Szene der Bay-Area besteht. Gitarre spielt Danny Caron, der auf Referenzen von Clifton Chenier über Bonnie Raitt bis zu Van Morrison verweisen kann. Den Baß zupft Ruth Davies, die schon mit John Lee Hooker, Elvin Bishop und Maria Muldaur gearbeitet hat. Eine illustre Crew also, die für das nötige Feeling sorgt.


Taj Mahal – Do nothin' till you hear from me (youtube)

 

Unter den zwölft Standards aus dem Great American Songbook befinden sich alte Schlachtrösser wie „Mood Indigo“, „Sweet Georgia Brown“ oder „Gee Baby, Ain’t I Good to You“, denen Mahal dennoch neue Seiten abzugewinnen weiß. Den Evergreen „Baby It’s Cold Outside“ zelebriert er im Wechselgesang mit Maria Muldaur. Auf „Caldonia“, einer Jive-Nummer von Louis Jordan, die auch Muddy Waters im Repertoire hatte, ist er mit einem quirrligen Mundharmonika-Solo zu hören. Und „Summertime“ präsentiert Mahal nicht im Rock-Idiom à la Janis Joplin, sondern als Swing-Nummer ganz im Stil der Interpretation von Miles Davis und Gil Evans aus dem Jahr 1958. „Das war mein Vorbild,“ räumt er unumwunden ein, um gleich wieder ins Schwärmen zu geraten: „Die Musik damals war schon toll, und das ist sie heute immer noch.“

 

Taj Mahal: Savoy (Stony Plain Records)