Sunday, 6 July 2025

Jazz-Archäologie: BAUERN-JAZZ-BAND ca. 1920

JAZZ IN LEDERHOSEN

Dem Zeitgeist entkommt man nur schwer. Jeder ist davon angekränkelt. Selbst in die Refugien der alpenländischen Volksmusik drang in den 1920er Jahren der Jazz ein, der damals – als Tanz! – in Europa Furore machte und zur großen Mode wurde. Eine Jazz-Combo unterschied sich von einer herkömmlichen Tanzkapelle nicht nur durch das Repertoire der neuen Tänze wie Jitterbug, Shimmy, Charleston oder Foxtrott, sondern auch durch den Schlagzeuger oder die Schlagzeugerin, die den Rhythmus vorgab und im Südwesten "Der Jatzer" genannt wurden. Die Werbepostkarte von Seppl Wirthmann's oberbayrischer Stimmungskapelle und Bauern-Jazz-Band von ca. 1920 legt davon beredtes Zeugnis ab – Jazz gespielt in Lederhosen, mit Tirolerhut und Gamsbart. Wie der wohl geklungen haben mag?

Die Kapelle war in den 1940er Jahren weiterhin aktiv, hatte aber die Bezeichnung "Bauern-Jazz-Band" unter der Nazi-Herrschaft aus ihrem Bandname gestrichen.




Als der Soul in den Südwesten kam

Das erste Soulkonzert in Baden-Württemberg

Foto: Jörg Becker

1967 war das Jahr als Westdeutschland die Soulmusik entdeckte. Im Sommer 1968 fanden dann die ersten Soulkonzerte in Baden-Württemberg statt, als King Curtis & The Kingpins in Stuttgart und Freiburg/B. auftraten. In der Zeitschrift Jazzpodium wurden die beiden Auftritte angekündigt, die von der Tourneeagentur Lippmann & Rau durchgeführt wurden. Der afroamerikanische Saxofonist King Curtis war durch seinen Hit "Memphis Soul Stew" – veröffentlicht 1967 – damals in aller Munde. Nach dem Stuttgarter Auftritt hängte die Gruppe noch einen Mittnachtsgig in der Reutlinger Diskothek 'Black Mustang' an (betrieben von Heinz Bertsch), von dem Anwesende bis heute schwärmen.


Das Plakat von King Curtis 1968 auf Deutschland-Tour, hier von den Auftritt in Wiesbaden, die den amerikanischen Saxofonisten auch nach Freiburg und Stuttgart führte; Interessant im Vorprogramm die Wiesbadener Gruppe The Soul Caravan mit zwei schwarzen GIs als Sänger, die sich später in Xhol Caravan umbenannte, und dann nur noch Xhol hieß und heute als eine der maßgeblichen Krautrock-Gruppen gilt.



King Curtis & The Kingpins: Memphis Soul Stew (youtube)


Saturday, 5 July 2025

SCHEIBENGERICHT Nr. 43: Cosmic Ear – Traces

Eine Hommage an Don Cherry

Cosmic Ear

Traces

We Jazz Records



Der schwedische Saxofonist Mats Gustafsson ist als Brötzmann-Jünger bekannt, weil er mit ähnlicher Rigorosität zur Sache geht. Dass er auch anders kann, beweist das Album Traces, das er mit der Gruppe Cosmic Ear eingespielt hat. Der Spiritus Rector dieses Quintetts ist der Baßklarinettist und Pianist Christer Bothén (Jg. 1941), Doyen der schwedischen Jazzszene, der in den 1970er Jahren länger mit Don Cherry gearbeitet hat, dem dieses Album gewidmet ist. Überzeugend gelingt es den fünf, die Musik des amerikanischen Freejazzpioniers zu neuem Leben zu erwecken, die ja immer mehr zur “Weltmusik” wurde, indem Cherry Instrumente und Stilformen aus allen Ecken des Globus einbezog. 



Diesen Geist atmet auch die Einspielung. Es ist erstaunlich, mit welcher Wärme, welchem Einfalls- und Farbenreichtum das halbe Dutzend Kompositionen von Cherry in Szene gesetzt werden. Neben Saxofon, Piano und Baßklarinette, (gestopfter) Trompete (Goran Kajfeš), Kontrabass (Kansan Zetterberg) und Congas (Juan Romero) sorgen Berimbau und Ngoni für exotisches Flair, dazu kommen diverse Flöten und Perkussionsinstrumente sowie Elektronik. Zusammen ergibt das ein dichtes Geflecht aus feingesponnenen Melodiefäden, wiederkehrenden Ostinato-Schlaufen und bunten Klang-Pattern, aus denen sich dann einzelne Soli herausschälen. Ein wunderbares Album einer äußerst inspirierten Truppe. 


Cosmic Ear at the Bimhuis (Youtube)



Thursday, 3 July 2025

JUMP mit Max Greger – Jazz Archäologie

MAX GREGER COMBO

Deutscher Jazz in den 1950er Jahren


Er war mir als Bigbandleader aus den großen Samstagabend-Unterhaltungsshows im Fernsehen in den 1970er Jahre bekannt, wo er mit seinem Tanzorchester auftrat. Max Greger stand vor seinen Musikern und gab mit ein paar lässigen Handbewegungen das Tempo vor, manchmal spielte er auch Saxofon. Dass der Tanzmusiker einen Jazz-Background hatte, hörte man munkeln, Konkretes trat  nie zutage. Jetzt ist mir auf einem Flohmarkt eine Single in die Hände gefallen, die Max Greger als Jazzmusiker präsentiert, veröffentlicht 1954 auf dem Brunswick Label mit seiner Combo, zu der u.a. auch Hugo Strasser (Saxofon und Klarinette) gehörte, der mit seinem Orchester eine ähnliche Laufbahn einschlug wie Greger. 


"Jump" heisst der Titel der Platte, ein Hinweis auf den Jump-Jazz, den die vier Stücke verkörpern. Drei stammen vom amerikanischen Rhythm & Blues-Bandleader Tiny Bradshaw, was die Richtung vorgbit. Kein Wunder, dass  in den Nummern schon die Keime des Rock 'n' Roll angelegt sind. Greger spielt diese sehr rhythmische Tanzmusik auf solide Weise. Es ist nicht gerade der wildesten Sorte von Musik, wenn man sie mit dem vergleicht, was damals von Charlie Parker und anderen in den USA gespielt wurde, aber immerhin eine Musik, die noch zehn Jahre zuvor in Deutschland verboten war.

Jump mit Max Greger (Youtube)




Thursday, 26 June 2025

Moderne Jazzer spielen Dixieland

Als der Jazz wieder Fuß fasste

Als der Jazz in Westdeutschland nach der Nazi-Zeit langsam wieder auf die Beine kam, waren es Musiker, die ehemaligen sogenannte "Swing-Heinis", die trotz Verbots auch während des NS-Regimes weiterhin die amerikanische Hot Music gepflegt hatten, die jetzt erste Schallplattenaufnahmen machten.



Die LP der Frankfurter Dixieband THE TWO BEAT STOMPERS, unter dem Titel "Dixieland!" auf Brunswick erschienen und zwischen 1954 und 1957 eingespielt, fiel mir zufällig in einem Trödelladen in die Hände. Aufschlußreich die Besetzung der Band, die mich dann doch überraschte, kannte ich die Musiker doch ausschließlich aus einem Modern-Jazz-Kontext. Mit dabei Emil Mangelsdorff (Klarinette), Joki Freund, der hier nicht Tenorsaxofon, sondern Sousaphon spielt, und am Schlagzeug der spätere Konzert- und Tourneepromoter Horst Lippmann (von der Agentur Lippmann & Rau). Auch Albert Mangelsdorff, Inbegriff des modernen Jazz in Deutschland,  ist bei einem Stück mit von der Partie. Interessant für mich, wie die ganze Riege der modernen Jazzer in Westdeutschland, doch im alten New-Orleans-Jazz wurzelte und auch Stücke von Jelly Roll Morton und Louis Armstrong "drauf" hatten.




Saturday, 21 June 2025

70s SOUNDS FROM THE UNDERGROUND – ANIMA

Der Wahnsinn, der da aus Bayern kommt

ANIMA-SOUND – kompromißlos radikal 

Interview mit Paul Fuchs (Musiker, Instrumentenerfinder und Plastiker)





Neulich fiel mir im Trödelladen eine obskure LP in die Hände: Anima Sound stand auf dem Cover. Mir war augenblicklich klar, um was es sich handelte: ein Album von Paul & Limpe Fuchs, das die beiden 1971 anläßlich ihrer Tour mit dem Traktor durch halb Europa im Neubauer Studio in Düsseldorf einspielten. Ein wirklich rares Stück (dazu noch signiert), mit einer Musik, nicht von dieser Welt.


Der Name Anima oder Anima Sound steht für einen der radikalsten Musikentwürfe, den der deutsche Underground der später 60er Jahre hervorgebracht hat. Auf einem tausend Jahre alten Pfarrhof im Dorf Peterskirchen im tiefsten Bayern praktizierte das Duo des Ehepaars Paul und Limpe Fuchs eine archaische Klangforschung, die durch die zivilisatorische Kruste des wohltemperierten Tonsystems zu den Urquellen der Musik vorzustoßen versuchte. Dafür baute Paul Fuchs, der eigentlich bildender Künstler war, eigene Klangerzeuger wie Schlagwerkzeuge,  Blasinstrumente der Naturtonreihe und primitive Saitentöner, die in den völlig freien und spontanen Improvisationen für Klänge sorgten, wie man sie bis dahin noch nicht vernommen hatte. In der Musik von Anima gab es Überschneidungen mit dem freien Jazz in seiner extremsten Form, wie er damals in Teilen der englischen Improvisationszene zu hören war (etwa bei der Gruppe AMM und Gentle Fire), wo man sich bewußt von der amerikanischen Jazztradition abgewandt hatte und die konventionellen Spielweisen sowie traditionelle Formen der Intonation und Klangerzeugung ablegte und aus einem selbsterklärten Tabula Rasa-Zustand heraus die Musik noch einmal neu erfinden wollte.


Es ist nicht ohne Ironie, dass das Ehepaar Fuchs seine Musik nicht als elitär oder abgehoben betrachtete, sondern als etwas Ursprüngliches und Urmenschliches ansah, das eigentlich von jedermann verstanden werden konnte und sollte. Für sie war es schlicht: “Musik für alle”,  wie der griffige Slogan lautete. Doch alle nahmen die Gabe nicht an. Oft reagierte das Publikum konsterniert und mit Entrüstung. “Das ist ja ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit”, hörte man einen Zuhörer bei einem Auftritt auf dem Münchner Vitualienmarkt sagen.


Im Folgenden ein Interview, das ich vor Jahren mit Paul Fuchs in München führte. 




Anima-Sound war der Name ihres Duos. Wie ist die Gruppe entstanden?


Paul Fuchs: Unsere Gruppe entstand, wenn man ganz ehrlich ist, nicht gerade durch einen Zufall, aber durch die Schwangerschaft von Limpe. Limpe hatte damals in einer Mädchenband getrommelt. Die haben Lieder der Beatles und andere Hits gespielt, die in den 1960er Jahren aktuell waren. Dann hat sie Musik studiert, kleine Trommel und Pauke, und irgendwie ging das mit der Mädchenband auch nicht mehr so und außerdem wurde sie schwanger mit unserem ersten Sohn. Da haben wir gesagt: “Das haut nicht hin. Da müssen wir selber etwas finden.” 

Limpe hat ihrer Trommel- und Paukenetuden gemacht und ich habe mir schon lange vorher ein Horn geschnitzt in der Akademie, teilweise aus Kupfer, teilweise aus Holz, und habe immer mit dem Horn meine spezifischen Atemübungen gemacht. 


Dem voraus gingen natürlich schon viele Kangexperimente mit Gruppen: Sechs Leute waren wir, die Steine in der Hand gehabt haben oder Hölzer, irgend etwas, das irgend einen Laut von sich gibt, oder auch nur klatschen. Und man hat gewartet, gewartet bis die Kraft sich ansammelt, bis der richtige Moment kam, wo der Körper meint: "Jetzt!" Und dann wie ein geladener Elektrolytkondensator in diesem Augenblick seine Kraft abgibt. Und das machte jeder individuell. Man hat also nicht auf das Zusammenspiel geachtet, sondern man wollte einfach experimentell erforschen, was passiert, wenn jeder zu seiner Zeit seinen Impuls freiläßt. 


Diese Experimente haben wir eineinhalb Jahre lang gemacht, Stunden lang in meinem Atelier. Raus kam ein Rhythmus, ganz überraschende Rhythmen, die korrespondiert haben miteinander. Also diese Kraft der Menschen, die da gesessen sind, hat etwas vollbracht, was zum Schluss eine Struktur gehabt hat, obwohl man nicht an Struktur dachte. Das war mein erstes Experiment für freies Improvisieren. Später dann mit der Limpe: Sie spielte ihre Trommeletüden, ich machte die langen Töne als Atemübung. Eines Tages kam ein Malerkollege in den Raum und hat zugehört, bis wir fertig waren. Nach einer Viertelstunde haben wir ihn bemerkt, und dann sagt er: “Das ist ja Musik, was ihr da macht.” Da sage ich: “Nein, ist keine Musik. Wir machen jeder nur seine Übung. Das ist halt im Raum, das schwingt halt zusammen.” Da sagt er: “Da müsst ihr bei mir, bei der nächsten Ausstellungseröffnung spielen.” Gut, haben wir natürlich gemacht, weil es ein Spass war und von da an ging es mit der Musik los. 


Wir haben Instrumente gebaut: Schlagwerke. Vor allem hatte wir kein Saiteninstrument. Dann habe ich einen Bass gebaut mit einem Plektrum, das durch eine Fußmaschine auf den vier Saiten, einen Akkord gerupft hat. Und diesen Akkord hat die Limpe immer wieder statt der großen Trommel oder statt der Hi-hat durchgerupft. Solche Instrumente habe ich mehr und mehr gebaut, dass man verschiedene Klänge gehabt hat, nicht nur Schlagzeug und Horn. Von diesen Instrumenten aus, wuchs dann ein riesiges Instrumentarium. Das war auch der Ausgangspunkt für meine Klangskulpturen. Das wurde immer weiterentwickelt. Damals entwickelte sich dann der sogenannte Anima Sound. Und mit dieser Schießbude sind wir dann ein halbes Jahr durch Europa gezogen mit einem Traktor und einem Wohnwagen, hinten die Lautsprecher und das Schlagzeug. Angetrieben wurde das Ganze mit einem kleinen Generator vom Traktor aus. Und wir haben dann die europäischen Lande unsicher gemacht. Nebenbei ist immer wieder ein Fernsehteam vom Südwestfunk gekommen und hat mitgefilmt und mitgeschnitten. Und daraus entstand dann der Film: “Europa-Promotion mit 20 km.”


Anima-Sound: Auf einem Marktplatz auf der Traktor-Tour


Aber der Wohnwagen war nicht nur Konzertbühne, darin habt ihr auch gewohnt?


PF: Ja, da haben wir drin gewohnt. Da waren unsere zwei Buben dabei, 4 und 9 Jahre. Auch unseren Hund haben wir dabei gehabt. Das war eigentlich eine sehr lustige Sache. In Frankfurt haben wir irgendetwas beim Fernsehen gemacht. Da haben wir uns auf den Parkplatz hingestellt in der Stadt und dann ist der Polizist gekommen und hat gefragt, was wir da machen? Da haben wir gesagt: "Wir übernachten hier." Da hat er gefragt: "Ja, haben sie Chemieklo dabei." Da habe ich gesagt: "Nein, das machen wir dann oben im Sender, beim Fernsehen. Das dürfen wir dann schon." Da hat er gesagt: "Ja so, da können sie rein? Zigeuner dürfen da...” Und ich: “Nein, wir sind keine Zigeuner. Wir sind eine deutsche Rockgruppe. Da ist der dann kopfschüttelnd weitermarschiert. So ist das weitergegangen durch Holland. Da sind wir dann allmählich schon so bekannt gewesen, wie ein bunter Hund, und wurden eigentlich in jeder Stadt schon exkortiert. Wenn wir reingekommen sind in eine Stadt, ob jetzt in Belgien, Holland oder Deutschland, da ist bereits einen Funkstreife hinter uns hergefahren, hat uns begleitet. Die haben uns in Frieden gelassen. Wir haben dann irgendwann einmal hinten unseren Wohnwagen aufgemacht, um zu musizieren, weil wir Geld brauchten. Da sammelten sich die Leute und wenn dann Leute da waren, haben wir ein bisschen Geld verdient und dann kam die Polizei und fragte nach einer Genehmigung. Hatten wir natürlich nicht! "Ja, dann müssen Sie aufhören!" wurde uns dann gesagt. Okay, dann hörten wir auf und haben die Leute dann streitend mit der Polizei zurückgelassen. Das haben wir öfters mal gemacht. Zwischendrin haben wir dann aber immer einmal wieder unsere Instrumente in den Ford Transit gepackt, den unser Roadie gefahren hat, der immer wieder zu uns gestoßen ist. Wir sind dann mit ihm zu einen Gig gefahren und haben so ein bisschen Geld verdient. Und so haben wir das halbe Jahr überlebt, und es ist dann ein ganz lustiger Film draus geworden.


Wie entwickelte sich eure Musik?


PF: Es war absolut frei improvisiert. Wir haben einfach drauflos gespielt, um es salopp auszudrücken. Aber dieses Drauflosspielen fußte ja in der Erfahrung, die wir damals im Atelier mit unseren Experimenten gemacht hatten. Und zwischen mir und Limpe sprang der Funken über. Je länger wir gespielt haben, haben sich die Schlüsse selbstverständlich eingefunden. Man hat Pausen gemacht, und selbstverständlich fing man dann wieder gemeinsam an. Kein Zeichen, kein Dirigieren, keine Absprache – es klappte so: Empathie! Wir haben abgesprochen, was für Klangmaterialien wir verwenden. Es hat sich als positiv herausgestellt, wenn wir festgelegt haben: "Wir spielen jetzt mit Horn und Geige, oder den Fuchsbass mit Schlagzeug." Oder man improvisiert in der Art eines Streitgesprächs. Mehr und mehr hat sich eine Struktur herausgeschält. Was aber gar nicht so erwünscht war. Wenn wir gemerkt haben, dass wir immer wieder ähnliche Strukturen spielten, hat man sich schnell davon abgewandt und versucht ganz neue Anfänge zu finden. Das ergab Probleme beim Zusammenspiel mit anderen Musikern, also etwa ausgebildeten Musikern von der Akademie. Wenn die nicht ganz kreativ waren, ist dieses Zusammenspiel nicht möglich gewesen, weil sie ihre antrainierten Strukturen gespielt haben. Eine Ausnahme war Albert Mangelsdorff, der hat immer seinen Bebop gespielt und es passte immer gut. 


Beim Friedrich Gulda war es ambivalent. Er war ein hervorragender Musiker, hatte ein fantastisches Gehör und war ziemlich intelligent, wahnsinnig schnell. Aber er war oft für mich ein Bedrängnis. Wenn ich mit meinem Horn, das ganz ungestimmt war, ein konisches Kupferrohr und vorne ein Mundmusik, wenn ich mit dem einen Ton geblasen habe, hat Gulda sofort mit seinem kleinen Finger den Ton mitgespielt. Das hat mich wahnsinnig irritiert, weil das Klavier ja ein starres Instrument ist. Das kollidierte dann mit meinen Tönen, die ich ziehen konnte – einen Halbton ohne weiteres. Das war für mich unheimlich hemmend. Und dann frage ich ihn: “Warum spielst du immer meinen Ton?” Sagt er: “Das habe ich gelernt.” Dann ich wieder: “Gut, dann vergiss das mal.” Das war eine große Auseinandersetzung.


Dann habe ich versucht, falsch zu spielen, genau neben dem Ton. Dann hat er mit zwei Fingern einen Halbton dazugespielt. Das hat dann schon schräg geklungen und war dann schon besser. Aber im Prinzip war das ein Handicap, dass Guldas Ohren so was von schnell waren. Er konnte gar nicht zwischen dem Hören und Spielen einen Gedanken einschalten. Dagegen Albert Mangelsdorf mit seiner Posaune, der konnte seinen Weg gehen ohne dass er ständig auf mein Horn Rücksicht nimmt. Sondern unserer Töne haben sich immer wieder getroffen. Er hat gewartet, bis ich dann meinen Ton an seinen Ton hinziehe und bis wir da immer wieder Ordnungselemente reingebracht haben. Das war ein Übereinkommen, das war fantastisch.


Was hat Friedrich Gulda an euch fasziniert?  Er kam ja aus dem klassischen Musikbetrieb, war als Pianist weltberühmt, ein Star. 


PF: Gulda war ein verrückter Vogel und das ist, was ich am meisten geschätzt habe an ihm. Nebenbei war er ein wahnsinnig guter Pianist. Andererseits war er ein Egomane. Er war wahnsinnig selbstsüchtig und hat alles gefressen, was er gefunden hat. Wenn man sich da irgendwie hingegeben hätte, wäre man vernichtet worden. 

Was ihn fasziniert hat, war: das absolut Freie, diese Möglichkeit körperlich Musik zu machen ohne Intellekt. Musik, die aus dem Körper kommt ohne den Verstand dazwischen zu schalten. 


Er war nicht in der Lage, durch seine körperlichen Schwächen, also sein absolutes Gehör und seine Intelligenz, den Körper frei zu lassen. Auch seine Eitelkeit hat verhindert, dass er dem Körper freien Lauf gelassen hat. Er hat immer seinen berechnenden Kopf dazwischen gesetzt. Das hat ihn an uns fasziniert, dass da nichts dergleichen da war. Wir wollten nicht berühmt werden, wir wollten keinen Applaus, wir wollten garnichts, nur unsere Musik machen. Und ein bißchen Geld damit verdienen. Das hat ihn absolut fasziniert: diese Kaltblütigkeit von uns.


Ein Faszinosum für Gulda war sicher auch euer archaischer Ansatz, der ja dem Modell der klassischen Musik, das durch Noten alles bis ins kleinste Detail festlegt und reglementiert ist, diametral gegenübersteht. Noten kann man ja auch als Gefängnis empfinden.


PF: Sicher, natürlich. Das Korsett der Noten, das Einengende, hat Gulda nie körperlich durchbrechen können. Er war einfach viel zu stark in die klasssiche Musik eingebunden. Und mit Hilfe von uns, wurde dieses Korsett immer wieder aufgerissen. Er musste sich uns öffnen, sonst hätte es nicht funktioniert. aber ganz frei konnte er nie sein. Ich habe zu ihm gesagt: “Lieber Gulda, jetzt spiel' einmal fünf Jahre keine Klassik mehr und keinen Jazz, also das, was du Jazz nennst.” Da sagt er: “Ja, dann wär ich ja arm.” Darauf ich: “Du wärst doch nicht arm. Du hast doch genug Geld. Sondern der Applaus würde dir fehlen.” “Ja, da kannst auch recht haben”, hat er geantwortet. Er war gewöhnt im Rampenlicht zu stehen, beklatscht zu werden, im Applaus zu baden. Er ist ja mit 17 berühmt geworden, als er in Hamburg den Beethoven-Zyklus spielte. Musikalisch war er uns natürlich haushoch überlegen, aber er fühlte sich uns auch unterlegen, weil er spürte, da ist was da. Diese Spannung war aber auch das Interessante. Daraus wurden Funken geschlagen. 


Mit Albert Mangelsdorff war es viel unproblematischer. Das lief einfach. Das war eine sichere Nummer. Das funktioniert auf jeden Fall. Das war kollegial, aber nicht auf diese Weise spannend wie mit dem Gulda. Mit Gulda war das eine Auseinandersetzung, das kann man sich gar nicht vorstellen. 



Wie hat das Publikum reagiert?


PF: Von der Kritik sind wir brutal verrissen worden. Wir klängen wie ein “Kieswerk”, hieß es in einer Besprechung. Oder: "Das soll Musik sein?" Und auch bei den spontanen Konzerten auf Marktplätzen haben wir uns einiges anhören müssen. Aber manchmal war auch ein ganz aufmerksames Publikum da. Das kam auch auf die Stadt an. Auf dem Viktualienmarkt in München, dem ersten Auftritt unserer Reise, haben die Marktleute gleich ziemlich aggressiv reagiert: “Was soll denn das da?” “Könnt ihr mal einen Landler spielen?” und ähnliches, wurde da aus dem Publikum gerufen. Im Ruhrgebiet, etwa in Essen, war es hervorragend. Da haben sich sofort Menschenmassen gesammelt, und es hat funktioniert. Wir haben natürlich im Ruhrgebiet oft in Clubs gespielt und waren da bekannt. Diese Leute kamen dann zu unserem Auftritt. Wir wurden sehr positiv aufgenommen. Wenn das allgemeine Bewußtsein da war, wurde unsere Musik positiv aufgenommen. Es wurde gelacht, wir haben ja Gaudi gemacht. Wir wollten ja nicht mit bierernsten Gesichtern Kunst verbreiten, sondern wir wollte ja genau diese Zwischenlage, zwischen dem, was man Kunst nennt und vielleicht Volksmusik, also einer Musik, die man nicht so recht benennen konnte. Musik, die man nicht einfach aus einer Schublade ziehen konnte.


Wie hat die Ablehnung, ja bei manchen war es ja fast schon Hass, auf euch gewirkt? Wie habt ihr das psychisch verarbeitet?


PF: Das wir Ablehnbung erfahren würden, war uns am Anfang selbstverständlich. Ich hatte ja Bildhauerei studiert und wußte aus der Kunstgeschichte, dass viele der berühmtesten Maler und Musiker zu Beginn von der Kritik verrissen wurden. Das hat uns am Anfang nicht gestört – im Gegenteil! Wir wollten ja provozieren. Dann kam eine Phase, wo wir dann, wenn wir zwei oder drei mal in einem Club gespielt haben, und nicht mehr so viele Leute da waren wie das letzte Mal, haben sich schon Fragen gestellt. Also mußten wir uns überlegen: Wie kommen wir da weiter? Das war die schwierige Phase. Die ist so nach fünf Jahren eingetreten. Dann kamen die Jahre mit Gulda, wo wir vor einem ganz anderen Publikum gespielt haben. Eine Hälfte des Konzerts spielte Gulda Klassik solo am Klavier, nach der Pause haben wir mit ihm dann “Krach" gemacht. Im Publikum gab es da oft Streit, weil es ein Teil toll fand und der andere Teil schlecht. Am Schluss gab es aber immer Riesenapplaus. Wahrscheinlich hatten die klassische Musikfans das Konzert längst verlassen. Es war immer interessant zu sehen, wie Leute von der Klassik auf unsere freien Improvisationen begeistert reagierten. Wir sind damals dann weniger in Clubs gegangen, sondern haben mehr in Museen gespielt. Das war dann schon nicht mehr das Rockpublikum, sondern andere Leute.


Und das Rockpublikum in den Clubs?


PF: Auch da gab es viel Protest. Durch rasante Wendungen, z.B. durch schnelles leise werden, hat es Limpe, die ja eine sehr impulsive Trommlerin ist, immer wieder geschafft, die Leute zu faszinieren. Wir haben ja sehr früh schon Gras angebaut, das wir dann während des Konzerts angezündet haben. Das hat dann geraucht und die Leute sind hergekommen und haben geschnüffelt. Das war schon lustig. Ein anderes Mal haben ich einen ganz hohen und ganz tiefen Ton eines Synthesizers aufgenommen und als dann Tumult war, habe wir aufgehört zu spielen und das Tonband eingeschaltet und dann hat sich alles wieder beruhigt. Es war oft äußerst spannend.


Ihr seid auf Rockfestivals mit anderen Gruppen aufgetreten. Wie sind die euch begegnet?


PF: Mit Edgar Froese von Tangerine Dream waren wir gut befreundet, auch mit Kraftwerk. Natürlich auch mit Embryo aus München. Mit Amon Düül habe ich ein Problem gehabt, aber nicht wegen ihre Musik, sondern die waren ein bisschen arrogant. Die Wiener Künstler, der Peter Weibel und die Vally Export, die waren total fasziniert. Das waren Intellektuelle, die von einer anderen Seite her kamen. In Rockclubs mussten wir uns auf die Hinterbeine stellen. Das war nicht leicht. Und dann gab es auch bald keinen Platz mehr für unsere Anima-Sounds in den Rockclubs. Wir haben uns mehr dann in die Kunstszene orientiert, haben bei Ausstellungseröffnungen gespielt, auch Aktionen gemacht. Wir haben kein Repertoire gespielt. Wir haben versucht, immer offen zu sein. 





Rolf-Ulrich Kaiser hat euch zum Ohr Label geholt?


PF: Ja, er sagte, das passt rein. Gut, sagte ich, wenn du uns frei die Möglichkeit gibts, die Platten zu machen. Ja selbstverständlich! Gut, dann haben wirs gemacht. Das war für uns natürlich gut und schön, dass man mit diesem Wahnsinn eine Platte auf den Markt bringt. Die ist auch wieder verrissen worden. Das ist ja klar. Dann wollten wir eine nächste Platte machen und dann hat mir der Kaiser schon ein Limit gesetzt. Wir sollen sie mit dem Gulda machen. Ich habe gesagt: Nein, zuerst will ich noch ein anderes Konzept machen, was wir uns ausgedacht haben, und erst dann kommt die Gulda-Platte. Danach haben dann den Vertrag liquidiert.


Wie hat Kaiser von euch überhaupt erfahren?


PF: Wir waren bekannt: Radio und Fernsehen. Dieser Wahnsinn, der da aus Bayern kam, der war bekannt. Er hat uns angerufen.


War Kaiser dann im Studio mit dabei?


PF: Nein, wir haben ja nicht im Studio aufgenommen. Julius Schittenhelm haben sie ein Revox-Tonband gekauft und ein Mikrofon, und dann ist der Schittenhelm zu uns auf den Bauernhof rausgekommen. Das war ganz lusitg. Er war ein netter Kamerad und guter Freund, aber vom Aufnehmen hat er nicht viel Ahnung gehabt, vielleicht ein bisschen mehr wie mir. Dann hat er 20 Stunden aufgenommen und dann Nächte lang abgehört und die besten Teile zusammengeklebt.   


Und wie ist Gulda auf euch aufmerksam geworden?


PF: Rolf-Ulrich Kaiser hat die Ohr-Gruppen, darunter auch uns, dem Gulda für sein Festival in Ossiach angeboten, weil der Gulda hat sich für Tangerine Dream interessiert. "Ihr kommt ja dann mit dem Zirkuswagen daher," hat uns Gulda gesagt. "Nein, das Fahrzeug kommt nicht – das steht in Wuppertal. Wenn wir da auftreten sollen, kommen wir mit unserem Ford Transit und stellen unsere Instrumente auf die Bühne und spielen." "Nein, ich brauch den Zirkuswagen. Ich möchte ein bisschen Farbe reinbringen in das Ganze," hat der Gulda gesagt. Wenn Sie eine Farbe wollen, sind sie falsch bei uns. Dann hab ich die LP aufgelegt und dann war er total erstarrt. Er hat aufmerksamst zugehört: die ganze Platte. dann hat er gesagt: "Ich brauch' euren Wagen nicht. Ich brauch' eure Musik." Dann haben wir noch eine Gage ausgehandelt und dann wars. Wir sind dann nach Ossiach gefahren und irgendwann am Ende, hat er sein Klavier raus tragen lassen und hat mitgespielt. Ganz spontan. 


Wie war Gulda als Mensch?


PF: Gulda war absolut schwierig. Nach vier Jahren wollten wir nimmer. Das war dann ein starker Einbruch, weil Gulda hat die Publicity übernommen. Ich wollte die Musik ändern, aber Limpe wollte das nicht. Sie wollte bei den absolut offenen Situationen bleiben, während ich eine andere Struktur wollte. Dann haben wir aufgehört. Auch unser privates Leben hat sich damit verändert. 

Thursday, 19 June 2025

Die Rückkehr von Stereolab

Zwischen fluffig-sorglos und etwas steif

The Return of Stereolab



Sie sagt "Danke schön" auf deutsch, um sich für den Beifall zu bedanken, macht die Ansagen, singt in englisch sowie französisch, und spielt dazu E-Gitarre sowie Keyboard und Posaune –  Lætitia Sadier ist die unbestrittene Frontfrau der Londoner Gruppe Stereolab, die am heißen Fronleichnams-Tag vor 500 Fans  im vollen Saal des Clubs Manufaktur in Schorndorf zu hören war. 

Die Band aus London hatte ihre große Zeit in den 1990er Jahren, als sie mit ihrer Mischung aus New-Wave-Beats, fluffig-sorglosen Melodien (im Stile des französischen Pop) und viel Elektronik Beachtung fand, was damals im Umfeld von anderen britischen Bands wie Pram und The High Llamas von der Musikkritik mit dem Terminus "Post-Rock" zu fassen versucht wurde. 

Dann nahm die Band 2009 eine Auszeit und verschwand für zehn Jahre von der Bildfläche. Der eigentliche Neustart wurde dieses Jahr mit dem Album Instant Holograms on Metal Film unternommen, dem ersten Studioalbum seit 15 Jahren.

Und die Elemente, die einst die Eigenart von Stereolab ausmachten, sind immer noch da, wobei der Gesang von Lætitia Sadier von Anfang an als Aushängeschild der Gruppe diente: Ihre englische Aussprache, die sie sofort als Nicht-Muttersprachlerin ausweist und irgendwo zwischen France Gall und Nico liegt, verleiht den Songs der Band einen eigentümlichen Charme. Dazu kommen die immer etwas (europäisch unbeholfenen) steifen Rhythmen, die ebenfalls einen Charmefaktor besitzen.

Und dann lernten die Mitglieder von Stereolab eines Tages sogar noch Noten lesen, nur um an einer Aufführung von Terry Rileys Komposition In C – der Ursonate der Minimalmusik – in London teilnehmen zu können, was viel über die Einflüsse preisgab, die die Gruppe inspirierten. Mit einem minimalistisch sich wiederholenden Pattern aus Synthi-Tönen begann dann auch ihre Show in Schorndorf, um alsbald in einen schnellen Up-Tempo-Beat überzugehen, der mit hektisch geschrammelten Gitarrenakkorden und einem funky Rhythmus unterlegt, die Grundierung für einen Gesang bildete, bei dem sich Sadier und zwei ihrer Bandkollegen mit der Verschlungenheit eines Kanons die Bälle zuwarfen.

Solos kommen in dieser Musik nicht vor.  Wenn es Passagen zwischen den Gesangparts zu überbrücken gilt, übernimmt das der Mann am Synthesizer, der seine Klänge in alle möglichen Farben taucht. Abwechslung kommt gleichfalls ins Spiel, wenn Sadier zur Posaune greift, wobei sie mit dem Blechinstrument markanten Riffs einen Extra-Akzent verleiht, was mit einfachen Mitteln einen maximalen Effekt erzielt.

So spielte sich die Band durch ein Dutzend Songs - alten wie neuen – jeder vom Publikum mit übersprudelnder Dankbarkeit quittiert. Vor dem Finale gings dann noch in experimentelles Terrain, als geräuschhaft ein Freiraum improvisatorisch gestaltet wurde, um kurz darauf im Stile von Silvermachine von Hawkwind (die übrigens Anfang der 1970er Jahre ebenfalls schon in der Manufaktur spielten) wieder in die Gänge zu kommen. Auf dieser Rückkehr-Tour erwies sich Stereolab als eine Band, mit der immer noch zu rechnen ist. 

Stereolab - Electrified Teenybop! (live @ Club Manufaktur Schorndorf) youtube