Sunday 21 April 2024

Jim Kahr & Allstars + BRTHR in Sigmaringen

Freikonzert  – Blues, Folk, Soul und Country

JIM KAHR & ALLSTARS + BRTHR 


Alter Schlachthof, Sigmaringen / Samstag, 27. Juli 2024, 17 Uhr

 

Eintritt: frei!!!!!!!


Bluesgitarrist der Extraklasse: Jim Kahr 

 

BRTHR (=Brother) ist eine der angesagtesten Bands aus dem Südwesten. Ihr drittes Album „High Times For Loners“erschien 2020, gefolgt 2022 von einer 12-Inch mit dem Titel „Be Alright“. Die Einspielungen wurden von den Medien mit viel Beifall aufgenommen, wobei sich die Single „Speak low“ sogar zu einem Radiodauerbrenner entwickelte. Die Band um Sänger-Gitarrist Philipp Eissler und Lead-Gitarrist Joscha Brettschneider spielt einen entspannten Südstaatenrock (sie sind ja auch aus dem deutschen Süden!), der sich bei Folk, Soul, Country und Gospel bedient und Einflüsse von JJ Cale, The Band und Neil Young verrät, dabei trotzdem einen ganz eigenen Klang besitzt. Ihre Songs sind von einfühlsamer Melodik und unaufgeregter Flüssigkeit, wobei Brettschneiders sensibles Gitarrenspiel aufhorchen lässt, das nie kreischend auf billige Effekte zielt. Dazu kommt ein zweistimmiger Harmoniegesang, der direkt ins Herz geht.


BRTHR – Südstaatenrock aus Schwaben 

 

Ebenfalls ein Meister der elektrische Gitarre ist JIM KAHR. Der Mann aus Chicago ist auf schwarzen Rhythm & Blues spezialisiert, den er mit Soul- und Funk-Einflüssen anreichert. Im Laufe seiner Karriere hat Kahr mit Größen wie Joe Cocker, Johnny Guitar Watson und Buddy Guy gespielt. Doch seine bemerkenswerteste Phase erlebte der Ausnahmegitarrist Mitte der 1970er Jahre, als er ein paar Jahre Leadgitarre in der Band von John Lee Hooker spielte. Von der Blueslegende hat er viel für sein Gitarrenspiel gelernt, das er mit erstaunlicher Lockerheit aus dem Ärmel schüttelt, wobei er gleichzeitig mit exzellentem Spiel auf der Slidegitarre Titeln wie „Little Red Rooster“ eine ganz eigene Note gibt. Begleitet wird Kahr von den Allstars, eine ausgefuchsten Rhythmusgruppe aus Baß und Schlagzeug, sowie dem Saxofonisten Ian Fullwood, der sich durch die Zusammenarbeit mit Jools Holland, Rick Astley und The Specials einen Namen gemacht hat.


Freikonzert  – Blues, Folk, Soul und Country

Jim Kahr & Allstars + BRTHR 

Alter Schlachthof, Sigmaringen / Samstag, 27. Juli 2024, 17 Uhr

 Eintritt: frei!!!!!!!

 

 

Friday 29 March 2024

Rock-Archäologie: Krautrock in Britain

EMBRYO 1972 in London

Anfang der 1970er Jahren wurden die Briten auf die bundesdeutsche Rockszene aufmerksam. Und für deutsche Bands war es immer eine Auszeichnung nach England eingeladen zu werden. Eine Seite aus dem Melody Maker – der mit dem New Musical Express (NME) tonangebenden britischen Popzeitschrift –  zeigt eine Ankündigung der Münchner Jazzrock-Gruppe Embryo bei der Jazz Centre Society in London. Termin: Freitag, 27. Oktober 1972.


Wednesday 27 March 2024

Zum Tod von Jürgen Heinz Elsässer, Stuttgart (1947-2023)

Ein Nachruf von Simon Steiner

THE BEAT GOES ON

DER MUSIKALISCHE JÜRGEN HEINZ ELSÄSSER


Jürgen Heinz Elsässer, geboren am 29.10. 1947, ist am 21.10. 2023 verstorben. 1960 fing er an, Singles zu sammeln und auf der SABA-Musiktruhe zu hören. Er liebte "den Schreihals Little Richard", danach war er völlig vernarrt in die Shadows und natürlich in die Beatles. In einem Interview schrieb Elsässer: "Die Idee eine eigene Band zu gründen wurde 1963 konkret. Zwei Schulfreunde spielten Gitarre und ich hatte mir einen Höfner-Elektrobass gekauft. Per Aushang im Musikhaus Barth fanden wir einen Schlagzeuger." 


Die jungen Herren trafen sich dort regelmäßig, denn beim Barth trafen sich Gleichgesinnte und konnten Instrumente und Verstärker testen. 1964 gewannen THE SHADES mit Elsässer an der Baßgitarre den "YEAH YEAH YEAH" Bandwettbewerb im Beethovensaal der Liederhalle Stuttgart. "Die Bandmitglieder konnten den Veranstalter bewegen, die Bühne bei "House of the rising sun" in rotes Licht zu hüllen, das machte das Publikum zusätzlich heiß," erzählte seine zweite Frau, die Künstlerin Xenia Muscat, die Jürgen zuletzt bis zum Tod begleitete. 


THE SHADES waren die wildeste und lauteste Gruppe. Bei der Publikumsabstimmung bekamen sie laut Phonmessgerät den kräftigsten Beifall. Mit "Skinny minny" und "What'd I say" räumten sie voll ab! "Sie haben gelärmt und gejubelt, sie haben ihre jugendliche Lebenslust herausgeschrien, die 3000 jungen Leute, die in der heißesten Show der Saison den Wettbewerb der schwäbischen Beatles-Bands miterlebten." (Stuttgarter Zeitung). 


Als Sieger durften sie eine Radioaufnahme beim Soldatensender AFN im Army-Studio auf dem Burgholzhof machen und anschließend eine Tournee mit dem Showorchester Bert Gordon, der Chanteuse Rita Paul, dem Horst Jankowski Quartett mit Schlagzeuger Charly Antolini sowie Knut Kiesewetter, der als deutscher Ray Charles angekündigt war. Als die Soulmusik dann Ende der 1960er Jahre immer populärer wurde, schwenkte die SHADES in diese Richtung um und nannten sich nun HARLEM TRADE SET.


Harlem Trade Set mit Jürgen Heinz Elssässer (Mitte) an der Baßgitarre



 

PSYCHEDLIC UNDERGROUND MIT NOAH'S ARK

 

Klaus Staeck und Jochen Goetze initiierten 1969 in Heidelberg das selbstverwaltete Kunstspektakel intermedia 69, das sich zwischen Anarchie und Rebellion bewegte und ein Ausblick auf die Kunst der 1970er Jahre sein wollte. Übergreifende Kunst, überall und für alle, so die Idee. Jürgen war dabei, er spielte bei der Psychedelic Band NOAHS ARK Undergroundmusik, gemeinsam mit dem Künstler Bruno Demattio, der schrieb: "Ich bringe die Musik gleich mit: NOAH'S ARK wird umsonst zur Ausstellung spielen, damit erhoffe ich auch, dass sich Musik mit anderen Aktionen glücklich vermischen wird." 


In einem persönlichen Gespräch erzählte Elsässer von sphärischen Konzerten von NOAH'S ARK mit Querflöte und Bongos im Stuttgarter politischen Kulturtreff Club Voltaire in der Leonhardstraße, von Protesten gegen den Krieg in Vietnam, Unterschriftensammlungen gegen die Notstandsgesetze, Kulturrevolution und Trip-Therapie.





MAILART UND COLLAGEN

 

Man kann sich gut vorstellen, wie Elsässer malte, zeichnete und collagierte und am PC seine Computerkunst ausdruckte, dazu Musik hörte, ein wahres, schönes Künstlerleben, könnte man meinen. Wie war er drauf? Xenia Muscat schrieb in der Dankeskarte zu seinem Tod: "Wir trauern über den Verlust eines zutiefst anständigen, unaufdringlichen und edelmütigen Menschen". So erlebte ich Jürgen Heinz Elsässer bei meinen Interviews zu unserem Punk-Projekt (Buch/Ausstellung/Livekonzerte), 2017: "Wie der Punk nach Stuttgart kam". Er war immer "gelassen, geduldig und freundlich", genau so, wie ihn Xenia beschrieb. Während unserer Podiumsdiskussion bei der Punk-Ausstellung im Württembergischen Kunstverein war er zurückhaltend, verfolgte aber das Punkprojekt höchst interessiert. Er war Kenner, er wusste, worum es ging, denn er war der Redakteur, der in den frühen 80er Jahren die einzigartigen Mausefalle-Konzerte für die Lokalpresse in Worte fasste und alle Haltungen und Stimmungen auf den Punkt brachte.


In seinem Büchlein "Jeder ist sein eigener Kolumbus" fragt Elsässer: "Die Welt läuft Amok - liegt die Zukunft im Koma? In den Rissen der Systeme hat sich etwas Neues eingenistet, New Wave, Punk, Postpunk. Eine Bewegung, die in der Musik losging, dehnt sich aus auf Literatur und Kunst." Und mittendrin schreibt, malt und collagiert Jürgen Heinz Elsässer. 1978 in der Galerie Hetzler in Stuttgart, mailart: 1979 im Künstlerhaus Stuttgart, zusammen mit seiner Frau Angelika Schmidt. Er ist 1981 bei der großen Ausstellung im Württembergischen Kunstverein dabei: Szenen der Volkskunst.


Aktuell 2023 – Jürgen Heinz Elsässer und seine heimliche Abgründe: "Hieronymus in Hollywood" nennen sich 26 Postkarten-Collagen von Elsässer für Xenia Muscat, die sich mit kurzen Texten zu den Collagen äußert: "Es singt der Riese und gleichgekleidet aus dem Untergrund steigende Männer fragen nach der Rabenjacke."



Für Jürgen Heinz Elsässer, gelernter Kaufmann, Musiker, Künstler, Publizist, Journalist ist eine mailart-Ausstellung in Planung.


Mehr dazu im Beitrag von Albrecht-d / Norbert Prothmann: http://www.albrecht-d.de/


Tuesday 26 March 2024

Rock-Archäologie – Pop in der Provinz

POP-FESTIVAL in Biberach 1972

Was die Provinz musikalisch doch zu bieten hatte und noch immer hat! Um 1970 herum regten sich überall im Südwesten Jugendinitiativen, die – getragen von einer ungeheuren Aufbruchstimmung, die im Zeichen der Rockmusik stand – an ihrem Ort Popkonzerte in eigener Regie und für wenig Eintrittsgeld veranstalteten. Diese Eintrittskarte vom Gigelberg-Festival (bei 2 1/2 Stunden Dauer war der Begriff "Festival" vielleicht doch etwas zu hoch gegriffen) in Biberach 1972 fiel mir letzthin zufällig in die Hände. Ein Stück Popgeschichte Südwestdeutschlands. Die brititsche Band Nektar, die in Seeheim in der Nähe von Darmstadt auf dem Land in einer Kommune wohnten und wegen ihrer Light-Show gerühmt wurde, war eine bienenfleißige Band, die überall auftrat, wo man sie ließ, sprich: in jedem Kaff. Anfang der 1970er Jahre hat Nektar bis zu 250 Auftritte im Jahr absolviert, bevor die komplette Badn dann – nach einem Charts-Erfolg in den USA – nach Amerika umgezogen sind.



Thursday 21 March 2024

Beat in den 1960ern in Stuttgart

Jürgen Heinz Elsässer war Künstler, Intellektueller, Musikkritiker und Musiker in Stuttgart und in den frühen 1960er mit der Gruppe The Shades unterwegs. 1969 trat er mit der experimentellen Band Noah's Ark auf der alternative Kunstmesse INTERMEDIA 69 in Heidelberg auf. Elsässer ist im Oktober letzten Jahres verstorben. Dieser Text handelt von der Stuttgarter Beat-Szene, aus der Perspektive eines Beteiligten betrachtet – ein echter Augenzeugenbericht also. So geht Heimatkunde der anderen Art und ist Jürgens Andenken gewidmet.


Sammlung J. H. Elsässer



Sammlung J. H. Elsässer



 

Wednesday 13 March 2024

Yoko Ono Ausstellung in London

Yoko Ono in London

Von Fluxus über John Lennon bis in die Gegenwart

                                                         Foto: Promo



In riesigen Galleriekomplex der "Tate Modern" am Southbank-Ufer der Themse in London läuft gerade eine große Ausstellung zu Yoko Ono (noch bis zum 1. September 2024). Die japanische Künstlerin und Musikerin (Jahrgang 1933) war, bevor sie durch ihre Liaison mit John Lennon, den Beatles und danach mit der Plastic Ono Band ("Give peace a chance") weltbekannt wurde, eine junge Fluxus-Artistin in New York und mit vielen Künstler der Avantgarde bekannt und befreundet, darunter viele Musiker, die später zu Kultfiguren der Musikgeschichte wurden wie John Cage, experimenteller Komponist, LaMonte Young, Urvater der Minimal Music oder Ornette Coleman, Freejazz-Pionier.

Legendär sind heute Onos Fluxus-Performances, die sie Anfang der 1960er Jahre in ihrem Loft in Downtown-Manhattan veranstaltete und zu denen alle kam, die in der New Yorker Avantgarde-Szene Rang und Namen hatten. 

Yoko Ono mit dem Ornette Coleman Quartet (Fotos: C. Wagner)


Eine Vielzahl an Exponaten unterschiedlichster Medien (Papier, Skulptur, Film, Performance usw.) macht die Show zu einer hochinteressanten Angelegenheit, indem sie Einblicke in die vielfältigen Aspekte von Onos Schaffen gewährt und damit ganz nebenbei auch in das Wirken der Avantgarde der letzten 50 Jahre.


Über was sich die Presse anfangs mokierte, war z.B. die Wand am Ende der Ausstellung, wo Besucher auf kleinen Zettelchen Nachrichten, Sinnsprüche, Lebensweisheiten oder andere Äußerungen hinterlassen können, und die sich inzwischen zu einem beeindruckenden Werk minimalistischer Papierkunst ausgewachsen hat.


Anleitung Yoko Onos für eine Fluxus-Performance, Sommer 1961 (Foto: J. Revitt)



Die deutsche Autoharp

Vergessene Musikinstrumente

Die amerikanische Autoharp war in Deutschland als "Mandolinette" bekannt

Die Carter Family in den 1930 er Jahre

Die Autoharp, wie sie u.a. von der heute legendären Carter-Family (speziell von Sara Carter) in den 1930er Jahren in der amerikanischen Hillbilly-Musik vor allem als Rhythmusinstrument gespielt und popularisiert wurde, gab es auch in Deutschland. Hier wurde sie unter dem Namen "Mandolinette" von der Firma Josef Fischer aus Brunndöbra – im Erzgebirge im sächsischen Vogtland gelegen – vermarket. Brunndöbra liegt im sogenannten "Musikwinkel" von Klingenthal, Zwota und Markkneukirchen, wo früher eine berühmte Musikindustrie (Geigen, Mund- und Ziehharmonikas usw.) existierte. 

Bei der Mandolinette handelte sich um ein Saiteninstrument, eine Art Zither, die mit einem Mechanismus  ausgestattet war, mit dem auf Knopfdruck gewisse vorgegebene Akkorde gespielt werden konnten, was ihr die Bezeichnung "Akkord-Zither" bzw. "Manual-Zither" einbrachte. Es war eines jener radikaldemokratischen Instrumente, die durch technische Neuerungen ein leichteres Spiel erlaubten und so die Schwelle zum Musikmachen senkten. Ein spezielles Notenblatt (Tabulatur) wurde unter die Saiten gelegt, was es möglich machte, das Instrument auch ohne Notenkenntnisse zu spielen. 

Karl-Heinz Kleinbach, Ende der 1960er Jahren als Hobby-Folkmusiker im Club Monasterie in Esslingen aktiv, ist in den Besitz eines solchen, heute wohl recht raren Instruments gekommen und hat mir das Foto übermittelt.

Fischer's Mandolinette (Foto: Karl-Heinz Kleinbach)



Wednesday 6 March 2024

Jimi Hendrix 1969 in Stuttgart – neue Hintergründe aufgetaucht

JIMI HENDRIX 1969 IN STUTTGART 


Der Mann, der die südwestdeutsche Rockszene wachküsste



Jimi Hendrix kam nur einmal in den Südwesten. Am Sonntag, den 19. Januar 1969 spielte er die beiden einzigen Konzerte in der Stuttgarter Liederhalle (Beethoven-Saal), eines um 17, das zweite um 20 Uhr. Wie jetzt ein Brief von Fritz Rau von der Frankfurter Touragentur Lippmann & Rau an den heutigen Journalisten und Fotografen Hans Kumpf zeigt, war das Konzert ursprünglich bereits für Frühjahr 1968, und dann erneut für den 11. September 1968 geplant gewesen. Kumpf war damals Schüler am damaligen Aufbaugymnasium Michelbach/Bilz und wollte eine Busfahrt zu dem Konzert organisieren. Am 19. Januar 1969 fuhr dann ein eigens gecharterter Bus mit 55 Schülern und Schülerinnen zum Hendrix-Auftritt nach Stuttgart. "Meine Eintrittskarte in Reihe 7 kostete sieben D-Mark," schreibt Kumpf. "Eine Kamera hatte ich nicht dabei." – Schade!



 

Wednesday 28 February 2024

Scheibengericht Nr. 27: Jazz aus dem hohen Norden

Amalie Dahl's DAFNIE 


Mit originellen Ideen aus der Jazz-Sackgasse




Sich in der zeitgenössischen Jazzszene mit eigener Stimme Gehör zu verschaffen, ist zu einer äußerst diffizilen Herausforderung geworden. Originell zu sein in diesem weltweit riesigen Heer von hochkarätigen Musikerinnen und Musikern, scheint nahezu ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Arme Nachwuchsmusiker! Alles war schon mal da, alles scheint ausgereizt, alles klingt so, als ob man es schon zigmal gehört hätte. 

 

Fast alles! Immer wieder – und das sind rare Momente – taucht ein Musiker, eine Musikerin oder eine Band auf, die einen eigenen Ton anschlagen. Vorhang auf für Amalie Dahl’s Dafnie, ein Quintett aus Norwegen, das sich um die Saxofon-spielende Bandleaderin gruppiert, die für alle der acht Kompositionen verantwortlich zeichnet.

 

Stilistisch läßt sich die Gruppe aus Trontheim und Oslo kaum einordnen, praktizieren die fünf doch einen poly-stilistischen Ansatz, der trotzdem einen eigenen Kern besitzt. Es geht vom freien Spiel zu genau ausnotierten Kompositionen, von rauhen, aufbrausenden Improvisationen zu choralhaften Bläsersätzen. Manchmal spielen sich die drei Bläser ausgelassen und übermütig kleine Melodien zu, während Baß und Schlagzeug einen wuchtig-treibenden Rhythmus unterlegen. Am Ende mündet das Ganze in einem Unisono aller Instrumente, um danach die Saxofonistin auf Improvisationsreise zu schicken, die sie mit heißeren Schreien und Spaltklängen angeht. Man spürt den Einfluß der 1960er Jahren, doch nur als ein Stilelement unter vielen im großen zeitgenössischen Mix.

 

Das mannschaftsdienliche Spiel steht im Vordergrund, jeder Einzelne hat immer zuerst den Gruppenklang im Visier. Hier spielt eine Band, kein Solistenensemble, obwohl jeder auch ein beeindruckender Solist ist. 

 

Sätze und Erklärungen – die sich im Band-Info finden – wie, dass "die Musik ein Kommentar auf die ultra-kapitalistische Machtstruktur der Gegenwart ist", kann man getrost vergessen und dem jugendlichen Rebellionseifer und Oppositionsdrang der Musiker zuschreiben. Abgesehen davon, dass eine solche Parole nichts weiter als eine der vielen abgedroschenen linksradikalen Phrasen ist, hat sie – Gott sei Dank! – mit der Musik überhaupt nichts zu tun. Ein origineller Jazzmusiker mit einem eigenem ästhetischen Ansatz werden zu wollen, wäre künstlerisch gesehen schon Anspruch genug. Mit der Vorgabe, mittels Jazz das kapitalistische System aus den Angeln zu heben, macht man sich dagegen nur lächerlich. Der Musik wird damit eine krude Bedeutung übergestülpt, die sie verstümmelt, entwertet und der sie niemals gerecht werden kann. Dieser Illusion, mit Jazz politisch irgend etwas bewirken zu können, haben sich bereits Generationen von Musikern hingegeben und sind kläglich gescheitert. Der Mythos scheint bei jeder Generation wieder neu aufzuleben. Dagegen wendet der Verpackungskünstler Christo ein: „Kunst mit einem Anliegen ist immer Propaganda“ / „Art with a cause is always propaganda“(1). Was er meint, ist schlicht, dass Sinn und Zweck von Kunst nicht Politik ist, sondern Kunst. Damit könnte man es eigentlich bewenden lassen: Macht also lieber Jazz anstatt Propaganda. 

 

AMALIE DAHL'S DAFNIE:  Står Op Med Solen (LP/CD Aguirre ZORN105)

 

(1) https://news.artnet.com/art-world/artnet-asks-christo-350807


AMALIE DAHL'S DAFNIE im Klub Primi (youtube) 



Wednesday 21 February 2024

Moderner Jazz im Bigband-Stil: Sarah Chaksad

Klangfarbenreichtum

 

Sarah Chaksad mit ihrem „Large Ensemble“ vor vollen Rängen beim Jazzclub Singen

 

Fotos: C. Wagner



 

Vor knapp hundert Jahren stand die Jazzbigband im Zenit ihrer Popularität. Mit ihrem Swing zogen Bandleader wie Duke Ellington, Paul Whiteman oder Fletcher Henderson Tausende von Jazzbegeisterten an, die ausgelassen zu den Rhythmen im „Jungle Style“ tanzten.

 

Je mehr der Jazz sich danach aus dem Zentrum der populären Musik zurückzog und von Tanz- zu Kunstmusik wurde, umso kleiner wurden die Ensembles, weil niemand mehr ein großes Orchester bezahlen konnte. Die Zuschauerzahlen gaben das einfach nicht mehr her. Heute unterhalten in Deutschland fast ausschließlich noch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eigene Bigbands, während ansonsten kleine Ensembles im Trio- oder Quartett-Format das Bild der improvisierten Musik bestimmen.

 

Umso bemerkenswerter ist Sarah Chaksad. Die junge schweiz-iranische Altsaxofonistin, Komponistin und Arrangeurin, 1983 in Luzern geboren, hat sich von wirtschaftlichen Bedenken nicht schrecken lassen und ein „Large Ensemble“ zusammengestellt, das mit seinen 13 Mitgliedern an eine kleine Bigband heranreicht und kaum auf die Bühne der „Gems“ passt. Sechs Männer und sieben Frauen bilden die Gruppe, ausnahmslos internationale Spitzenkönner, deren Bandbreite von noch unbekannten Talenten (etwa: Fabian Willmann, Jg. 1992 – Tenorsaxofon) zu arrivierten Namen (wie Julia Hülsmann am Klavier oder Eva Klesse am Schlagzeug) reicht.


Während die klassische Bigband-Besetzung aus 5 Saxofonen, 4 Trompeten, 4 Posaunen und einer Rhythmusgruppe aus Schlagzeug, Gitarre, Baß und Klavier bestand, hat sich – seit Gil Evans – das Instrumentarium zeitgenössischer Bigbands um einiges erweitert. Von der Tuba und dem B-Horn über Querflöte bis zur Klarinette und Baßklarinette sorgen immer mehr außergewöhnliche Instrumente für immer größere Klangvielfalt.

 

Chaksad behandelt ihr Orchester wie ein Maler seine Palette. Jedes Instrument bildet eine Klangfarbe, die sich alle miteinander kombinieren und mischen lassen, was ein fast unendliches Spektrum an Sounds ergibt, die die Komponistin mit kühnen Strichen auf die Leinwand aufträgt. 

 

Die Kompositionen nutzen die ganzen Möglichkeiten der Dynamik – von wuchtig laut bis ziemlich leise. Manchmal spielt nur ein einzelnes Instrument, dann wieder der volle Satz, wobei die Musik geschickt von auskomponierten Passagen zur Improvisation übergeht. Jedes Bandmitglied kommt so maximal auf zwei Soli am Abend, was die jeweiligen Solisten anspornt, ihr ganzes Können in diese raren Momente der kreativen Entfaltung zu legen. 



Auf dem Bukkehorn stach die norwegische Trompeterin Hildegunn Øiseth hervor, die dem ausgehöhlten Horn einer Ziege archaische-raue Töne entlockte, die wie von einer mittelalterlichen Holztrompete klangen. Als ähnliche Überraschung erwies sich die französische Klarinettistin Catherine Delaunay, die mit samtweichen Tönen einen deutlichen Kontrast zu den scharfen Einwürfen der Blechbläser schuf. Insgesamt entpuppte sich der Abend als eine überaus gelungene Präsentation abwechslungsreicher, moderner Jazzmusik im Bigband-Stil, von der das zahlreiche Publikum gerne noch mehr gehört hätte. 


Sarah Chaksad Large Ensemble: Together (Clap Your Hands)





 

Wednesday 14 February 2024

SCHEIBENGERICHT 26: Aoife O’Donovan – All my Friends

Folk mit Orchester-Fülle


Seit mehr als zwanzig Jahren ist Aoife O’Donovan als Singer-Songwriterin aktiv. Anfangs war sie Mitglied diverserer Neo-Folk-Gruppen, um sich danach einen Namen als Solokünstlerin zu machen. Nun legt die Sängerin aus Brooklyn ein Album vor, das das Format einer Folkband sprengt, indem sie ihre Songs in aufwendige Orchester-Arrangements kleidet. Auf dem Eröffnungslied „All my friends“ gelingt das überzeugend, wobei der Chorgesang und die Bläserharmonien den hymnenhaften Charakter des Songs unterstreichen. Auf anderen Lieder scheint sich der Aufwand weniger zu lohnen. 

Inhaltlich kreisen die neun Titel um die Anfänge der Frauenbewegung, als Anfang des 20. Jahrhunderts Suffragetten in den USA das Frauenwahlrecht erkämpften. O’Donovan stellt Carrie Chapman Catt, die Anführerin der Suffragetten, ins Zentrum ihrer Lieder. Einzelne Songs thematisieren, gespiekt mit Zitaten aus Reden von Chapman Catt, verschiedene Etappen des erbitterten Kampfes. Zum Abschluß unterstreicht eine Interpretation von Bob Dylans „The Lonesome Death of Hattie Carroll“ die Aktualität des Themas und macht deutlich, dass dieser Kampf noch lange nicht gewonnen ist. 


 Aoife O’Donovan: All my Friends (Yep Roc Records)







Friday 2 February 2024

Biondini-Godard-Niggli im Tübingen

Folkloristische Leidenschaft

Das Jazztrio Biondini-Godard-Niggli im Tübinger Südhaus


Biondini-Godard-Niggli in Tübingen (Foto: C. Wagner)




Noch vor 30 Jahren war das Akkordeon im Jazz quasi nichtexistent. Die Quetsche wurde in der Volksmusik gespielt, aber doch nicht in der improvisierten Musik – igitt! Heute hat sich die Situation vollkommen gedreht. Wer Luciano Biondini am Freitagabend im Tübinger Sudhaus auf dem Akkordeon hörte, hätte kaum daran gezweifelt, mit dem Akkordeon ein Urinstrument des Jazz vor sich zu haben, so stilsicher, virtuos, authentisch und gekonnt spielte der Italiener sein großes Knopfakkordeon, begleitet von zwei ebenso großen Könnern in der Rhythmusgruppe: Michel Godard (Baßgitarre, Tuba und Serpent) sowie Lucas Niggli am Schlagzeug. 

 

Ob leise, den Tönen nachlauschend, oder kräftig-auftrumpfend, ob verspielt oder geradeheraus, das Trio musizierte mit einer Leidenschaft und gegenseitigen Empathie, die Staunen macht. Dabei schimmert sowohl bei den Kompositionen als auch bei den Improvisationen immer auch Biondinis folkloristischer Background durch, der melodiestark und auf tänzerische Weise auf traditionelle Volksmusik- und Tanzformen verweist, sie zitiert und fantasievoll weiterspinnt. In seinen Händen verwandelt sich das Akkordeon in einer Orgel der Vorstadt, die sich im Spannungsfeld zwischen urbaner Moderne und ländlichen Traditionen bewegt.




Godard und Niggli nehmen diese Impulse auf, sorgen für Drive, aber auch für eher besinnliche Momente. Ebenso überzeugen sie in längeren Solos, die sie musikalisch gestalten, ohne die üblichen Klischees abzurufen, was ja eine Berufskrankheit vor allem der Schlagzeuger zu sein scheint. Insgesamt ein überzeugender Abend: Das Publikum verließ das Konzert in einer anderen Stimmung als es gekommen war – inspiriert, berührt, beschwingt. Kann Musik eigentlich Besseres leisten?

Wednesday 31 January 2024

Jodeln als musikalisches Esperanto

Festival LAUTyodeln München 9. – 11. Mai 2024

OPAS DIANDL – Baslan Nr5  mit Veronika Egger, Buson (Daniel Faranna), Markus Prieth (youtube)



Nach längerer, Covid-bedingter Pause findet dieses Jahr wieder das LAUTyodeln-Festival in der dritten Ausgabe statt.

Das Festival umfaßt etliche Jodel-Workshops und drei Konzerte: 


9. Mai 2024, Fraunhofer Wirtshaus, München

Traudi Sifelinger präsentiert traditionelle Oberbaierische Jodelgesänge, Blas- und Saitenmusik


10. Mai 2024 Carl-Orff-Saal, Gasteig, München

Ernst Molden, Ganes und Stimmreise. ch 3


Die Alpen sind ein Herzland des Jodelns. Um Traditionen zu bewahren, gilt es, das Alte mit neuen Ideen aufzufrischen. Beim Festival LAUTyodeln Vol. 3 beleben drei Gruppen mit viel Fantasie den traditionellen Jodelgesang der Alpenregion und zeigen ihn in seiner ganzen Vielfalt.

 

Stimmreise.ch 3 ist ein Vokalensemble aus der Schweiz, das von Nadja Räss ins Leben gerufen wurde. Der A-Cappella-Gesang der vier Frauen gleicht einer Tour durch die unterschiedlichsten Jodellandschaften. Die Musik oszilliert zwischen Tradition und Moderne und bezieht Elemente aus Pop, Jazz und der Avantgarde ein. 

 

Die Gruppe Ganes der Schwestern Elisabeth und Marlene Schuen kommt aus einem Dorf in den Dolomiten, wo noch Ladinisch gesprochen wird, was ihren Liedern eine besondere Prägung verleiht. Mit ihren Stimmen, einem beachtlichen Arsenal an Saiten- und Blasinstrumenten sowie elektronischen Effekten weben Ganes Klänge, die voller Magie und Zauber stecken.  

 

Ernst Molden, einer der Großen der österreichischen Szene, ist mit den Dudlern seiner Heimatstadt Wien ebenso vertraut wie mit dem „American Yodeling“, das einst die frühe Countrymusik prägte. Unterstützt von Maria Petrova am Schlagzeug, singt Molden Songs von Jimmie Rodgers oder Hank Williams so überzeugend im „Weaner“ Dialekt, dass man meint, die Lieder wären nicht am Mississippi, sondern an der Donau entstanden.   


Ernst Molden & Maria Petrova (Promo)




11. Mai 2024, ZIRKA Halle, München

 

Opas Diandl & Vue Belle plus Jodeln für alle 


Zwei Ensembles bestreiten den letzten Abend des LAUTyodeln Festival 2024, der zum großen Finale in ein Jodeln für alle mündet, moderiert von Anna Veit und Markus Prieth.

 

Opas Diandl ist ein Ensemble aus dem Vorarlberg, das mit einem feinen Gespür für die Gesangstraditionen ihrer Region eine Klangpoesie entfaltet, die ineinander verflochtene Jodelmelodien, sinnliche Texte und einfühlsame Saitenklänge zu einer neo-traditionellen Stubenmusik verbindet, die unter die Haut geht. Eine außergewöhnliche Kombination von akustischen Instrumenten wie Viola Da Gamba, Zither, Banjo oder die schwedischen Nyckeharpa prägen neben dem mehrstimmigen Gesang den Gruppenklang.

 

Wie man weiß, sind die Alpen nicht die einzige Region, wo gejodelt wird. Überschlagenden Gesang gibt es auch an anderen Orten der Welt. Vue Belle nennt sich ein Ensemble, das als Bandprojekt von Geflüchteten 2018 entstanden ist. Zusammen mit der Gruppe unternehmen Anna Veit und Paul Huf den Versuch, das Potential des Jodelns als Mittel der Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg auszuloten und so einen offenen Austausch zwischen den musikalischen Wurzeln aller Beteiligten zu ermöglichen. Vue Belle geht es darum, das Jodeln als interkulturelles musikalisches Esperanto zur Geltung bringen.

 

Die Esperanto-Idee wird dann unter Anleitung von Anna Veit (Vue Belle) und Markus Prieth (Opas Diandl) im zweiten Teil des Abends beim Jodeln für alle weitergesponnen. Der Konzertsaal wird dafür in einen musikalischen Erlebnisraum umgedacht, um zusammen die erhebende Kraft gemeinsamen Jodelns zu erleben. 

 


Saturday 20 January 2024

Popvideo extraordinaire 5: Aoife O'Donovan - All My Friends

Aoife O'Donovan, Singer-Songwriterin aus Brooklyn, ist mir zum ersten Mal durch ihr Mitwirken am Pete-Seeger-Album des Kronos Quartets aufgefallen. Jetzt kündigt sie für Ende März ein neues Album an. Vorab daraus das eindrucksvolle Titelstück als Single – eine Hommage an die historische Frauenbewegung.

Aoife O'Donovan - All My Friends (YEP ROC RECORDS/BRUTUS)




Wednesday 17 January 2024

Zum Tod von Sigi Schwab (1940 – 2024), Gitarrist, Sitar-, Veena- und Tarang-Spieler extraordinaire

Als Ravi Shankar meine Sitar spielte 

 

Sigi Schwab führte die Sitar in den deutschen Underground-Rock ein – jetzt ist der Münchner Saitenvirtuose gestorben


Embryo, 1971, mit Sigi Schwab (Gitarre) ganz links, Dave King (b), Christian Burchard (dr), Edgar Hoffmann (Sax) v.l.n.r



 

Siegfried "Sigi" Schwab, Mitglied von Wolfgang Dauner's Et Cetera, Embryo und der Chris Hinze Combination sowie im Duo mit Peter Horton, war ein virtuoser Jazz- und Rockgitarrist, der das indische Saiteninstrumentarium in den deutsche Underground-Rock einführte: Sitar, Veena und Tarang. In einem Interview erzählte er mir 2011, wie er einmal dem indischen Sitarmeister Ravi Shankar aus der Patsche half: 

 

Durch die "Great Sitar Revolution" englischer Popgruppe wie der Beatles, der Stones und Traffic spitzten junge Musiker auch in Deutschland die Ohren. Inspiriert durch ein Konzert von Ravi Shankar und Yehudi Menhuin, das Sigi Schwab im Fernsehen gesehen hatte, begann er sich Mitte der 60er Jahre für die Sitar zu interessieren. Allerdings hatte er ein Problem: In Deutschland war keine Sitar aufzutreiben. Erst in London wurde Schwab fündig, allerdings kostete allein die Holzkiste, die eigens für den Versand der Sitar hätte gezimmert werden müssen, genauso viel wie das Instrument selbst, was die Sitar für Schwab unerschwinglich machte. Er suchte weiter. Schließlich hörte er von einem Instrument, das ein Angehöriger der indischen Botschaft verkaufen wollte, der er in seine Heimat zurückkehrte. Diesmal kam der Kauf zustande, und Schwab erhielt noch eine kleine Einführung in die Handhabung und Spieltechnik des Instruments. Den Rest brachte er sich selber bei. Mit indischer Musik hatte das allerdings nichts zu tun. Schwab spielte einfach westliche Gitarrenläufe auf dem Instrument. 


Embryo mit Sigi Schwab (ganz links)


 

Bald konnte er das Instrument bei Studioaufnahmen einsetzen. Die neuen Sounds waren gefragt, nicht zuletzt in den Filmstudios von Berlin, wo Schwab öfters für Soundtrack-Einspielungen engagiert wurde. “Das war das große Faszinosum um 1966”,  erinnert er sich. In Berlin, wo Schwab beim Rias-Tanzorchester unter der Leitung von Werner Müller spielte, machte das Wort die Runde, dass da einer auf der Sitar zugange sei.

 

Eines Tages erhielt er einen Anruf erhielt. “Es war jemand dran, der sagte, Ravi Shankar sei in Berlin, um Aufnahmen zu machen,” erzählt Schwab, der aus allen Wolken fiel. “Allerdings sei sein Instrument wegen eines Streiks auf dem Londoner Flughafen liegengeblieben, und ob ich mit meiner Sitar aushelfen könnte?”  Zuerst dachte Schwab an einen Scherz, machte sich dann aber doch auf den Weg: “Ich komme da hin, und er ist wirklich da: Ravi Shankar! Er machte den Deckel meines Instrumentenkastens auf und freut sich gleich: die gleiche Marke wie seine eigene Sitar - Rikhi Ram. Er setzte mir auseinander, dass meine Sitar in schlechtem Zustand sei und mehr Pflege bedürfe.” Ravi Shankar säuberte Schwabs Sitar erstmal sorgfältig - über eine Stunde lang. Das Griffbrett wurde gereinigt, um den kleinste Widerstand zu entfernen. “Mit ungeheurer Sorgfalt hat Shankar die Bünde poliert, was Voraussetzung für einen schönen Ton ist.” Danach wurden die Resonanzsaiten gestimmt. “Ich habe gesehen mit welcher Akribie man diese Saiten stimmen muss, damit sie wirklich mitschwingen”.  


Embryo, 1971 – Sigi Schwab, zweiter von rechts



Durch das Erlebnis angespornt, fand Schwab in Professor Manfred Junius einen Lehrer, der lange Zeit in Indien gelebt hatte, um dort klassische indische Musik zu studieren. Von ihm erhielt er wertvolle Hinweise. Schwab spielte die Sitar immer nur bei Studioaufnahmen, weil die Verstärkung des Instruments bei Live-Auftritten Probleme machte. Dafür waren die indische Veena, ein Saiteninstrument, sowie das indische Tarang, ein der Autoharp verwandtes Instrument, das auch Bulbul Banjo genannt wird, besser geeignet. Sie ließen sich leichter elektrifizieren, was für einen Einsatz in einer Rockband die Vorbedingung war. 

 

 

 

Monday 15 January 2024

Krautrock-Archäologie: Nektar – Psychedelia aus Klang und Farbe

Fünf Briten in Deutschland

Klang und Farbe – die psychedelische Metamorphosen der Rockgruppe Nektar 


Interview mit Nektar-Bassist Derek "Mo" Moore


 

 

In Deutschland waren sie in der ersten Hälfte der 1970er Jahre allgegenwärtig, spielten selbst in den kleinsten Ortschaften, so auch einmal in der städtischen Turnhalle meiner Geburtsstadt Balingen in Südwestdeutschland. Nektar war eine Rockgruppe, die aus dem Rahmen fiel: Obwohl sie als Bandkommune in Seeheim bei Darmstadt lebten, waren alle fünf Mitglieder Briten. Außerdem hatte sie eine Lightshow, die genau so wichtig war wie die Musik. Mit dieser engen Verbindung von Klang und Farbe führten sie eine Tradition fort, die in den 1960er Jahren in San Francisco und London („Ufo-Club“) entstanden war und psychedelische Sounds mit wabernd-flüssiger psychedelischer Lichtkunst verband. Nach dem riesigen Erfolg ihrer dritten LP „Remember the Future“ in den USA, ließ sich Nektar Mitte der 1970er Jahre in Amerika nieder.

 

 

Nektar war eine britische Rockgruppe, die in Deutschland lebte. Wie kam es dazu?

 

Derek "Mo" Moore: Ich ging Ende der 1960er Jahren nach Frankreich, wo ich in den Clubs der amerikanischen Armee spielte. Keiner der späteren Musiker von Nektar war mit von der Partie, außer Ron Howden, dem Schlagzeuger. Wir verdienten kaum Geld, hungerten. Dann kam ein Angebot aus Deutschland, das wir sofort annahmen. Wir spielten im Dezember 1969 in Clubs in Hamburg, als unser Gitarrist sich entschied, nach England zurückzukehren. Da wir Roye Albrighton kannten, schickten wir ihm ein Telegram, ob er sich uns nicht anschließen wolle, wir würden einen Gitarristen suchen. Er hatte jedoch kein Geld, die Fahrt zu bezahlen, weshalb wir ihm das Fahrtgeld schickten. Unser erster Auftritt verlief vielversprechend, und daraus ging letztlich Nektar hervor. Wir wohnten zu Beginn in Hamburg.

 

Wo waren die einzelnen Bandmitglieder her?

 

DM: Der Schlagzeuger Ron Howden und ich waren aus Yorkshire, Roye Albrighton war aus Coventry, unser Keyboarder Allan „Taff“ Freeman aus Motherwell in Schottland und unser Lichtkünstler Mick Brockett aus London. 

 

Die Lightshow war ein Markenzeichen von Nektar. Wie kam sie in die Band?

 

DM: Mick Brockett hatte in England unter dem Namen Fantasia Light Circus mit Pink Floyd und anderen Rockgruppen im Londoner Roundhouse gearbeitet. Dann hatte er 1968 für ein dreitägiges Rockfestival in Utrecht mit Pink Floyd, Fleetwood Mac, The Nice und Jethro Tull die Lightshow geliefert, auch im Oktober 1969 für das Pop & Blues-Festival in der Essener Grugahalle. (dem ersten kommerziellen Popfestival in Deutschland überhaupt. CW.) 

 

Bei einem Auftritt in einem Club in Fürth mit unserer Band, die sich damals noch „Prophecy“ nannte, lernten wir ihn kennen, weil er dort die Lightshow machte. Wir nahmen ihn als vollwertiges Mitglied in die Band und entwickelten ein Konzept, bei dem das Visuelle mit der Musik eine enge Verbindung einging. 



Mick Brockett war der Mann für die Lightshow bei Nektar

 

 

Nektar lebte als Bandkommune in de Nähe von Darmstadt. Wie kam es dazu?

 

Bei einem Auftritt in Darmstadt lud uns der Betreiber des „Underground“-Clubs Maarten Schiemer ein, in seinem Haus in Seeheim zu übernachten. Er hatte Platz und bot uns an, uns fest dort einzuquartieren, weil von dort Auftrittsorte in ganz Deutschland leichter zu erreichen waren. 

 

Nektar war omnipräsent.....

 

DM: Wir spielten überall, wo man uns haben wollte. In der ersten Hälfte der 1970er Jahre manchmal 250 Gigs im Jahr, was uns recht bekannt machte. Wir verdienten gutes Geld. Das Touren kam den zwischenmenschlichen Beziehungen zu gute. Wir waren gerne auf Tour. Wir hatten viel Spaß, weil wir gerne spielten. Wenn wir zu lange zuhause waren, kam es zu Spannungen und Reibereien zwischen den einzelnen Bandmitgliedern. Das Chaos fing immer an, wenn wir von einer Tour zurückkamen. Wir traten häufig mit deutschen Gruppen auf, man freundete sich an. Wir kannten Guru Guru, Amon Düül und Frumpy.

 

Unterhielt Nektar auch Verbindungen zu anderen englischen Musikern in Deutschland?

 

DM: Wir waren mit der Gruppe Message befreundet, weil unser Keyboarder Allan „Taff“ Freeman und Allan Murdoch, der Gitarrist von Message, aus der selben Stadt namens Motherwell stammten, das südlich von Glasgow in Schottland liegt. Sie kannten sich. Wir spielten ein paar Mal in Sindelfingen, wo unsere Freunde von Message wohnten.

 

Ich buchte die Gigs für Nektar und habe auch viele Auftritte für Message vermittelt, nicht selten traten die beiden Bands zusammen im gleichen Konzert auf. Wir pflegten gute Beziehungen, manchmal schauten die Musiker von Message bei uns in Seeheim vorbei, wenn sie irgendwo in der Nähe auftraten oder wenn sie auf dem Weg bzw. Rückweg von Konzerten waren. Gelegentlich übernachteten sie auch bei uns.




Wie reagierten die Einheimischen in Seeheim, als dort plötzlich fünf langhaarige Gestalten aus Großbritannien auftauchten?

 

DM: Wir waren in Seeheim wohl gelitten, hatten die besten Beziehungen zur örtlichen Bank, zur Apotheke und zur Metzgerei, die gegenüber von unserem Haus auf der anderen Straßenseite lag. Uns gefiel es in Seeheim. Wir fühlten uns dort zuhause. Nie gab es irgendwelche Probleme oder Beanstandungen. 

 

Warum ist Nektar dann 1976 nach Amerika ausgewandert? Hatte das finanzielle Gründe?

 

DM: Wir verdienten ziemlich gut in Deutschland. Das einzige Problem war, dass wir überall gespielt hatten und kaum noch neue Orte fanden, wo wir auftreten konnten. Alles abgegrast! Und dann kam mit unserer dritten LP der große Erfolg in den USA, weshalb wir in Deutschland unsere Zelte abbrachen und nach Amerika gingen, wo es anfangs allerdings recht schwierig war. Wir hatten keine Wohnung, wohnten im Hotel, was sehr teuer war. Wir spielten überall, wo man uns ließ. 1976 beschloß unser Gitarrist Roye Albrighton nach England zurückzukehren. Ich verließ die Gruppe zwei Jahre später. Nektar ist dann erst wieder nach Jahren zusammengekommen.


Nektar: Cast your fate / Live in Genf, 1973 (youtube)