Töne
aus Eis und Glas
Der
Norweger Terje Isungset experimentiert mit ungewöhnlichem Klangmaterial
cw. Eigentlich
ist er Schlagzeuger. Trommelrhythmen sind sein Metier. Doch irgendwann schienen
dem Norweger Terje Isungset (Jahrgang 1964) die herkömmlichen Schlaginstrumente
ausgereizt. Er schaute sich nach Alternativen um. Zuerst baute er Perkussionsinstrumente
aus Granit, Schiefer und Holz, bevor ihm bei der Aufführung einer
Auftragskomposition für die norwegischen Wintersport-Meisterschaften in Lillehammer
im Jahr 2000 ein Licht aufging. Das Konzert sollte in einem gefrorenen
Wasserfall stattfinden, wobei Isungset bemerkte, dass Eis einen “fantastisch
schönen Klang” besitzt. Der Norweger fing an, mit dem kalten Medium zu
experimentieren und stellte im darauffolgenden Winter ein ganz spezielles
Instrumentarium zusammen: Eis-Xylophone, Eistrommeln und Klangspiele aus Eis. Isungset
hatte das ideale Klangmaterial für den arktischen Winter entdeckt.
In
einem Iglu in Schweden wurde noch im gleichen Jahr das erste Album (Titel:
Iceman is) mit dem gefrorenen Instrumentarium eingespielt – eine Weltpremiere! Im
Januar 2006 half der Schlagwerker dann mit, im kleinen norwegischen Wintersportort
Geilo zwischen Oslo und Bergen das erste Eismusikfestival der Welt auf die
Beine zu stellen. Bei Temperaturen weit unter null wird dort seither jedes Jahr
in Grotten, eigens dafür erstellten Iglus sowie unter freiem Himmel Musik auf
speziell gefertigten Klangerzeugern aus Eis gemacht. Die Musiker treten dabei in
wattierten Skianzügen, Pelzmützen und dicken Handschuhen auf und im Publikum ist
so manches heißere Schnäuzen und Husten zu vernehmen. Manche Ider nstrumente,
ob Eishörner, Eistrompeten oder Eisharfen, werden oft erst ein paar Stunden vor
Konzertbeginn mit Motorsägen aus riesigen Eisblöcken gesägt und dann mit
Stecheisen ausgehöhlt und modelliert, andere werden im Gefrierwagon angeliefert.
Im Januar dieses Jahres fand das “Ice Music Festival” in Geilo zum 10. Mal
statt.
Allerdings
hat das gefrorene Instrumentarium einen offensichtlichen Nachteil: Es schmilzt!
Das verhindert, dass man darauf kontinuierlich üben und die Musik
weiterentwickeln kann. Für Terje Isungset war das auf Dauer keine befriedigende
Situation. Der Trommler dachte über einen Ersatz für den Sommer nach. Er schaute
sich nach einem anderen Klangmaterial um und stieß auf Glas. Mit Hilfe von Glaskunstbläsern
und Studenten einer Glasfachschule konstruierte Isungset ein eigenes
Instrumentarium: durchsichtige Glas-Marimbas, zerbrechliche Glas-Xylophone und Glasspiele.
Im
Trompeter und Vokalisten Arve Henriksen gewann er einen Geistesverwandten und exzellenten
Bläser für das Projekt. Henriksen, der als hochkarätiger Jazzmusiker bekannt
ist und beim Münchner ECM-Label Platten veröffentlicht, ließ sich
ebenfalls verschiedene Hörner und Digeridoos aus Glas fertigen, denen er die
urtümlichsten Melodien entlockt.
Zusammen
erzeugen die beiden eine erstaunliche Klangwelt, die sich aus eigentümlichen
Tönen und Geräuschen zusammensetzt. Sie lassen Wasser in Vasen tropfen und gläserne
Klangschalen wohlig summen. Glasglockenspiele klingen hell auf und ein Horn tönt
wie ein Jagdsignal aus grauer Vorzeit. Dazu kommt ein archaischer Gesang, der
mit Guturallauten und Obertönen an schamanistische Ritualbeschwörungen
erinnert. Die beiden Norweger begeben sich auf eine Reise, die sie in bislang
unbekannte Klangregionen führt. Als Hörer sollte man auf Abenteuer gefaßt sein.
Terje
Isungset / Arve Henriksen: World of Glass (Ice Records)