Thursday, 28 June 2018

Bluesforschung: Die Historiker Lynn Abbott & Doug Seroff

Seufzer aus schallendem Gelächter 

Neue Forschungen korrigieren den Mythos von der Entstehung des Blues


cw. Bob Dylan und das Folkrevival prägen das Bild des Blues bis heute. Ab den späten 1950er Jahren durchstreiften jungen Bluesfans den amerikanischen Süden, um schwarze Bluessänger aufzustöbern, die sie nur von alten Schellackplatten kannten und nicht einmal wussten, ob sie überhaupt noch am Leben waren. „Found Lightnin’!” stand auf einer Postkarte, die der junge Bluesenthusiast Samuel Charters seinem Freund Chris Strachwitz 1959 von einer Reise aus Texas schickte. Er hatte den Gitarristen Lightnin’ Hopkins ausfindig gemacht, der damals in einer schäbigen Kneipe in Houston sein Gnadenbrot verdiente und später durch das Folkrevival zu einem der Archetypen des Genres stilisiert wurde.                                                                                       Chris Strachwitz mit Mance Lipscomb
 
Was die jungen Bluesenthusiasten nicht ahnen konnten, war, dass sie nicht – wie sie fälschlich meinten – einen der Erfinder des gesamten Genres aufgespürt hatten, sondern einen Sänger der zweiten Generation. Wie nun neuere Forschungen zeigen, hatte es den Blues schon lange gegeben, bevor 1920 die erste Bluesschellack in der Kategorie „race records“ erschienen war. 

Eine Filmsequenz bleibt im Gedächtnis haften: An einer Straßenkreuzung irgendwo in der weiten Landschaft des amerikanischen Südens nehmen drei entlaufene Sträflinge mit ihrem Auto einen schwarzen Anhalter mit, der als fahrenden Bluessänger mit seinem Gitarrenkasten von einem Auftritt zum nächsten reist. 

Szenen wie diese aus dem Film „O Brother, Where Art Thou?“ der Brüder Joel und Ethan Coen aus dem Jahr 2000, dazu Musikerbiografien über Blind Willie McTell oder Robert Johnson sowie unzählige Plattenveröffentlichungen, verfestigten das Bild von der Genese des Blues, als einer Musik schwarzer Hobos mit Gitarre, die in der Zwischenkriegszeit von den Baumwollfeldern des Mississippi-Deltas durch den amerikanischen Süden vagabundierten, um mit klagenden Liedern an Straßenecken ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Bluesmusiker im amerikanischen Süden (Sammlung: C. Wagner)
Diesem Entstehungsmythos hatten schon die Bluesforscher der ersten Generation – allen voran Samuel Charters (USA) und Paul Oliver (England) – ein vielfältigeres Bild entgegengestellt. In ihrer musikalischen Landschaft tummelten sich Country-Blues-Sänger, neben Waschbrettgruppen, Boogie-Woogie-Pianisten und Vokalistinnen mit Begleitensembles. Dazu kamen Sträflingskolonnen, die zum Takt der Schläge ihrer Spitzhacken beim Ausheben von Straßengräben oder beim Eisenbahnbau einen heulenden Gesang anstimmten. 

Neuere Forschungen haben nun dieses Szenarium noch einmal weiter ausdifferenziert, wobei vor allem das Autorengespann von Lynn Abbott und Doug Seroff mit einer Serie von spektakulären Veröffentlichungen ganze Arbeit leistete. In einem auf drei Bände angelegten Werk hatten sie in der Publikation „Out of Sight“ von 2003 Blechblaskapellen und religiöse Erweckungssänger genauer unter die Lupe genommen, danach sich in „Ragged but Right“ von 2007 den „Black Travelling Shows“ zugewandt. Dadurch war ein viel konkreteres und plastischeres Bild von den vielfältigen musikalischen Stilformen, Musikgruppen und Auftrittsorten entstanden, in deren Umfeld sich Ende des 19. Jahrhunderts der Blues entwickelte.

In ihrer aktuellen Veröffentlichung mit dem Titel „ – The Emergence of the Blues in African American Vaudeville“, der gleichzeitig der letzten Band der Reihe ist, entwerfen die beiden Sozialhistoriker eine spannendes Panorama, das die schwarzen Vaudeville-Theater mit ihren Variety-Shows vom Anfang des 20. Jahrhunderts ins Zentrum ihrer Erzählung rückt und als wirkmächtige Bühnen für die Genese des Blues identifiziert und beschreibt.
                                                     Jubilee Singers, 1870 (Sammlung: C. Wagner) 
In solchen Shows, die von der schwarzen Bevölkerung in Massen frequentiert wurden, traten neben Stimmimitatoren, Bauchrednern, Akrobaten und exzentrischen Tänzern, auch sogenannte „Coon Shouters“ auf. Ihre Lieder waren in humoristische Sketche eingebaut, die vor parodistischen Einlagen und schlüpfrigen Doppeldeutigkeiten nur so strotzten. Aus solchen Szenen ging unter dem schallenden Gelächter eines Publikums, das mit einem Heißhunger auf dröhnende Unterhaltung in die Vaudeville-Theater strömte, ein Musikstil hervor, der als „Blues“ bezeichnet wurde. Der Terminus taucht 1909 zum ersten Mal auf.

Auf 420 Seiten beschreiben Abbott und Seroff zuerst den Kreis der Vaudeville-Theater unter der Regie schwarzer Impressarios: Sie schufen den nötigen Freiraum und boten die ökonomische Grundlage, um jenseits des Einflußes der weißen Mehrheitsgesellschaft einem originär afro-amerikanischen Musikstil zur Entstehung zu verhelfen. 

Daran schließt sich eine Reihe detaillierter Portraits der bedeutensten Musiker aus der Urphase des Blues an. Butler „String Beans“ May war einer dieser heute völlig vergessenen Stars. Der virtuose Pianist, Sänger, Tänzer und Entertainer versetzte mit seinen „Pianologues“ das Publikum geradewegs in Verzückung. Solche Nummern bestanden aus ein paar Klavierstücken, die mit Witzen, Parodien und Sketchen zusammengebunden wurden. Gespiekt mit deftigen sexuellen Andeutungen war sein „Act“ für die weißen Presseleute in den größeren Städten eine Zielscheibe der Kritik: String Beans wurde als zu vulgär und nicht „sauber“ genug gebrandmarkt, was wohl der Grund war, dass ihn das schwarze Vaudeville-Publikum geradezu vergötterte. Er musste nur den kleinen Finger heben und schon brach der Saal in ein donnerndes Gelächter aus bei Pointen, die „nicht für jeden Pfarrers Sohn geeignet waren“.

Neben String Beans tauchte der Name von Charles Anderson immer wieder auf. Der afro-amerikanische Entertainer machte als formidabler „Yodeler Blues’ Singer“ von sich reden, indem er den alpinen Überschlaggesang mit den Versen seiner Blues-Nummern koppelte. Anderson hatte die alpine Gesangstechnik wohl den zahlreichen Folkloregruppen aus Tirol oder der Schweiz abgelauscht, die im 19. Jahrhundert als „Novelty Acts“ mit Zelt- und Medicine-Shows durch den amerikanischen Süden zogen. Ab und zu trat Anderson im gleichen Variety-Programm wie Bessie Smith auf, weshalb es nicht verwundert, dass die berühmte Blues- und Jazzsängerin gelegentlich ebenfalls in einen Jodel ausbrach.

Neben Bessie Smith gehörte auch Ma Rainey zur Reihe der „Blues Queens“, von denen allerdings nur diese beiden heute noch bekannt sind, was sicher mit ihrer gut dokumentierten Aufnahmetätigkeit für diverse Schallplattenlabels zu tun hat. Andere Vokalistinnen wie etwa Virginia Liston, die es zu keiner Schallplattenaufnahme brachten, sind dagegen völlig in Vergessenheit geraten.

Während die ersten Blueshistoriker noch Interviews mit der Gründergeneration von Musikern führen konnten, ist Abbott und Seroff der Zugang durch die sogenannte „oral history“ inzwischen versperrt. Sie haben dagegen eine Vielzahl von historischen Zeitungsberichten und –notizen aus der afro-amerikanischen Presse ausgewertet und zum Sprechen gebracht, was härtere Fakten zu Tage fördert als die oft recht vagen Erinnerungen. 

Doch die Suche nach der berühmten Nadel im Heuhaufen hatte ihren Preis: Jahrelang unterwarf sich Abbott einer eisernen Disziplin, wenn er früh morgens um 5 Uhr seine Zeitungslektüre auf Mikrofilm mit hundert Jahre alten Journalen begann, bevor er dann um 8 Uhr seinen Dienst im Jazzarchiv der Tulane Universität in New Orleans antrat.

Doch die Mühen haben sich gelohnt. Abbott und Seroff haben neue faszinierende Seiten der frühen schwarzen Musikkultur ans Tageslicht gefördert, von denen bisher kaum jemand etwas wusste. Sie haben damit das Verständnis von der Genese des Blues entscheidend korrigiert, einem Musikstil, aus dem von Rock bis Rap nahezu alles hervorgegangen ist, was heute die Popmusik prägt.   

Von Lynn Abbott & Doug Seroff sind erschienen:

- The Original Blues – The Emergence of the Blues in African American Vaudeville (University Press of Mississippi)
Out of Sight – The Rise of African American Popular Music 1889-1895 (University Press of Mississippi)
Ragged but Right – Black Traveling Shows, „Coon Songs“ & the Dark Pathway to Blues and Jazz (University Press of Mississippi)

Der Text erschien in einer längeren Fassung zuerst in der Neuen Zeitschrift für Musik http://www.musikderzeit.de/de_DE/index.php

Wednesday, 20 June 2018

Schlachthof-Festival Sigmaringen, 21. Juli: Vorverkauf hat begonnen

Krautrock und kosmischer Blues beim Schlachthof-Festival in Sigmaringen am 21. Juli

Vorverkauf hat begonnen – ermäßigte Karten: 16 Euro (Buchhandlung Rabe Sigmaringen)

Embryo - Live (Foto: Manuel Wagner)

Nachdem die Bluesgiganten Muddy Waters und John Lee Hooker schon länger von der Szene verschwunden sind, gibt dort inzwischen die nächste Generation den Ton an: Musiker, die noch mit den Großen zusammengespielt haben und heute ihre Erbe pflegen. Zu dieser Gruppe gehört Jim Kahr. Der Mann aus Chicago war Mitte der 1970er Jahre Leadgitarrist in der Band von John Lee Hooker und hat ihn auf etlichen Tourneen durch Europa und Amerika begleitet. Auch von Plattenaufnahme mit dem Bluessänger kann Kahr berichten, bei denen auch Joe Cocker im Studio war. 

Jim Kahr ist einer der Stars, die beim diesjährigen Schlachthof-Festival in Sigmaringen auftreten werden, das wie immer in den Ateliers des alten Schlachthofs in Sigmaringen (Oberschwaben/Upper-Swabia) über die Bühne geht. Termin ist der 21. Juli, Beginn: 16 Uhr. Dabei wird der Bluesgitarrist aus Chicago seine verblüffende Fingerfertigkeit auf der Slide-Gitarre demonstrieren, mit der er Titel wie „Little Red Rooster“ eindrucksvoll in Szene zu setzen vermag. Natürlich darf der „John Lee Hooker“-Boogie nicht fehlen, den Kahr noch aus ersten Hand vom Altmeister gelernt hat.  

Die andere Headliner-Band ist Embryo, mittlerweile schon eine Krautrock-Legende und seit fast 50 Jahren aktiv. Bei Embryo hat vor drei Jahren ein Generationswechsel stattgefunden, bei dem die Gründergeneration den jungen Mitgliedern den Staffelstab übergab. Heute leitet die Multi-Instrumentalistin Marja Burchard die Formation. Sie ist die Tochter von Embryo-Gründer Christian Burchard und hat schon seit über zehn Jahren mit der Gruppe gespielt. Die Posaunistin und Keyboard-Spielerin hat eine schlagkräftige Gruppe zusammengestellt, die mit einem kompakten Sound aufwartet, der auf mitreißende Weise psychedelische Klänge, Jazz, Krautrock und Weltmusik vereint. Mitglied von Embryo ist mittlerweile auch Gitarrist Jan Weißenfeldt alias JJ Whitefield, der vor Jahren mit den Poets of Rhythm das globale Funk-Revival losgetreten hat. Bevor Jim Kahr und Embryo die Bühne betreten, wird in den Ateliers am Nachmittag ein vielfältiges Musikprogramm geboten, das von Ausdruckstanz über Synthi-Sounds bis zu avantgardistischen Experimenten reicht. 

Wie immer beim Schlachtfest ist für das leibliche Wohl blendend gesorgt: Es gibt schwäbischen Flammkuchen vom Lehmofen, ein Bistro-Café bäckt Muffins, und auch Smoothies und schokolierte Fruchtspieße stehen auf der Speisekarte. Auch für die Unterhaltung der Kleinen ist gesorgt: Sie wird das Puppentheater „Kübel wie Eimer“ übernehmen. Inzwischen hat der Vorverkauf für den Event am 21. Juli begonnen. Karten gibt es zum ermäßtigten Preis von 16 Euro in der Sigmaringer Buchhandlung Rabe.