Trommel-Eremit und Blaskapelle
Beim Willisauer Jazzfestival kann man seit 44 Jahren musikalische Entdeckungen machen. Dieses Jahr findet es vom 29. August bis zum 2. September statt
cw. Letztes Jahr wollte es Fredy Studer noch einmal wissen. Der Luzerner Schlagzeuger zog sich in seinen Übungsraum zurück und arbeitete wie besessen an einem Soloprogramm. „Ein Jahr lang habe ich fast nur gegessen, geschlafen und getrommelt,“ beschreibt er sein Eremiten-Dasein. Studer, der dieses Jahr siebzig geworden ist und seit Jahrzehnten zu den profiliertesten Drummern der Schweizer Szene gehört, tauchte noch einmal tief in der Welt der Trommeln, Becken und Gongs, der Rhythmen und Grooves ein und entwickelte ein Programm, das höchsten spieltechnischen Anforderungen genügt, sich aber doch nicht auf bloße Virtuosität beschränkt. „Ich hab Stücke entworfen, daran gearbeitet und gefeilt, bis sie meinen Vorstellungen entsprachen,“ beschreibt er den Destillationsprozeß. „Dann habe ich sie geübt, geübt und nochmals geübt: Stunden lang, Tage, Wochen. Erst wenn ein Stück völlig im Körper drin ist, kann man wieder die Freiheit finden, die fürs Musikmachen nötig ist. Denn letztlich geht es ja nicht um technische Bravourstücke, sondern um Musik!“
Am Samstag, den 1. September wird es wieder einsam um Fredy Studer werden, wenn er alleine auf der Hauptbühne des Willisauer Jazzfestivals an seinem Schlagzeug sitzt, um sein Soloprogramm zu präsentieren. Vielleicht denkt er dann einen kurzen Moment zurück an die Zeit, als er seine ersten Musizierversuche auf der Trommel machte. 1959 trat der Elfjährige in seiner Heimatstadt Luzern einer ”Basler Trommler“-Gruppe bei, die zusammen mit Pfeifern die Musik für den Fasnachtsumzug lieferte. Zwei Jahre trommelte der kleine Fredy die Schlagfiguren auf seinem Übungsbrett für sich alleine, bis er die Wirbel so gut konnte, dass er beim Umzug mitlaufen durfte. Das war der Ausgangspunkt für seine Profikarriere, die sich inzwischen über nahezu 50 Jahre spannt und Studer zu einem Drummer mit internationalem Renommee machte. Man muß nur einen Blick auf die Huldigungen von Koryphäen wie Jim Keltner oder Jack DeJohnette im Booklet seines gerade erschienenen Solo-Doppelalbums ”Now’s the time“ (Everest Records) werfen, um zu erkennen, welche Riesenreputation der Luzerner in der weltweiten Drummer-Szene genießt.
Mit Trommel-Größen wie Pierre Favre oder Paul Motian spielte Studer zeitweise in reinen Perkussionsensembles oder Drum-Orchestern zusammen, wobei er sein Schlagzeugspiel mehr und mehr verfeinert hat. Dabei wurde der Grundstein gelegt, um sich nun an das Soloprojekt zu wagen. „Die Stücke frisch zu halten und nicht nur abzuspulen, ist die größte Herausforderung,“ sagt Studer.
Mit orchestraler Opulenz gleicht das Willisau-Festival Studers solistische Askese aus. Als Kontrastmittel wirkt Fischermanns Orchestra, eine Bigband von 14 Musikern, die vor zehn Jahren gegründet wurde. Allein die Musik bringt die Mitglieder immer wieder zusammen. Denn Geld zu verdienen, ist mit solch einer Großformation reine Illusion. Doch das schreckt die Fischermänner nicht. Im Gegenteil: Bis heute lassen sie sich von den Möglichkeiten faszinieren, die eine Bigband bietet. Sie können großorchestrale Kompositionen entwerfen und sie sogar zu Gehör bringen. Was für eine Chance in einer Jazzwelt, in der eine Großformation heute eigentlich ökonomisches Harakiri bedeutet.
Befreit von jedem kommerziellen Druck ziehen die Musiker alle Register, scheren sich weder um Moden noch um Verkäuflichkeit, sondern loten in völlig unorthodoxer Manier das Großformat aus, wobei sie stark vom üblichen Brassband-Sound – ob Latin oder Balkan – abweichen. Da wirkt schon eher das Sun Ra Arkestra als Inspiration oder Straßenformationen aus New Orleans.
In der Musik von Fischermanns Orchestra gibt es kosmische Keyboardklänge neben psychedelischen Gitarrensounds. Da heulen gelegentlich die Bläser in kollektiven Improvisationen um die Wette, um danach in ausgetüftelte Arrangements einzumünden, wo wuchtige Bläsersätze, Heavy-Metal-Blockakkorde und knackige Grooves die Szenerie bestimmen. „Wichtig ist, dass die Musik nicht stillsteht, sondern sich weiterentwickelt, dass wir uns immer wieder von Neuem herausfordern,“ sagt Drummer und Bandleader Thomas Reist.
Bei der Gründung kam dem Willisauer Jazzfestival eine Schlüsselrolle zu. Mit anderen Jazzstudenten der Luzerner Musikhochschule war Reist 2007 in ein Brassband-Projekt des amerikanischen Schlagzeugers Kenny Wollesen involviert, der eine „Festival Street Band“ zusammenstellte. Das klappte so ausgezeichnet, klang so umwerfend und machte so ungeheuren Spaß, dass die Schweizer zusammenblieben und das Projekt seither unter dem Namen Fischermanns Orchestra weiterführten. Mittlerweile hat die Band ein halbes Dutzend Alben veröffentlicht, wobei „Tiefenrausch“ (Unit Records) gerade erst erschienen ist. Kein Geringerer als Niklaus Troxler, langjähriger Willisauer Festivalleiter und hochkarätiger Grafiker, hat das Cover entworfen. Manchmal kommt einem die Schweizer Jazzszene wie eine weitverzweigte Großfamilie vor, die sich einmal im Jahr für ein paar Tage in Willisau trifft: Fredy Studer war schon 26. Mal da.
Weitere Infos:
www.jazzfestivalwillisau.ch
Der Text erschien zuerst in der WoZ, linke Wochenzeitung in der Schweiz.