Monday, 5 August 2019

SÖLLNER in Tübingen

Der Menschenfreund

Liedermacher Hans Söllner vor ausverkaufter Kulisse in Tübingen

Fotos: C. Wagner
 























cw. „In Bayern sind alle Anarchisten und die wählenzu 60 Prozent  die CSU," hat der Schriftsteller und Filmemacher Herbert Achternbusch vor einiger Zeit einmal gesagt. Einer von diesen Zeitgenossen, die die Herrschaftslosigkeit propagieren und auch zu leben versuchen, ist der Sänger und Liedermacher Hans Söllner, von dem man allerdings sicher sein kann, dass er nicht CSU wählt, wenn er überhaupt zum Wählen geht, was man bezweifeln kann. 

Denn seit über dreißig Jahren – so lange dauert seine Karriere schon – wird der Widerspenstige aus Bad Reichenhall von der bayerischen Staatsmacht verfolgt, die ihn schon zigmal vor Gericht gebracht hat wegen Beleidigung von Politikern oder Drogenbesitzes, denn Söllner ist ein überzeugter Kiffer: „Aus religiösen Gründen“, wie er sagt, da er sich der jamaikanischen Glaubensrichtung Rastafari zugehörig fühlt. 

Konsequent tritt der Politsänger deshalb für die Legalisierung von Mariuhana ein, was die Staatsmacht regelmäßig auf den Plan ruft, die glaubt mit Razzien, Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen ihrer polizeilichen Aufgabenpflicht nachkommen zu müssen. Kein Wunder, dass sich Söllner schikaniert und drangsaliert fühlt. Auch beim Konzert in Tübingen war die Polizei in voller Stärke präsent, hatte die Bundesstraße 27 abgesperrt, um verdächtig aussehende Fans genauer unter die Lupe zu nehmen, wobei man sich fragen kann, ob da noch die Verhältnismäßigkeit der Mittel gewahrt blieb. 

Diese Scharmützel mit dem Staat, die sich schon über Jahre hinziehen, bestimmten thematisch auch in großen Teilen den Auftritt von Söllner im Freilicht-Ambiente des Tübinger Sudhauses, das schon seit Wochen restlos ausverkauft war, denn Söllner hat eine treue Fangemeinde, die seine Ansichten und Glaubensbekenntnisse teilt und auch von weit her zu seinen Auftritten pilgert. Beim Song „Edeltraud“ („du hast a sauguats Gras anbaut“) oder „Mei Vodda“ („Mein Vater hat einen Mariuhana-Baum“) sang das Publikum aus vollen Kehlen mit, wobei sich beinahe eine alternative Schunkelstimmung breitmachte.

Söllner tritt beim Konzert als Geschichtenerzähler, Argumentierer, Provokateur und Räsonierer auf, der mit seinen Anhängern in ein zweistündiges Gespräch eintritt. Im Plauderton breitet er seine Ansichten aus, kommentiert aktuelle politische Ereignisse und beklagt die Weltlage, wobei er immer wieder einmal ein Lied einstreut, begleitet von seiner gut eingespielten Band, dem Bayaman Sissdem, ein Quartett, das unauffällig, aber effektiv dem Liedermacher in jeden Winkel seines musikalischen Universums folgt. Und natürlich singt und redet Söllner ganz selbstverständlich im breitesten bayerischen Dialekt, was im Schwäbischen noch zu verstehen ist, aber einem Norddeutschen ziemlich Schwierigkeiten bereiten könnte.

Natürlich nimmt der Liedermacher die Mächtigen ins Visier, wobei ein Politiker wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) für den Impfgegner inzwischen zu einem roten Tuch geworden ist, den er kritisiert und attacktiert. Aber auch der ehemalige grüne Außenminister Joschka Fischer bekommt sein Fett ab, dem der aufrechte Linke vorwirft, seine Ideale verraten zu haben. Söllner appelliert an Solidarität und Mitgefühl, ruft seine Fans auf, sich wieder öfters in die Augen zu sehen, wobei der Vegetarier fordert, den Versuch zu wagen, sich ein Jahr lang ohne Hühnerfleisch zu ernähren. Daneben kommt auch das große Thema der Liebe nicht zu kurz, die Söllner vom Zustands des Verliebtseins unterscheidet. Trotz seiner Meinungstärke kommt Söllner nicht als verbiesterter Fanatiker daher, sondern trägt seine Einsichten lässig und mit viel Ironie und Witz garniert vor. Hier wundert sich einfach jemand über die Welt und den Wahnsinn, der um ihn herum stattfindet.

„Freiheit muß wehtun“, proklamiert der Radikalindividualist, der sich von keinem und niemanden irgend etwas sagen lassen will, weil er glaubt, dass er am besten selber weiß, was für ihn gut ist. Damit stellt sich Söllner in eine Reihe von bajuwarischen Querschädeln und Nonkonformisten, die vom Schriftsteller Oskar Maria Graf über den Schauspieler Sepp Bierbichler bis zum Filmemacher Herbert Achternbusch reicht und die es in dieser Form nur im weißblauen Bundesland gibt. Es lohnt sich dem predigenden Rastamann zuzuhören, auch wenn man nicht jede seiner Ansichten und rigorosen Urteile teilt, zu ernsthaft trägt er seine Überzeugungen vor. Der Menschenfreund sorgt sich um die Menschheit (was auch alle anderen Kreaturen einschließt) und die Menschlichkeit, die in unseren turbulenten Zeiten sehr leicht unter die Räder kommen kann, wogegen sich Hans Söllner in vehementer Weise wehrt. „Wenn wir nicht aufstehen, wirds niemand tun!“ lautet die Aufforderung an seine Fans.

Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Baden-Württemberg

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