Friday 30 October 2020

Buchbesprechung: Klangmaschinen

 Klangmaschinenträume

 

Über Visionäre elektronischer Klänge und die Musik der Zukunft



                                                      Leon Theremin an seinem Instrument, ca. 1920

cw. Musikinstrumente-Erfindungen kommen in Schüben, und zwar immer dann wenn technische Innovationen neue Möglichkeiten zur Tonerzeugung bieten. Die 1920er Jahre waren so eine Ära, in der die neue Runkfunktechnik die elektronische Tonerzeugung auf die Tagesordnung setzte. Neue Instrumente wie Theremin, Trautonium, Sphärophon oder Ondes Martenot sowie diverse elektronische Orgeln entstanden, die sich allerdings oft als Eintagsfliegen erwiesen und bald wieder verschwanden oder sich bestenfalls als Außenseiter im Musikbetrieb halten konnten. In seinem Buch „Musikmaschinen“ zeichnet Peter Donhauser „die Geschichte der Elektromusik“ nach.

 

Oft waren es Techniker, die mit Leidenschaft an neuen Verfahren der Tonerzeugung bastelten, welche sich häufig später musikalisch als völlig unbrauchbar erwiesen. Despoten erkannten in den neuen Klangerzeugern ein Mittel zum Machterhalt. Das Theremin, vom russischen Physiker Leon Theremin Anfang der 1920er Jahre entwickelt, erregte das Interesse von Revolutionsführer Lenin, der das Instrument und seinen Erfinder zu Propagandazwecken in den Westen schickte, um aller Welt die techologischen Errungenschaften der Revolution vor Augen zu führen.  


                                            Sphärophon, 1924

 

Ähnlich erging es den neuen Musikmaschinen aus der Weimarer Zeit (Trautonium, Neo-Bechstein-Flügel, Großtonorgel etc.), die von den Nationalsozialisten ab 1933 für ihre Zwecke instrumentalisiert wurden. Anfangs als „entartete Musik“ mit Verbot bedroht, drehte sich der Wind, als das NS-Regime deren Potential zur Beschallung von Aufmärschen und Kundgebungen erkannte. Manche Erfinder und Musiker dienten sich den Nazis an, andere versuchten irgendwie durchzukommen, wobei der Vorwurf des „Musikbolschewismus“ wie ein Damoklesschwert immer über ihnen hing. Donhauser gelingt es, die Wirrnisse der NS-Musikpolitik auf differenzierte Weise nachzuzeichnen und zwischen glühenden NS-Anhängern, willfährigen Dienern, Opportunisten und Gegner zu unterscheiden, wobei die
Gemengelage nicht immer eindeutig ist. 


                                                             Ondes Martenot 

 


Erst das Ende des Nazi-Regimes verhalf den musiktechnologischen Innovationen abermals zur Blüte. Während in den neueingerichteten elektronischen Musikstudios, wie etwa das beim WDR in Köln oder beim Pariser Rundfunk, in der Nachkriegszeit Kompositionsverfahren mit Tonbändern im Vorderpunkt standen (Schneiden, Verfremden, Neuordnen und Kleben), wurde in den USA an neuen Klangerzeugern getüftelt, die u.a. in der Erfindung der Hammond-Orgel, des Fender-Rhodes-E-Pianos, aber vor allem des Synthesizers mündeten. Den Visionären de Synthesizers schwebte anfangs eine „Klangfarbenmusik“ vor, die jenseits der wohltemperierten Stimmung die Musik in andere Sphären katapulieren sollte. Allerdings zwang kommerzieller Druck die Hersteller zur Tastatur und ins konventionelle Notensystem zurück. Die Digitalisierung verwandelte dann das Laptop in ein Musikinstrument, das heute in der elektronischen Clubmusik (Techno, Drum ‘n’ Bass etc.) den Ton angibt und zum konstituierenden Element geworden ist. Mit seiner Publikation ist Donhauser ein kompetentes, detailreiches und übersichtliches Werk gelungen, das auch für bereits Sachkundige, noch so manches unbekannte Details enthält.

 

 

Peter Donhauser: Klangmaschinen – Die Geschichte der Elektromusik. Vergangenheitsverlag; Berlin 2019; mit zahlreichen Abbildungen. E 19,99. 

 

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