Protestsongs als Kammermusik
Das Kronos Quartet würdigt die Folklegende Pete Seeger
Sie gelten als das kreativste Streichquartett der zeitgenössischen Musik. Das Kronos Quartet aus den USA kennt keine Scheuklappen. Seine Konzertprogramme greifen weit über Beethoven und Mozart hinaus und verbinden Klassik und Neutönerisches mit Jazz, Blues, Folk, Rock und Weltmusik. Die stilistische Bandbreite hat Kronos den Vorwurf der „Beliebigkeit“ eingebracht, was das Streichquartett mit dem Hinweis kontert, unzähligen Menschen den Weg zur Musik erschlossen und ihren musikalischen Horizont erweitert zu haben. Unbeirrt setzen die vier ihre Mission fort, das Repertoire des Streichquartetts auf die Höhe der Zeit zu bringen und aus dem Elfenbeinturm des klassischen Musikbetriebs zu befreien.
Das Kronos Quartet besitzt einen exzellenten Riecher für neue Themen und Projekte, wobei sich die Gruppe schon lange von der Hochnäsigkeit abgewandt hat, die Welt in gute klassische und schlechte andere Musik einzuteilen. „Zwischen all der Musik, die Kronos jemals aufgeführt hat, gibt es für mich keine Hierarchie, keine Über- und Unterordnung von Kunstmusik und populärer Musik,“ stellt Ensembleleiter David Harrington klar. „Ich betrachte Volksmusik nicht in einem abwertenden Sinn. Für mich ist eine Bluesnummer von Blind Willie Johnsons eine ungeheure musikalische Erfahrungen. Kann Musik besser sein?“
Kronos ist äußest produktiv. Nach dem Album „Folk Songs“ von 2017, bei dem es mit verschiedenen Folksängern zusammenarbeitete, geht es jetzt noch einen Schritt weiter in diese Richtung und widmet der Folklegende Pete Seeger ein Album mit dem Titel „Long Time Passing“ (Label: Smithsonian/Folkways). Seeger, der 2014 im Alter von 94 Jahren verstarb, war eine amerikanische Institution. Seit den 1940er Jahre nutzte er seine Lieder als Waffen im Kampf für Frieden und sang gegen soziale Ungerechtigkeit, Diskriminierung und Unterdrückung an. Er trat bei Gewerkschaftsversammlungen und Streiks auf, vor Suppenküchen und bei Friedensdemonstrationen und war noch im hohen Alter im Umweltschutz aktiv. Überall auf der Welt, wo gegen Unrecht gestritten wird, gibt Seegers „We shall overcome“ den Protestierenden Hoffnung. Der hochgewachsene Banjospieler mit dem schmalen Gesicht, der glockenklaren Stimme und dem schütteren Haar machte keinen Unterschied: als Musiker verstand er sich als politischer Aktivist. Er glaubte an die gesellschaftsverändernde Kraft seiner Lieder.
Nach dem Muster von „Folk Songs“ ist auch das aktuelle Seeger-Album gestrickt. Kronos taucht Folkhymnen wie „We shall overcome“oder „If I had a hammer“ in exquisite Streicherklänge, während die „friends“, darunter die Spanierin Maria Arnal, der Folksänger Sam Amidon und der Veteran Lee Knight, in die Rolle von Pete Seeger schlüpfen, um dem jeweiligen Song so viel Ausdruckskraft wie möglich zu verleihen.
Für die Arrangements der Stücke zeichnet der Jazzmusiker Jacob Garchik verantwortlich, der Hausarrangeur von Kronos. „Wenn Kronos ein neues Projekt in Angriff nimmt, bespreche ich mit den Musikern das Thema,“ erzählt Garchik. „Danach beginnt für mich eine intensive Phase der Recherche. In diesem konkreten Fall las ich Bücher über Pete Seeger, hörte viele seiner Schallplatten, versuchte mehr über die Zeitumstände zu erfahren, in denen ein bestimmtes Lied entstanden ist. Das alles beeinflußt meine Arrangements, wobei das Ziel ist, die Stimmung, die Gefühle und die Atmosphäre des jeweiligen Lieds präzise einzufangen.“
Die Arrangements von Garchik gespielt von den Meistergeigern des Kronos Quartets lassen die Lieder des alten Haudegens Pete Seeger in neuem Licht erscheinen mit Klängen, die auch für Folkmuffel einiges zu bieten haben.
Meine Sendung in den 'Musikpassagen' auf SWR2 über das KRONOS QUARTET SPIELT PETE SEEGER steht jetzt online und kann nachgehört werden: