Tuesday 25 May 2021

Post-Jazz aus Germany

Der Intensitätskern der 'super structure'

Zwei Trios mit Drummer Christian Lillinger


cw. ist der Name eines Trios, das aus der slowenischen Pianistin Kaja Draksler, dem schwedischen Bassisten Petter Eldh und dem deutschen Schlagzeuger Christian Lillinger besteht. Die Gruppe hebt sich von der Vielzahl konventioneller Jazzpianotrios ab, die in den letzten zwei Jahrzehnten versucht haben, aus diesem Format neue kreative Funken zu schlagen, indem sich Punkt. Vrt. Plastik quer zur Tradition stellt. Die Formation knüpft weder an Bill Evans noch an Keith Jarrett an, sondern verortet sich zwischen Turntablism, Drum ‘n’ Bass, Hiphop, dem Klavierwerk von Ligeti und Nancarrow sowie den Verdrehtheiten eines Thelonious Monk und den manischen Freejazz-Verausgabungen eines Cecil Taylors, obwohl die Musik des Ensembles alles andere als “free” ist. 

 

Verschiedene Elemente treten in den einzelnen Stücken mehr oder weniger stark hervor und werden in unterschiedlicher Weise akustisch verarbeitet. Jedes Stück besitzt einen Intensitätskern, der weniger entfaltet als manifestiert wird, wobei repetitive Steigerungen und Verdichtungen eine wesentliche Rolle in der Dramaturgie spielen. Die Spannung entspringt einer untergründig nervösen Energie, die aus der Gleichzeitigkeit von Hyperaktivität und Zähflüssigkeit, Bewegung und Beharrung, Verdichtung und Ausdünnung erwächst. Zumeist sind es winzige Verfremdungen, ob rhythmischer oder klanglicher Natur, die aufhorchen lassen, sei es, dass durch die Dopplung mit einem zweiten, minimal anders gestimmtem Klavier sonderbare Schwebetöne entstehen oder die Schlagzeug-Grooves sich regelmäßig unregelmäßig verhaken, wie wenn eine Vinylplatte fortwährend am gleichen Kratzer hängen bleibt. Die Kompositionen kennen keine stringente Entwicklungslinien, sondern kreisen um ein gesetztes Motiv, das wiederholt und dabei stetig leicht verschoben wird, bis es am Ende einfach unversehens abreißt.




 

Ganz anders funktioniert das Trio von von Christopher Dell (Vibrafon) und Jonas Westergaard (Baß), bei dem wiederum Christian Lillinger am Schlagzeug sitzt. Vom Eröffnungstrack einmal abgesehen, der als eine Art Einstimmung dient, stehen “Beats” – so der Titel des Albums – im Mittelpunkt, getragen vom Sound einer harten Snaredrum und einer lange nachhallenden Bassdrum, die vom Kontrabaß geerdet und von den kreisenden Motiven des Vibrafons umspielt werden, während Sound-Einblendungen, Verfremdungen und Verfärbungen gelegentlich für beinahe psychedelische Momente sorgen. Das Album besteht aus einer übergreifenden “super structure”, die im Studio in dreizehn “Configurations” zerlegt wurde. Manchmal hebt die Musik in kosmische Sphären ab, während darunter das Schlagzeug unermüdlich pumpt und pulsiert, und Christopher Dell mit akkordischem Spiel, Schwebetönen oder vertrakten Ostinatofiguren Akzente setzt. Summa summarum geben die beiden Alben eine Ahnung vom Jazz der Zukunft, die hoffnungsfroh stimmt. Off-Jazz oder Post-Jazz könnte man die Stilrichtung nennen. 


Punkt. Vrt. Plastik – Kaja Draksler, Petter Eldh, Christian Lillinger: Somit (Intakt Records)

Dell Lillinger Westergaard: Beats (Plaist)   

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