Akustisch und leise, statt elektrisch und laut
Das Ensemble Oregon schlug in den 1970er Jahren neue Töne an und bahnte dem kammermusikalischen Jazz den Weg. Holzbläser Paul McCandless erinnert sich
Es war kein Jazz, kein Folk und keine Weltmusik – Oregon klang anders: Während Jazzmusiker die Verstärker aufdrehten, spielten Ralph Towner, Paul McCandless, Glen Moore und Collin Walcott akustische Improvisationsmusik mit neo-romantischem Flair. Ein ‚Live‘-Mitschnitt aus Bremen von 1974 zeigt die Gruppe auf dem Höhepunkt ihrer Kunst.
CW: Sie betraten 1971 mit Oregon Neuland. Wie nahm der Stil der Gruppe Gestalt an?
Paul McCandless: Wir waren auf der Suche nach einer anderen Art zu improvisieren und entwickelten unsere eigene musikalische Sprache. Es war sehr aufregend, weil wir auf Klänge stießen, die wir nie zuvor gehört hatten.
Oregon war ein akustisches Ensemble – ein Gegenentwurf zum elektrischen Rockjazz von Miles Davis, Weather Report und dem Mahavishnu Orchestra, der damals en vogue war...
Paul McCandless: Oregon war das Gegenteil von elektrisch und laut, nämlich akustisch und leise. Das war unser Konzept! Die Fusionbands waren damals sehr von Rockmusik beeinflußt, schichteten immer größere Lautsprechertürme aufeinander, wogegen wir mit akustischem Instrumentarium Folk, Jazz, indische und klassische Musik verschmolzen.
Die Instrumentierung gab Oregon einen unverwechselbaren Sound...
Paul McCandless: Mit Tabla und Sitar, zwölfsaitiger Akustikgitarre, Kontrabaß und Oboe hatten wir eine Besetzung, die uns damals von allen anderen Gruppen unterschied.
Die Mitglieder von Oregon waren sich ursprünglich in der Gruppe von Paul Winter begegnet?
Paul McCandless: Das ist richtig. Mein Oboenlehrer Robert Bloom, einer der einflussreichten Oboisten der klassischen Musik, ermunterte mich, bei Paul Winter vorzuspielen, mich aber auch beim New York Philharmonic Orchestra zu bewerben. Ich wurde dann Mitglied der Gruppe von Paul Winter, dessen Musik ich sehr inspirierend fand. Dort traf ich die anderen Musiker, mit denen ich später Oregon ins Leben rief. Meine Karriere wäre wohl ganz anders verlaufen, hätte ich den Job beim New York Philharmonic Orchestra bekommen. Nachträglich muß ich dankbar sein, dass man sich für jemand anderen entschied.
Die Oboe gab Oregon eine ganz speziellen Sound. Das Instrument war damals im Jazz kaum präsent. Wie gelang es ihnen, es als Improvisationsinstrument zu etablieren?
Paul McCandless: Ich hatte schon während meiner Studienzeit Bigband-Arrangements geschrieben für Besetzungen, die aus dem Rahmen fielen mit Oboe, Englischhorn und Baßklarinette. Das klang frisch und bewegte sich abseits der üblichen Pfade. Gil Evans war mein Leitstern. Jedoch war es nicht einfach, die Oboe jazzmäßig zu spielen, weil sie ein sehr melodisches Instrument ist und nicht sehr laut. Yusef Lateef war der einzige Jazzmusiker, der darauf improvisierte. Ich spielte dann oft in den hohen Registern, um überhaupt gehört zu werden. Wenn man das Instrument in der mittleren Lage bläst, geht es in einer Jazzcombo unter. Die Oboe gab Oregon augenblicklich ein kammermusikalische Feeling. Dadurch fielen wir auf.
Wie fand die Gruppe überhaupt zusammen?
Paul McCandless: Ralph Towner und Glen Moore hatten sich im Bundesstaat Oregon auf dem Musikcollege kennengelernt. Als Studenten waren sie stark von der Musik von Bill Evans beeinflußt. Sie zogen nach New York und versuchten dort als Jazzmusiker Fuß zu fassen. Sie kamen dann in die Gruppe von Paul Winter, der sich auf der Suche nach einer neuen Musik befand, die Jazz, Weltmusik und New Age-Einflüsse verband. Dort lernte ich sie kennen. Ralph Towner und Glen Moore begleiteten daneben den Folksänger Tim Hardin, mit dem sie beim Woodstock-Festival 1969 auftraten. Bevor sie mit dem Hubschrauber aufs Festivalgelände gelangten, hatten sie nicht die leiseste Ahnung von der Dimension des Festivals. Ralph Towner war der erste, der Paul Winters Gruppe verließ, um das Folktrio Peter, Paul & Mary zu begleiten, was gutes Geld bedeutete. Glen Moore tauchte in die freie Improvisationsszene ein. Dann bot sich uns die Gelegenheit an Musikhochschulen an der amerikanischen Ostküste eine Reihe von Konzerten zu geben. So kam die Gruppe zusammen, und auf diesen Tourneen entwickelte sich unser Sound. Wir fanden unsere eigene Sprache. Anfangs hatten wir Schwierigkeiten das Klavier einzubeziehen. Es passte einfach nicht dazu. Ähnlich war es mit dem Tenorsaxofon. Es dauerte Jahre bis wir einen Weg fanden, diese Instrumente organisch in unsere Musik einzubauen.
Collin Walcott
Das neue Album enthält den ‚Live‘-Mitschnitt eines Konzerts in Bremen aus dem Jahr 1974. Welche Erinnerungen verbinden sich mit diesem Auftritt?
Paul McCandless: Damals konsolidierte sich unser Stil. Die Tournee von 1974 war eine unserer ersten in Europa. Wir spielten viele Konzerte vor beachtlicher Kulisse, nicht Jazzclubs, sondern Konzertsäle. Unsere akustische Musik kam an. Bremen war eines der Highlights. Damals trafen wir auch Manfred Eicher und hörten einige Musiker seines Labels ECM, die sehr frisch klangen. Jan Garbarek beeindruckte uns besonders, ob mit Art Lande oder im Quartett mit Bobo Stenson. Wir fühlten, dass deren Musik in eine ähnliche Richtung ging wie unsere. Melodien gewannen an Bedeutung, die Besetzung war akustisch und die Atmosphäre intimer. Das Publikum in Europa konnte mit dieser neuen Musik mehr anfangen als die Jazzfans in den USA, die den Swing vermissten und die Bebop-Phrasen. In Europa waren die Konzertbesucher neugieriger und offener für die neuen Klänge. Sie nahmen Oregon begeistert auf.
Oregon besteht nunmehr 50 Jahre. Wie ging es nach Bremen weiter?
Paul McCandless: Unser Stil entwickelte sich kontinuierlich, wobei die Bezugspunkte immer breiter wurden. Ein tiefer Einschnitt war der Tod von Collin Walcott, der 1984 bei einem Autounfall ums Leben kam. Wir wußten nicht, wie wir weitermachen sollten und legten die Band erst einmal für ein Jahr auf Eis. Dann kam Trilok Gurtu in die Band. Als er ausschied, machten wir als Trio weiter. Seit etlichen Jahren komplettiert der Schlagwerker Mark Walker die Band. In den ersten Jahren war unsere Musik sehr fokussiert, um sich mit den Jahren immer weiter zu öffnen. Andere Instrumente, neue Klänge und Stilelemente kamen hinzu. Anfangs hatten wir z. B. nur Tablas für den Rhythmus, später dann ein reguläres Schlagzeug. Oregon hat nie aufgehört, musikalisch zu wachsen.
Oregon: 1974 (MIG Music)
Das Interview erschien zuerst in JAZZTHETIK – Magazin für Jazz und anderes 9/10-2021