Tuesday, 30 November 2021

ZehnJahre Kappeler-Zumthor Duo

Im Fantasieraum der Klänge

 

Das Duo von Vera Kappeler und Peter Conradin Zumthor feiert mit einem neuen Album zehnjähriges Bestehen


Foto: Ralph Feiner


cw. Die Minimalbesetzung aus Klavier und Schlagzeug ist eine Besonderheit auf der aktuellen Jazzszene. Unbelastet von einer übermächtigen Tradition, bietet sie eine Vielzahl an Möglichkeiten. Vera Kappeler (Piano) und Peter Conradin Zumthor (Schlagwerk) bilden seit zehn Jahren ein solch ungewöhnliches Gespann, wobei es nicht hinderlich zu sein scheint, dass die beiden auch privat ein Paar sind. „Laß uns noch eine Stunde proben,“ ist ein Satz, der im gemeinsamen Haushalt häufig fällt und die Zusammenarbeit recht unkompliziert macht.

 

Trotzdem gibt es natürlich Vorgänger. Don Pullen und Milford Graves waren die ersten im Jazz, die 1966 als Klavier-Schlagzeug-Duo auftraten und damit einen Präzedenzfall schufen, auf den sich ein Jahrzehnt später in Europa Misha Mengelberg und Han Bennink sowie Alexander von Schlippenbach und Sven Ake Johannson bezogen. 1979 kam es zur Begegnung der Giganten, als Cecil Taylor und Max Roach mit einem Auftritt aufhorchen ließen. Damit war ein Modell etabliert, das bis heute in verschiedenen Spielarten freier Improvisation immer wieder auflebt. „Eine Partie Tischtennis“, nannten dann auch Mengelberg und Bennink eine ihrer Schallplatten. Ping-Pong als Metapher für Freejazz im Reiz-Reaktion-Modus? Dem können Kappeler und Zumthor schon lange nichts mehr abgewinnen. Das einzige Ping-Pong, das die beiden noch spielen, ist das an der Tischtennisplatte im Garten ihres Hauses in Haldenstein bei Chur. Musikalisch gingen sie von Anfang an andere Wege.

 

Seit Beginn basteln die beiden an einer Konzeption, die man sogar als Gegenentwurf zur freien Improvisation begreifen könnte: eine Musik, die weder spontan, noch ungebunden ist, sondern durchdacht und ausgeklügelt, dazu über Jahre gereift und auf das Allernotwendigste reduziert.  

 

Fixiertes und Vorgedachtes tritt an die Stelle des Stegreifspiels, anstatt exaltierter Verausgabung herrscht kontrollierte Disziplin. Was Struktur, Rhythmus, Tempo, Klangfarben und Schattierungen anbelangt, sind die meisten der Kompositionen auf dem neuen Album „Herd“ aufs Präziseste ausgearbeitet. Und sie sind kurz: Ohne Umschweife geht es zur Sache. Die Stücke zielen nicht ins Ungefähre, überlassen kaum etwas dem Zufall, sondern sind auf die Vermeidung von Planlosigkeit und Geschwätzigkeit bedacht. Das bedeutet keineswegs, dass die Musik keine Freiräume kennt, nur sind deren Vorgaben genauestens definiert. Mit „Disziplin und Präzision“ hat Sun Ra einmal die Merkmale seiner Musik auf den Punkt gebracht. Die Kurzformel könnte auch für das Duo aus Haldenstein gelten, „wobei das Musizieren immer auch Spaß machen muß“, so Zumthor. 

 

Viel Träumerisches, Verklärtes, auch Wehmütiges kommt in den kleinen Melodien zum Ausdruck, die sich durch die meisten der Kompositionen ziehen. Diese „Miniaturen“ (Vera Kappeler) können nach einer Spieldose oder einem Kinderkarusell klingen bzw. an Erik Saties „Gymnopedies“ bzw. die „Geistervariationen“ von Robert Schumann erinnern und werden allein durch das Schlagzeug in die Gegenwart geholt. Bezeichnenderweise nennt Peter Conradin Zumthor die späten Klavierwerke von Franz Liszt als Einfluß. Für die Entdeckung der Langsamkeit werden dagegen Bohren & der Club of Gore und Howe Gelbs Giant Sand haftbar gemacht, für die aufbrausende Heftigkeit Igor Strawinsky.

 

Neben einem Trauermarsch leuchtet einmal sogar die alpenländische Ländlertradition auf – in einem schleppenden Dreivierteltakt. Das ist ein sachter Hinweis darauf, dass die beiden in der Südostschweiz zuhause sind. Von Bergen, Fels und Stein umgeben, ist es kaum verwunderlich, dass sich ihre Musik durch eine gewisse Kargheit und Spröde auszeichnet.




 

Das Kontrastmittel zu Empfindsamkeit und Fragilität bilden Stücke, bei denen es handfester zur Sache geht, die unbändig daherkommen oder bei denen die Töne so dicht und kaskadenhaft wie in Conlon Nancorrows „Player Piano“-Stücken niederprasseln. Dazu gesellen sich Maskeraden und Verkleidungen: Das Vexierspiel mit klanglichen Täuschungen zieht die beiden in den Bann, fasziniert von Klängen, die ineinander verschwimmen und bei denen nicht klar ist, ob sie vom Klavier, von Metallstäben oder von leicht verstimmten Klangschalen stammen.

 

Als die Pandemie im März 2020 das Konzertgeschehen lahmlegte, beschlossen die beiden, die Auszeit zu nutzen und ein neues Album in Angriff zu nehmen, das eigentlich längst überfällig war, da die letzte Einspielung „Babylon-Suite“ sieben Jahre zurücklag. Zuerst ging es darum, das Repertoire zu durchforsten, um geeignete Stücke ausfindig zu machen, die im Kontext eines Albums Sinn machen würden. Gegebenenfalls galt es neue Kompositionen zu entwerfen, auszuarbeiten und einzustudieren. Das erfordert viel Zeit, da jedes neue Stück erst in den langen Stunden im Proberaum seine endgültige Form gewinnt. Da wird dann ausgiebig experimentiert, immer wieder neue Ideen und Klangkombinationen ausprobiert, die dann entweder verworfen oder für so gut empfunden werden, dass die Weiterarbeit lohnt, bis man schließlich zu einer befriedigenden Lösung findet.

 

Das Ergebnis von Monate langer Arbeit ist das Album „Herd“, in zweieinhalb Tagen in den Hardstudios in Winterthur eingespielt und mit einer Botschaft versehen, die stumm die Geschichte eines Alpendorfs in Graubünden erzählt, das 1955 einem Stausee weichen musste, was ein großes Fragezeichen hinter ein Phänomen macht, dass sich bis heute „Fortschritt“ nennt.

 

Vera Kappeler / Peter Conradin Zumthor: Herd (Intakt)


Der Text erschien zuerst im Musikmagazin JAZZTHETIK

Sunday, 21 November 2021

Das Kölner Musikkollektiv KLAENG

Small is beautiful

Jazzmusiker sind Individualisten. Kann ein Jazzkollektiv deshalb überhaupt funktionieren? KLAENG in Köln macht es vor


KLAENG Jazzkollektiv © Nadine Heller-Menzel


Christoph Wagner spricht mit Jonas Burgwinkel 

 

Im Jazz haben Musikerinitiativen zur Selbsthilfe eine lange Tradition. Seit 2009 besteht in Köln das Musikkollektiv KLAENG  das von sechs Jazzmusikern gebildet wird: Pablo Held (Piano), Tobias Hoffmann (Gitarre), Frederik Köster (Trompete), Sebastian Gille (Saxofon), Robert Landfermann (Baß) und Jonas Burgwinkel (Drums). Der Schlagzeuger gibt Auskunft über Sinn und Zweck der Organisation. 

 

Wie kam es zur Gründung?

 

Jonas Burgwinkel: Klaeng hat als Gruppe von Freunden begonnen, die ohnehin viel miteinander gemacht haben – wir spielten z. B. in diversen Bands zusammen. Irgendwann beschlossen wir, der Sache einen Namen zu geben. Wir haben eine Organisation gegründet, um unsere Kräfte zu bündeln. 

 

Gab es Vorbilder?

 

JB: Es gab in Köln schon lange vor uns derartige Initiativen, etwa den Kölner Jazz Haus e.V., der mittlerweile über 30 Jahre alt ist und erfolgreiche Arbeit geleistet hat und weiterhin leistet. Davon haben wir alle profitiert. Als es dann bei uns gut lief, wollten wir etwas an die Szene zurückgeben, also möglichst viele Künstler daran teilhaben lassen. Das war einer der Gründe, KLAENG aus der Taufe zu heben.

 

Was waren die ersten konkreten Schritte?

 

JB: Wir organisierten zuerst ein Festival, spielten dort anfangs vor allem mit unseren eigenen Gruppen, weil kein Geld da war, auswärtige Künstler einzuladen. Dann hoben wir unser eigenes Label aus der Taufe, danach kam noch eine Konzertreihe dazu. Wir wurden für workshops angefragt und boten sie an. So hat sich das alles recht organisch entwickelt. Wir haben weitergemacht und uns nicht zerstritten, was bei ähnlichen Initiativen häufig der Fall ist. Vielleicht hängt unsere Beständigkeit damit zusammen, dass wir eine kleine Gruppe von Musikern sind, was die Sache überschaubar hält und die Anforderung an jeden von uns erträglich macht. Wir haben das bewußt so gehalten, weil wir oft gesehen haben, wenn eine Organisation zu offen ist und dann zu groß wird, gibt es zu viele Meinungen, um überhaupt noch zu Potte zu kommen. Man ist dann nicht mehr entscheidungsfähig und lähmt sich nur noch gegenseitig. Das wollten wir vermeiden.

 

Habt ihr eine juristische Form gewählt oder besteht die Initiative immer noch rein informel?

 

JB: Nein, ohne juristische Form geht es nicht. Wir betreiben ja mehrere Firmen. Wir haben eine Geschäftsführerin und einen stellvertretenden Geschäftsführer. Das muß schon alles seine Ordnung haben. Wir haben die verschiedensten juristischen Formen durchlaufen: GmbH, eingetragener Verein – wir bleiben da flexibel und richten uns ganz nach den steuerlichen Vorteilen, die die jeweilige Form zum jeweiligen Zeitpunkt bietet. Wir machen ja keinen Gewinn. Das ganze ist als Non-Profit-Organisation konzipiert.

 

Sie haben die Plattenfirma erwähnt, die KLAENG betreibt. Mit einem Label ist ja heutezutage kein Geld zu verdienen oder ...?

 

JB: Damit Geld zu verdienen, war nie unsere Perspektive. Deshalb sind wir auch nicht frustriert, dass das nicht der Fall ist. Die Festivals, die wir veranstalten, können wir auch nur durchführen, weil wir öffentliche Zuschüsse bekommen. Sonst ginge das nicht. Meine Frau ist unsere Geschäftsführerin und kümmert sich um das ganze Antragswesen. Aber immer noch ist es jedes Jahr unsicher, welcher Betrag für unser Festival dann letztendlich bewilligt wird. Das ist immer der gleiche Eiertanz!

 

Bekommt KLAENG für den laufenden Betrieb Fördergelder?

 

JB: Aus verschiedenen öffentlichen Töpfen werden wir teilweise schon langjährig unterstützt, auch von Sponsoren aus der Privatwirtschaft, etwa der RheinEnergie Stiftung. Dahinter steckt jahrelange Aufbauarbeit. Auf diese Weise kommt das Geld rein, mit dem wir nicht nur unsere Geschäftsführerin, sondern auch Werbeleute und Grafiker bezahlen. Diese Dinge haben wir anfangs alle selber gemacht, sind durch die Kneipen gezogen, haben Plakate aufgehängt und Programme ausgelegt. Das machen wir heute nicht mehr. Dafür sind wir einfach ein bißchen zu alt. Für solche Aufgaben heuern wir Leute an, die das besser können. Wir widmen uns heute mehr der Kuratorentätigkeit und weniger dem Stühlerücken und an der Kasse sitzen.

 

Alle sechs Mitglieder von KLAENG sind inzwischen zu renommierten Jazzgrößen der deutschen Szene geworden, mit Preisen dekoriert. Welchen Effekt hat das?

 

JB: Davon profitieren wir mit Sicherheit. Unser Renommee hilft ohne Frage. Man steht auch nicht mehr im Verdacht, nur ein Festival zu organisieren, um sich selber Konzerte zu beschaffen, weil man außerhalb keine Auftritte bekommt.  


Schlagzeuger Jonas Burgwinkel




 Wie funktioniert das Label?

 

JB: Anfangs haben wir gesagt, wir wollen mindestens drei und höchstens sieben Produktionen pro Jahr machen. Heute sind wir flexibler. Wir brauchen solche Regeln nicht mehr, auch weil wir den Künstler klipp und klar sagen: Wir produzieren das Album, machen aber sonst nichts für euch. Für Werbung, Presse usw. müßt ihr selber sorgen. Wir bieten euch eine Plattform, ihr seid Teil eines – wie wir finden – schönen Katalogs und ihr könnt alles selbst entscheiden: das Artwork, ob die Veröffentlichung als Vinylplatte, als CD oder nur digital herauskommt – das ist alles eure alleinige Angelegenheit. Wenn das Album fertig ist, bekommt ihr eine Bemusterungsliste von uns und müßt dann für die Promotion selber sorgen. Es liegt also an euch, das Album in die Medien zu kriegen. Da das Label kein eigenes Budget hat, müssen die Musiker ihre Produktion selber finanzieren, bekommen dafür aber auch 100% der Erlöse. Und mal ehrlich: So arbeiten sowieso 90% aller Jazzlabels! Dass ein Jazzmusiker bei einem Label unterschreibt und dann nur noch warten muß, bis das Geld reinrollt, das ist reine Illusion.

 

Wer entscheidet, ob eine Produktion gemacht wird oder nicht?

 

JB: Da wird anonym abgestimmt. Wenn sich jedoch abzeichnet, dass es auf eine knappe Entscheidung hinausläuft, dann wird noch mal darüber gesprochen. Anfangs war das wahnsinnig zeitraubend, weil wir alles intensivst diskutiert haben. Über jede CD-Bewerbung wurde ausführlich debattiert. Das hat sich als nicht effizient erwiesen. Die anonyme Mehrheitsentscheidung hat sich dagegen bewährt. Es gibt allerdings auch ein Vetorecht, wenn jemand mit einer Entscheidung gar nicht leben kann.

 

Welche Zukunft sehen Sie für KLAENG?

 

JB: Das werden wir oft gefragt, meistens von potenziellen Förderern, die dann großartige Visionen erwarten. Denen müssen wir leider sagen: Für uns ist unser jetziges Niveau vollkommen ausreichend. Wir wollen nicht weiter wachsen und immer größer werden. Nein, wir sind ja alle Profimusiker, dazu Familienväter und bis auf eine Ausnahme noch als Professoren an Musikhochschulen tätig. Wir haben alle Hände voll zu tun. Wollten wir mit KLAENG noch expandieren, müssten wir Leute einstellen und alles noch weiter ausbauen. Die Frage wäre dann: „Warum sollen wir als Musiker das machen?“ Das würde uns nur auffressen, weshalb wir dieses Level im Moment als angenehm empfinden, weil es machbar ist, uns nicht überfordert und wir trotzdem für eine so kleine Organisation einen ziemlich großen Output haben.