Sunday, 16 January 2022

Embryo & Madlib

 Mit offenen Ohren

 

Mit einem neuen Album und in neuer Besetzung erlebt die Ethno-Jazzrock-Formation Embryo derzeit ein fulminantes Revival – selbst der amerikanische Hiphop-Star Madlib outet sich als Fan




Interview von Christoph Wagner

 

 

CW: Embryo gibt es 2022 seit 53 Jahren. Nach dem Tod von Bandleader Christian Burchard 2018 hat sich die Münchner Formation neu aufgestellt und ist seither unter der Führung von Burchards Tochter Marja unterwegs. Das neue Album „Auf Auf“ erscheint auf dem Label Madlib Invazion des amerikanischen Hiphop-Produzenten Madlib, einem „Mover and Shaker“ der Black-Music-Scene in den USA, der von
und  Kanye West mit allen gearbeitet hat. Wie kam die Verbindung zustande?

 

Marja Burchard: 2010 kam eine Anfrage aus heiterem Himmel, dass Madlib Interesse hätte, mit Embryo zusammenzuarbeiten. Madlib ist ein ungeheurer Musikliebhaber, der seit Jahren die Embryo-Schallplatten sammelt. Er hat ja eine der größten Plattensammlungen überhaupt, Tausende und Tausende von Vinyl-Scheiben. Sein musikalisches Interesse ist extrem weit gespannt. Als Madlib dann für Auftritte nach Europa kam, haben wir uns mit ihm getroffen hier in München im Schwabinger Keller. Mein Vater, als alter Hippie, dem Erfolg per se verdächtig war, hat ihn dann auf Herz und Nieren geprüft, ob er auch von Musik etwas versteht. Er hat ihn nach Dutzenden von Musikern befragt, und Madlib kannte sich vorzüglich aus. Das hat das Eis gebrochen. Wir haben gemerkt, das ist kein Scharlatan, der Typ kennt sich echt in der Musik aus.

 

CW: Gab es eine Session?

 

Marja Burchard: Ja, wir haben einfach unsere ganzen Instrumente aufgebaut dort unten im Keller und los gings. Er war mit Feuereifer dabei, wie so ein kleiner Junge, der sich einfach freut, mit uns hier Musik machen zu können. Er hat mal Schlagzeug gespielt, dann Keyboards. Das Marimba hatte es ihm besonders angetan. Wir hatten sofort einen direkten Draht, und das ging dann richtig ab. Er war total begeistert und wollte gar nicht mehr aufhören, immer noch ein weiteres Stück und noch eins improvisieren. Die Leidenschaft für die Musik war mit Händen zu greifen. 

 

CW: Kam es auch zu einem Live-Auftritt?

 

Marja Burchard: Das war alles bereits festgezurrt und angekündigt, doch musste er dann kurzfristig wegen einer Operation absagen. Das Konzert fand trotzdem statt, allerdings ohne ihn. Es ist auf Youtube zu sehen und heißt „Embryo without Madlib“, was humorvoll gemeint ist, weil ja alle Konzerte von Embryo „without Madlib“ sind.


Madlib-Jam mit Embyro, 2010 (Foto: Embryo)

 

CW: War eine Schallplatte geplant?

 

Marja Burchard: Ja, aber dann wurde mein Vater krank. Es wurde dann versucht, das nochmals in Angriff zu nehmen, auch meinem Vater zuliebe, kam aber nicht mehr zustande. Es ist weiterhin in der Pipeline, und möglicherweise wird noch irgendwann etwas daraus. Madlib ist einfach extrem ‚busy‘.

 

CW: Wie kam es dazu, dass euer neues Album auf seinem Madlib Invazion-Label erscheint?

 

Marja Burchard: Wir blieben in Kontakt, schrieben uns ab und zu eine Email. Er und sein ‚Right Hand Man‘ Eothen Alapatt, den alle nur unter dem Namen Egon kennen, waren interessiert zu wissen, was wir machen, und wir waren andersherum ebenfalls an deren Aktivitäten interessiert. Wir erzählten ihnen, dass wir im Studio sind, um eine neue Platte aufzunehmen, und sie sprangen sofort darauf an. Sie waren heiß darauf, die Aufnahmen zu hören. Egon war völlig begeistert und hat sie gleich an Madlib weitergeleitet, und zack! – schon hatten wir ein Label. Innerhalb von ein paar Stunden kam die Zusage, wogegen wir bei anderen Labels oft Wochen und Monate auf eine Antwort gewartet haben. Egon und Madlib kennen einfach die ganze Embryo-Geschichte in und auswendig und waren begeistert, wie sich das jetzt weiterentwickelt. Andere Labels haben diese Background nicht, wussten oft nicht, woher wir kommen und konnten uns irgendwie nicht so richtig einordnen. 

 

CW: Madlib und Egon sehen euch anders. Für die beiden seid ihr nicht die Hippie-Krautrockband, ein Image das Embryo ja in Deutschland noch immer anhaftet....

 

Marja Burchard: Genau. Madlib und Egon sehen das rein musikalisch. Sie wissen über die Geschichte der Band Bescheid. Sie wissen, dass Embryo mit schwarzen „Heavy Weights“ wie Mal Waldron, Jimmy Jackson und Monty Waters gespielt hat und deswegen verehren sie die Band.

 

CW: Was erwartet ihr von der Veröffentlichung?

 

Marja Burchard: Es ist natürlich toll bei Madlib die Platte herauszubringen, weil sein Label international aufgestellt ist, wodurch sich für uns hoffentlich neue Möglichkeiten eröffnen. Wir merken bereits, dass es in Hiphop-Kreisen plötzlich Interesse an Embryo gibt, weil wir mit Madlib zu tun haben. Das hat schon eine Wirkung, wobei Musiker aus dem Hiphop-Umfeld mir immer schon als die Neugierigsten vorkamen. Sie interessieren sich für jede Art von Musik – Jazz, Beat, Klassik, Ethno, Easy Listening. Diese musikalischen Fundsachen bauen sie später in ihren Mix ein.

 

Embryo: Auf Auf (Madlib Invazion)

 

Friday, 7 January 2022

Kretschmann's 'favourites'

In der NEUEn ZEITSCHRIFT FÜR MUSIK (gegründet 1834 von Robert Schumann) hat der baden-württembergische Ministerpräsident WINFRIED KRETSCHMANN einen Einblick in seine musikalischen Vorlieben gewährt, die er mit Internet-links versehen hat. Es geht kreuz und quer durch die musikalische Landschaft: von Beat zu Jazz und von Blasmusik zur Oper. Auch die Avantgarde darf nicht fehlen. Ich hab bei der "Geburt" des Beitrags ein bisschen die Finger im Spiel gehabt.

Einer von Kretschmanns 'Favourites' ist 'Take Five' vom Dave Brubeck Quartet.




Jetzt haben die Stuttgarter Nachrichten das Thema aufgegriffen:

https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.playlist-des-regierungschefs-von-baden-wuerttemberg-hochkultur-trifft-auf-underground-fuer-kretschmann-ein-hit.0be7b14c-4808-489c-ab53-6e12543f9bda.html



Links zur NEUEn ZEITSCHRIFT FÜR MUSIK. Das neue Heft (4-2021) trägt den Titel "Hyperorgel"

https://musikderzeit.de/ausgabe/hyperorgel/

www.facebook.com/neue.zeitschrift.fuer.musik


Sunday, 2 January 2022

Geoff Muldaur – Folkpionier mit Hang zur Klassik

Einmal Endstation und zurück

 

Er trat mit den Doors auf, und Janis Joplin spielte bei ihm im Vorprogramm – jetzt legt Geoff Muldaur ein neues Album vor

 

cw. Anfang der 1980er Jahre war Endstation: Geoff Muldaur stieg aus dem Popgeschäft aus. Er zog sich auf die kleine Insel Martha’s Vineyard vor der amerikanischen Ostküste zurück, rührte keinen Alkohol mehr an und ging stattdessen fischen und jagen. „Wenn ich mit meiner damaligen Lebensweise weitergemacht hätte, wäre es schlimm ausgegangen,“ sagt der 78jährige heute. 1984 zog er nach Detroit, nahm einen Job in der Autoindustrie an und programmierte von nun an Software für die Stahlproduktion. 

 

Bei seinem Abgang war Muldaur bereits 20 Jahre als Musikprofi im Geschäft. 1962 hatte er als 19jähriger mit seinem Kumpel Jim Kweskin in Boston die Kweskin Jug Band gegründet. Ein kometenhafter Aufstieg folgte: Die Gruppe trat mit Jim Morrison und den Doors auf, während bei einem anderen Konzert Janis Joplin im Vorprogramm spielte. Bei Festivals lernte die Band etliche Bluesveteranen kennen, von denen sie Lieder übernahm. „Die alten, schwarzen Bluessänger gingen bei mir ein und aus, wenn sie zu Auftritten in Boston waren,“ erinnert sich Muldaur. „Der Sänger Son House saß in meiner Küche und erläuterte, wie man illegalen Schnaps brennt.“


Geoff Muldaur (dritter von links) mit der Kweskin Jug Band


1969 geriet die Kweskin Jug Band in eine Schaffenskrise und löste sich auf. Ihr Manager Albert Grossman, der auch Bob Dylan vertrat und einer der mächtigsten Männer im Popgeschäft war, besorgte Muldaur ein Haus in der Ortschaft Woodstock, zwei Autostunden von New York entfernt, wo viele der damaligen Popstars lebten. Bob Dylan und The Band waren nur die bekanntesten von ihnen, auch Van Morrison und Jimi Hendrix wohnten zeitweise dort. „Bei Parties waren sie alle da und es ging ziemlich ausgelassen zu,“ schmunzelt Muldaur. 

 

Besonders gut verstand er sich mit dem Harmonikastar Paul Butterfield, und bald hoben die beiden die Bluesband Better Days aus der Taufe. „Wir reisten im Flugzeug zu Auftritten. Im Spiel waren jede Menge Alkohol und Drogen – der ganze Rockstar-Wahnsinn,“ so Muldaur. Die Exzesse ruinierten seine Ehe mit der Sängerin Maria Muldaur. Die Fahrt in den Untergang nahm Tempo auf, bis zu jenem Tag als er voll auf die Bremse trat und den Notausgang wählte.

 

Nach ein paar Jahren Einsiedlerdasein zog Muldaur nach Detroit, um als Software-Entwickler zu arbeiten: morgens mit Anzug und Krawatte ins Büro, abends nach Hause zur Familie. Musik spielte in seinem Alltag nur noch eine Nebenrolle. 




1996 schaute ein alter Kumpel vorbei. Gitarrist Bob Neuwirth war in Detroit, um mit der Rocksängerin Patti Smith Plattenaufnahmen zu machen. Außerdem hoffte er Muldaur für eine gemeinsame Tournee zu gewinnen. „Eigentlich wollte ich ablehnen, aber dann stimmte ich doch zu!“ Er hängte seinen hochbezahlten Job an den Nagel und stürzte sich erneut ins turbulente Musikerleben, wobei er mehr und mehr Spaß am Arrangieren fand. Er tauchte in die klassische Musik ein und vertiefte sich in Partituren von Beethoven, Schubert und Strawinsky. Eine Idee reifte: Warum nicht alte Blues-, Hillbilly- oder Jazznummern mit frischen Arrangements zu neuem Leben erwecken? Sein Huldigungs-Album für den Jazztrompeter Bix Beiderbecke von 2003 war ein erster Schritt in diese Richtung, nun legt Muldaur mit „His Last Letter“ nach. 

 

Das Doppelalbum enthält frühe Blues- und Hillbilly-Songs sowie ein paar alte Jazznummern, dazu eine Komposition von Muldaur selbst. Lange hat der Perfektionist an der Platte gefeilt, immer wieder neue Arrangements ausprobiert und wieder verworfen, bis er schließlich das Ganze mit einem Dutzend Spitzenmusikern in Amsterdam einspielte. Jeder Titel sieht sich derart gekonnt ins Szene gesetzt, dass sich die traditionellen Songs in delikate, kammermusikalische Miniaturen verwandeln, bei denen die Folkinstrumente Banjo, Gitarre, Mundharmonika mit den Orchesterinstrumenten Cello, Klarinette, Fagott und Horn in wunderbarer Weise zusammenklingen. Für ein solch exquisites Klanggemälde haben sich zehn Jahre Arbeit wohl gelohnt.


Geoff Muldaur: His Last Letter (Moon River Music)