Wednesday 6 July 2022

Nachruf auf JÖRG BECKER – Jazzfotograf

Zum Tod von Fotograf JÖRG BECKER 

(8.7.1950 – 5.7.2022)

                                                    Jörg Becker (Foto: Hans Kumpf)



Ich kannte ihn noch aus Studienzeiten als Kommilitone aus dem Geschichtsseminar von Prof. Otto Borst an der Pädagogischen Hochschule in Esslingen: Jörg Becker gehörte dort Ende der 1970er Jahre zu den Älteren, er war ein paar Semester über mir. Jörg hat dann – wie ich auch – eine Lehrer-Laufbahn eingeschlagen, als Jazzfotograf wäre es unendlich schwerer gewesen, überhaupt ein Auskommen zu finden. 

 

Dann bin ich ihm Jahre später wiederbegegnet, als ich auf der Suche nach Fotos war, um einen Artikel für die Jazzthetik oder die Neue Zeitschrift für Musik zu bebildern. Zu Gudrun Endress von der Zeitschrift Jazzpodium hatte Jörg eh ein gutes Verhältnis. Sie liefen sich oft bei Konzerten in Stuttgart über den Weg. Auch war Jörg regelmäßig im Esslinger Kulturzentrum „Dieselstrasse“ bei Konzerten anzutreffen. Als ich für die taz in den 1980ern ein Interview mit Taj Mahal verabredet hatte, sind wir in Ludwigsburg gemeinsam ins Konzert des Bluesmeisters gegangen, Jörg mit seiner Kamera und langer Linse im Anschlag.

 

Als ich dann für die Illustration meiner Bücher über die deutsche bzw. südwestdeutsche Underground-Szene der 1970er Jahre Bilder suchte, war Jörg Becker der natürliche Ansprechpartner. Er hatte schon früh für das MPS-Label fotografiert, eindrucksvolle Fotos, die dann die Plattencovers schmückten. Aber auch in Jazzclubs und auf Festivals war er mit seiner Kamera regelmäßig unterwegs. Bei Bildanfragen meinerseits dauerte es immer ein paar Tage, und dann traf via Internet ein file mit Fotografien ein, die er aus seinem Archiv ausgegraben hatte. 

 

In meinen Büchern „Klang der Revolte – die magischen Jahre des westdeutschen Musik-Underground“ (Schott, 2013), „Träume aus dem Untergrund – als Beatfans, Hippies und Folkfreaks Baden-Württemberg aufmischten“ (Silberburg, 2017) und „Der Süden dreht auf – die Poprevolte der 60er- und 70er Jahre in Bildern“ (Silberburg, 2019) sind zahlreiche seiner besten Fotos zu sehen: immer nah dran am Geschehen – ob musikalisch, politisch oder gesellschaftlich.


Ganz nah dran – Bluesmusiker Sonny Terry, 1977 (Foto: Jörg Becker)




 

Wir telefonierten regelmäßig alle paar Monate. Manchmal war Jörg nicht zu erreichen: Dann war er mit seiner Frau seinen Sohn in Berlin besuchen. Auch lief man sich gelegentlich beim Jazzfestival im Stuttgarter Theaterhaus über den Weg, was meistens in einer längeren Plauderei mündete. Jörg war einfach ein sehr netter aufgeschlossener Mensch, auch lange Zeit politisch bei den GRÜNEN in Ämtern aktiv.

 

Pläne für eine schon vor Jahren angedachte Fotoausstellung „50 Jahre Jazz in Baden-Württemberg“ wurden dann von der Pandemie durchkreuzt. Danach dachte Jörg, ob es nicht vielleicht sinnvoller wäre, die Fotos auf einer eigenen website der Öffentlichkeit zu präsentieren. Daran hat er in letzter Zeit intensiv gearbeitet. Hunderte Negative seit den 1970er Jahren durchgesehen, die besten ausgewählt, eingescannt, retouchiert – eine Höllenarbeit. Aber er wollte sein Lebenswerk irgendwo dokumentiert sehen. Es ist noch nicht so lange her, da konnte er seine spektakulären Fotografien von Sun Ra beim ersten Auftritt des Arkestras 1971 in Donaueschingen für eine Vinyl-Dokumentation eines englischen Labels zur Verfügung stellen. Darauf war er stolz, auch dass er nicht – wie üblich – mit einem kümmerlichen Honorar abgespeist wurde. Jetzt ist Jörg Becker am 5. Juli 2022 drei Tage vor seinem 72. Geburtstag überraschend an einem Herzinfarkt  in seiner Heimatstadt Ditzingen verstorben. Ich bin geschockt und zutiefst traurig. Die Freunde werden weniger.


Sun Ra in Donaueschingen, 1971 (Foto: Jörg Becker)




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