Wer glaubt, Platten sind out, ist von gestern
Vinyl-Schallplatten erleben momentan einen Boom. Einer der größten Plattenläden befindet sich in Stuttgart – Anziehungspunkt für „Vinyl Junkies“ aus der ganzen Welt
Lord of the Vinyl: Rainer Rupp in seinem Laden (Foto: Christoph Wagner)
cw. Seit Jahren erlebt die Vinyl-Schallplatte ein Comeback. Als Mitte der 1980er Jahre die Compact Disc aufkam, schien das Ende der schwarzen Scheibe nur noch eine Frage der Zeit zu sein. 40 Jahre später ist die CD im Verschwinden begriffen und Vinylschallplatten so gefragt wie seit langem nicht mehr. Um die Nachfrage nach raren Aufnahmen zu befriedigen, entstanden Fachgeschäfte, die sich auf gebrauchte Vinylplatten spezialisierten. Einer der deutschlandweit größten Läden befindet sich in Stuttgart gleich gegenüber der Liederhalle: Second Hand Records ist ein wahres Paradies für Liebhaber und Sammler. „Vinyl Junkies“ aus ganz Deutschland und darüber hinaus pilgern nach Stuttgart, in der Hoffnung vielleicht eine sehnsüchtig gesuchte Single oder LP zu ergattern. Selbst für Plattenfans aus Japan ist bei einer Deutschlandreise der Besuch des Shops in Stuttgart ein Muß.
Sieben Beschäftigte betreiben die 300 m2 große Ladenfläche, die sich über zwei Stockwerke erstreckt, wobei sich darunter im Keller noch ein riesiges Lager befindet. Über 100.000 Scheiben stehen zum Verkauf, wobei viele im unteren Preissegment zwischen einem und fünf Euro angesiedelt sind, rare Sammlerstücke allerdings auch schon mal 1000 Euro und mehr kosten können. Die teuerste Schallplatte, die im Moment angeboten wird, ist ein makelloses Original von „Bryter Layter“ des englischen Folksängers Nick Drake, das für 800 Euro zu haben ist. „Nick Drake hat Anfang der 1970er Jahre nur wenige Schallplatten verkauft und wurde nach seinem frühen Tod zur Kultfigur, dessen Scheiben von Fans weltweit gesucht werden,“ erklärt Ladeninhaber Rainer Rupp den hohen Preis.
Second Hand Records, Stuttgart (Fotos:Markus Milcke)
Second Hand Records sind, was das Sortiment betrifft, breit aufgestellt: von Rock, Pop, Punk, Blues, Jazz und Swing über Folk, Country und Weltmusik bis zu Klassik, zeitgenössischer E-Musik und avantgardistischen Klängen ist jede Stilrichtung vertreten, wobei über 90% des Umsatzes im Laden erzielt wird, der Rest auf Verkaufsplattformen im Internet. „Uns ist es wichtig, dass die Fans in den Laden kommen, weil man hier Entdeckungen machen kann,“ erklärt Rupp. „Nicht selten spielen wir eine Platte und ein Kunde kommt spontan an die Kasse und will sie erwerben, weil ihm die Musik so gut gefällt.“
1984 wurde Second Hand Records von Helmut Faber ins Leben gerufen, der sich von Anfang an auf gebrauchte Vinylplatten spezialisierte. Der heutige Geschäftsinhaber Rainer Rupp kaufte dort als Teenager seine ersten „Schallis“, um später selbst in den Betrieb einzusteigen, den er im Sommer 2013 übernahm. Zuerst residierte der Laden in der Stuttgarter Neckarstraße, dann am Charlottenplatz, um 2010 in die Leuschnerstraße umzuziehen, wo man direkt gegenüber der Liederhalle einen musikalisch doch recht passenden Standort gefunden hat.
Da auch Musiker und Musikerinnen nicht selten Schallplattensammler sind, bekommt Second Hand Records öfters prominenten Besuch. Von Jarvis Cocker (Pulp) über Thurston Moore und Lee Ranaldo der New Yorker Grunge-Rocker Sonic Youth bis zum Hardrocker Glenn Danzig (von der Gruppe Danzig), Mary Timony von Helium oder den deutschen Rootsrockern AnnenMayKantereit reicht die Liste der Stars, die bereits im Laden waren und ihn mit einem dicken Stapel Scheiben unterm Arm wieder verließen. „Oft kommen Musiker vorbei, wenn sie hier im Großraum Stuttgart einen Auftritt haben,“ erzählt Rupp. „Neulich war die Band Giant Rooks im Laden, die bei jungen Leuten sehr angesagt ist. Sie haben Eintrittskarten für ihr Konzert im Laden versteckt und darüber in den sozialen Netzwerken gepostet, was einen Sturm junger Leute auf unseren Laden ausgelöst hat, die zwischen den Scheiben nach den Freikarten suchten.“ Selbst für die neue Kulturstaatsministerin Claudia Roth, einst Managerin der Politrockband Ton Steine Scherben, ist Second Hand Records ein Begriff. Bei ihrem offiziellen Besuch in Stuttgart ließ Roth es sich nicht nehmen, neben dem Linden-Museum und der Oper auch Rainer Rupps Geschäft zu besuchen, was sie richtiggehend zum Schwärmen brachte: „Ein wahnsinnig toller Laden mit Musik aus allen Regionen der Welt. Wer glaubt, Platten sind out, ist von gestern.“
Fortwährend muß für Nachschub gesorgt werden. Da fliegt dann der Chef schon Mal nach Großbritannien, um eine Sammlung von 3000 Scheiben zu begutachten, die dann ein paar Tage später mit dem Kleintransporter abgeholt wird. Regelmäßig fahren Mitarbeiter zwei Mal im Jahr nach Amerika, um auf der „Austin Record Convention“ in Texas amerikanische Schallplatten zu erwerben, die es in Deutschland dann nur bei Second Hand Records gibt. Wegen solcher Schätze kommen die Kunden von weit her in die Leuschnerstrasse, was Second Hand Records zu einer Stuttgarter Attraktion macht – oben auf mit Daimlermuseum, Staatsgalerie, Fernsehturm und Wilhelma.