Thursday 12 October 2023

Interview mit Alexander Hawkins

Neue Horizonte aufreißen

 

Mit einer Masterclass an der Musikhochschule Zürich sowie seinem Trio ist Alexander Hawkins auf dem Unerhört-Festival präsent – im Interview gibt der englische Pianist und Komponist Auskunft über seine Musik, den Einfluß von Johann Sebastian Bach und das Ziel seines Unterrichtens

 



 

Seit 2012 besteht ihr Trio. Wie hat sich die Musik der Gruppe bis heute entwickelt?

 

AH: Mein Trio bestand anfangs aus Tom Skinner am Schlagzeug und Neil Charles am Baß. Wir nahmen ein Album auf, das deutlich jazzorientiert war. Dann wurde Tom Skinner mit Shabaka Hutchings‘ Sons of Kemet und mit The Smile erfolgreich, der Gruppe, die er mit den beiden Radiohead-Musikern Thom Yorke und Jonny Greenwood gründete. Das nahm ihn zeitlich dermaßen in Anspruch, dass die Zusammenarbeit in meinem Trio immer schwieriger wurde. Da ich meine Kompositionen den beteiligten Musikern auf den Leib schreibe, musste ich mich nach einem anderen Drummer umsehen. So kam Stephen Davis in die Band, was eine Veränderung der Musik mit sich brachte.

 

War der personelle Wechsel die einzige Veränderung?

 

AH: Bei weitem nicht. In den letzten Jahren brachte ich mehr konzeptionelle und strukturelle Ideen ein, bedingt durch die Erfahrungen, die ich etwa in der Zusammenarbeit mit Anthony Braxton gemacht hatte. Vermehrt verwende ich heute Kontrapunkt, d.h. die polyphone Technik zweier gegenläufiger Melodiestimmen, die in der Barockmusik ihre Blütezeit hatte. Ich habe in der Vergangenheit viel frei improvisierte Musik gespielt, ob mit Evan Parker oder Louis Moholo, aber in meiner eigenen Musik war ich daran nie wirklich interessiert. Mir geht es um Organisation. Ordnung und Struktur sind Elemente, die mich mehr und mehr faszinieren.

 

Ich habe gelesen, dass Sie zum Üben Johann Sebastian Bach spielen. Das ist Kontrapunkt in Vollendung. Wirkt Bach als Einfluß?

 

AH: Ja und nein. Eines ist klar: Bachs Musik ist in ihrer Organisation von transzendenter Schönheit. Das schiere handwerkliche Können dahinter ist ungeheuer bewegend und sehr wichtig für mich. Der Jazz läuft oft Gefahr, mit vielen Noten und Tönen herumzuwerfen. Hingegen gibt es bei Bach oder auch bei Janáček keine Note, die zu viel ist. Diese Perfektion ist unglaublich, vor allem vor dem Hintergrund unserer heutigen Gesellschaft, die in einer Flut von Informationen zu versinken droht. Ich muß mich in dieser Hinsicht allerdings an der eigenen Nase fassen. Als ich jünger war, habe ich auch viel zu viele Noten gespielt.

 

Man reift musikalisch ....

 

AH: Hoffentlich! Doch im Jazz wird bis heute viel Wert vor allem auf eine virtuose Spieltechnik gelegt. Konzepte und Ideen kommen dabei zu kurz, was ich als Mangel empfinde.


Alexander Hawkins Trio



 

Seit einiger Zeit verwenden sie Elektronik ....

 

AH: Das ist richtig. Das Klavier habe ich voll im Griff, während die Elektronik neu für mich ist. Ich begreife ihre Grundprinzipien, doch ist da immer ein Faktor Unberechenbarkeit im Spiel, und das ist genau der Grund, der mich daran fasziniert. Elektronik bringt ein Element von Zufall, Unvorhersehbarkeit und Spontanität in meine Musik ein.

 

Welches elektronische Equipment kommt zum Einsatz?

 

AH: Im Studio arbeite ich neben dem Piano mit einem Prophet-Synthesizer und einem Sampler, bei Konzerten nur mit Sampler. Der Sampler dient als Ergänzung zum Piano, steht also nicht im Mittelpunkt, sondern sorgt für andere Klangfarben im Hintergrund, untermalt die Musik dezent. Es geht darum, Möglichkeiten zu erkunden, wie sich durch Elektronik der musikalische Ausdruck steigern läßt. 

 

Was für Samples kommen zum Einsatz?

 

AH: Eine große Bandbreite. Einige generiere ich von meinen eigenen Schallplatteneinspielungen, die ich bearbeite und verfremde. Andere entwickle ich mit dem Synthesizer oder dem Piano. Auch habe ich gelegentlich Wortfetzen in die Musik eingespeist, etwa ein paar Sätze meines alten Bandleaders Louis Moholo, dem südafrikanischen Schlagzeuger. Es sind Sätze, die sehr persönlich sind und deshalb von Bedeutung für mich. Ich möchte nicht in die Klischeefalle geraten, die der Sampler natürlich auch darstellt. Direkte Rede in der Musik kann sehr kraftvoll sein, aber auch ziemlich abgedroschen wirken. 

 

Kommt es bei diesen Sprach-Samples auf das Gesagte an oder sind es nur Stimmen ohne inhaltliche Bedeutung?

 

AH: Es kann beides sein. Stimme kann als Klang interessant sein. Auf der anderen Seite habe ich unlängst ein Sample von Sun Ras Stimme eingesetzt – sehr direkt, weder manipuliert, noch verformt. Und da kommt es dann schon auf den Inhalt an, der mir in diesem Fall wichtig ist. Das Zitat ist auf schmerzliche Weise relevant für Vorgänge von heute. Es geht um Flüchtlinge auf Booten. 

 

Solche Statements berühren die Schnittstelle zwischen Politik und Musik. Wie denken Sie über diesen Punkt?

 

AH: Schon der Akt Musik zu machen, kann politisch sein, nämlich dann, wenn die Musik aus dem üblichen Gang der Dinge ausbricht und einen anderen Horizont aufreißt. Natürlich sollte man die Wirkung nicht überschätzen, wie es manche Musiker oder Musikerinnen tun, die sich politisch radikal vorkommen, weil sie radikale Musik machen. Das ist Quatsch! Die Leute, die wirklich radikal sind, sind Arbeiter und Angestellte, die an vorderster Front im Berufsleben stehen und z. B. in einen Streik treten, also direkt an politischen Auseinandersetzungen beteiligt sind. Im Gegensatz dazu sollten sich Musiker nicht so aufplustern. 

Trotz all dieser Einwände, ist es dennoch für Musiker wichtig, politisches Bewußtsein zu entwickeln. Sie sollten sich bewußt sein, dass es ein Privileg ist, das machen zu können, was man gerne tut, weil viele Menschen diese Option nicht haben. Wir haben die Freiheit uns auszudrücken, und diese Freiheit sollten wir nutzen. Dabei sollte uns aber klar sein, dass sich durch Jazz der Gang der Welt nicht ändern läßt. 


 Beim Üben daheim in Oxford


Sie haben vor ihrer musikalischen Karriere in Cambridge ein Jurastudium auf Promotionslevel absolviert und schauen auf die Politik nicht nur als Künstler, sondern auch als Jurist. Beeinflußt das ihre Sichtweise?

 

AH: Selbstverständlich. Mir ist dadurch bewußt geworden, wie kompliziert die meisten Sachverhalte heute sind, weshalb man sich vor allzu einfachen Parolen hüten sollte. Ich weiß, wie ein wirklich gut recherchiertes Argument aussehen muß, das die Dinge von allen Seiten beleuchtet und nicht schon beim ersten Einwand in sich zusammenfällt. 

Musik drückt viele schöne und aufregende Dinge aus, ist aber eigentlich ein zu plumpes Mittel, um sich zu Politik oder Gesellschaft zu äußern. Musik kann anderes besser: inspirieren, begeistern oder auch Menschen in eine andere Sphäre versetzen, um Ruhe und Abstand vom täglichen Chaos zu finden. Sun Ra hat das vorgemacht: Seine Weltraummythologie war eine Art von Eskapismus, um dieser fürchterlichen Wirklichkeit aus Rassismus, Segregation und Gewalt zu entfliehen und ihr etwas Positives entgegenzusetzen.

 

Sie tendieren dazu, mit Musikern über einen längeren Zeitraum zusammenzuarbeiten....

 

AH: Das ist richtig, obwohl ich natürlich auch weiß, dass neue Begegnungen frische Impulse bringen können. Aber mit den gleichen Musikern lange Zeit zusammenzuspielen, bringt einen Grad an Vertrautheit, Empathie und Verständnis mit sich, was es erlaubt, tiefer in die Musik einzudringen. Man kann größere Risiken eingehen, weil man sich gut kennt und sich auf die anderen verlassen kann. Bei Improvisationen kann der Eindruck entstehen, dass wir im Trio oft komplett verschiedene Dinge spielen, und schlagartig sind wir dann plötzlich wieder vollkommen beieinander – das funktioniert nur, weil man sich kennt!

 

Sie geben während des Unerhört-Festivals eine Masterclass an der Musikhochschule Zürich. Was ist ihre Herangehensweise?

 

AH: Ich bringe ein paar meiner Kompositionen ein, mit denen wir uns dann beschäftigen werden. Sie bilden den Ausgangspunkt für die Studenten und Studentinnen, sich kreativ zu betätigen. Wir kleben nicht an den Noten, sondern entwickeln Ideen und Möglichkeiten, mit dem vorgegebenen Material umzugehen. Ich bin da ganz offen. Ich lerne ebenso von den Beteiligten. Ich erkläre ihnen die Gedanken und Ideen hinter meinen Kompositionen, die strukturellen Bausteine, die ich verwende. Ich erläutere, auf was es mir ankommt und hoffe, dass sie davon ein klein wenig inspiriert werden für ihre eigene Musik. Es wird diskutiert: Wie strukturiere ich eine Komposition? Wie ökonomisch gehe ich mit den Noten um? Wie gestalte ich ein Solo im Kontext eines bestimmten Stücks? Solche Debatten sollen helfen, einen eigenen ästhetischen Standpunkt zu entwickeln. Im Idealfall sollte am Ende für alle Beteiligten ein wenig klarer sein, was sie künstlerisch wollen.


Hawkins in einer Band mit Shabaka Hutchings, zweiter von links



 

Die Studenten und Studentinnen sind eine Generation jünger als Sie. Sind Sie an deren Musik interessiert?

 

AH: Um gleich einem Mißverständnis vorzubeugen: Ich finde es wichtig, die Musik jeder Altersgruppe zu hören. Das habe ich von Anthony Braxton gelernt: Für jede Art von Musik empfänglich zu sein und Ideen und Gedanken in Betracht zu ziehen, egal woher sie kommen. Auch wenn ich Musik höre, die mir nicht zusagt, ist es doch eine interessante Frage: Warum gefällt mir das nicht? Man lernt dabei viel über sich selbst und seine eigene Haltung. In England gibt es im Moment eine junge Szene, die Jazz wieder in alternative Veranstaltungsorte bringt und ihm seine einstige Körperlichkeit zurückgibt. Diese Musiker und Musikerinnen holen Jazz aus dem Ghetto der traditionellen Jazzclubs heraus und werden deswegen von der älteren Generation heftig kritisiert. Ich finde diese Musik nicht durchgehend aufregend, doch hat diese Szene einiges, was für sie spricht. Es gibt dort etliche hochtalentierte Musiker und Musikerinnen mit ganz eigenen, starken Visionen, die wissen, auf was sie hinaus wollen. Ihre Haltung und ihr Einsatz ist bewundernswert. Das sehe ich auch als übergeordnetes Ziel meiner Masterclass: Ich möchte dazu beitragen, dass junge Musiker und Musikerinnen einem Schritt weiterkommen auf dem Weg, eine eigene künstlerische Identität zu entwickeln. Denn darauf kommt es letztendlich an.

 

Alexander Hawkins Trio: Carnival Celestial (Intakt, 2023)


Alexander Hawkins ist mit seinem Trio (29. Nov, Rank; Beginn: 21:45) und der masterclass (28. Nov, Club Mehrspur, Beginn: 20:30) auf dem Zürcher Unerhört-Festival zu hören.

Info: unerhoert.ch

 

 

 

No comments:

Post a Comment