Widerstand
Die politische Geschichte des afroamerikanischen Jazz
Jazz Composers' Guild, New York City 1964
cw. Wenn ein Buch „The Sound of Rebellion“ heißt, an wen denkt man da? Joan Baez, Gil Scott-Heron, vielleicht Ton Steine Scherben? Peter Kemper schlägt eine andere Richtung ein, die der Untertitel „Zur politischen Ästhetik des Jazz“ andeutet: Auf 750 Seiten geht es (fast) ausschließlich um die Widerstandsgeschichte des schwarzen Jazz in den USA.
Achtzehn Kapitel umfaßt das Buch, die chronologisch jeweils eine andere Musikerpersönlichkeit ins Zentrum rücken. Duke Ellington, Billie Holiday, Max Roach und Abbey Lincoln werden behandelt, auch Charles Mingus, Sun Ra, Albert Ayler und John Coltrane portraitiert, um mit Kamasi Washington, Matama Roberts und Moor Mother in der Gegenwart zu landen. Kempers Fragestellung ist immer dieselbe: Wie setzten bzw. setzen sich afroamerikanische Jazzmusiker und -musikerinnen mit der rassistischen Diskriminierung auseinander?
Das Buch beginnt mit Louis Armstrong, der durch seine Erfolge zuerst zum Stolz der afroamerikanischen Community wurde, dann aber durch Anbiederungen an die weiße Mehrheitsgesellschaft bei Rassismus-Kritikern in Ungnade fiel, die er allerdings durch ein einziges Interview eines Besseren belehrte. Darin klagte der schwarze Jazztrompeter aus New Orleans den amerikanischen Präsidenten der Untätigkeit im Streit um den Schulzugang schwarzer Kinder an, sprich: der Komplizenschaft mit weißen Rassisten, wobei er auch im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung nicht bereit war, die Anschuldigungen zurückzunehmen.
Andere Kapitel erweitern den Blickwinkel und beschreiben Organisationsversuche schwarzer Gegenmacht. Im Kapitel über das Art Ensemble of Chicago wird die Association for the Advancement of Creative Musicians (AACM) erwähnt, eine Musikerselbsthilfeorganisation, die 1965 in Chicago gegründet wurde. Ähnliche Ziele verfolgte die Jazz Composers‘ Guild, die ein Jahr zuvor in New York die „October Revolution in Jazz“ ausgerufen hatte. Kemper widmet ihr ein ganzes Kapitel und zeichnet die unterschiedlichen Interessen der Beteiligten nach, benennt Widersprüche und gegenseitige Animositäten, die letztlich zum raschen Verfall der Guild führten, während die AACM bis heute besteht.
Das Buch ist eine Riesenleistung, auch wenn man nicht jede Einschätzung teilt und auf so manche Abschweifung zugunsten einer detaillierteren Betrachtung etwa von Rahsaan Roland Kirk gerne verzichtet hätte, der sich als blinder Schwarzer nicht auf „Planet Earth“ sondern auf „Plantation Earth“ wähnte. Faktensicher entfaltet Kemper das Thema in äußerst profunder und detaillierter Form, ohne den kritischen Blick auf die Protagonisten zu verlieren, wobei am meisten verblüfft, in welch souveräner Manier er als „alter weißer Mann“ (Kemper) durch dieses identitätspolitsch stark verminte Gelände pirscht – Chapeau!
Peter Kemper: The Sound of Rebellion – Zur politischen Ästhetik des Jazz. 752 Seiten, 81 Abbildungen; Reclam Verlag; 38.- Euro
Marion Brown im französischen Fernsehen, 1967 (Youtube)