Wednesday, 28 February 2024

Scheibengericht Nr. 27: Jazz aus dem hohen Norden

Amalie Dahl's DAFNIE 


Mit originellen Ideen aus der Jazz-Sackgasse




Sich in der zeitgenössischen Jazzszene mit eigener Stimme Gehör zu verschaffen, ist zu einer äußerst diffizilen Herausforderung geworden. Originell zu sein in diesem weltweit riesigen Heer von hochkarätigen Musikerinnen und Musikern, scheint nahezu ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Arme Nachwuchsmusiker! Alles war schon mal da, alles scheint ausgereizt, alles klingt so, als ob man es schon zigmal gehört hätte. 

 

Fast alles! Immer wieder – und das sind rare Momente – taucht ein Musiker, eine Musikerin oder eine Band auf, die einen eigenen Ton anschlagen. Vorhang auf für Amalie Dahl’s Dafnie, ein Quintett aus Norwegen, das sich um die Saxofon-spielende Bandleaderin gruppiert, die für alle der acht Kompositionen verantwortlich zeichnet.

 

Stilistisch läßt sich die Gruppe aus Trontheim und Oslo kaum einordnen, praktizieren die fünf doch einen poly-stilistischen Ansatz, der trotzdem einen eigenen Kern besitzt. Es geht vom freien Spiel zu genau ausnotierten Kompositionen, von rauhen, aufbrausenden Improvisationen zu choralhaften Bläsersätzen. Manchmal spielen sich die drei Bläser ausgelassen und übermütig kleine Melodien zu, während Baß und Schlagzeug einen wuchtig-treibenden Rhythmus unterlegen. Am Ende mündet das Ganze in einem Unisono aller Instrumente, um danach die Saxofonistin auf Improvisationsreise zu schicken, die sie mit heißeren Schreien und Spaltklängen angeht. Man spürt den Einfluß der 1960er Jahren, doch nur als ein Stilelement unter vielen im großen zeitgenössischen Mix.

 

Das mannschaftsdienliche Spiel steht im Vordergrund, jeder Einzelne hat immer zuerst den Gruppenklang im Visier. Hier spielt eine Band, kein Solistenensemble, obwohl jeder auch ein beeindruckender Solist ist. 

 

Sätze und Erklärungen – die sich im Band-Info finden – wie, dass "die Musik ein Kommentar auf die ultra-kapitalistische Machtstruktur der Gegenwart ist", kann man getrost vergessen und dem jugendlichen Rebellionseifer und Oppositionsdrang der Musiker zuschreiben. Abgesehen davon, dass eine solche Parole nichts weiter als eine der vielen abgedroschenen linksradikalen Phrasen ist, hat sie – Gott sei Dank! – mit der Musik überhaupt nichts zu tun. Ein origineller Jazzmusiker mit einem eigenem ästhetischen Ansatz werden zu wollen, wäre künstlerisch gesehen schon Anspruch genug. Mit der Vorgabe, mittels Jazz das kapitalistische System aus den Angeln zu heben, macht man sich dagegen nur lächerlich. Der Musik wird damit eine krude Bedeutung übergestülpt, die sie verstümmelt, entwertet und der sie niemals gerecht werden kann. Dieser Illusion, mit Jazz politisch irgend etwas bewirken zu können, haben sich bereits Generationen von Musikern hingegeben und sind kläglich gescheitert. Der Mythos scheint bei jeder Generation wieder neu aufzuleben. Dagegen wendet der Verpackungskünstler Christo ein: „Kunst mit einem Anliegen ist immer Propaganda“ / „Art with a cause is always propaganda“(1). Was er meint, ist schlicht, dass Sinn und Zweck von Kunst nicht Politik ist, sondern Kunst. Damit könnte man es eigentlich bewenden lassen: Macht also lieber Jazz anstatt Propaganda. 

 

AMALIE DAHL'S DAFNIE:  Står Op Med Solen (LP/CD Aguirre ZORN105)

 

(1) https://news.artnet.com/art-world/artnet-asks-christo-350807


AMALIE DAHL'S DAFNIE im Klub Primi (youtube) 



Wednesday, 21 February 2024

Moderner Jazz im Bigband-Stil: Sarah Chaksad

Klangfarbenreichtum

 

Sarah Chaksad mit ihrem „Large Ensemble“ vor vollen Rängen beim Jazzclub Singen

 

Fotos: C. Wagner



 

Vor knapp hundert Jahren stand die Jazzbigband im Zenit ihrer Popularität. Mit ihrem Swing zogen Bandleader wie Duke Ellington, Paul Whiteman oder Fletcher Henderson Tausende von Jazzbegeisterten an, die ausgelassen zu den Rhythmen im „Jungle Style“ tanzten.

 

Je mehr der Jazz sich danach aus dem Zentrum der populären Musik zurückzog und von Tanz- zu Kunstmusik wurde, umso kleiner wurden die Ensembles, weil niemand mehr ein großes Orchester bezahlen konnte. Die Zuschauerzahlen gaben das einfach nicht mehr her. Heute unterhalten in Deutschland fast ausschließlich noch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eigene Bigbands, während ansonsten kleine Ensembles im Trio- oder Quartett-Format das Bild der improvisierten Musik bestimmen.

 

Umso bemerkenswerter ist Sarah Chaksad. Die junge schweiz-iranische Altsaxofonistin, Komponistin und Arrangeurin, 1983 in Luzern geboren, hat sich von wirtschaftlichen Bedenken nicht schrecken lassen und ein „Large Ensemble“ zusammengestellt, das mit seinen 13 Mitgliedern an eine kleine Bigband heranreicht und kaum auf die Bühne der „Gems“ passt. Sechs Männer und sieben Frauen bilden die Gruppe, ausnahmslos internationale Spitzenkönner, deren Bandbreite von noch unbekannten Talenten (etwa: Fabian Willmann, Jg. 1992 – Tenorsaxofon) zu arrivierten Namen (wie Julia Hülsmann am Klavier oder Eva Klesse am Schlagzeug) reicht.


Während die klassische Bigband-Besetzung aus 5 Saxofonen, 4 Trompeten, 4 Posaunen und einer Rhythmusgruppe aus Schlagzeug, Gitarre, Baß und Klavier bestand, hat sich – seit Gil Evans – das Instrumentarium zeitgenössischer Bigbands um einiges erweitert. Von der Tuba und dem B-Horn über Querflöte bis zur Klarinette und Baßklarinette sorgen immer mehr außergewöhnliche Instrumente für immer größere Klangvielfalt.

 

Chaksad behandelt ihr Orchester wie ein Maler seine Palette. Jedes Instrument bildet eine Klangfarbe, die sich alle miteinander kombinieren und mischen lassen, was ein fast unendliches Spektrum an Sounds ergibt, die die Komponistin mit kühnen Strichen auf die Leinwand aufträgt. 

 

Die Kompositionen nutzen die ganzen Möglichkeiten der Dynamik – von wuchtig laut bis ziemlich leise. Manchmal spielt nur ein einzelnes Instrument, dann wieder der volle Satz, wobei die Musik geschickt von auskomponierten Passagen zur Improvisation übergeht. Jedes Bandmitglied kommt so maximal auf zwei Soli am Abend, was die jeweiligen Solisten anspornt, ihr ganzes Können in diese raren Momente der kreativen Entfaltung zu legen. 



Auf dem Bukkehorn stach die norwegische Trompeterin Hildegunn Øiseth hervor, die dem ausgehöhlten Horn einer Ziege archaische-raue Töne entlockte, die wie von einer mittelalterlichen Holztrompete klangen. Als ähnliche Überraschung erwies sich die französische Klarinettistin Catherine Delaunay, die mit samtweichen Tönen einen deutlichen Kontrast zu den scharfen Einwürfen der Blechbläser schuf. Insgesamt entpuppte sich der Abend als eine überaus gelungene Präsentation abwechslungsreicher, moderner Jazzmusik im Bigband-Stil, von der das zahlreiche Publikum gerne noch mehr gehört hätte. 


Sarah Chaksad Large Ensemble: Together (Clap Your Hands)





 

Wednesday, 14 February 2024

SCHEIBENGERICHT 26: Aoife O’Donovan – All my Friends

Folk mit Orchester-Fülle


Seit mehr als zwanzig Jahren ist Aoife O’Donovan als Singer-Songwriterin aktiv. Anfangs war sie Mitglied diverserer Neo-Folk-Gruppen, um sich danach einen Namen als Solokünstlerin zu machen. Nun legt die Sängerin aus Brooklyn ein Album vor, das das Format einer Folkband sprengt, indem sie ihre Songs in aufwendige Orchester-Arrangements kleidet. Auf dem Eröffnungslied „All my friends“ gelingt das überzeugend, wobei der Chorgesang und die Bläserharmonien den hymnenhaften Charakter des Songs unterstreichen. Auf anderen Lieder scheint sich der Aufwand weniger zu lohnen. 

Inhaltlich kreisen die neun Titel um die Anfänge der Frauenbewegung, als Anfang des 20. Jahrhunderts Suffragetten in den USA das Frauenwahlrecht erkämpften. O’Donovan stellt Carrie Chapman Catt, die Anführerin der Suffragetten, ins Zentrum ihrer Lieder. Einzelne Songs thematisieren, gespiekt mit Zitaten aus Reden von Chapman Catt, verschiedene Etappen des erbitterten Kampfes. Zum Abschluß unterstreicht eine Interpretation von Bob Dylans „The Lonesome Death of Hattie Carroll“ die Aktualität des Themas und macht deutlich, dass dieser Kampf noch lange nicht gewonnen ist. 


 Aoife O’Donovan: All my Friends (Yep Roc Records)







Friday, 2 February 2024

Biondini-Godard-Niggli im Tübingen

Folkloristische Leidenschaft

Das Jazztrio Biondini-Godard-Niggli im Tübinger Südhaus


Biondini-Godard-Niggli in Tübingen (Foto: C. Wagner)




Noch vor 30 Jahren war das Akkordeon im Jazz quasi nichtexistent. Die Quetsche wurde in der Volksmusik gespielt, aber doch nicht in der improvisierten Musik – igitt! Heute hat sich die Situation vollkommen gedreht. Wer Luciano Biondini am Freitagabend im Tübinger Sudhaus auf dem Akkordeon hörte, hätte kaum daran gezweifelt, mit dem Akkordeon ein Urinstrument des Jazz vor sich zu haben, so stilsicher, virtuos, authentisch und gekonnt spielte der Italiener sein großes Knopfakkordeon, begleitet von zwei ebenso großen Könnern in der Rhythmusgruppe: Michel Godard (Baßgitarre, Tuba und Serpent) sowie Lucas Niggli am Schlagzeug. 

 

Ob leise, den Tönen nachlauschend, oder kräftig-auftrumpfend, ob verspielt oder geradeheraus, das Trio musizierte mit einer Leidenschaft und gegenseitigen Empathie, die Staunen macht. Dabei schimmert sowohl bei den Kompositionen als auch bei den Improvisationen immer auch Biondinis folkloristischer Background durch, der melodiestark und auf tänzerische Weise auf traditionelle Volksmusik- und Tanzformen verweist, sie zitiert und fantasievoll weiterspinnt. In seinen Händen verwandelt sich das Akkordeon in einer Orgel der Vorstadt, die sich im Spannungsfeld zwischen urbaner Moderne und ländlichen Traditionen bewegt.




Godard und Niggli nehmen diese Impulse auf, sorgen für Drive, aber auch für eher besinnliche Momente. Ebenso überzeugen sie in längeren Solos, die sie musikalisch gestalten, ohne die üblichen Klischees abzurufen, was ja eine Berufskrankheit vor allem der Schlagzeuger zu sein scheint. Insgesamt ein überzeugender Abend: Das Publikum verließ das Konzert in einer anderen Stimmung als es gekommen war – inspiriert, berührt, beschwingt. Kann Musik eigentlich Besseres leisten?