Tuesday, 17 December 2024

SCHEIBENGERICH Nr. 33: Jeff Parker – The Way Out of Easy

Entspanntes Fließen

Der Tortoise-Gitarrist mit eigenem Bandprojekt



Der Gitarrist Jeff Parker, in Los Angeles daheim, ist seit über drei Jahrzehnten ein Fixstern am Firmament im Grenzland zwischen Jazz und Rock. Zuerst mit Tortoise, dann mit Isotope 217 und dem Rob Mazurek’s Chicago Underground Trio bzw. Quartet hat er das Terrain immer wieder neu durchstreift, dabei erstaunliche, zum Teil innovative Entwürfe zu Tage gefördert.

 

Mit seinem neuen ETA IVtet knüpft er nahtlos an frühere Fusionsversuche an. Dieses Mal setzt Parker auf einen hypnotischen „laid back“-Groove, der sich völlig unaufgeregt und scheinbar endlos wiederholend durch die Zeit schiebt. Dieser Beat bildet das Fundament, über das Parker mit Hilfe etlicher Pedale und Josh Johnson mit seinem „processed saxophone“ ätherische Melodielinien legen, die sich ineinander verschlingen und fein kräuselnd durch die Lüfte schweben. Das minimalistische Prinzip von Repetition und Variation bildet den Kern dieser Musik, wobei Parkers behutsame Spielweise eher an die Gitarristen der alten Bebop-Schule erinnert, als an die Exorzismen von Hendrix & Co..

 

Das Grundprinzip dieser Ensemble-Musik, die sich über Jahre durch regelmäßige Gigverpflichtungen entwickelt hat, ist das sich Einfühlen in einen simplen Beat oder eine Akkordfolge, aus denen die Band dann alles entwickelt und erstaunliche Funken zu schlagen weiß. Nicht dass hier große Virtuosität zur Schau gestellt wird, auf technischen Exhibitionismus wird gänzlich verzichtet. Vielmehr kommt eine große Musikalität zum Tragen, die die Teilchen und Membrane zum Schwingen bringt. Das entspannte Fließen ist die entscheidende Komponente dieser Andachtsmusik, die sich jede Zeit der Welt nimmt. Vier Stücke befinden sich auf dem Album, keines kürzer als eine Viertelstunde. Hektisches kommt nicht vor. Entschleunigung ist Trumpf. Bezeichnend dafür ist, dass bis auf die Kontrabassistin Anna Butterss, alle anderen Musiker im Sitzen musizieren.


Jeff Parker ETA IVtet: Freakadelic (youtube)


 

Jahrzehnte zurück – Mitte der 1970er Jahre – hatte der englische Drummer John Stevens mit seiner Gruppe Away einen ähnlichen Fusionsversuch unternommen, über einem konstanten Rockgroove, frei zu musizieren. Mit der damals modischen „Fusion Music“ hatte das ebenfalls nichts zu tun, so wenig wie heute.

 

Jeff Parker ETA IVtet: The Way Out of Easy (International Anthem)

 

 

Monday, 16 December 2024

BEST OF 2024

Ein paar bemerkenswerte Alben von 2024:


The Necks: Bleed (Northern Spy / H’Art)


Graindelavoix / Björn Schmelzer: Ex Nihilo – Polyphony Beyond The Order of Things (Glossa Platinum)



Foto: Graindelavoix

Zum Reinhören:

https://www.youtube.com/watch?v=RDGkp9IYx70


J.J. Whitefield & Forced Meditation: The Infinity of Nothingness (Jazzman)


Ingrid Laubrock & Tom Rainey: Brink (Intakt)


Kudsi Erguner & Lamekan Ensemble: Fragments Des Cérémonies Soufies – L’Invitation à L’Extase (Seyir Muzik)


Eric Schaefer & Ensemble: Hayashi (blue pearls music)


Veretski Pass: The Peacock And The Sundflower (Borscht Beat)


Nite Bjuti (Candice Hoyes, Val Jeanty, Mimi Jones): Nite Bjuti (Whirlwind Recordings)



Zum Reinhören:

https://www.youtube.com/watch?v=tyG6PX-IIkg


Nightports / Matthew Bourne: Dulcitone 1804 (Leaf)


Samuel Rohrer: Music For Lovers (Arjuna Music)


Jeff Parker ETA IVtet: The Way Out of Easy (International Anthem)





Tuesday, 10 December 2024

LautYodeln Vol. 3 auf CD

CD-Taufe am 16. März 2025 im Münchner 'Fraunhofer'

Das 3. LautYodeln-Festival, das im Mai 2024 in München über die Bühne ging, wird – wie schon die beiden Editionen zuvor – auf CD dokumentiert werden. Die CD wird im März 2025 beim Münchner Trikont-Label erscheinen. Auf dem Album mit dabei ist die ganze Bandbreite aktueller Gruppen, die das Festival wieder zu einem einzigartigen Glanzpunkt machten, ob Vue Belle, Stimmreise.ch, Ernst Molden & Maria Petrova, Ganes oder Opas Diandl. Die CD-Taufe wird am Sonntag, den 16. März 2025 in Form eines Frühschoppens im München Traditionslokal Fraunhofer stattfinden, mit 'Live'-Musik versteht sich.

Als 'Appetizer' hier der 'Honde N-Da Da Jodler' von der Gruppe Opas Diandl aus Südtirol, 'live' at LautYodeln-Festival Vol. 3, Munich.




Trau di Jodeln

 Die dreifache Traudi (Siferlinger).



Wednesday, 4 December 2024

Scheibengericht Nr. 32: Veretski Pass & Joel Rubin

Klezmer mit Akkuratesse

 

Veretski Pass

The Peacock And The Sunflower

 

(Borscht Beat)



 

Klezmer-Gruppen gibt es wie Sand am Meer, doch nur die wenigsten haben die Klasse von Veretski Pass. Das Trio aus Kalifornien, das aus Cookie Segelstein (Geige), Joshua Horowitz (Akkordeon und Hackbrett) und Stuart Brotman (dreisaitiges Bassetl) besteht, spielt eine Klezmer-Musik, die sich um historische Akkuratesse und Authentizität bemüht, um einem Klang nahezukommen, wie wir ihn von alten Schellack-Platten kennen, den eingefrorenen Beispielen einer Klezmermusik, wie sie vor mehr als hundert Jahren geklungen hat. Zum dritten Mal haben sich die drei für ein Album mit Joel Rubin zusammengetan, vielleicht der beste Klarinettist der aktuellen Klezmerszene.

 

Die vier Musiker sind hochvirtuose Instrumentalisten, die mit allen Wassern der Klezmer-Spielweise gewaschen sind. Sie kennen die Tricks der Intonation, die kleinen melodischen Verschiebungen und harmonischen Dissonanzen, das Biegen der Töne, die Ornamentierung und die Triller, was alles zusammen einen Gruppenklang ergibt, der dicht und kompakt, rauh und doch voller Leben ist. Die meisten Stücke sind traditionelle Melodien aus der Ukraine, andere neue Kompositionen, die überwiegend von Cookie Segelstein stammen und die sich doch strikt in der Klangwelt des alten jüdischen Osteuropas bewegen. Manchmal handelt es sich um schnelle Tänze, dann wieder um langsame getragene Melodien, in denen fast immer eine feine stille Traurigkeit schwingt. 

 

Im Booklet-Text spricht Joel Rubin von Klezmer als einer Fusion-Musik, weil sie Spurenelemente  regionaler Volksmusikstile übernommen, aber auch populäre Melodien und Gassenhauer aufgesogen hat. Der „Novosilky March“, einer von 29 Titeln des Albums und kaum eine Minute lang, ist das beste Beispiel für diese Art von musikalischem Borschtsch, ein Marsch, der irritiert, weil man in jedem zweiten Takt die Verbindung zu einem anderen populären Stil zu erkennen meint. So fremd kann Klezmer klingen.

 

Auf bandkamp zum Reinhören:

https://borschtbeat.bandcamp.com/album/the-peacock-and-the-sunflower

Tuesday, 26 November 2024

Scheibengericht Nr. 31: Ingrid Laubrock / Tom Rainey

Ingrid Laubrock / Tom Rainey

Brink

(Intakt / Harmonia Mundi)


 

 

Gleich vorneweg: Dies hier ist ein superbes Album. Es ist das Kondensat unzähliger Sessions, die Ingrid Laubrock (Saxofone) und Tom Rainey (Drums) in den letzten Jahre miteinander gespielt haben. Auf intensivste Weise pflegte das Musikerehepaar das Duospiel gezwungenermaßen in den Monaten der Pandemie, als man keine anderen Musiker und Musikerinnen treffen konnte und die beiden anfingen, jeden Freitag ein Duo „online“ zustellen, welches sie während der Woche in ihrer Booklyner Wohnung entworfen, geprobt und aufgezeichnet hatten. So kamen genau 60 „Stir Crazy“-Editionen zustande. Den Wohnungsnachbarn sei gedankt für ihre unendliche Geduld.

 

Die Essenz dieser akribischen Beschäftigung mit dem Duo-Format ist jetzt auf diesem Album zu hören: 13 kurze Titel (der längste ist 5 Minuten lang, der kürzeste knapp eine Minute) entfalten eine Klanglichkeit wie sie unterschiedlicher nicht hätte sein können. Spaltklänge, Obertöne und Klappengeräusche bestimmen neben Laubrocks brüchigen, stillen oder aufbrausenden Saxofonlinien das musikalische Geschehen, das Tom Rainey in höchst sensibler Manier perkussiv zu kolorieren weiß. Kurze Interludes namens „Brink I – VI“ wirken als Kontrastmittel, bei denen sich das Saxofon manchmal wie eine stark verzerrte E-Gitarre anhört. Jedes Stück ist ein Balanceakt, der offen läßt, ob es komponiert oder improvisiert ist und so die Schwebe als idealen Aggregatzustand wählt. 


Zum reinhören:

https://laubrock-intakt.bandcamp.com/album/brink


 

Thursday, 21 November 2024

James Brandon Lewis mit dem Red Lily Quintet in Singen

Aus Gospel wird Jazz

James Brandon Lewis würdigt Mahalia Jackson beim Jazzclub Singen 


Fotos: C. Wagner

 

Im Kinofilm „Selma“ von 2014, der den Protestmarsch der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung 1965 von Selma nach Montgomery nachzeichnet, hat sie einen kurzen Auftritt. Am Telefon macht Mahalia Jackson dem verzweifelten Martin Luther King Mut, indem sie ihm ein Spiritual singt. Jackson (1911-1972) gilt als die Urmutter des religiösen Gesangs des schwarzen Amerikas und genießt als „Gospelkönigin“ höchstes Ansehen.

 

Der amerikanische Saxofonist James Brandon Lewis, der in seiner Jugend viel in Kirchen musizierte und dem seine Oma Mahalia Jackson nahe brachte, hat mit „For Mahalia, with love“ 2023 der Gospelsängerin ein ganzen Album gewidmet, als Würdigung der großen Vokalistin, die ihr Leben lang gegen die Erniedrigung und Herabwürdigung ihrer schwarzen Landsleute mit religiösen Hymnen ansang. Der Glaube an einen gerechten Gott ließ sie die Hoffnung auf ein Ende der Rassendiskriminierung nicht verlieren. 

 

Zu seinem Konzert beim Jazzclub Singen brachte James Brandon Lewis das hochkarätige Red Lily Quintet mit, das allerdings im Unterschied zu der Besetzung, die letztes Jahr das Album einspielte, inzwischen mehrheitlich aus Jazzmusikerinnen besteht, ein weiterer Beweis dafür, dass die Frauen im Jazz mächtig auf dem Vormarsch sind. 


 

Herausragend Tomeka Reid, momentan die tonangebende Cellistin im modernen Jazz. Ebenso überzeugend die Schlagzeugerin Lily Finnegan aus Chicago. Das Spiel der beiden besticht durch Präzision, Virtuosität und Energie, was auch für die Kontrabassistin Silvia Bolognesi aus Italien gilt, das einzige Mitglied der Band, das nicht aus den USA kommt. 

 

Angesichts solcher Power-Frauen muß sich Flügelhornspieler Kirk Knuffke mächtig ins Zeug legen, was ihm problemlos gelingt, gilt er doch als einer der besten Blechbläser der New Yorker Szene: Sein Ton ist glasklar, seine Melodielinien messerscharf. Über all dem schwebt der Geist von John Coltrane, dem Urvater des modernen Jazz, dessen tiefe Spiritualität in jeder Note von James Brandon Lewis‘ Saxofonspiel schwingt. Mit bebendem Ton schmettert der 41jährige die Gospelmelodien nur so heraus und treibt so die anderen zu immer größeren Höchstleistungen an.  


 

Aus dem riesigen Repertoire von Mahalia Jackson hat Brandon Lewis ein halbes Dutzend Gospels und Spirituals ausgewählt – so „Swing Low, Sweet Chariot“ oder „Wate in the Water“ – und sie für Jazzensemble arrangiert. Oft wird die Melodie nur angespielt, dann variiert, bevor der Faden improvisatorisch bis ins Freie weitergesponnen wird, wodurch ein fast hymnischer Sog entsteht, der die Zuhörer mitreist. In solch einem Moment springen in den schwarzen Kirchen der USA die Leute auf und tanzen und singen in ekstatischer Verzückung. So weit kam es bei den Zuhörern in der Gems allerdings nicht, die trotzdem vor Begeisterung eine Zugabe erklatschten.