Thursday 2 June 2022

Pfingsten 1972: 2. British Rock Meeting

Leuchtraketen aus der Baßtrommel

 

Vor 50 Jahren fand das deutsche „Woodstock“ auf der Rheinhalbinsel Grün bei Bruchsal statt – 70.000 Rockfans strömten zum 2. British Rock Meeting


Amon Düül 2 beim 2. British Rock Meeting 1972 (Foto: Manfred Rinderspacher)

 


 

cw. Sie reisten in buntbemalten VW-Bussen an, per Autostopp oder mit der Bahn – an Pfingsten 1972  (vom 20.– 22. Mai) pilgerten an die 70.000 Rockfans aus ganz Europa auf die Rheinhalbinsel Grün bei Bruchsal, wo das bis dahin größte Openair-Popfestival in Deutschland stattfand: das 2. British Rock Meeting. 

 

Nach einem heftigen Gerangel im Vorfeld (bis kurz vor Beginn war nicht klar, ob das Openair überhaupt stattfinden würde und wo?) ging das deutsche „Woodstock“ friedlich, entspannt und ohne größere Zwischenfälle über die Bühne, obwohl im Vorfeld schlimme Befürchtungen geäußert worden waren. „Tausende von Drogenabhängigen werden unsere Stadt zerstören“, hatte der Bürgermeister der angrenzenden Gemeinde Germersheim die Angst vor einer Hippie-Invasion zum Ausdruck gebracht. Doch am Ende war selbst die Polizei voll des Lobs für die langhaarigen und buntgekleideten Festivalbesucher. „Keine Zwischenfälle!“ gaben die Ordnungshüter Entwarnung.

 

Mehr als 30 Rockgruppen standen auf dem Plakat, angeführt von Pink Floyd, Rod Stewart und den Doors. Doch etliche der angekündigten Stars kamen nicht, dafür Rory Gallagher, The Kinks, Osibisa und Humble Pie. Bei einem Eintrittspreis von 22 DM meinte es der Wettergott gut mit den jugendlichen Popfans. Die meiste Zeit schien die Sonne. Die Schwierigkeiten begannen allerdings schon damit, überhaupt zum Festivalgelände zu gelangen, da es nur eine einzige Zufahrtstraße gab, die bald hoffnungslos verstopft war. 


Achim Reichel & Machines beim 2. British Rock Meeting 1972 (Foto: Manfred Rinderspacher)




 

Trotz einer Doppelbühne dauerte es oft lange, bis jeweils die nächste Band startklar war, wobei das Publikum eine Eselsgeduld bewies. Entfernte man sich ein paar hundert Meter von der Bühne, war die Musik kaum noch zu hören, obwohl die Verstärkeranlage nebst Crew extra aus England herangeschafft worden waren. Die Musiker konnten ebenfalls von vielerlei Ungereimtheiten berichten, vor allem die deutschen. Für sie gab es keine Garderobewagen, während das für die Stars aus England und Amerika eine Selbstverständlichkeit war. Die einheimischen Musiker mussten sich im Freien hinter der Bühne herumdrücken, bis sie mit ihrem Auftritt dran waren. 

 

Die Band mit dem kürzesten Anfahrtsweg war Guru Guru, die im Odenwald bei Heidelberg wohnte. Allerdings gab es da ein Problem: Bassgitarrist Uli Trepte hatte kurz zuvor die Gruppe verlassen. Für ihn sprang kurzerhand Hellmut Hattler von Kraan ein. „Das war schon eine tolle Erfahrung. Es war unglaublich vor so einer Menge von Leuten zu spielen,“ erinnert sich der Bassist aus Ulm. „Wir waren Samstagnacht dran – direkt nach Pink Floyd. Ich bin also einer der wenigen deutschen Rockmusiker, der von sich behaupten kann, dass Pink Floyd bei ihm im Vorprogramm spielte.“

 

Der Auftritt von Pink Floyd avancierte zum Höhepunkt des gesamten Festivals. Die Band aus England zelebrierte einen magischen Gig, der durch die superbe Lightshow noch eine visuelle Dimension bekam. „Das Totalerlebnis aus Klang, Farbe und Bühnenshow hatte echtes Format,” lobte ein Zeitungskritiker. Zum Finale wurden Leuchtraketen aus den beiden Baßtrommeln des Schlagzeugs abgefeuert.


Pink Floyd, 1972 (Foto: Martin Schultz)




 

Eine Band folgte auf die nächste und das rund um die Uhr, wobei nur die Umbaupausen eine Verschnaufpause gewährten. Popfans, die nahe der Bühne lagerten, brauchten ans Schlafen erst gar nicht zu denken, so laut dröhnte die Verstärkeranlage nahezu ohne Unterlaß. Zwischen den Zuhörern wuchsen die Müllberge beständig und begannen, nachmittags im warmen Sonnenschein einen üblen Geruch zu verbreiten. Sich zu waschen, stand ebenso außer Frage aus Mangel an Wasserstellen und Duschkabinen. Lange Schlangen mit Wartezeiten von über einer Stunde bildeten sich vor den Toilettenwagen, die bald kaum mehr zumutbar waren.

 

Trotz all dieser Widrigkeiten ließen sich die Popfans die Stimmung nicht verderben. Dass die Doors und Rod Stewart nicht auftraten, wurde mit Unmut zu Kenntnis genommen – doch was konnte man machen? Die Verärgerung bekam die englische Rockgruppe Uriah Heep zu spüren. Wegen eines schlaffen Auftritts wurden sie mit einem Dosenbombardement von der Bühne gejagt.

 

Drogen waren ein ernsthaftes Problem. Dutzende Festivalbesucher kollabierten und mussten ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen. Von der Bühne herab wurde immer wieder vor schlechten Drogen gewarnt. Für manchen Besucher erhöhte das aber nur den Abenteuercharakter des Festivals.


Curved Air bildeten den Schlußpunkt des Festivals (Foto: Manfred Rinderspacher)


 

Wegen vielerlei Erzögerungen dauerte der Musikmarathon bis übers Pfingstwochenende hinaus. Am frühen Dienstagmorgen stand mit der englischen Formation Curved Air die letzte Band auf der Bühne – gerade als die Sonne aufging. „Das war für uns Musiker ein unvergessliches Erlebnis“, schwärmt der Keyboarder der Gruppe noch heute. Und dann traten die Festivalbesucher wieder den oft langen Heimweg an – wer ohne Auto da war, mit dem Daumen im Wind und dem Schlafsack unterm Arm.



Das Germersheim-Festival 1972 hatte einen Vorgänger –

Fernsehbericht über das 1. British Rock Meeting, 1971 in Speyer (youtube)



1 comment:

  1. Ich war selber da und finde den Artikel von Christoph Wagner (generell seine ganze, konstante Arbeit) schlicht ausgezeichnet! Meines Wissens ist etwas von den Auftritten in Germersheim auf Dime erhalten. Da www.dimeadozen.org eine legale Download-Seite ist, wäre es durchaus legal und hilfreich, darauf zu verweisen (falls wirklich einige der Torrents noch aktiv sind). Allerdings müsste man dazu ein Konto haben oder eröffnen (können). Oder halt einen Freund kennen ...

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