Friday 24 August 2012

THE FUGS - Interview mit Ed Sanders


Rock-Archäologie 3:


The Fugs  - die ultimative Politrock-Sponti-Truppe des US-Undergrounds



Subversive Rockmusik, die amerkanische Gegenkultur der 60er Jahre und der amerikanische Traum
 
Ein Interview mit dem Literaten und Rocksänger Ed Sanders (The Fugs) von Christoph Wagner
 
In den 60er Jahren waren die Fugs “the Lower East Side’s most fantastic protest rock ‘n’ roll peace-sex-psychedelic singing group” - die ultimative Politrock-Sponti-Truppe des amerikanischen Untergrunds. Ende 1964 in New York von den beiden Beat-Poeten Tuli Kupferberg und Ed Sanders gegründet, hatte sich die Band bereits vor dem Woodstock-Festival 1969 wieder aufgelöst. In den fünf Jahren ihrer Existenz haben Tuli Kupferberg (Gesang), Ed Sanders (Gesang) und Ken Weaver (Schlagzeug) mit wechselnden Gastmusikern ein eigenständiges Genre geschaffen - eine fulminante Form des subversiv-anarchischen Rock-Kabaretts, das alles beinhaltete: Performance-Art, Satire, Pop- und Folksongs, Happening, Stand-Up-Comedy, die elektrischen Sounds der Avantgarde, Slapstick und Poetry. Bei den Fugs wurde jeder Auftritt zu einem wilden Gemenge all dieser Elemente, voll von Spontanität, Biss und Ironie. Die Underground-Band nahm kein Blatt vor den Mund und ließ die Hosen runter. Sie schockten die Öffentlichkeit mit Tabu-Brüchen, radikalen Polit-Attacken und Obszönitäten, wobei ihre Zuhörer vor Vergnügen jauchzten und quiekten, wie das ausgewachsene Schwein, das sie seit 1968 mit auf die Bühne nahmen und dem Publikum als ihren Kandidaten für das Amt des Präsidenten präsentierten.
 

Die Fugs waren Teil des New Yorker Underground, der sich im East Village und auf der Lower East Side eingenistet hatte und in den 60er Jahren vor Kreativität nur so brodelte. Im südöstlichen Teil von Manhattan, wo wegen der billigen Mieten vor allem Schwarze, Hispanics und europäische Emigranten wohnten, pulsierte eine Szene aus Künstlern und Bohemiens, die von einer fiebrigen Suche nach etwas anderem als dem vorbestimmten “American Way of Life” angetrieben wurden und von der romantischen Wiederkehr des Wilden und Authentischen träumten, das sie irgendwo da draußen in den Häuserschluchten zwischen East Houston Street und der East 14th Street zu finden hofften.
 
Alles war “low-budget” oder gar “no-budget”. In winzigen Bars, Cafés und kooperativen Kunstgalerien fanden Dichterlesung, Happenings und experimentelle Film-Vorführungen statt. Die privaten Lofts von Musikern und Künstlern wurden in Auftrittsorte für Jazzgruppen und Performances-Spaces umgewandelt. Es entstanden experimentelle Theaterbühnen wie das La Mama Theatre, und auf der Straße machte das Bread & Puppet Theatre seine Aktionen. In Buchläden lag das Szeneblatt  “The East Village Other” zum Verkauf aus, das über Polit-Aktivitäten, Auftritte und Veranstaltungen informierte, neben diversen handkopierten literarischen Blättern, gefüllt mit Beiträgen neuster Belletristik, Lyrik und Yippie-Politik.
 
In diesem Milieu war der Dichter Allen Ginsberg daheim, die Avantgarde-Musiker John Cage und LaMonte Young, Tänzer wie Merce Cunningham, die schwarzen Jazzimprovisatoren Cecil Taylor und Archie Shepp, die Allround-Künstler Robert Rauschenberg und Andy Warhol (mit der Rockgruppe Vevet Underground im Schlepptau), sowie die Performance-Artisten Allan Kaprow und Yoko Ono plus experimentelle Filmemacher wie Mike Kuchar. Die Szene verstand sich als nonkonformistisch bis politisch, wobei sie mit ihren Aktivitäten bewußtseins- und gesellschaftsverändernd wirken wollten. Die jungen kreativen Jazzmusiker schlossen sich etwa in der Jazz Composers Guild zusammen, einer gewerkschaftsähnlichen Selbsthilfeorganisation, die versuchte, bessere Arbeitsbedingungen zu erzwingen.
 
Einer der Szenetreffpunkte war der Peace Eye Book Store in der East 10th Street von Manhattan, der von Ed Sanders betrieben wurde und als Hauptquartier der Fugs fungierte. Der Buchladen war in einem ehemaligen jüdischen Fleischerladen untergebracht, wobei immer noch “Strictly Kosher” im Schaufenster stand. Im Geschäft lagen außer Büchern auch Flugblätter und Plakate aus, die zu Protestaktionen (etwa gegen das Marihuana-Gesetz) aufriefen. Hier fabrizierte Sanders seine Underground-Postille “Fuck You / A Magazine of the Arts”.  “Ed Sanders stellte die Zeitschrift mit Blaumatrizen her. Immer wenn er eine neue Nummer fertig hatte, lud er seine Freunde zu sich ein,” erinnert sich Peter Stampel, Musikerkollege von den Holy Modal Rounders, der auch zeitweise bei den Fugs spielte. “Dort waren dann die einzelnen Seiten in Stapel aufgeschichtet. Man nahm Drogen, machte die Runde und nahm von jedem Stapel eine Seite, bis man alle zu einem Heft zusammenknipste.” Das literarische Blatt, das neben neuen Talenten so renommierte Autoren wie W. H. Auden, Allen Ginsberg, LeRoi Jones und Frank 0’Hara publizierte,  wurde vor allem im East Village unter die Leute gebracht - d.h. meistens verschenkt. Die Zeitschrift forderte mit einer Mixtur aus Pornographie, Pazifismus und Literatur den Puritanismus und die politischen Einstellungen der Mehrheitsgesellschaft heraus, was 1966 zu einer Polizei-Razzia führte und Sanders vor Gericht brachte. Die Anklage: Besitz von obszönem Material. Das Verfahren endete mit einem Freispruch.


 
Ursprünglich waren die Fugs aus einer einzigen Idee heraus entstanden. Ihnen schwebte vor, Popmusik und Poetry in den Dienst radikaler Politik zu stellen, allerdings nicht in Agit-Prop-Manier, sondern als wilder eruptiver Akt aus Spontanität, Witz und Kreativität.  ”Sie meinten, dass musikalisches Können und Virtuosität nicht so wichtig seien, das würde sich schon finden. Ihre einzigen Instrumente waren anfangs ein Schlagzeug und eine Spielzeugorgel,” erzählt Peter Stampel. “Ihre Auftritte waren der blanke Wahnsinn. Es ging zu wie im Tollhaus! Sie sangen diese Parodien, etwa auf die “Goldfinger”-Melodie aus dem James Bond-Film, die sie “Stinkfinger” nannten, wobei Tuli Kupferberg mit einer schmutzigen Decke über dem Kopf auf der Bühne herumtorkelte. Laufend wurden neue Scherze ausgeheckt. Im Publikum saßen die angesagtesten Leute New Yorks, etwa die Clique um Andy Warhol, einfach jeder, der in der Underground-Szene etwas galt. Die Fugs: das war radikale Politik, dazu Sex & Drugs & Rock ‘n’ Roll. Es erforderte damals Mut, so etwas zu machen, weil Leute für Geringeres im Gefängnis landeten.” Dazwischen wurde es immer wieder einmal still im Konzert. Dann war Schluss mit Klamauk, wenn eine Folterszene aus Vietnam nachgestellt wurde, um danach den Song “Kill for Peace” anzustimmen.


 
Sie und Tuli Kupferberg waren Beat-Poeten. Wie kommen zwei Dichter dazu, eine Rockband zu gründen?
 
Ed Sanders: Es war das Jahr 1964. Die Beatles waren gerade über Amerika hinweggefegt und hatten Riesenerfolge gefeiert. Roy Orbison stand hoch im Kurs. Es lag viel populäre Musik in der Luft. Dazu kamen die Lieder der Bürgerrechtsbewegung, etwa “We shall overcome”, die wir kannten, weil wir bei den Demonstrationen dabei waren. Mir war Tuli Kupferberg als eine Schlüsselfigur der Beat-Generation bekannt, weil er seine Avantgarde-Zeitschriften auf der Straße verkaufte, vor einer Bar auf der Lower East Side in New York, wo ich mich oft aufhielt. Wir wurden Freunde und eines nachts im Gespräch kamen wir plötzlich auf die Idee, eine Rockband zu gründen. Wir dachten über einen Namen nach. Ich wollte uns die Yodeling Socialists nennen. Aber Tuli Kupferberg hatte eine bessere Idee: The Fugs! Diese Bezeichnung stammt aus Normal Mailers Roman “The Naked and the Dead”, wo das Wort “fug” als Euphemismus für ein ähnlich klingendes Wort mit vier Buchstaben benutzt wird. Deshalb meinten wir, das wir mit “The Fugs” durchkommen müssten, obwohl 1965, als unser erstes Album erschien, unser Bandname sehr kontrovers aufgenommen wurde. Wir wurden nicht im Radio gespielt, weil man das Wort nicht öffentlich aussprechen durfte.
 
Wie ging die Bandgründung auf einer praktischen Ebene vonstatten?
 
Ed Sanders: Damals hatte ich gerade meinen Buchladen im East Village eröffnet, den Peace Eye Book Store, der nur zwei Häuser von Tuli Kupferbergs Wohnung entfernt lag. Tuli und ich schrieben zuerst einmal  50 bis 60 Songs. Das nahm zwei bis drei Wochen in Anspruch. Ich war mit dem Folkduo The Holy Modal Rounders befreundet, das aus Steve Weber und Peter Stampfel bestand, weil sie oft in meinen Laden kamen. Wir luden die beiden zur Mitarbeit ein und probten unsere Lieder zusammen.
 
War es leicht, als Dichter Lieder zu schreiben. Hatten Sie musikalische Kenntnisse?
 
Ed Sanders: Ich hatte fünf Jahre Klavierunterricht und Trommelstunden beim Schlagzeuger des Philharmonic Orchestras von Kansas City. Und natürlich hatte ich alle Rock ‘n’ Roll-Sänger in meiner Heimatstadt Kansas City “live” erlebt: Chuck Berry, Bill Haley, Bo Diddley. Zudem viele Country & Western-Sänger, Leute wie Roy Acuff und ähnliche Künstler. Im Radio lief Rhythm & Blues und auf Bürgerrechtsdemonstrationen konnte man Pete Seeger singen hören. Das alles gehörte zu meiner musikalischen Bildung. Ich wusste also, wie ein Song funktioniert. Als wir die Fugs gründeten, hatte ich bereits begonnen, drei Gedichte von William Blake in Melodien zu fassen.
 
Das wichtigste Instrument schien anfangs das Tonbandgerät gewesen zu sein?
 
Ed Sanders: Ich besaß ein sehr gutes Tonbandgerät, mit dem ich die Musik ausarbeitete. Ich nahm eine Idee auf, hörte sie mir danach immer wieder an, und nahm sie dann in verbesserter Fassung erneut auf. So wurden langsam die Melodien geformt und den Songs Gestalt gegeben. Viele der frühen Lieder der Fugs sind auf diese Weise entstanden. Ich hatte damals weder ein Klavier noch ein Saiteninstrument, weshalb die Lieder A Capella entstanden - ohne Begleitung durch ein Instrument, Stimme pur. Tuli Kupferberg arbeitete auf die selbe Weise.
 
Die Fugs waren eng mit der Lower East Side von Manhattan verbunden. Wie wichtig war dieser Ort für die Entwicklung der Band?
 
Ed Sanders: Damals, in den frühen 60er Jahren, existierte die Gegenkultur noch nicht. Die Lower East Side war ein ehemaliger Slum, wo einkommensschwache Familien wohnten und Mietpreisbindung bestand. Man konnte damals ein Apartment für ein paar Dollar im Monat mieten. Wie heißt es im berühmten Gershwin-Song: “Summertime, and the living is easy”. Genau so war es! Es war leicht, mit wenig Geld über die Runden zu kommen, weil man sich keine Sorgen um die Miete machen musste. Heute ist die Lower East Side eine schicke Gegend, wo das gleiche Apartment Tausende von Dollars kostet. Die Bevölkerungszusammensetzung war damals äußerst gemischt: viele europäische Einwanderer - Polen, Tschechen, Slowaken. Es gab ukrainische Geschäfte und polnische Restaurants. Dazu kamen Puertoricaner und andere Lateinamerikaner, auch  viele Schwarze lebte dort. Dazwischen die Bohemiens: Poeten, Künstler, Musiker. Es gab Jazzclubs. Die meisten Avantgarde-Jazzmusiker wohnten im East Village: Archie Shepp, Ornette Coleman, Pharaoh Sanders und Marion Brown. Gleich in der Nachbarschaft, in Greenwich Village, war die Folkbewegung zuhause, die dort in Coffeehouses auftraten. Damals waren diese Viertel noch relativ sicher: Kaum Einbrüche, wenig harte Drogen. Ideal, um den Fugs Unterschlupf zu gewähren.


 
Sie haben die Szene damals einen “Mix aus Kunst und Chaos” genannt....
 
Ed Sanders: Auf das läuft es hinaus, wenn kreativ gearbeitet wird. Man braucht sich nur Picassos Studio anzuschauen. Kunst ist ein Phönix, der aus der Asche des Chaos’ aufsteigt.
 
Das erste Album der Fugs wurde vom kleinen Folkways-Label  veröffentlicht, das von Moses Ash betrieben wurde, heute ein legendärer Name. Wie kam es dazu?
 
Ed Sanders: Es gab diese Bar namens Stanley’s, wo man sich traf. Eines abends war ich mit dem Literaten HL Humes dort und er erspähte plötzlich einen Bekannten, einen Typen namens Harry Smith, den ich nicht kannte. Es stellte sich heraus, dass Smith als experimenteller Filmemacher einen Namen hatte und außerdem berühmt für seine Schellack-Sammlung früher amerikanischer Folkmusik war, aus deren Beständen er 1952 die Schallplattenbox “Anthology of American Folkmusic” zusammengestellt hatte, die als Initialzündung des amerikanischen Folkrevivals gilt. Harry Smith wurde ein Freund. Als wir die Fugs gründeten, kam er zu vielen unserer Auftritte. Auf frühen Tonbandmitschnitten ist oft zu hören, wie wir Harry Smith begrüßen und er aus dem Publikum zurückbrüllt. Er brachte mich in Kontakt mit Moses Ash und ermöglichte uns ein paar Sessions im Studio von Folkways. Eines führte zum anderen. Ohne Harry Smith bin ich nicht sicher, was aus den Fugs geworden wäre. Vielleicht hätten wir nie Schallplatten gemacht. Er war ein amerikanisches Genie - sehr schwierig im Umgang, was auf viele Genies zutrifft.
 
Das zweite Album der Fugs erschien bei ESP - einem anderen kleinen unabhängigen Label, das damals in New York operierte, heute ebenso legendär wie Folkways.
 
Ed Sanders: Ich will nichts mehr mit ESP zu tun haben. Ich denke, dass der Betreiber des Labels das Gegenteil von ehrlich ist. Wir hatten damals nur ein paar Monate mit ESP zu tun.  Wir nahmen unser zweites Album im Februar 1966 in einem Studio auf, das Harry Belafonte gehörte. Das war unsere erste Studioproduktion. ESP brachte es heraus. Wir bemerkten sehr schnell diverse Unregelmäßigkeiten, unsaubere Machenschaften, was zum Abbruch der Beziehungen führte.
 
Die Fugs wurden zu einem Fokuspunkt der Gegenkultur. Die Band trat ununterbrochen auf, absolvierte Hunderte von Konzerten...
 
Ed Sanders: Im Sommer 1967 spielten die Mothers of Invention in New York in einem Theater und wir gleich um die Ecke in einem anderen Theater, als Off-Broadway-Produktion. Von 1966 bis 1967 absolvierten wir ungefähr 900 Auftritte - bis zu drei am Tag. Wir arbeiteten mit Requisiten und Bühnenbild wie bei einer Theaterproduktion.
 
War es die Idee des Gesamtkunstwerks, die Sie dazu inspirierte, Musik, Theater, Poetry und Performance-Art zu verbinden?
 
Ed Sanders: Das war unser Ziel! Die Musik stand allerdings im Zentrum. Sie wird unsere Hinterlassenschaft sein, das, was von uns übrig bleiben wird.
 
Wie sahen die Verbindungen zwischen den Künstler des Underground aus? Gab es so etwas wie eine Gemeinschaft der Subkultur?
 
Ed Sanders: Wenn man Gemeinschaft lose definiert - ja! Wir kannten Frank Zappa und die Mothers. Nach unseren Auftritten gingen wir zusammen aus. Man hing gemeinsam in Coffeehouses herum, redete stundenlang und rauchte Dope. Auf unserer ersten Tournee an die Westküste wohnten wir in Los Angeles bei Don Preston, dem Keyboard-Spieler der Mothers. Wir trafen ihn 1968 bei den Essener Songtage wieder.
 
Es gab nicht viele politische Rockgruppen damals - neben Frank Zappa waren Country Joe & The Fish eine der wenigen. Gab es Kontakte?
 
Ed Sanders: Country Joe & The Fish nach New York kam, probten sie im Players Theater, wo wir engagiert waren. Wir traten gelegentlich zusammen in einem Programm auf.
 
Sie waren auch mit Allen Ginsberg befreundet?
 
Ed Sanders: Die Beziehung zwischen den Fugs und Allen Ginsberg war recht eng. Ginsberg wohnte von 1965 bis 67 ganz in der Nachbarschaft, nicht weit vom Peace Eye Book Store entfernt. Als die Fugs Anfang 1968 eine Teufelsaustreibung am Grab von Senator Joseph McCarthy in Wisconsin durchführten, war Ginsberg dabei. Er trat auch bei anderen Gelegenheiten mit uns auf. Er war eine der wichtigsten dichterischen Inspirationsquellen für uns. Einer unserer ersten Songs war 1964 meine Vertonung von William Blakes Gedicht "Ah, Sunflower, Weary of Time."  Ich wurde dazu angeregt, weil ich wusste, dass Allen Ginsberg Jahre vorher eine Vision hatte: Er sah William Blake dieses Gedicht singen.
 
Die Fugs standen für Provokation. Das löste Gegenreaktionen aus, bis zu Hassausbrüche. Wie gingen Sie damit um?
 
Ed Sanders: Es war beängstigend. Jemand schickte mir eine Briefbombe, die sich glücklicherweise als Attrappe entpuppte. Sie war in eine ausgehöhlten Ausgabe von Dostojewskis Roman “Der Idiot” eingebaut. Dann erhielt ich anonyme Anrufe, wo gedroht wurde, uns in die Luft zu sprengen. Der Anrufer sagte, er würde zuerst mich, dann Frank Zappa in die Luft jagen. Ich hatte damals ein kleines Kind und musste Vorsichtsmaßnahmen ergreifen. Lange Zeit hatte ich nur eine geheime Telefonnummer. Dazu kamen die Aktivitäten des FBI. Man wollte uns zur Strecke bringen wollten. Sie meinten, unsere Texte würden den Straftatbestand der “Obszönität” erfüllen. Wir lebten dauernd unter der Drohung, verhaftet zu werden. Doch wir kamen durch.
 
Wie wurden Sie auf die Aktivitäten der Polizei aufmerksam?
 
Ed Sanders: Es gibt in den USA ein Gesetz, den Freedom of Information Act, der es erlaubt, Einsichten in staatliche Akten zu nehmen. Das habe ich in den 70er Jahren gemacht. Es stellte sich heraus, dass das FBI uns im Visier hatte und die Staatsanwaltschaft ermittelte, um uns wegen bestimmter Texte dranzukriegen.
 
Was hätte passieren können? Ein Verbot?
 
Ed Sanders: Wir lebten in den Vereinigten Staaten, nicht in der Tschecheslowakei. Wir hätten weiter auftreten können und hätten einen Riesenskandal daraus gemacht, wenn sie uns angeklagt hätten. Wir hätten genau dasselbe getan wie Henry Miller, als sie ihn zensieren wollten. Oder als sie Allen Ginsbergs wegen “Howl” vor Gericht stellten. So ein Skandal hätte wahrscheinlich geholfen, mehr Schallplatten zu verkaufen. Wir hätten protestiert, uns auf die Verfassung berufen, wo unser Recht auf Meinungsfreiheit garantiert ist. Wenn wir Krieg nicht gut finden, können wir uns dagegen öffentlich aussprechen. Amerika ist keine faschistische Diktatur. Wir hätten uns gewehrt. Aber es wäre teuer geworden. Vor Gericht braucht man Verteidiger. Das kostet viel Geld. Wir wären auf die Unterstüztung anderer angewiesen gewesen. Es gibt ja genug Beispiele, wie sie Persönlichkeiten der Gegenkultur fertiggemacht haben: Ken Keasey, Timothy Leary. Die Regierung kann gegen dich gerichtlich vorgehen und es kann so teuer werden, das man dagegen nicht ankommt. Unser Fall war ziemlich klar: Wir waren Poeten, aber keine Mitglieder der kommunistischen Partei. Wir waren anarcho-sozialistische Rebellen und wir waren Pazifisten, also gegen Gewalt. Was konnten sie gegen uns unternehmen? Wir waren Teil des amerikanischen Traums. So begriffen wir uns immer, als Teilhaber am amerikanischen Traum von Freiheit und Wohlstand für jedermann.
 
Eine der spektakulärsten Aktionen des Protests gegen den Vietnam-Krieg, war eine Demonstration im Oktober 1967, die als “Exorzismus” des Pentagon deklariert wurde?
 
Ed Sanders: Das war eine Riesendemonstration. Viele Demonstranten wurden verhaftet, darunter berühmte Schriftsteller wie Robert Lowell und Norman Mailer. Wir schlossen uns mit den Diggers zusammen, einer anarchistischen Aktiontheatergruppe aus San Francisco. Wir mieteten einen LKW mit Pritsche, auf den wir unsere Verstärkeranlage packten, und dann fuhren wir so nahe wie möglich an die Polizeiketten heran, die das Pentagon abschirmten. Wir richteten unsere Lautsprecher gegen das Gebäude und fingen an ohne Unterlaß “Out, demons, out!” zu brüllen. Die Demonstration war ein Erfolg, doch der Krieg ging weiter.
 
Auf den Internationalen Essener Songtagen 1968, dem ersten Untergrund-Festival West-Deutschlands, waren die Fugs ebenfalls mit von der Partie...
 
Ed Sanders: Wir traten in Essen mit einem lebendigen Schwein auf, das wir Pigasus nannten. Auch anderenorts war ein Schwein Teil unserer Show. Rockgruppen haben Bedingungen in ihren Verträgen: Welche Marke Whiskey oder Scotch sie wünschen, und dass sie Handtücher ohne Initialen wollen, solche Dinge. Wir verlangten im Vertrag nur eines: ein sauber gewaschenes lebendiges Schwein, das der Band bei unserer Ankunft übergeben werden sollte. Die Idee, mit einem Schwein aufzutreten, haben wir von einer Kommune namens Hog Farm übernommen, die dadurch bekannt wurde, dass sie beim Woodstock-Festival für die Verflegung sorgte. Ein Jahr zuvor, beim Parteitag der Demokraten in Chicago, kamen sie mit einem Schwein an, das sie zum Präsidentschaftskandidaten kürten. Diese Idee haben wir übernommen, weil wir das Gefühl hatten, dass nach der Ermordung von Robert Kennedy, die Wahlen manipuliert waren, eine Tat, die uns als die Aktion eines bezahlten Killers vorkam. Deshalb protestierten wir gegen den gesamten weiteren politischen Prozess, in dem wir ein Schwein zu unserem Präsidentschaftskandidaten machten. Das war ein unschuldiger Akt. Wir liebten unser Land, aber wir fürchteten, mehr und mehr unter die Befehlsgewalt des Militärs zu geraten.


 
Wie gestaltete sich das Leben als Symbolfigur der Gegenkultur?
 
Ed Sanders: All diese Kontroversen laugten mich aus. Es waren nicht nur die Attacken, denen man ausgesetzt war. Wir mussten Geld verdienen, weil wir Rechtsanwälte bezahlen mussten und außerdem unser Rock ‘n’ Roll-Lebensstil viel Bares verschlang. Ich sehnte mich nach meinem Leben als Beatnik-Poet zurück. Nach einem Konzert im Mai 1969 mit The Grateful Dead, entschloß ich mich, als Musiker eine Pause einzulegen. Diese Auszeit dauerte 15 Jahre. Erst seit 1984 kommen die Fugs wieder zu regelmäßigen Re-Unions zusammen. Wir haben gerade ein neues Album aufgenommen mit 14 neuen Liedern. Tuli Kupferberg, der mittlerweile 85 Jahre alt ist, hat ein paar wunderbare Songs beigesteuert. Tuli kann nicht mehr reisen, deshalb haben wir die Einspielung  in seinem Loft in New York gemacht. Es wird wahrscheinlich das letzte Album der Fugs sein.
 
Tabubrüche sind heute kein Refugium der Avantgarde mehr. Jede Reality-TV-Show lebt von Schock und Obszönitäten. Wie beurteilen sie die Wirkung der Fugs im Rückblick? 
 
Ed Sanders: Ich bin glücklich, dass wir heute mehr Freiheit haben. Wir wirkten dabei mit, die Freiheit in Amerika zu formen. In den 60er Jahren hatten wir das Gefühl, dass es viele Freiheiten in den USA gab, die durch die Verfassung garantiert waren, aber nicht wahrgenommen wurden. Der Satz “Use it or loose it!” trifft zu. Ich habe weder ein schlechtes Gefühl noch Reue, zu diesen neuen Freiheiten beigetragen zu haben.

Buch:
Ed Sanders: Fug you - An informal History of the Peace Eye Bookstore, the Fuck You Press, the Fugs and Counterculture in the Lower East Side (Da Capo Press, 2012)
 
Musik:
The Fugs: Be Free - Final CD (Part 2). Fugs Records (2010)
 
4-CD-Anthologie:
The Fugs: Don’t Stop, Don’t Stop. 4er-CD-Box (Ace Records)
 
Auf deutsch erhältliche Bücher:

Jetz als Ebook:
http://christophwagnermusic.blogspot.co.uk/2014/05/ed-sanders-tales-of-beatnik-glory-die.html
 
Ed Sanders:

Die Freaks von Greenwich Village - Tales of Beatnik Glory, Band 1,
(Hannibal Verlag), Paperback, 315 S. Euro 10,50

East Side Blues - Tales of Beatnik Glory, Band 2, (Hannibal Verlag) Paperback, 320 S. Euro 19,90 
Sommer der Liebe - Tales of Beatnik Glory, Band 3, (Hannibal Verlag)  Paperback, 260 S. Euro 10,50 
 

1 comment:

  1. ein hervorragendes Interview, das die Entwickliung der FUGS und ihre Bedeutung für die Protest- und Teile der literarischen Szene der USA aufzeigt. Informationen aus erster hand ...

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