Tuesday, 22 January 2013

Jazztrends: JÜRG WICKIHALDER und IRÈNE SCHWEIZER - Europa trumpft auf


Jazz-Generationenvertrag

Der Saxofonist Jürg Wickihalder gründet mit der großen alten Dame des europäischen Jazz, Irène Schweizer, ein hochkarätiges Quartett


CW. Im Akkordeon-Club hat sie als junges Mädchen angefangen, danach Schlagzeug, dann Jazzpiano gespielt. Heute gilt die Zürcherin Irène Schweizer mit 71 Jahren als die große alte Dame des europäischen Jazz – selbst in Amerika bewundert und in vielen Stile daheim. Sie kann Bebop-Kompositionen von Thelonious Monk genauso lässig aus dem Ärmel schütteln wie sich in schrillen Freejazz-Improvisationen ergehen und ist im Solospiel genauso versiert wie als Ensemblemusikerin.

Jetzt hat Irène Schweizer sich mit dem jungen Saxofonisten Jürg Wickihalder zusammengetan und ein neues Ensemble ins Leben gerufen, das es in sich hat. Mit dem Kontrabassisten Fabian Disler vom Erfolgsjazztrio Rusconi und dem Berliner Schlagzeugkönner Michael Griener haben die beiden für ihr “European Quartet” eine Rhythmusgruppe herangezogen, die in der Lage ist, die Solisten zum Abheben zu inspirieren. Als vor einem Jahr das Debutalbum der Gruppe mit dem Titel "Jump" auf dem Intakt-Label erschien, war die Presse voll des Lobes, selbst in England und den USA wurde die Einspielung gepriesen. Diese Woche stehen drei Konzerte der Gruppe in Singen (24.1. / Kulturzentrum Gems), Lörrach (25.1. / Club Jazztone) und Schorndorf  (26.1. / Manufaktur) an.

Im Februar letzten Jahres absolvierte das Ensemble im renommierten Club “The Stone” in New York einen ihrer ersten Auftritte außerhalb der Geborgenheit der Schweizer Heimspiel-Zone – und die Feuertaufe gelang. Das amerikanische Publikum feierte die Formation für einen Jazz, der viel Drive und Energie besitzt und mit kraftvollem Swing und ekstatischen Improvisationen das Erbe des Jazzheiligen John Coltrane beschwört.
                                                                                                                                    Foto: Manuel Wagner
Dabei machte Jürg Wickihalder eine exzellente Figur. Der Musiker aus dem Glarnerland, der an der renommierten Berklee School of Music in Boston studiert hat, bestätigte, dass er inzwischen zur Elite der europäischen Jazzsaxofonisten gehört und selbst Spitzenkönnern von der anderen Seite des Atlantiks Paroli bieten kann. Seine Soli sind so vital wie sensibel, sein Ton zupackend bis ergreifend, wobei er manchmal zum Sopran- und Tenorsaxofon gleichzeitig greift und beide Instrumente zusammen in so aufbrausender Manier spielt, das Erinnerungen an die schwarze Jazzlegende Rhasaan Roland Kirk wach werden oder an den englischen Saxofonartisten Dick Heckstall-Smith von der Rockjazzformation Colloseum, die ebenfalls solche Kunststücke fertigbrachten.

Irène Schweizer steht dem in nichts nach. Im treibenden Jazz des “European Quartet” spielt sie wuchtige Akkorde oder läßt die Finger in wieselflinken Läufen nur so über die Tasten huschen. Vertraktes Notenzickzack und sperrige Intervalle machen klar, dass einer ihrer großen Vorbilder der Jazzklavierexzentriker Thelonious Monk war, was auch für Wickihalder gilt, der beim Monk-Kompagnon Steve Lacy, einen Jazzsaxofongiganten, in die Lehre ging. So schließt sich der Kreis. Wenn es noch ein Beweis für die Spitzenklasse des Schweizer Jazz gebraucht hätte – hier ist er erbracht!  

Aktuelles Album: 
Jürg Wickihalder European Quartet mit Irène Schweizer: Jump (Intakt)

Wednesday, 9 January 2013

Trends: MARTIN MALLAUN und GREIFER erfinden die Zither neu


Zitherpartie

Die Zither zwischen Volks- und Kunstmusik



CW. Einst verpönte Instrumente aus dem Volkmusikmilieu haben in der zeitgenössischen Musik in den letzten Jahrzehnten immer mehr an Boden gewonnen. Neben dem Akkordeon gehört die Zither in diese Kategorie. Um eine Imageänderung zu erreichen, bedarf es üblicherweise ein paar herausragender Solisten, die neue Kompositionen in Auftrag geben, welche als innovative Anstöße nachhaltige Wirkung entfalten.
Der Österreicher Martin Mallaun (Jahrgang 1975) ist ein solcher Impulsgeber, der in jüngster Zeit mit zwei Soloalben die Zither von ihrem volksmusikalischen Staub befreit und in ganz anderem Licht gezeigt hat. Jetzt hat Mallaun mit der Italienerin Reinhilde Gamper und dem Deutschen Leopold Hurt das Zither-Trio Greifer ins Leben gerufen, das mit “Neue Musik für 3 Zithern” gerade ihr Debutalbum vorlegt hat. Die Einspielung lässt aufhorchen und könnte die Qualität besitzen, Ressentiments gegenüber dem alpenländischen Saiteninstrument endgültig aus der Welt zu schaffen.
Vier Komponisten haben Werke geliefert, die der Gruppe auf den Leib geschrieben sind. Helga Pogatschar hat mit “Underground Surround” ein Stück entworfen, das sich mit dem Mythos “Der dritte Mann” auseinandersetzt, dem Film Noir aus der Nachkriegszeit, in welchem die Zither ihren letzten großen Auftritt hatte. O-Ton-Erinnerungsfetzen an den Film, Einblendungen und Kommentare überlagern sich collagenhaft mit Melodienzitaten, die dann auf fantasievolle Weise mehr und mehr ihre eigenen Wege gehen. 
Manuela Kerer hat dagegen ihre fünf Miniaturen unter dem Titel “solitudine vage” auf Materialklängen der Zither aufgebaut. Sie kontrastiert und erhellt diese Geräuschwelt mit klaren Saitentönen, die an den Klang einer asiatischen Bodenharfe erinnern. Gelassenheit und Ebenmaß zeichnen die beiden Werke von Burkhard Stangl aus, die er Morton Feldman gewidmet hat und die – ohne Plagiat zu sein - den Geist des amerikanischen Komponisten atmen. Die gleichförmige Ruhe der gemächlich dahin schreitenden Akkorde bringt feinste Schwebungen und Details zum Vorschein.
Burkhard Friedrich verwandelt dann die Zither mittels elektrischer Verstärkung in ein Hardcore-Instrument. In der Komposition “(D)evil Song” lotet er in höchst originelle Manier Nachhall- und Feedback-Effekte aus und verdichtet zum Finale das Spiel mit akustischen und elektrischen Tonüberlagerungen zu einem mächtigen Crescendo.
Das Trio Greifer entwirft die Vision einer neuen Klangwelt der Zither auf so vielfältige, schlüssige und überzeugende Weise, dass man sich fragt, warum es bestimmte Vorbehalte eigentlich überhaupt jemals gegeben hat. Am Instrument kann es nicht gelegen haben.

Aktuelles Album:
Greifer (Reinhilde Gamper / Leopold Hurt / Martin Mallaun): Neue Musik für 3 Zithern
(Idyllic Noise IDNO 0008)

Die Besprechung erschien ursprünglich in NEUE ZEITSCHRIFT FÜR MUSIK (Schott Verlag).

Thursday, 3 January 2013

Review 2012 #9: FRANZ DOBLERs Highlights 2012


FRANZ DOBLER, Schriftsteller und Musikkenner



Alben

Kid Kopphausen: I (Trocadero)
Masha Qrella: Analogies (Morr)
Bernadette La Hengst: Integrier mich, Baby (Trikont)
Smokestack Lightnin´: Stolen Friends (Witchcraft International)
Becky Lee and Drunkfoot: Hallo Black Halo (Voodoo Rhythm)


Konzerte

Kid Kopphausen, München
Die Damenkapelle, München
Hank III, Augsburg
Die Aeronauten / Müller, Schrobenhausen
Nils Koppruch & Der Wald, Hamburg

Außermusikalisches

Goldene Tage: Roman von Andreas Niedermann
Blatnyak: Film von Peter Rippl
Der Aufstand der Ungeniessbaren: Roman von Edo Popovic
Glaserei: Blog.stuttgarter-zeitung.de von Peter Glaser
Campiglia Marittima: Tourismusforschungsprojekt

www.franzdobler.de (mit Blog/Terminen/Texten etc)

Aktuelle Publikationen:

Ry Cooder: In den Straßen von Los Angeles. A.d.Amerikanischen & mit einem Glossar v. Franz Dobler. 288 S., Edition Tiamat

Guido Sieber/Franz Dobler: Rock´n´Roll Fever (Edel)