Thursday, 21 March 2013

JAZZTRENDS: Deutsche Jazzmusiker in New York


D-Jazzer in NYC
 
Der Mythos New York übt bis heute eine große Faszination aus. Fünf deutsche Jazzmusiker und Jazzmusikerinnen geben Auskunft über ihre Lebensumstände, ihren Alltag und ihre Erfahrungen in der Welthauptstadt des Jazz
 
     Manhattan, Houston Street                                                                           Foto: Manuel Wagner
 
cw. “Amercians in Europe” hieß die Redewendung, die in den 60er und 70er Jahren die zahlreichen Jazzmusiker aus den USA beschrieb, die sich in Europa niedergelassen hatten. Heute gibt es fast mehr “Europeans in America”. Dazu zählt die kleine Kolonie von deutschen Jazzmusikern in New York. Ob Neuankömmling oder bereits etabliert - jeder versucht, sich in der “Welthauptstadt des Jazz” irgendwie durchzuboxen.
 
Jutta Hipp war eine der ersten, die Mitte der 50er Jahre den Sprung über den großen Teich wagte. Sie verstarb in Queens im Jahr 2003. In den 60er Jahren zogen zuerst Karl Berger, dann Gunter Hampel nach New York. Berger leitete in Woodstock das “Creative Music Studio”, das in den 70er Jahren zu einer einflussreichen Studierstätte für junge Improvisatoren wurde, wo u.a. Anthony Braxton, Jack DeJohnette und Dave Holland unterrichteten. Inzwischen leben etliche deutsche Jazzmusiker im Big Apple, etwa Gregor Hübner (Violine), Martin Wind (Bass), Jochen Rückert (Schlagzeug), Iris Ornig (Bass), Matthias Bublath (Orgel) und Carolin Pook (Violine).
 
       Theo Bleckmann  in seinem Appartment in Manhattan                              Foto: Manuel Wagner

Theo Bleckmann (Jahrgang 1966) stammt aus einem kleinen Dorf bei Dortmund. Er kam 1989 in die USA und hat sich seither einen Ruf als herausragender Vokalist im Grenzbereich von Jazz, klassischer Musik und avantgardistischen Klängen ersungen. Bleckmann ist sowohl im Ensemble von Meredith Monk aktiv, als auch in anderen Kooperationen. Darüber hinaus hat er zahlreiche eigene Projekte initiiert, die alle beim Münchner Label Winter & Winter erschienen sind. 2010 wurde er mit einem Grammy ausgezeichnet. Wenn Bleckmann am Schreibtisch seines Apartments in einem Hochhaus in ‘Midtown’ Manhattan sitzt, hat er einen wunderbaren Blick aufs Empire State Building.

Theo Bleckmann: Es gab einen “Pull Factor” und einen “Push Factor”, die mich nach Amerika gebracht haben. Der “Pull Factor” war schlicht die Szene von New York, all diese fantastische Musik, die es hier in der Stadt gibt. Der “Push Factor” war, dass ich einfach aus Deutschland weg wollte. Ich wollte raus aus dieser doch recht kleinen Szene, die damals vor der Wiedervereinigung ja noch kleiner war und nur aus Westdeutschland bestand. Ich wollte in den großen Teich von Musik und Kultur eintauchen. Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen und hatte deshalb schon immer vor, in eine große Stadt zu ziehen. Da hat sich natürlich New York angeboten. Ich hatte damals ein Stipendium für die Berklee School of Music in Boston, bin aber auf dem Weg dorthin in New York hängengeblieben.
 
New York ist eine harte Stadt - unfreundlich und unerbittlich. Wenn man hier nicht leben möchte, sollte man auch nicht hierher ziehen. Vor allem am Anfang war es schwer. Ich hatte wenig Platz und kein Geld. Wenn ich die Stadt nicht gemocht hätte, wäre es echt schlimm gewesen.
 
Die Szene ist sehr “welcoming”. Nie habe ich eine Mauer gespürt. Ich spielte sofort mit amerikanischen Musikern. Dass ich Deutscher bin und als Ausländer hierher kam, war nie ein Hindernis. Zu Beginn habe ich beides gemacht: Ich habe meine eigenen Gigs organisiert mit Musikern von hier, mit denen ich auf dem College war. Ich habe einen Komponisten angesprochen, Kirk Nurock, weil ich seine Musik sehr schätzte. Wir haben gemeinsame Konzerte absolviert, bei denen ich seine Musik sang. Bei einem der Konzerte hat mich der Bassist Mark Dresser gehört, der mich daraufhin in seine Band geholt hat. Dadurch habe ich wieder andere Musiker kennengelernt. Langsam bildete sich eine Art Netzwerk. Um sich einen Namen zu machen, ist harte Arbeit gefragt und viel Ausdauer. Sich duchzusetzen, verlangt einen langen Atem. Was mir geholfen hat, war, dass ich viel als Sideman in anderen Bands gearbeitet habe. Dadurch ergaben sich neue Kontakte.
 
Über Kirk Nurock habe ich Meredith Monk kennengelernt, zuerst nur privat. Als dann ein Vokalist aus ihrem Ensemble nach Los Angeles zog, hat sie jemanden gesucht für ihre Vokalduette und hat mich gefragt. So haben wir angefangen zusammenzuarbeiten. Meredith arbeitet sehr stark mit der jeweiligen Musikerpersönlichkeit, mit der Stimme, dem Körper und den individuellen Eigenschaften, die jeder Performer mitbringt. Die Stücke werden mit den Beteiligten in den Proben entwickelt. Meredith gibt uns Probleme, die wir  lösen müssen. Aus diesem Material werden die Stücke entwickelt, die Musik, Tanz, Theater und Performance umfassen. Das kam mir entgegen, weil ich als Jugendlicher Turner und Eisläufer war. Da ist sehr viel tänzerisches Training bei mir vorhanden und ein Körperbewusstsein, das bei anderen Sängern nicht da ist. Was Meredith macht, ist etwas sehr Amerikanisches. Sie steht in der “American Maverick”-Tradition, also einer Linie von exzentrischen Künstlern. Das kam mir entgegen.

                Joe Hertenstein in seinem Appartment in Brooklyn                          Foto: Manuel Wagner

 
 Joe Hertenstein (Jahrgang 1977) ist Schlagzeuger aus der Nähe von Freiburg i. B. Er kam vor sechs Jahren nach New York und lebt in Brooklyn beim Prospect Park in einem Apartmenthaus, in dem viele Musiker wohnen. Um über die Runden zu kommen, unterrichtet Hertenstein  zwei Tage die Woche Schlagzeug an einer Privatschule und hat ein Zimmer seiner Wohnung untervermietet. Unter dem Pseudonym Joe Stone tritt er auch als Countrysänger auf, inspiriert von Johnny Cash und Tom Waits. In seiner Gruppe Polylemma spielt er mit Pascal Niggenkemper und Thomas Heberer modernen Jazz. Der Drummer ist  Mitglied der New Yorker Gruppe Jetlag des Ex-Smiths Bassisten Andy Rourke und hofft auf eine Karriere im Rockgeschäft.
 
 Joe Hertenstein: Ich kam mit einem DAAD-Stipendium nach New York und habe am Queens College Schlagzeug studiert. Ich habe zuerst andere Studenten kennengelernt und die Professoren, die da unterrichten. Anlaufsstellen waren auch deutsche Musiker, die ich noch aus Köln oder Berlin kannte und die vor mir hierher gezogen waren. Dann macht man Bekanntschaften, in dem man die Orte aufsucht, an denen diese Musik stattfindet, und das waren die vielen Jazzclubs der Stadt. Da es viele Musiker gibt, die aus allen Herren Ländern hierher kommen und ebenfalls Anschluß suchen, ist die Kontaktaufnahme sehr leicht. Es gibt eine hohe Sessionkultur, die ich so aus Deutschland nicht kenne. In New York möchte jeder jeden Tag am liebsten zwei bis drei Mal neue Leute treffen und mit denen spielen. Die Sessions dienen dazu, sich privat aber auch musikalisch kennenzulernen, um Mitstreiter zu finden. Man lernt so einen Pool von Musikern kennen, auf die man zurückgreifen kann, wenn man ein bestimmtes Projekt realisieren möchte. Jazz ist ein Teamsport und deswegen ist die soziale Komponente sehr wichtig. Facebook macht es einfach, sich zu verabreden. Auch werden Businesscards fleißig ausgetauscht. Viele Musiker haben sich so eingerichtet, dass sie bei sich zu Hause Sessions abhalten können. Sie besitzen ein Drumkit, sodass man gleich mit Spielen anfangen kann, wenn man mit seinen Becken und Stöcken ankommt. Das macht die Sache einfach.
 
In New York gibt es 150 bis 180 Orte, wo Jazz zu hören ist, was ein riesiger Spielplatz ist. Man kann hier nach Jahren noch neue Clubs entdecken und fragt sich: ‘Warum bin ich darauf nicht früher gestoßen?’ Man wird ständig überrascht. Über den Club Nublu kam ich etwa ins Orchester von Butch Morris, wo ich wiederum Juini Booth, den Bassisten von Sun Ra, kennengelernt habe und über den William “Spaceman” Patterson, der in den 80ern mit Ornette Coleman gespielt hat. Wir haben uns unlängst zu einem Trio zusammengetan.

                             Thomas Heberer in seiner Wohnung in Manhattan                          Foto: Manuel Wagner 

 
 Thomas Heberer (Jahrgang 1965) kam 2008 von Köln nach New York. Der Trompeter wohnt in einem Apartmentblock am westlichen Zentralpark in Manhattan. Heberer hat unter dem Pseudonym T.O.M. mit Pina Bausch und dem Tanztheater Wuppertal gearbeitet und ist seit Jahren Mitglied im Instant Composers Pool (ICP). Der Trompeter ist ein besessener Schallplattensammler, der in seiner Freizeit die Flohmärkte New Yorks durchkämmt auf der Suche nach rarem Vinyl.
 
Thomas Heberer: Ich bin zum ersten Mal vor ungefähr 25 Jahren in Amerika gewesen, auch in New York, und habe es immer genossen hier zu sein, auch wenn es nur für kurze Zeit war, etwa im Rahmen einer Tournee. Ich konnte mir nicht vorstellen, hier zu leben, weil die Bedingungen für Musiker so komplex und schwierig sind, und es ungleich leichter erschien, in Europa über die Runden zu kommen. Das hat sich vor ein paar Jahr verändert, als ich meine Frau kennenlernte, die New Yorker ist, und ich mich entschlossen habe, hierher zu ziehen. Das war vor fünf Jahren und ich habe den Entschluß bisher nicht bereut.
 
Meine Situation unterscheidet sich ein bisschen von der anderer Jazzmusiker in New York, da ich einen langen Vorlauf als Profi in Deutschland hatte und mich deshalb in einer privilegierten Position befinde. Ich habe lange Zeit in Deutschland kommerzielle Musik gemacht. Zwölf Jahre  spielte ich die Trompete in der Harald Schmidt-Show. Damit habe mir ein Stück wirtschaftliche Unabhängigkeit erarbeitet. Ich habe Geld gespart, in Immobilien investiert und beziehe daraus ein kleines Einkommen, das mich von dem unmittelbaren Kampf ums Überleben befreit.
 
Dass ich auf Tourneen bereits hier war mit einem so respektierten Ensemble wie dem Instant Composers Pool, hat mir sicher einige Türen geöffnet. Der Prozeß, hier Fuß zu fassen, ist ein fortwährender und nie abgeschlossen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich in New York in irgendeiner Weise etabliert wäre.
 
Sessions spielen beim Kennenlernen von Musikern eine große Rolle. Man trifft sich oft informell mit Leuten, um zwanglos zusammenzuspielen, woraus sich ein Netz von Kontakten ergibt. New York ist immer noch musikalisch die lebendigste Stadt, die ich kenne. Im Kontrast dazu ist das Publikum für kreativen Jazz übersichtlich und die Möglichkeiten Geld zu verdienen, fast nicht existent. An Gigs zu kommen, die mit einer gewissen Gage einhergehen, ist äußerst schwierig bis unmöglich. In den meisten Clubs spielt man “für die Tür”. Es gibt also keine Festgage, sondern man bekommt das Eintrittgeld der Besucher, von dem man dann noch oft einen Teil an den Club abtreten muss. Ich spiele häufig als Sideman und bin vorsichtig, eigene Auftritte zu initiieren, wenn ich nichts in Form von bezahlter Arbeit zu bieten habe. Ich spiele in der “Residence”-Band von Butch Morris jeden Montag im “Stone” und auch mit dem Workshop-Ensemble von Karl Berger immer dienstags in der “Jazz Gallery”. Diese beiden Gruppen zeichnen sich durch eine gewisse Fluktuation von Mitgliedern aus, wodurch man immer wieder neue Musiker kennenlernt, was in manchen Fällen zu weiteren Aktivitäten führt.
 
Ich spiele auch viel mit anderen deutschen Jazzmusikern zusammen, die hier leben, weil ich es genieße, auch mal wieder ein bisschen deutsch zu sprechen. Was mein Einkommen betrifft, spielt Europa weiterhin eine signifikante Rolle. Den überwiegenden Teil des Geldes, das ich generiere, verdiene ich in Europa. Ich fahre im Durchschnitt dreimal im Jahr nach Europa zu Festivalauftritten, Tourneen und Gastspielen.
 
Das Verständnis von Kunst in Europa und den USA ist total verschieden. In Europa wird Kunst als förderungswürdig betrachtet. Sie muss nicht unentwegt beweisen, dass sie in einem kapitalistischen System überlebensfähig ist, wie das in den USA der Fall ist. Hier ist alles bis in die letzte Pore durchkapitalisiert und der Jazz ist gefragt, aus eigener Kraft zu existieren. Das ist tough und bringt einen ganz speziellen Typus von Musiker hervor mit einem unbeugsamen Willen, weil mit keinerlei Hilfe oder Unterstützung zu rechnen ist. Man muss sogar seine innere Euphorie aus sich selbst heraus generieren. Das ist eine tolle Qualität. Dennoch ziehe ich eine Gesellschaft vor, die der Kunst einen höheren Rang einräumt.
 
New York ist natürlich auch ein Mythos. Die Realität sieht anders aus. Trotzdem empfinde ich die Stadt als außerordentlich inspirierend und bin froh, dass ich den Schritt gemacht habe. Für mich und meine persönliche Entwicklung machte das Sinn.
 
Was den Musikern hier am meisten zu schaffen macht, sind die hohen Mieten. Die Lebenshaltungskosten sind nicht so hoch. Die exorbitanten Mieten machen es schwer, allein vom Musikmachen zu leben. Viele Jazzmusiker, darunter auch recht etablierte Namen, gehen noch einen Brotberuf nach. Viele geben Unterricht. So sieht die ungeschminkte Wirklichkeit aus.

                                 Ingrid Laubrock in ihrer Wohnung in Brooklyn                Foto: Manuel Wagner
 
 
Ingrid Laubrock (Saxofone) stammt aus dem Münsterland und lebte lange in London. 2008 zog sie nach New York, wo sie ihre eigenen Ensembles initiiert hat. Darüber hinaus spielt sie in Gruppen befreundeter Musiker. Sie ist mit dem Schlagzeuger Tom Rainey verheiratet. Die beiden wohnen in Brooklyn in einer kleinen Wohung in einem Mehrfamilienhaus - der äußerst günstigen Miete wegen.
 

Ingrid Laubrock: Meine Alltag variiert. Wenn ich von einer Tour nach New York zurückkomme, mache ich meistens ein paar Tage gar nichts - nur entspannen! Ich gehe dann in Brooklyn spazieren oder fahre mit dem Fahrrad herum.
 
An normalen Tagen mache ich am Morgen zuerst zwei Stunden Bürokram: Tourneen organisieren, Konzerte klarmachen, Flüge buchen, Organisation allgemein. Das bewerkstellige ich alles per Email. Ich mache das nicht gerne, akzeptiere es aber als Pflichtprogramm, ohne das es nicht geht. In der Phase, in der ich die Logistik für eine Tour buche - Flüge, Bahn, Hotels etc. -, drehe ich ziemlich durch. Das empfinde ich als äußerst stressig. Eine Wahnsinnsarbeit! Man jongliert dabei mit großen Summen und muss am Ende das ganze Geld vorstrecken.
 
Ich habe mittlerweile eine Menge Kontakte zu europäischen Konzertveranstaltern, die ich sehr pflege. Es ist ja immer besser, wenn man ein Gesicht vor sich hat und weiß, mit wem man es zu tun hat. Ich versuche aber auch, neue Auftrittsmöglichkeiten zu finden, schaue, wo andere Musiker auftreten, die ähnliche Musik machen. Würde meine Musik ins Programm dieses Clubs passen? Gigs zu finden, ist mühsam, weil man Clubs “out of the blue” anschreibt und oft nichts zurückkommt. Das ist Normalität. Davon lasse ich mich nicht entmutigen. Man muss einfach zäh sein und dranbleiben.
 
Nach der “Admin”-Arbeit gehe ich in mein Studio zum Üben, zwei bis drei Stunden. Manchmal komponiere ich dort auch. Ich schließe mich dann ganz weg. Nur so kann ich konzentriert arbeiten. Mein Studio ist zehn Minuten mit dem Fahrrad von meiner Wohnung entfernt und dort gibt es keinerlei Ablenkung. Es ist einfach ein Proberaum mit Instrumenten - kein Internet, kein Telefon. Das ist mein Zufluchtsort. Oft treffe ich mich dort auch mit anderen Musikern zu Sessions, um neue Kontakte zu knüpfen oder etwas auszuprobieren. An anderen Tagen sind dann vielleicht Proben angesetzt.
 
Als Bandleader trägt man eine größere Verantwortung. Wenn ich für eine meiner Bands eine Tour organisiere, garantiere ich den Musikern eine Festgage. Wenn dann  etwas schiefläuft z. B. ein Flug verpasst wird, trage ich die Kosten. Ich habe gelernt, für solche Notfälle eine Summe von Anfang an einzukalkulieren. Denn: Es geht immer etwas schief!  Sollte dieses Geld nicht benötigt werden, wird es nach der Tour unter den Beteiligten aufgeteilt. Wenn man eine Tour im Winter ansetzt, muss man viel mehr Zeit für die Fahrten zu den Gigs einplanen. Streiks können einem das Leben schwer machen. Bestimmte Fluglinien kann man gleich vergessen: Ryanair, Easyjet - das geht nicht! Die sind zu streng, was das Handgepäck anbelangt. Die erlauben nicht, dass man das Saxofon oder die Gitarre ins Flugzeug nimmt. Instrumente aber regulär einzuchecken, wäre Wahnsinn. Da kann man sie gleich wegwerfen. Manchmal ist es dennoch unumgänglich mit Ryanair oder Easyjet zu fliegen. Dann muss man eben einen zweiten Sitzplatz für das Instrument buchen.
 
Als Jazzmusiker mache ich mehrere Jobs. Ich bin Tourmanager, PR-Person,Travelagent, Bandleader, Steuerberater, Komponist und Solist. Das ist schon ziemlich viel. Man wird Experte in jedem dieser Bereiche.
 
Die Musiker, mit denen ich arbeite, sind nicht nur meine Freunde, sondern auch Super-Leute zum Reisen. Anders geht es nicht, sonst wird die Belastung zu groß. Die helfen mit und fühlen sich verantwortlich. Wir haben gerade am SWR-Jazzmeeting in Baden-Baden teilgenommen und das ist schon toll, wenn alles für einen organisiert wird. Das habe ich sehr genossen. Dann kann man sich voll auf die Musik konzentrieren.
 
Pascal Niggenkemper in seiner Wohnung in Brooklyn                                   Foto: Manuel Wagner
 

Pascal Niggenkemper (Jahrgang 1978) ist Kontabassist aus Singen am Hohentwiel. Er kam vor sieben Jahren mit einem DAAD-Stipendium nach New York. Er wohnt mit seiner Freundin, einer klassischen Konzertpianistin, in Brooklyn in einer geräumigen Wohnung in einem mehrstöckigen Wohnhaus gleich unter Dach. Niggenkemper hat eine Reihe von Ensembles gegründet, mit denen er auch tourt.
 
Pascal Niggenkemper: Um in die New Yorker Szene reinzukommen, sind die Sessions zentral: Man trifft dort andere Musiker, und ein gewisser Schneeballeffekt stellt sich ein. Weil es in New York sehr einfach ist, neue Musiker zu treffen, habe ich schnell genügend Kollegen kennengelernt, mit denen ich Lust hatte, etwas gemeinsam zu machen. Jeder ist offen hier. Jeden kann man ansprechen, selbst Leute, die schon einen gewissen Namen haben. Ich bin Bassist und da ist man viel als Sideman gefragt. Wenn eine Band einen Bassisten brauchte, stand ich bereit. Dadurch lernt man ganz neue Facetten von Musik kennen, was eine Inspiration sein kann. In letzter Zeit versuche ich aber verstärkt, mich auf meine eigenen Projekte zu konzentrieren.
 
Meine erste Band war das PNTrio mit Tyshawn Sorey (Drums, Piano) und Robin Verheyen (Saxofon). Ein anderes Ensemble ist Baloni mit Frantz Loriot (Viola) und Joachim Badenhorst (Klarinetten, Saxofon). Das ist eine kooperative Band mit kammermusikalischer Besetzung, die einen anderen Klang besitzt. Eine solche Gruppe ohne Schlagzeug ermöglicht einen ganz anderen Zugang. Ich kann z.B. viel mehr mit dem Bogen spielen, weil die Musik leiser und subtiler ist.
 
Der Konzertraum “The Stone” von John Zorn ist einer der wichtigsten Orte für kreative Musik in New York. Nicht weit davon entfernt liegt das Nublu, wo ebenfalls viel los ist von DJs über Groove-Jazz bis zum Nublu-Orchestra geleitet von Butch Morris. Ein paar Minute zu Fuß und man landet im 5C Cultural Centre & Café, einem kleine Café, wo ebenfalls Live-Auftritte stattfinden.
 
In Brooklyn gibt es das Douglass Street Music Collective. Das ist ein großer Raum, den eine Gruppe von Musikern gemietet hat, um Konzerte zu veranstalten. Ein anderer Auftrittsplatz ist das I-Beam, ebenfalls ein Ort, der von Musikern betrieben wird, die dort proben, aber auch Konzerte durchführen. Dort kann man sich einklinken und vielleicht einmal ein Konzert gemeinsam organisieren. All diese Aktivitäten basieren auf dem New Yorker Do-It-Yourself-Prinzip der Selbsthilfe. An diesen Plätzen gibt es keinen kommerziellen Druck. Man kann Neues und Gewagtes ausprobieren. Das LaunchPad ist ein anderer Platz. In diesem Kulturzentrum in Brooklyn finden tagsüber Yoga-Kurse und ähnliches statt und abends manchmal Konzerte. Das sind Orte der Eigeninitiative, die von Künstler geführt werden. Es gibt Parallelen zur New Yorker Loftszene der 70er Jahre, wo Musiker auch ihre eigenen Konzerträume betrieben.
 
Ich veranstalte bei mir daheim eine kleine Hauskonzertreihe, die den Namen “The Couch” trägt. Dafür habe ich mich mit ein paar Musikern aus Brooklyn zusammengetan. In den verschiedenen Wohnungen der Beteiligten finden zweimal im Monat Konzerte statt. Manchmal treten dabei Musiker auf, die gerade in New York auf Besuch sind. Es soll die Beteiligten dazu anregen, mal etwas anderes zu wagen: Spiel’ Solo oder Duo oder in einer unkonventionellen Besetzung! Auf diese Weise wollen wir uns gegenseitig unterstützen, neue Formen und neue Ideen auszuprobieren und zu entwickeln.

DER ARTIKEL ERSCHIEN ZUERST IN DER ZEITSCHRIFT JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)


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