D-Jazzer in NYC
Der Mythos New York übt bis heute eine große
Faszination aus. Fünf deutsche Jazzmusiker und Jazzmusikerinnen geben Auskunft
über ihre Lebensumstände, ihren Alltag und ihre Erfahrungen in der
Welthauptstadt des Jazz
Manhattan, Houston Street Foto: Manuel Wagner
cw. “Amercians in Europe” hieß die Redewendung,
die in den 60er und 70er Jahren die zahlreichen Jazzmusiker aus den USA
beschrieb, die sich in Europa niedergelassen hatten. Heute gibt es fast mehr
“Europeans in America”. Dazu zählt die kleine Kolonie von deutschen
Jazzmusikern in New York. Ob Neuankömmling oder bereits etabliert - jeder
versucht, sich in der “Welthauptstadt des Jazz” irgendwie durchzuboxen.
Jutta Hipp war eine der ersten, die Mitte
der 50er Jahre den Sprung über den großen Teich wagte. Sie verstarb in Queens
im Jahr 2003. In den 60er Jahren zogen zuerst Karl Berger, dann Gunter Hampel
nach New York. Berger leitete in Woodstock das “Creative Music Studio”, das in
den 70er Jahren zu einer einflussreichen Studierstätte für junge Improvisatoren
wurde, wo u.a. Anthony Braxton, Jack DeJohnette und Dave Holland
unterrichteten. Inzwischen leben etliche deutsche Jazzmusiker im Big Apple,
etwa Gregor Hübner (Violine), Martin Wind (Bass), Jochen Rückert (Schlagzeug),
Iris Ornig (Bass), Matthias Bublath (Orgel) und Carolin Pook (Violine).
Theo Bleckmann in seinem Appartment in Manhattan Foto: Manuel Wagner
Theo Bleckmann (Jahrgang 1966) stammt aus einem kleinen Dorf bei Dortmund. Er kam 1989 in die USA und hat sich seither einen Ruf als herausragender Vokalist im Grenzbereich von Jazz, klassischer Musik und avantgardistischen Klängen ersungen. Bleckmann ist sowohl im Ensemble von Meredith Monk aktiv, als auch in anderen Kooperationen. Darüber hinaus hat er zahlreiche eigene Projekte initiiert, die alle beim Münchner Label Winter & Winter erschienen sind. 2010 wurde er mit einem Grammy ausgezeichnet. Wenn Bleckmann am Schreibtisch seines Apartments in einem Hochhaus in ‘Midtown’ Manhattan sitzt, hat er einen wunderbaren Blick aufs Empire State Building.
Theo Bleckmann: Es gab einen “Pull Factor”
und einen “Push Factor”, die mich nach Amerika gebracht haben. Der “Pull
Factor” war schlicht die Szene von New York, all diese fantastische Musik, die
es hier in der Stadt gibt. Der “Push Factor” war, dass ich einfach aus
Deutschland weg wollte. Ich wollte raus aus dieser doch recht kleinen Szene,
die damals vor der Wiedervereinigung ja noch kleiner war und nur aus
Westdeutschland bestand. Ich wollte in den großen Teich von Musik und Kultur
eintauchen. Ich bin in einem kleinen Dorf aufgewachsen und hatte deshalb schon
immer vor, in eine große Stadt zu ziehen. Da hat sich natürlich New York
angeboten. Ich hatte damals ein Stipendium für die Berklee School of Music in
Boston, bin aber auf dem Weg dorthin in New York hängengeblieben.
New York ist eine harte Stadt - unfreundlich
und unerbittlich. Wenn man hier nicht leben möchte, sollte man auch nicht
hierher ziehen. Vor allem am Anfang war es schwer. Ich hatte wenig Platz und
kein Geld. Wenn ich die Stadt nicht gemocht hätte, wäre es echt schlimm
gewesen.
Die Szene ist sehr “welcoming”. Nie habe ich
eine Mauer gespürt. Ich spielte sofort mit amerikanischen Musikern. Dass ich
Deutscher bin und als Ausländer hierher kam, war nie ein Hindernis. Zu Beginn
habe ich beides gemacht: Ich habe meine eigenen Gigs organisiert mit Musikern
von hier, mit denen ich auf dem College war. Ich habe einen Komponisten
angesprochen, Kirk Nurock, weil ich seine Musik sehr schätzte. Wir haben
gemeinsame Konzerte absolviert, bei denen ich seine Musik sang. Bei einem der
Konzerte hat mich der Bassist Mark Dresser gehört, der mich daraufhin in seine
Band geholt hat. Dadurch habe ich wieder andere Musiker kennengelernt. Langsam
bildete sich eine Art Netzwerk. Um sich einen Namen zu machen, ist harte Arbeit
gefragt und viel Ausdauer. Sich duchzusetzen, verlangt einen langen Atem. Was
mir geholfen hat, war, dass ich viel als Sideman in anderen Bands gearbeitet
habe. Dadurch ergaben sich neue Kontakte.
Über Kirk Nurock habe ich Meredith Monk
kennengelernt, zuerst nur privat. Als dann ein Vokalist aus ihrem Ensemble nach
Los Angeles zog, hat sie jemanden gesucht für ihre Vokalduette und hat mich
gefragt. So haben wir angefangen zusammenzuarbeiten. Meredith arbeitet sehr
stark mit der jeweiligen Musikerpersönlichkeit, mit der Stimme, dem Körper und
den individuellen Eigenschaften, die jeder Performer mitbringt. Die Stücke
werden mit den Beteiligten in den Proben entwickelt. Meredith gibt uns
Probleme, die wir lösen müssen. Aus
diesem Material werden die Stücke entwickelt, die Musik, Tanz, Theater und
Performance umfassen. Das kam mir entgegen, weil ich als Jugendlicher Turner
und Eisläufer war. Da ist sehr viel tänzerisches Training bei mir vorhanden und
ein Körperbewusstsein, das bei anderen Sängern nicht da ist. Was Meredith
macht, ist etwas sehr Amerikanisches. Sie steht in der “American
Maverick”-Tradition, also einer Linie von exzentrischen Künstlern. Das kam mir
entgegen.
Joe Hertenstein in seinem Appartment in Brooklyn Foto: Manuel Wagner
Joe Hertenstein (Jahrgang 1977) ist
Schlagzeuger aus der Nähe von Freiburg i. B. Er kam vor sechs Jahren nach New
York und lebt in Brooklyn beim Prospect Park in einem Apartmenthaus, in dem
viele Musiker wohnen. Um über die Runden zu kommen, unterrichtet
Hertenstein zwei Tage die Woche
Schlagzeug an einer Privatschule und hat ein Zimmer seiner Wohnung untervermietet.
Unter dem Pseudonym Joe Stone tritt er auch als Countrysänger auf, inspiriert
von Johnny Cash und Tom Waits. In seiner Gruppe Polylemma spielt er mit Pascal
Niggenkemper und Thomas Heberer modernen Jazz. Der Drummer ist Mitglied der New Yorker Gruppe Jetlag des
Ex-Smiths Bassisten Andy Rourke und hofft auf eine Karriere im Rockgeschäft.
Joe Hertenstein: Ich kam mit einem
DAAD-Stipendium nach New York und habe am Queens College Schlagzeug studiert.
Ich habe zuerst andere Studenten kennengelernt und die Professoren, die da
unterrichten. Anlaufsstellen waren auch deutsche Musiker, die ich noch aus Köln
oder Berlin kannte und die vor mir hierher gezogen waren. Dann macht man
Bekanntschaften, in dem man die Orte aufsucht, an denen diese Musik
stattfindet, und das waren die vielen Jazzclubs der Stadt. Da es viele Musiker
gibt, die aus allen Herren Ländern hierher kommen und ebenfalls Anschluß
suchen, ist die Kontaktaufnahme sehr leicht. Es gibt eine hohe Sessionkultur,
die ich so aus Deutschland nicht kenne. In New York möchte jeder jeden Tag am
liebsten zwei bis drei Mal neue Leute treffen und mit denen spielen. Die
Sessions dienen dazu, sich privat aber auch musikalisch kennenzulernen, um
Mitstreiter zu finden. Man lernt so einen Pool von Musikern kennen, auf die man
zurückgreifen kann, wenn man ein bestimmtes Projekt realisieren möchte. Jazz
ist ein Teamsport und deswegen ist die soziale Komponente sehr wichtig.
Facebook macht es einfach, sich zu verabreden. Auch werden Businesscards
fleißig ausgetauscht. Viele Musiker haben sich so eingerichtet, dass sie bei
sich zu Hause Sessions abhalten können. Sie besitzen ein Drumkit, sodass man
gleich mit Spielen anfangen kann, wenn man mit seinen Becken und Stöcken
ankommt. Das macht die Sache einfach.
In New York gibt es 150 bis 180 Orte, wo
Jazz zu hören ist, was ein riesiger Spielplatz ist. Man kann hier nach Jahren
noch neue Clubs entdecken und fragt sich: ‘Warum bin ich darauf nicht früher
gestoßen?’ Man wird ständig überrascht. Über den Club Nublu kam ich etwa ins
Orchester von Butch Morris, wo ich wiederum Juini Booth, den Bassisten von Sun
Ra, kennengelernt habe und über den William “Spaceman” Patterson, der in den
80ern mit Ornette Coleman gespielt hat. Wir haben uns unlängst zu einem Trio
zusammengetan.
Thomas Heberer in seiner Wohnung in Manhattan
Foto: Manuel Wagner
Thomas Heberer (Jahrgang 1965) kam 2008 von
Köln nach New York. Der Trompeter wohnt in einem Apartmentblock am westlichen
Zentralpark in Manhattan. Heberer hat unter dem Pseudonym T.O.M. mit Pina
Bausch und dem Tanztheater Wuppertal gearbeitet und ist seit Jahren Mitglied im
Instant Composers Pool (ICP). Der Trompeter ist ein besessener
Schallplattensammler, der in seiner Freizeit die Flohmärkte New Yorks
durchkämmt auf der Suche nach rarem Vinyl.
Thomas Heberer: Ich bin zum ersten Mal vor
ungefähr 25 Jahren in Amerika gewesen, auch in New York, und habe es immer
genossen hier zu sein, auch wenn es nur für kurze Zeit war, etwa im Rahmen
einer Tournee. Ich konnte mir nicht vorstellen, hier zu leben, weil die
Bedingungen für Musiker so komplex und schwierig sind, und es ungleich leichter
erschien, in Europa über die Runden zu kommen. Das hat sich vor ein paar Jahr
verändert, als ich meine Frau kennenlernte, die New Yorker ist, und ich mich
entschlossen habe, hierher zu ziehen. Das war vor fünf Jahren und ich habe den
Entschluß bisher nicht bereut.
Meine Situation unterscheidet sich ein
bisschen von der anderer Jazzmusiker in New York, da ich einen langen Vorlauf
als Profi in Deutschland hatte und mich deshalb in einer privilegierten
Position befinde. Ich habe lange Zeit in Deutschland kommerzielle Musik
gemacht. Zwölf Jahre spielte ich die
Trompete in der Harald Schmidt-Show. Damit habe mir ein Stück wirtschaftliche
Unabhängigkeit erarbeitet. Ich habe Geld gespart, in Immobilien investiert und
beziehe daraus ein kleines Einkommen, das mich von dem unmittelbaren Kampf ums
Überleben befreit.
Dass ich auf Tourneen bereits hier war mit
einem so respektierten Ensemble wie dem Instant Composers Pool, hat mir sicher
einige Türen geöffnet. Der Prozeß, hier Fuß zu fassen, ist ein fortwährender
und nie abgeschlossen. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich in New York in
irgendeiner Weise etabliert wäre.
Sessions spielen beim Kennenlernen von
Musikern eine große Rolle. Man trifft sich oft informell mit Leuten, um
zwanglos zusammenzuspielen, woraus sich ein Netz von Kontakten ergibt. New York
ist immer noch musikalisch die lebendigste Stadt, die ich kenne. Im Kontrast
dazu ist das Publikum für kreativen Jazz übersichtlich und die Möglichkeiten
Geld zu verdienen, fast nicht existent. An Gigs zu kommen, die mit einer
gewissen Gage einhergehen, ist äußerst schwierig bis unmöglich. In den meisten
Clubs spielt man “für die Tür”. Es gibt also keine Festgage, sondern man
bekommt das Eintrittgeld der Besucher, von dem man dann noch oft einen Teil an
den Club abtreten muss. Ich spiele häufig als Sideman und bin vorsichtig,
eigene Auftritte zu initiieren, wenn ich nichts in Form von bezahlter Arbeit zu
bieten habe. Ich spiele in der “Residence”-Band von Butch Morris jeden Montag
im “Stone” und auch mit dem Workshop-Ensemble von Karl Berger immer dienstags
in der “Jazz Gallery”. Diese beiden Gruppen zeichnen sich durch eine gewisse
Fluktuation von Mitgliedern aus, wodurch man immer wieder neue Musiker
kennenlernt, was in manchen Fällen zu weiteren Aktivitäten führt.
Ich spiele auch viel mit anderen deutschen
Jazzmusikern zusammen, die hier leben, weil ich es genieße, auch mal wieder ein
bisschen deutsch zu sprechen. Was mein Einkommen betrifft, spielt Europa
weiterhin eine signifikante Rolle. Den überwiegenden Teil des Geldes, das ich
generiere, verdiene ich in Europa. Ich fahre im Durchschnitt dreimal im Jahr
nach Europa zu Festivalauftritten, Tourneen und Gastspielen.
Das Verständnis von Kunst in Europa und den
USA ist total verschieden. In Europa wird Kunst als förderungswürdig
betrachtet. Sie muss nicht unentwegt beweisen, dass sie in einem
kapitalistischen System überlebensfähig ist, wie das in den USA der Fall ist.
Hier ist alles bis in die letzte Pore durchkapitalisiert und der Jazz ist
gefragt, aus eigener Kraft zu existieren. Das ist tough und bringt einen ganz
speziellen Typus von Musiker hervor mit einem unbeugsamen Willen, weil mit
keinerlei Hilfe oder Unterstützung zu rechnen ist. Man muss sogar seine innere
Euphorie aus sich selbst heraus generieren. Das ist eine tolle Qualität.
Dennoch ziehe ich eine Gesellschaft vor, die der Kunst einen höheren Rang
einräumt.
New York ist natürlich auch ein Mythos. Die
Realität sieht anders aus. Trotzdem empfinde ich die Stadt als außerordentlich
inspirierend und bin froh, dass ich den Schritt gemacht habe. Für mich und
meine persönliche Entwicklung machte das Sinn.
Was den Musikern hier am meisten zu schaffen
macht, sind die hohen Mieten. Die Lebenshaltungskosten sind nicht so hoch. Die
exorbitanten Mieten machen es schwer, allein vom Musikmachen zu leben. Viele
Jazzmusiker, darunter auch recht etablierte Namen, gehen noch einen Brotberuf
nach. Viele geben Unterricht. So sieht die ungeschminkte Wirklichkeit aus.
Ingrid Laubrock in ihrer Wohnung in Brooklyn Foto: Manuel Wagner
Ingrid Laubrock (Saxofone) stammt aus dem
Münsterland und lebte lange in London. 2008 zog sie nach New York, wo sie ihre
eigenen Ensembles initiiert hat. Darüber hinaus spielt sie in Gruppen
befreundeter Musiker. Sie ist mit dem Schlagzeuger Tom Rainey verheiratet. Die
beiden wohnen in Brooklyn in einer kleinen Wohung in einem Mehrfamilienhaus -
der äußerst günstigen Miete wegen.
Ingrid Laubrock: Meine Alltag variiert. Wenn
ich von einer Tour nach New York zurückkomme, mache ich meistens ein paar Tage
gar nichts - nur entspannen! Ich gehe dann in Brooklyn spazieren oder fahre mit
dem Fahrrad herum.
An normalen Tagen mache ich am Morgen zuerst
zwei Stunden Bürokram: Tourneen organisieren, Konzerte klarmachen, Flüge
buchen, Organisation allgemein. Das bewerkstellige ich alles per Email. Ich
mache das nicht gerne, akzeptiere es aber als Pflichtprogramm, ohne das es
nicht geht. In der Phase, in der ich die Logistik für eine Tour buche - Flüge,
Bahn, Hotels etc. -, drehe ich ziemlich durch. Das empfinde ich als äußerst
stressig. Eine Wahnsinnsarbeit! Man jongliert dabei mit großen Summen und muss
am Ende das ganze Geld vorstrecken.
Ich habe mittlerweile eine Menge Kontakte zu
europäischen Konzertveranstaltern, die ich sehr pflege. Es ist ja immer besser,
wenn man ein Gesicht vor sich hat und weiß, mit wem man es zu tun hat. Ich
versuche aber auch, neue Auftrittsmöglichkeiten zu finden, schaue, wo andere
Musiker auftreten, die ähnliche Musik machen. Würde meine Musik ins Programm
dieses Clubs passen? Gigs zu finden, ist mühsam, weil man Clubs “out of the
blue” anschreibt und oft nichts zurückkommt. Das ist Normalität. Davon lasse
ich mich nicht entmutigen. Man muss einfach zäh sein und dranbleiben.
Nach der “Admin”-Arbeit gehe ich in mein
Studio zum Üben, zwei bis drei Stunden. Manchmal komponiere ich dort auch. Ich
schließe mich dann ganz weg. Nur so kann ich konzentriert arbeiten. Mein Studio
ist zehn Minuten mit dem Fahrrad von meiner Wohnung entfernt und dort gibt es
keinerlei Ablenkung. Es ist einfach ein Proberaum mit Instrumenten - kein
Internet, kein Telefon. Das ist mein Zufluchtsort. Oft treffe ich mich dort
auch mit anderen Musikern zu Sessions, um neue Kontakte zu knüpfen oder etwas
auszuprobieren. An anderen Tagen sind dann vielleicht Proben angesetzt.
Als Bandleader trägt man eine größere
Verantwortung. Wenn ich für eine meiner Bands eine Tour organisiere, garantiere
ich den Musikern eine Festgage. Wenn dann
etwas schiefläuft z. B. ein Flug verpasst wird, trage ich die Kosten.
Ich habe gelernt, für solche Notfälle eine Summe von Anfang an
einzukalkulieren. Denn: Es geht immer etwas schief! Sollte dieses Geld nicht benötigt werden,
wird es nach der Tour unter den Beteiligten aufgeteilt. Wenn man eine Tour im
Winter ansetzt, muss man viel mehr Zeit für die Fahrten zu den Gigs einplanen.
Streiks können einem das Leben schwer machen. Bestimmte Fluglinien kann man
gleich vergessen: Ryanair, Easyjet - das geht nicht! Die sind zu streng, was
das Handgepäck anbelangt. Die erlauben nicht, dass man das Saxofon oder die
Gitarre ins Flugzeug nimmt. Instrumente aber regulär einzuchecken, wäre
Wahnsinn. Da kann man sie gleich wegwerfen. Manchmal ist es dennoch
unumgänglich mit Ryanair oder Easyjet zu fliegen. Dann muss man eben einen
zweiten Sitzplatz für das Instrument buchen.
Als Jazzmusiker mache ich mehrere Jobs. Ich bin
Tourmanager, PR-Person,Travelagent, Bandleader, Steuerberater, Komponist und
Solist. Das ist schon ziemlich viel. Man wird Experte in jedem dieser Bereiche.
Die Musiker, mit denen ich arbeite, sind
nicht nur meine Freunde, sondern auch Super-Leute zum Reisen. Anders geht es
nicht, sonst wird die Belastung zu groß. Die helfen mit und fühlen sich
verantwortlich. Wir haben gerade am SWR-Jazzmeeting in Baden-Baden teilgenommen
und das ist schon toll, wenn alles für einen organisiert wird. Das habe ich sehr
genossen. Dann kann man sich voll auf die Musik konzentrieren.
Pascal Niggenkemper in seiner Wohnung in Brooklyn Foto: Manuel Wagner
Pascal Niggenkemper (Jahrgang 1978) ist
Kontabassist aus Singen am Hohentwiel. Er kam vor sieben Jahren mit einem
DAAD-Stipendium nach New York. Er wohnt mit seiner Freundin, einer klassischen
Konzertpianistin, in Brooklyn in einer geräumigen Wohnung in einem
mehrstöckigen Wohnhaus gleich unter Dach. Niggenkemper hat eine Reihe von
Ensembles gegründet, mit denen er auch tourt.
Pascal Niggenkemper: Um in die New Yorker
Szene reinzukommen, sind die Sessions zentral: Man trifft dort andere Musiker,
und ein gewisser Schneeballeffekt stellt sich ein. Weil es in New York sehr
einfach ist, neue Musiker zu treffen, habe ich schnell genügend Kollegen
kennengelernt, mit denen ich Lust hatte, etwas gemeinsam zu machen. Jeder ist
offen hier. Jeden kann man ansprechen, selbst Leute, die schon einen gewissen
Namen haben. Ich bin Bassist und da ist man viel als Sideman gefragt. Wenn eine
Band einen Bassisten brauchte, stand ich bereit. Dadurch lernt man ganz neue
Facetten von Musik kennen, was eine Inspiration sein kann. In letzter Zeit
versuche ich aber verstärkt, mich auf meine eigenen Projekte zu konzentrieren.
Meine erste Band war das PNTrio mit Tyshawn
Sorey (Drums, Piano) und Robin Verheyen (Saxofon). Ein anderes Ensemble ist
Baloni mit Frantz Loriot (Viola) und Joachim Badenhorst (Klarinetten, Saxofon).
Das ist eine kooperative Band mit kammermusikalischer Besetzung, die einen
anderen Klang besitzt. Eine solche Gruppe ohne Schlagzeug ermöglicht einen ganz
anderen Zugang. Ich kann z.B. viel mehr mit dem Bogen spielen, weil die Musik
leiser und subtiler ist.
Der Konzertraum “The Stone” von John Zorn
ist einer der wichtigsten Orte für kreative Musik in New York. Nicht weit davon
entfernt liegt das Nublu, wo ebenfalls viel los ist von DJs über Groove-Jazz
bis zum Nublu-Orchestra geleitet von Butch Morris. Ein paar Minute zu Fuß und
man landet im 5C Cultural Centre & Café, einem kleine Café, wo ebenfalls
Live-Auftritte stattfinden.
In Brooklyn gibt es das Douglass Street
Music Collective. Das ist ein großer Raum, den eine Gruppe von Musikern
gemietet hat, um Konzerte zu veranstalten. Ein anderer Auftrittsplatz ist das
I-Beam, ebenfalls ein Ort, der von Musikern betrieben wird, die dort proben,
aber auch Konzerte durchführen. Dort kann man sich einklinken und vielleicht
einmal ein Konzert gemeinsam organisieren. All diese Aktivitäten basieren auf
dem New Yorker Do-It-Yourself-Prinzip der Selbsthilfe. An diesen Plätzen gibt
es keinen kommerziellen Druck. Man kann Neues und Gewagtes ausprobieren. Das
LaunchPad ist ein anderer Platz. In diesem Kulturzentrum in Brooklyn finden
tagsüber Yoga-Kurse und ähnliches statt und abends manchmal Konzerte. Das sind
Orte der Eigeninitiative, die von Künstler geführt werden. Es gibt Parallelen
zur New Yorker Loftszene der 70er Jahre, wo Musiker auch ihre eigenen
Konzerträume betrieben.
Ich veranstalte bei mir daheim eine kleine
Hauskonzertreihe, die den Namen “The Couch” trägt. Dafür habe ich mich mit ein
paar Musikern aus Brooklyn zusammengetan. In den verschiedenen Wohnungen der
Beteiligten finden zweimal im Monat Konzerte statt. Manchmal treten dabei
Musiker auf, die gerade in New York auf Besuch sind. Es soll die Beteiligten
dazu anregen, mal etwas anderes zu wagen: Spiel’ Solo oder Duo oder in einer
unkonventionellen Besetzung! Auf diese Weise wollen wir uns gegenseitig
unterstützen, neue Formen und neue Ideen auszuprobieren und zu entwickeln.
DER ARTIKEL ERSCHIEN ZUERST IN DER ZEITSCHRIFT JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)
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