Heimat der Avantgarde
Seit fünf Jahren dem musikalischen Experiment
verpflichtet - der “Stromraum” in
Stuttgart feiert Jubiläum
Ikue Mori
cw. “Stromraum” nennt sich ein größeres Kellerstudio
in einem Hinterhaus in Stuttgart-Cannstadt. In der König-Karl-Straße 27 ist die
musikalische Avantgarde zuhause. Seit fünf Jahren finden hier regelmäßig
Konzerte statt, ungefähr eins im Monat, oft gespielt auf elektronischen Klangerzeugern
wie Synthesizer, Musikcomputer oder Laptop. Die Zuschauerzahl ist überschaubar,
der Rahmen intim. Man ist zum Zuhören gekommen, vielleicht auch um neue
Klangerfahrungen zu machen, denn darauf legt das Programm Wert. “Erwarte das
Unerwartete” könnte sein Moto lauten. Wer musikalisch neugierig ist, befindet
sich hier am richtigen Ort.
Jetzt ist dem Veranstalter, dem Verleger Eckhart
Holzboog, ein echter Coup gelungen. Am Samstag, den 17. Januar (20 Uhr), ist im
“Stromraum” ein hochkarätiges Duo zu Gast. Die Elektronikerin Ikue Mori aus New
York und der Gitarrist Fred Frith aus Kalifornien sind Spitzenmusiker der
internationalen Avantgarde. Zusammen werden sie die Zuhörer auf eine musikalische
Abenteuerfahrt nehmen. Der Auftritt ist das einzige Konzert der beiden in
Europa. Am 28. Februar geht es dann weiter auf ähnlich hohem Niveau. Dann hat
der Vokalist und Maulwerker Phil Minton aus London sein Kommen zugesagt.
Vom Schlagzeug über die Drum-Maschine zum
Laptop, auf diese Kurzformel könnte man die Karriere der in New York lebenden
Japanerin Ikue Mori bringen. Ende der siebziger Jahre geriet sie bei einer
Touristenreise in den Strudel der New Yorker New-Wave-Szene und tauchte als
Schlagzeugerin des legendären Trios DNA wieder auf. Bis heute ist die gelernte
Grafikdesignerin Profimusikerin geblieben und gilt seit Jahren als eine der
interessantesten Elektronikerinnen der amerikanischen Experimental-Szene.
Wenn Ikue Mori ihre Klangmaschine anwirft, dann zirpt,
knistert, blubbert und raschelt es. Auch einen knarzenden Elektro-Beat bringt
sie manchmal hervor. Oder es dringen Sounds ans Ohr, wie man sie noch nie gehört
hat: Klänge so buntschillernd wie eine Pfauenfeder oder ein exotischer
Schmetterling.
Wenn sie nicht gerade auf Tournee ist, sitzt die
Klangkünstlerin daheim am Bildschirm und bastelt an außergewöhnlichen Sounds.
Das Klänge werden so lange bearbeitet, durch Filter geschickt, verzerrt, manipuliert
und umgewandelt, bis sie ihren Vorstellungen entspricht. So entstehen das
Klangmaterial, aus dem sie bei Auftritten schöpft.
Mori ist eine Virtuosin auf dem Laptop, der
inzwischen zum Emblem des digitalen Musikzeitalters geworden ist und die
E-Gitarre abgelöst hat, die für die Rock-Ära stand. Mit der Gitarre wurde Fred
Frith groß. Der Engländer, der mit einer Stuttgarterin verheiratet ist und
heute am renommierten Mills College in Kalifornien lehrt, wurde in den
siebziger Jahren mit der experimentellen Rockgruppe Henry Cow bekannt, bevor er
nach Amerika zog. Dort war er jahrelang auf der New Yorker Szene aktiv, wobei
er in Gruppen von John Zorn und Bill Laswell spielte.
Improvisation und Komposition sind die beiden
Pole, zwischen denen sich Frith bewegt. Er entgrenzt das Gitarrenspiel, geht
weit über gängige Vorstellungen hinaus, welche Sounds einer Gitarre entlockt
werden können. Wenn er Tischtennisbälle über die Saiten hüpfen lässt oder Metallfedern
dazwischenklemmt, erklingen die abenteuerlichsten Klänge und Geräusche. Ikue
Mori wird kein Problem haben, darauf eine adäquate Antwort zu finden.
Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote, große Tageszeitung in Südwestdeutschland.
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