Okkulte Tänze
Einst war es das
häßliche Entlein unter den Musikinstrumenten - heute ist das Akkordeon fast
schon ein Hipster-Instrument. Durch die portugiesische Gruppe Dancas Ocultas erhält
es neue Impulse
Doch das
Ensemble, das dem Akkordeon den meisten Respekt verschaffte, war Accordion
Tribe, ein Quintett vom New Yorker Guy Klucevsek initiiert, das fünf Virtuosen
des Akkordeons zusammenbrachte und eindrucksvoll demonstrierte, welches
ungehobene Potenzial in dem lange verpönten Instrument noch steckt. Jetzt hat
eine Gruppe aus Portugal den Faden aufgegriffen: Dancas Ocultas ist ein
Quartett, das ebenfalls ausschließlich aus Akkordeonisten besteht, aber nicht
wie Accordion Tribe im Experimentellen beheimatet ist, sondern die
traditionelle Musik Portugals in die Moderne überführt.
In der
portugiesischen Volksmusik spielt das diatonische Akkordeon seit dem 19.
Jahrhundert eine wichtige Rolle. Vor allem in der traditionellen Musik des
Nordens gehört es zur Grundausstattung. Ein paar Pluspunkte zeichnen die
Ziehharmonika aus: Sie ist relativ einfach zu spielen, kann sich selbst im
Freien Gehör verschaffen und ist eine One-Man-Band. Das machte das Instrument
bei Dorffesten und Hochzeiten unverzichtbar. Sogar bei der Weinherstellung kam
es zum Einsatz. Wie alte Fotographien aus Portugal vom Anfang des 20.
Jahrhunderts zeigen, wurden die gesammelten Trauben in einem riesigen Bottich
von den Dorfbewohnern barfuß zu Saft gestampft, in Trab gehalten von den
Klängen eines Akkordeons.

Alle vier
Musiker von Dancas Ocultas stammen aus der Gemeinde Águeda, 60 km südlich von
Porto gelegen. Und jeder von ihnen spielte bereits als Kind Ziehharmonika –
traditionelle und populäre Melodien, wo immer Musik gefragt war. Später gingen
die vier aufs Musikkonservatorium, um noch andere Instrumente zu erlernen und
sich im Ensemblespiel zu üben. Artur Fernandes studierte Saxofon und spielte
klassische Musik in einem Saxofonquartett, was ihn auf eine verwegene Idee
brachte: eine Gruppe ausschließlich aus Akkordeonisten zusammen zu stellen.
Das war vor 27
Jahren. Die Vision von Dancas Ocultas hat sich seither kaum verändert und trägt
bis heute: neuartige Musik für das Instrument zu erwerfen, die einerseits
zeitgemäß und trotzdem die Tradition nicht aus den Augen verliert. Ein
wichtiger Anstoß erhielt Fernandes vor Jahren vom italienischen Akkordeonmeister
Riccardo Tesi, der dem Portugiesen die Augen öffnete: “Tesi erzählt mir von all
diesen tollen Akkordeonisten: Marc Perrone aus Frankreich, Kepa Junkera aus dem
Baskenland. Mein Horizont explodierte förmlich. Ich besorgte mir ihre
Schallplatten und plötzlich entdeckte ich überall auf dem Planeten fantastische
Akkordeonmusik.”
Diese Öffnung
ging mit einer gleichzeitigen Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln einher, was
in Portugal in den frühen 1980er Jahren einsetzte, als eine folkloristische Bewegung
die traditionelle Musik neu entdeckte. Aus beiden Bewegungen speist sich Dancas
Ocultas.
Die vier
Akkordeonisten verstanden sich nicht als eine Ansammlung von Solisten, sondern
wollten explizit als Gruppe Musik machen, wodurch sie sich von Accordion Tribe
absetzten, das zweifellos ein Solistenensemble war.
Weniger virtuos,
dafür medodiefreundiger, tänzerischer und klangverliebter präsentieren Dancas
Ocultas ihre Musik. Kunstvoll werden die verschiedenen Stimmen
übereinandergelegt und mit wuchtigen Baßlinien verwoben, wobei auf dem
aktuellen Album “Amplitude” noch eine andere Klangfarbe ins Spiel kommt. Das
Album entsprang einer Kooperation mit dem Orquestra Filarmonia das Beiras,
einem Sinfonieorchester aus der Heimatregion der Akkordeonisten, das die Musik
samtweich mit wohligen Streicherklängen unterlegt oder ein anderes Mal
kraftvoll verstärkt. Dabei gelingt das Kunststück, die beiden Pole - hier Volksmusik, da Kunstmusik - auf einfühlsame
Weise zu verbinden.
Dancas Ocultas
& Orquestra Filarmonia das Beiras: Amplitude
(Uguru)
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