Musikalischer
Freibeuter
Zum Tod von Trikont-Labelchef
Achim Bergmann (1943-2018)
cw. Von
der U-Bahn-Haltestelle “Silberhornstraße” in München-Giesing ist es nur ein
Katzensprung. Ein paar Rolltreppen hoch und über die Kreuzung, dann steht man
vor einem ummauerten Innenhof mit Brettertür. Am Briefkasten ist ein Aufkleber mit
der Aufschrift “Trikont” angebracht. “Trikont-Schallplatten – Unsere Stimme”
ist vielleicht das älteste unabhängige Plattenlabel der Bundesrepublik und eines
der wenigen deutschen Labels mit internationaler Reputation. Herz und Seele des Unternehmens war Achim Bergmann, der die kleine Firma mit seiner Lebensgefährtin Eva Mair-Holmes leitete. Nach mehr als 20 Jahren gemeinsamen Lebens hatten sie letztes Jahr geheiratet.
Bergmann
war ein Mann mit eigenem Kopf, der seinen Betrieb zu einem bunten
Paradiesvogel am Rande des Haifischteichs namens “Musikindustrie” gemacht hat,
mit einem Programm, das quer zu Moden und Kommerz steht. Schroeder Roadshow,
Schwoißfuaß, Hans Söllner, Georg Ringsgwandl, Attwenger, Funny van Dannen,
Rocko Schamoni, Bernadette La Hengst und LaBrassBanda sind nur ein paar der
Namen der alternativen deutschen Musikszene, die Trikont im Laufe seiner mehr 50jährigen Geschichte groß gemacht hat.
Ursprünglich
war Trikont aus den Umbrüchen der 68er-Zeit hervorgegangen. Anfangs versorgte
der Münchner Alternativverlag die rebellischen Studenten mit radikalem Lesestoff.
Mit der persönlichen Genehmigung von Fidel Castro gab Trikont etwa die
Tagebücher von Che Guevara heraus. Joschka Fischer, damals Sponti-Häuptling in
Frankfurt, war einer der Zuträger des Verlags, der Bücher für Übersetzungen
vorschlug. Stolz kramte Achim Bergmann einst bei einem Besuch einen persönlichen Brief des damaligen Außenministers hervor.
1971
veröffentlichte Trikont die erste Schallplatte unter dem Titel “ Wir befreien
uns selbst”. Weitere Einspielungen folgten, etwa aus dem Widerstand gegen das
Atomkraftwerk Wyhl oder mit Musik indianischer Ureinwohner. Mehr und mehr
entdeckte Bergmann widerspenstige Musik auch im eigenen Umfeld. Der Sauerländer tauchte in den alternativen Untergrund von Bayern ein, stieß auf den singenden
Oberarzt Georg Ringsgwandl, die zarten Klänge der Fraunhofer Saitenmusik und
den brachialen Protestsänger Hans Söllner.
Der Horizont weitete sich. Bergmann gab Cajun-Musik aus Louisiana, griechische Rembetika-Klänge und jüdische Klezmeraufnahmen heraus. Dazu kamen obskure Zusammenstellungen mit jodelnden Cowboy-Sängern oder böhmischen Polka-Musikanten aus Texas. “Mich interessieren die Musikstile von Volksgruppen, die selbstbewußt ihre eigene Kultur verteidigen und sich nicht vom Mainstream vereinnahmen lassen”, formuliert Bergmann seine Philosophie, der über die Jahre eine erkleckliche Zahl musikalischer Perlen zu verdanken sind. Bergmann war kein Musikologe, die mochte er nicht: Vielmehr war er ein echter Fan und leidenschaftlicher Enthusiast, der Musik wirklich liebte.
Mit
offenen Ohren, wachem Verstand und einer guten Spürnase gelang es
Bergmann und seinem Team immer wieder neue musikalische Milieus aufzustöbern,
die abseits der Hitparaden blühten. Von “atemberaubenden Samplern,
zusammengestellt von Kennern mit goldenen Ohren” schwärmte die BBC. Und die
englische Sonntagszeitung “Observer” erklärte Trikont schlicht zum “besten
Label der Welt für vorzügliche Compilations”.
Am 1. März 2018 ist Achim Bergmann überraschend gestorben. Nach zwei schweren Operationen im Januar (Bypass und Hüfte) befand er sich eigentlich auf dem Weg der Besserung. Er sei seit dem Krankenhausaufenthalt nur immer so müde gewesen. Achim Bergmann hatte eine so starke Präsenz, war ein derart sprudelnder Quell von Ansichten und Weltsichten, Einfällen und Eingebungen, Ideen und Gedankenblitzen, dass sein Tod etwas Unwirkliches hat. Die Welt ist für mich ohne ihn nicht richtig denkbar. Irgendwie kann ich es gar nicht fassen, irgendwie ging ich davon aus, er wäre immer da. Wie kann es ohne ihn weitergehen?
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