Monday, 30 April 2018

Lotte Reiniger: Von Thomas Köner vertont

 Von fliegenden Pferden und Riesenschlangen

Das Internationale Stuttgarter Trickfilm Festival 2019 würdigte Lotte Reiniger, die Ahnherrin des Animationsfilms
 cw. Jedes Jahr im Frühjahr wird Stuttgart für eine Woche zum Mittelpunkt der Welt des Animationsfilms. Von Kurzfilmen über Musikvideos bis zu Blockbustern à la „Paddington“ ist beim Internationalen Trickfilm Festival die ganze Bandbreite an Filmen zu sehen, die heute die Branche ausmachen. Dazu gibt es Kultfilme wie die „Simpsons“, Workshops und Vorträge, die Einblicke in die Arbeitstechniken der Trickfilmer gewähren, plus eine „Game-Zone“ für Kinder, wo die Kleinen die neusten Videospiele ausprobieren können.

Ein besonderer Schwerpunkt lag dieses Jahr auf der Zusammenführung von Animation und Musik in sogenannten „CineConcerts“. Dabei führte der kanadische Indierocker Chad VanGaalen seine fantasievollen Zeichentrickfilme bei einem Auftritt seiner Band in der Schorndorfer Manufaktur vor, während eine andere Veranstaltung in der Ludwigsburger Musikhalle zu den Anfängen des Zeichentrickfilms zurückkehrte. Wie zu Stummfilmzeiten interpretierte der Elektroniker Thomas Köner mit ausgefallenen Klängen den ersten, heute noch erhaltenen Silhouettenfilm „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ von Lotte Reiniger, der vor knapp hundert Jahren entstanden ist und als Startschuß für das ganze Genre wirkte. Damals standen in den Kinos noch große Orgeln, wo findige Tastenmusiker für die musikalische Untermalung des jeweiligen Stoffs sorgten. Heute übernimmt ein Laptop diese Aufgabe, mit dem Thomas Köner die buntesten Sounds herbeizauberte.
Die Trickfilmpionierin Lotte Reiniger (1899-1981), die in der Nazi-Ära lange Zeit im Londoner Exil lebte, ihre Lebensabend aber in Dettenhausen bei Tübingen verbrachte, hatte mit einem Team von Helfern von 1923 an drei Jahre am „Prinzen Achmed“ gearbeitet. Dabei wurden fein zisellierte Scherenschnitt-Figuren aus schwarzer Pappe verwendet, die als einzelne Bilder abfotografiert, dann geringfügig verändert wurden, um damit einen Bewegungseffekt zu erzielen. Eine Viertel Million Einzelbilder schoß das Reiniger-Team, von denen letztlich 96000 verwendet wurden, was bei einer Abspielgeschwindigkeit von 24 Bildern pro Sekunde eine Filmlänge von 65 Minuten ergibt. Das Ergebnis war der erste abendfüllende Trickfilm der Filmgeschichte, den nun Thomas Köner (Jahrgang 1965) in Ludwigsburg ‘live’ mit zeitgenössischer Musik untermalte.

„Prinz Achmed“ spielt im Orient und verarbeitet verschiedene Motive aus dem Märchenwerk „Tausendundeine Nacht.“ Es geht um schöne Prinzessinnen, edle Prinzen, böse Zauberer und Hexen, um fliegende Pferde, Riesenschlangen und Wunderlampen, um Geister und Dämonen. Am Ende kommt es zum dramatischen „Show-Down“, wobei der Prinz in der turbulenten Schlacht siegt und seine Prinzessin schließlich heiraten kann.

Dem renommierten Elektroniker Thomas Köner gelang es ausgezeichnet, die Atmosphäre des Films musikalisch einzufangen und gekonnt zu dramatisieren. Wenn anfangs die knarzenden Geräusche, Melodiefetzen und Klangflächen noch etwas gewöhnungsbedürftig waren, tauchte man doch recht schnell in diese andere Klangwelt ein und nahm nach einiger Zeit den fast hundert Jahre alten Silhouetten-Film und die avantgardistischen Sounds als eine Einheit wahr, was „Die Abenteuer des Prinzen Achmed“ zusätzlich zu einem echten musikalischen Abenteuer machte.

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