Tuesday, 26 November 2019

Wogram & Sachse in Villingen

Von Jazzballaden zu Geräuschorgien

Das hochkarätige Jazzduo von Nils Wogram und Joe Sachse schlägt im Jazzclub Villingen den Bogen zwischen Ost und West

Foto: C. Wagner

cw. Jazz kann Brücken bauen: zwischen den Generationen, zwischen Ost- und Westdeutschland sowie zwischen akustischem und elektrischem Instrumentarium. Diese Tatsache dokumentierte im Jazzclub Villingen auf beispielhafte Weise das Duo des E-Gitarristen Helmut „Joe“ Sachse (Jahrgang 1947) aus Chemnitz und des 25 Jahre jüngeren Posaunisten Nils Wogram, der aus Braunschweig stammt, aber heute in Zürich lebt. Beide gelten als renommierte Namen der deutschen Jazzszene.

Das Duett hatte ein Dutzend Stücke vorbereitet, die alle ziemlich genau ausnotiert waren und dennoch genügend Freiraum für spontane Improvisationen ließen. Üblicherweise zupfte Sachse, dessen Spitzname „Joe“ vom Hendrix-Titel „Hey Joe“ herrührt, ein paar filigrane Läufe oder wuchtige Akkorden zur Einleitung, über die dann Wogram eine exponierte Melodie legte. Dann schwang sich einer der beiden zu einem Solo auf, während der andere auf dezente Weise die Rolle des Begleiters übernahm, um danach wieder zum ursprünglichen Thema zurückzufinden. 

Sachse, angelehnt an ein Ein-Mann-Orchester, klopfte dazu zusätzlich den Rhythmus mit den Füßen auf seinem Gitarrenkasten und einer Tüte, die raschelte, was einen einfachen Beat ergab, das Duo aber zu einem kompletten Ensemble abrundete. 

Um das Klangspektrum zu erweitern, hatte jeder der beiden ein paar Kniffe aus der Trickkiste parat. Sachse setzte dazu vom Schraubenzieher bis zum Messer alle möglichen Objekte ein, mit denen er über die Saiten strich oder seine Gibson Les Paul, ein heute klassisches E-Gitarrenmodell, sehr effektvoll und zielsicher traktierte. Zusätzlich hatte er auf dem Gitarrenrumpf zwei Kontaktmikrofone aufs Holz aufgeklebt, um den Korpus als Trommel nutzen zu können. Nils Wogram verwendete dagegen ab und zu einen Schalldämpfer, damit er seiner Posaune Wah-Wah-Geräusche und ein tiefes Grunzen entlocken konnte.  

Solche Effekte sorgten für Abwechslung im Klanggewebe, wobei beide Musiker auch ohne diese Kunstgriffe problemlos hätten bestehen können, sind sie doch Virtuosen im höchsten Grade. Wogram spielt seine Posaune mühelos und mit einer atemberaubenden Leichtigkeit selbst in schnellsten Notenläufen. Dagegen zitierte Sachse mit enormer Fingerfertigkeit die ganze Geschichte der E-Gitarre von der Jazzballade eines Joe Pass bis zu den Saiten-Exorzizieneines Jimi Hendrix’ mit Ausflügen in den Rock ‘n’ Roll oder den Jazzrock von John McLaughlin, wobei der  Mann aus Ostdeutschland an den Geräuschorgien sichtlich die meiste Freude hatte.  
Das Publikum, überwiegend ältere Semester, saß dicht gedrängt im kleinen Villinger Jazzkeller (gegründet 1961) und reagierte mit Überschwang auf die Darbietungen der beiden, um sie nicht ohne Zugabe von der Bühne zu lassen.   

Tuesday, 19 November 2019

RADIO RADIO RADIOPHON

RADIOPHON 
Donnerstag, 28. November 2019, SWR2  
21:03- 22:00 Uhr
von Christoph Wagner

Mike Formanek Quartet (Foto: Promo)

Musikcollagen mit Titeln von Coconami aus München, dem Mike Formanek Quartet aus New York, Solopiano von Alexander Hawkins, Perkussionsmusik von Fritz Hauser, die Dreampop-Gruppe Pram aus Birmingham plus der Text „Weil Es Die Welt Gar Nicht Gibt“ von Herbert Achternbusch. Dazu noch eine Komposition von Lukas Ligeti – einer Art afrikanischer Minimalmusik. Dann das „Gloria“ aus der „Missa Ave Maria“ des englischen Renaissance-Komponisten Thomas Ashwell, gesungen vom belgischen Spezialistenensemble Graindelavoix, sowie ein elektronisches Stück von Morton Subotnick. Außerdem: Ten Years After, Manfred Kniel sowie Don Byron mit einer Bach’schen „Violin Partita“. Zum Abschluß singt uns eine Vokalgruppe aus den Bahamas in den Schlaf. 


swr.de/swr2



Don Byron (Foto: Promo)

Monday, 11 November 2019

Buch zur Poprevolte Südwest

BUCHNEUERSCHEINUNG:

DER SÜDEN DREHT AUF – DIE POPREVOLTE DER 60ER und 70ER JAHRE IN BILDERN




Gestern Abend in Balingen angekommen, hab ich eine Schachtel voller Bücher vorgefunden. Belegexemplare von 'Der Süden dreht auf – Die Poprevolte der 60er- und 70er Jahre in Bildern'. Das Fotobuch zur Popgeschichte Südwestdeutschlands und die Fortsetzung der 'Träume aus dem Untergrund' ist jetzt also endlich raus (juhehhh!!!), im Silberburg-Verlag erschienen und in allen Buchhandlungen zu haben.


190 Seiten, mit mehr als 100 raren exquisiten Fotos (etliche davon in Farbe), von denen viele noch nie öffentlich zu sehen waren von Fotografen wie Manfred Grohe, Jörg Becker, Manfred Rinderspacher, Martin Schulz, Rupert, Leser, Johannes Andele und Lothar Schiffler, und die die Atmosphäre und den Geist der 60er und 70er Jahre auf wunderbare Weise einfangen. 29.90 Euro





Saturday, 9 November 2019

Das Trautonium: Urvater des Synthesizers

Futuristische Klangmaschine

Peter Pichler stellt am 6. Dezember im Alten Schlachthof in Sigmaringen mit dem Trautonium ein Urinstrument der elektronischen Musik vor

           Oskar Sala     (Foto: C. Wagner)

cw. Seinen spektakulärsten Auftritt hatte es 1963 im Film „Die Vögel“ von Alfred Hitchcock: Das Trautonium, gespielt von Oskar Sala, lieferte die elektronisch imitierten Vogelschreie und andere Geräusche, ohne die der Film nur halb so effektiv gewesen wäre. Hitchcock war von dem Soundtrack äußerst angetan, was Sala viel Aufmerksamkeit einbrachte.

Oscar Sala war nicht unvorbereitet an den Auftrag herangetreten. Er hatte zuvor schon unzählige Industriefilme mit dem Trautonium vertont, das lange Zeit als der Inbegriff eines futuristischen Klangerzeugers galt. 1929 hatte er zusammen mit seinem Komponistenlehrer Paul Hindemith und dem Ingenieur Friedrich Trauwein an der Berliner Hochschule für Musik das Musikinstrument entwickelt, um die neuen Möglichkeiten der elektronischen Klangerzeugung zu nutzen.

Dr. Trautwein entwickelte ein Instrument, das aus Spielmanual, einer Metallschiene und einem dünnen Widerstandsdraht bestand. Wenn man diesen Draht auf die Metallschiene drückte, ertönte ein heulender Ton. Das Grundprinzip des Trautoniums war geboren. Hindemith schrieb ein erstes Stück für drei Trautonium-Instrumente, das vom Meisterkomponisten selbst mit Hilfe von Oscar Sala 1930 in Berlin uraufgeführt wurde und das in seinen sieben Sätzen schon die verschiedenen Klangfarbenmöglichkeiten des Instruments aufzeigte. Hindemith komponierte noch weitere Stücke für das Instrument, das später auch von anderen Komponisten aufgegriffen wurde. Harald Genzmer etwa entwarf Stücke für Trautonium und Streichorchester, und andere Komponisten fragten Sala nach Soundeffekten, die er mit seinem elektronischen Instrument liefern konnte. Selbst die NASA ließ von Sala einen Mondlandefilm vertonen.

Später interessierten sich immer wieder Popmusiker für das Instrument, doch Sala blockierte jeden Versuch das Trautonium ausgiebiger zu vermarkten. Nach Salas Tod im Jahre 2002 – er wurde 92 Jahre alt –, fing durch Anregung des Münchner Keyboardspielers Peter Pichler die Firma Trautoniks in Wolfhagen bei Kassel an, das Instrument nachzubauen und trug so zu seiner weiteren Verbreitung bei. 

Peter Pichler (Promo)
 
Peter Pichler, der sonst in der Begleitband des bayerischen Liedermachers Hans Söllner Keyboard und Akkordeon spielt, hat sich inzwischen zum bekanntesten Solisten des Trautoniums entwickelt, der sowohl die klassische Trautonium-Literatur neu interpretiert, als auch Vertonungen von Stummfilmen oder der Mondlandung unternimmt. Ein derartiges Programm aus Klassikern und einer Filmvertonung wird er am 6. Dezember um 20 Uhr in Sigmaringen im Alten Schlachthof präsentieren. Eine äußerst rare Gelegenheit, Bekanntschaft mit diesem exquisiten elektronischen Instrument zu machen, das als Urvater des Synthesizer gilt.