Von Jazzballaden zu Geräuschorgien
Das hochkarätige Jazzduo von Nils Wogram und Joe Sachse schlägt im Jazzclub Villingen den Bogen zwischen Ost und West
Foto: C. Wagner
cw. Jazz kann Brücken bauen: zwischen den Generationen, zwischen Ost- und Westdeutschland sowie zwischen akustischem und elektrischem Instrumentarium. Diese Tatsache dokumentierte im Jazzclub Villingen auf beispielhafte Weise das Duo des E-Gitarristen Helmut „Joe“ Sachse (Jahrgang 1947) aus Chemnitz und des 25 Jahre jüngeren Posaunisten Nils Wogram, der aus Braunschweig stammt, aber heute in Zürich lebt. Beide gelten als renommierte Namen der deutschen Jazzszene.
Das Duett hatte ein Dutzend Stücke vorbereitet, die alle ziemlich genau ausnotiert waren und dennoch genügend Freiraum für spontane Improvisationen ließen. Üblicherweise zupfte Sachse, dessen Spitzname „Joe“ vom Hendrix-Titel „Hey Joe“ herrührt, ein paar filigrane Läufe oder wuchtige Akkorden zur Einleitung, über die dann Wogram eine exponierte Melodie legte. Dann schwang sich einer der beiden zu einem Solo auf, während der andere auf dezente Weise die Rolle des Begleiters übernahm, um danach wieder zum ursprünglichen Thema zurückzufinden.
Sachse, angelehnt an ein Ein-Mann-Orchester, klopfte dazu zusätzlich den Rhythmus mit den Füßen auf seinem Gitarrenkasten und einer Tüte, die raschelte, was einen einfachen Beat ergab, das Duo aber zu einem kompletten Ensemble abrundete.
Um das Klangspektrum zu erweitern, hatte jeder der beiden ein paar Kniffe aus der Trickkiste parat. Sachse setzte dazu vom Schraubenzieher bis zum Messer alle möglichen Objekte ein, mit denen er über die Saiten strich oder seine Gibson Les Paul, ein heute klassisches E-Gitarrenmodell, sehr effektvoll und zielsicher traktierte. Zusätzlich hatte er auf dem Gitarrenrumpf zwei Kontaktmikrofone aufs Holz aufgeklebt, um den Korpus als Trommel nutzen zu können. Nils Wogram verwendete dagegen ab und zu einen Schalldämpfer, damit er seiner Posaune Wah-Wah-Geräusche und ein tiefes Grunzen entlocken konnte.
Solche Effekte sorgten für Abwechslung im Klanggewebe, wobei beide Musiker auch ohne diese Kunstgriffe problemlos hätten bestehen können, sind sie doch Virtuosen im höchsten Grade. Wogram spielt seine Posaune mühelos und mit einer atemberaubenden Leichtigkeit selbst in schnellsten Notenläufen. Dagegen zitierte Sachse mit enormer Fingerfertigkeit die ganze Geschichte der E-Gitarre von der Jazzballade eines Joe Pass bis zu den Saiten-Exorzizieneines Jimi Hendrix’ mit Ausflügen in den Rock ‘n’ Roll oder den Jazzrock von John McLaughlin, wobei der Mann aus Ostdeutschland an den Geräuschorgien sichtlich die meiste Freude hatte.
Das Publikum, überwiegend ältere Semester, saß dicht gedrängt im kleinen Villinger Jazzkeller (gegründet 1961) und reagierte mit Überschwang auf die Darbietungen der beiden, um sie nicht ohne Zugabe von der Bühne zu lassen.