Tuesday, 28 April 2020

Das THEREMIN wird 100

Töne aus der Luft

Vor 100 Jahren begann mit dem Theremin das Zeitalter der elektronischen Musik – bis heute spielt es in Pop und Filmmusik eine Rolle 

Carolina Eyck (Promo)


Sendung: SWR2, SWR2-Musikpassagen / Sonntag, 3. Mai 2020; 23:03 – 24:00 Uhr 
(danach eine Woche im Internet: swr.de/swr2) 
DAS THEREMIN WIRD 100 – DIE ANFÄNGE DER ELEKTRONISCHEN MUSIK

cw. Es ist das einzige Musikinstrument, das gespielt wird, ohne dass man es berührt: Das Theremin besteht aus einem kleinen Kasten mit einer Antenne, einem Metallbügel und ein paar Knöpfen dran. Wenn man die Hände in seinem elektro-magnetischen Feld bewegt, gibt es einen geisterhafter Ton von sich, der stufenlos die Tonleiter rauf oder runter gleiten kann. 

Was uns heute als skurriler Klangerzeuger erscheint, war in den 1920er Jahren eine Sensation. Als erstes elektronisches Musikinstrument sorgte das Theremin weltweit für Furore. Neugierige standen sich die Fuße platt, um seinen geisterhaften Klang zu hören und Komponisten schrieben eigens Stücke dafür. Nach dem 2. Weltkrieg kam es in Grusel- und Science-Fiction-Filmen zu Popularität, und in den 1960er Jahren experimentierten Popmusiker damit. Danach erlebte es in den 1990er Jahren abermals ein kleines Comeback, als progressive Rockgruppen wie Portishead, Paul Weller, Pere Ubu und Mercury Rev es verwendeten. Bis heute wird das Urinstrument der elektronischen Klangerzeuger von Musikern gespielt, die auf ungewöhnliche Klänge aus sind, wobei die Bandbreite von der englischen Popgruppe Pram über die psychedelischen Türkrocker BaBa ZuLa bis zur deutschen Theremin-Solistin Carolina Eyck reicht. 
                                                                                                                      Leon Theremin
Als das Theremin 1927 erstmals in Europa vorgestellt wurde, war die Pariser Oper bis auf den letzten Platz gefüllt. Während sich vor dem Gebäude abgewiesene Besucher mit der Polizei prügelten, wurde drinnen die „Wundermaschine“ als Sensation gefeiert. Das Verblüffende der Neuheit war, dass man damit „Töne aus der Luft“ herbeizaubern konnte, ohne mit dem Gerät auch nur in Berührung zu kommen. 
Der Erfinder der Klangmaschine, der Russe Lev Termen (1896 -1993), der sich im Westen Leon Theremin nannte, erläuterte bei seinen Konzertvorführungen die Funktionsweise. Er führte aus, dass das neue Instrument einem kaputten Radiogerät ähnele, dessen Brummtöne er zum Musikmachen nutze. 

Theremin war Physiker und Musiker in einer Person. Er hatte die Klangmaschine 1920 konstruiert und war damit bei Lenin auf Interesse gestoßen. Der neue russische Regierungschef wollte die Erfindung als „Errungenschaft der Revolution“ propagandistisch ausschlachten und schickte dafür Theremin in den Westen. 


Nach dem Debut in Paris waren London, Berlin und Frankfurt die nächsten Stationen seiner Gastspielreise. Im Januar 1928 stellte er die Klangmaschine erstmals in Amerika vor, wobei die Crème der Musikwelt zur Vorführung erschien, darunter der Pianist Sergei Rachmaninow und der Dirigent Arturo Toscanini. Der junge russische Professor spielte, begleitet von Klavier und einem zweiten Theremin, Schuberts „Ave Maria“ und „Der Schwan“ von Camille Saint-Seans. Der Publikum stand Kopf. Bald fand ein weiteres Konzert in der berühmten Carnegie Hall in New York statt. Danach musste Theremin in ein Stadion für 15000 Zuhörer umziehen, so riesig war der Andrang. Die Besucher waren vollkommen verwundert und konnten nicht glauben, was sie hörten und sahen“, berichtete eine Zeitung. Danach ging Theremin auf Tournee duch die USA, wo er seine Neuheit in Varieté-Shows und Vaudeville-Theatern vorstellte. Es dauerte nicht lang, bis andere Musiker bei ihm ein Instrument erwarben und ebenfalls Theremin-Konzerte gaben.  

 Theremin richtete in Manhattan ein elektronisches Musikstudio ein, wo er an Verbesserungen seiner Erfindung tüftelte. Gleichzeitig versuchte er avantgardistische Komponisten wie Edgard Varèse oder Henry Cowell zu interessieren, gab Unterricht und absolvierte Auftritte mit einem größeren Ensemble, um die orchestralen Möglichkeiten des Instruments auszuloten. Das spektakulärste Konzert fand 1932 statt, als ein Orchester aus 16 Theremin-Instrumenten in einer „Electrical Symphony“ auftrat.

Alles lief prächtig bis ins Jahr 1938: Da riß die Erfolgssträhne auf einmal ab. Theremin war verschwunden. Wie sich später herausstellte, hatte er in den USA als Informant für den russischen Geheimdienst gearbeitet, der ihn in die Sowjetunion zurückgeholt hatte. Dort kam es zu Beschuldigungen. Theremin wurde in ein sibirisches Arbeitslager gesteckt, aus dem er erst nach acht Jahre wieder freikam.

Sein Verschwinden tat der Popularität seines Instruments keinen Abbruch. In den 1940er Jahren entdeckte die Filmindustrie die Klangmaschine als ideale Untermalung von Thrillern, Grusel- und Science-Fiction-Filme. Im Film „Spellbound“ von Alfred Hitchcock hatte es 1945 seinen größten Auftritt, als es die Geistesverwirrung von Hauptdarsteller Gregory Peck akustisch untermalte.

1966 hielt das Theremin Einzug in die Popmusik. Brian Wilson von den Beach Boys machte davon im Hit „Good Vibrations“ Gebrauch. Wilson war in seiner Jugend bei einem Freund auf das Theremin gestoßen und erinnerte sich an das Instrument, als er für den Titel nach einem originellen Sound suchte.

Ungefähr zur selben Zeit griff der Amerikaner Robert Moog, der als Teenager nach dem Bausatz eines Versandhauses sein erstes Theremin gebastelt hatte und sich sein Studium durch den Verkauf von Theremin-Bausätzen verdiente, die Konstruktion erneut auf, um sie zum Synthesizer weiterzuentwickeln. Heute taucht das Theremin auf der aktuellen Musikszene immer wieder auf, auch wenn der Sensationseffekt mittlerweile verflogen ist. In Filmen wie „Ghostbusters“ (1984), „Ed Wood“ (1996) oder ”Mars Attack“ (2006) ist sein spukhafter Klang zu hören. 

In Deutschland hat sich Carolina Eyck aufs Theremin spezialisiert. Die Leipzigerin kombiniert seine schwebenden Melodien mit ihrem lautmalerischen Gesang, den sie elektronisch verdoppelt und verdreifacht. Die Kombination von menschlicher Stimme und elektronischer Geisterstimme sorgt für eine geheimnisvolle Atmosphäre und beweist, dass die Möglichkeiten des Theremins auch nach 100 Jahre noch längst nicht ausgeschöpft sind. 

Sendung: SWR2, SWR2-Musikpassagen / Sonntag, 3. Mai 2020; 23:03 – 24:00 Uhr 
(danach eine Woche im Internet: swr.de/swr2) 
DAS THEREMIN WIRD 100 – DIE ANFÄNGE DER ELEKTRONISCHEN MUSIK

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