Gastbeitrag von SIMON STEINER
Loops aus der Vergangenheit - der süße Sound der Laterna
Foto: Simon Steiner
"Wenn du sie streichelst, singt sie."
Nikos Armaos, der König der Laterna
Der trocken klingende, metallische, aber süße Klang und die bunten Verzierungen der Laterna verzaubern uns. Es fühlt sich an, als ob Feen schweben und Zwerge hüpfen, sagt man in Griechenland. Nostalgie kommt auf. Im Kasten, an dem eine Hand kurbelt, sitzt eine Stiftwalze, die an Hämmerchen zupft, die auf Saiten schlagen. Der Klang führt uns unwillkürlich auf Zeitreise. Alte Kompositionen, Laterna - Konstrukteure und alte Geschichten tauchen wieder auf und entführen uns in ferne Orte und Zeitspannen.
Die Laterna ist ein automatisches Musikinstrument, das der Spieler mit Riemen auf den Rücken schnallt oder - auf Rollen montiert - zieht oder schiebt. Eine Laterna hat die Form einer Holzkiste. Aufgebaut steht sie auf faltbaren Holzbeinen. Das Herz der Laterna ist ein Holz-Zylinder mit Nägeln, die wie Kamm-Zähne angeordnet sind. Die Nägel entsprechen den Noten des Liedes. Sie zupfen beim Drehen des Zylinders an gefederten Hämmerchen, die wiederum auf Saiten schlagen. So entsteht schließlich der Klang. Die Noten eines Liedes werden per Schablone auf den Zylinder übertragen. Der Rhythmus des Liedes hängt davon ab, wie nahe die Nägel hinter einander liegen und wie rasch gekurbelt wird. Ihre Anordnung entlang der Walze bestimmt die Melodie. Der Tonumfang des Instruments umfasst dreieinhalb Oktaven. Zum Zubehör gehört eine Glocke, die das Lied akzentuiert.
Lange vor dem unterhaltenden Grammophon und der Jukebox wurde die erste Laterna angeblich 1808 von einem Klavierbauer in Bristol gebaut, der Klaviertasten durch eine Nagelrolle ersetzte.
Im 19. Jahrhundert wurde die Laterna von fahrenden Musikanten, den Yiftoi, Gypsies oder Roma-Musikern gespielt. Yiftoi schlugen zur Begleitung eine Rahmentrommel mit Schellenkranz, die Daira. Die Alleinunterhalter mit Laterna traten besonders in den Hafenstädten der Levante, der Länder am Östlichen Mittelmeer auf. Auf Marktplätzen erklang das süße Geklimper. Frau oder Tochter agierten als Tänzerinnen. Manchmal führten sie einen Tanzbären mit sich und freuten sich über ein paar Münzen.
Die Laterna verbreitete sich rasch, insbesondere in den griechischen Gemeinden Europas und Kleinasiens, hauptsächlich in Konstantinopel (Istanbul), Athen, Piräus, Thessaloniki, Kairo, Alexandria, Smyrna (Izmir) oder Bukarest, also Städte, in denen griechische und armenische Handwerker tätig waren. Es wird geschätzt, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Konstantinopel, Athen und Piräus rund 5000 Laternen gespielt wurden. Im Rampenlicht standen die Laternas auf großen Plätzen, Märkten und breiten Straßen und erreichten Menschen aller Schichten. Der "Musikautomat" gehörte nicht nur zum Straßenbild sondern auch zum guten Ton der noblen Gesellschaft. Die Laterna wurde auch in vornehmen Häusern, luxuriösen Restaurants, auf Hochzeiten, bei Tanzveranstaltungen, Festen und Feiern und zu Stummfilmen gespielt.
1880 gründeten in Konstantinopel der Italiener Guiseppe Turconi und Josef Armaos eine Genossenschaft. Turconi war Komponist und Armaos der "stamper". Er setzte die Nägel und wurde Nagler oder Stempelmacher genannt. Josef spielte nach einem Schieß-Unfall mit einer speziell für ihn angefertigten Geige einhändig weiter. Sein Sohn Nikolaos migrierte nach der Kleinasiatischen Katastrophe 1923 von Konstantinopel nach Athen. Das Geheimnis sei, so berichtete Nikolaos Armaos, wie man die Stifte nagelt. Jeder Stift sei eine Notiz. Wenn ein Nagel zu tief oder seitwärts sitzt, "tötet er das Lied". Nikos hat nach eigenen Angaben 2000 Lieder geschrieben. Seine Großeltern stammten aus Italien und der griechischen Insel Tinos, auf der viele Katholiken leben. In seiner Werkstatt spielten Athener Kunden auf Mandolinen oder pfiffen und sangen Armaos die gewünschten Melodien einfach vor. Armaos beeinflusste Rembetiko-Musiker wie Vassilis Tsitsanis oder den sogenannten König von Piräus, Giorgos Batis. Batis' Baglamas klingt tatsächlich manchmal wie eine Laterna, immer wieder drehen sich gleich klingende Melodien im Ohr. Wie aufgezogen oder wie ein Loop aus Urzeiten.
Einige genagelte Laterna - Stücke wurden später als Kompositionen anderer berühmter Musiker bekannt. Hits wie das weltberühmte Frankosyriani von Markos Vamvakaris, das noch heute in Athen, Piräus oder auch in kleineren Städten gekurbelt wird, faszinieren die Passanten. Aber keiner ahnt, dass der Patriarch des Rembetiko, Markos Vamvakaris, die Melodie von Frankosyriani einer Laterna abgekupfert hatte, der er auf seiner Heimatinsel Syros lauschte. Wenn heute Menschenmengen scheinbar gleichgültig in der Shopping Meile, der Ermou Straße in Athen vorbei huschen, kitzelt der süße Klang in allen Ohren und Herzen. So Mancher bleibt neugierig stehen und stiftet dem Spieler ein paar Münzen. Antonis Nassiopoulos, ein Freund von Nikos Armaos' Sohn Julius, baute 1994 gemeinsam mit Vassilis Iakovidis, einem führenden Pianisten und Handwerker, wieder Laternas. Zur gleichen Zeit setzte Anastasios Tzionis in Serres die traditionellen Traditionen der Laternas fort. Nikos Armaos, der König der Laterna, starb 1979 im Alter von 90 Jahren in Athen. Laternas sind heute begehrte Sammlerstücke und schmücken Privatsammlungen in Europa und Amerika.
Um die Jahrhundertwende gab es Geschäfte, die sich auf den Bau und die Ornamente der Laternas spezialisierten: Bunte Samt - und Lederbezüge, geschnitzte Perforationen, goldene Stickereien, Perlen und Rosenkränze. Häufigste Motive sind junge Frauen, umrankt von Blumen und der griechischen Flagge oder Darstellungen von erfolgreichen Schlachten und dem Sieg über die Osmanische Herrschaft 1821. Bilder von Maria Pentagiotissa, die erste Femme Fatale des modernen Griechenland oder die Königin des Rembetiko, Roza Eskenazi schmücken viele Laternas.
Von 1936-1941 wurden während der Diktatur Metaxas nicht nur verruchte, "gesetzlose" Rembetika, sondern auch Laternas verboten und in Lagerhäuser still gelegt. 1955 erreichte Alekos Sekellarios mit seinem Kassenerfolg Laterna, Armut und Würde (Laterna ftoheia kai filotimo) ein breites Kino-Publikum und das Instrument wurde Mode.
Große griechische Komponisten wie Manos Hadjidakis, bekannt durch die Filmmusik in "Sonntags ... nie", Mikis Theodorakis oder Stavros Xarhakos waren von dem süßen, metallischen Sound begeistert und bezogen Laternas in ihre Arbeit ein. Eine wunderschöne Laterna steht im Museum für griechische Volksmusikinstrumente in der Athener Plaka.
Quelle: https://www.armaoslaterna.gr
CD:
Νίκος Αρμάος: Λατέρνα Και Ντέφι, 1977
Nikos Armaos: Laterna & Ntefi. Greek Folk Dances with Street Organ
Foto:
Giorgos Kizilis in der Ermou - Straße Athen (Simon Steiner, 2019)
Grigoris Bithikotsis/Sotiria Bellou- H LATERNA 1961
Simon Steiner aus Stuttgart verbringt das halbe Jahr in Griechenland. Er ist Autor von 'Wie der Punk nach Stuttgart kam und wo er hinging‘ (Das Buch – 11 Einzelhefte im Schuber inkl. CD – ist im Format 24x34cm mit insgesamt 340 tw. farbigen Seiten bei Uli Schwinge im Verlag EDITION RANDGRUPPE erschienen.)
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