Prediger mit Saxofon
James Brandon Lewis mischt die New Yorker Jazzszene auf
Photos by Thomas Sayers Ellis
cw. Sie wirkten fast ein bißchen verloren auf der großen Bühne: Nur ein rudimentäres Schlagzeug und ein Saxofon – sonst nichts! Doch mit einem riesigen Sound machte James Brandon Lewis alles wett: Er füllte mit seinem Tenorsax den mächtigen Raum der Willisauer Festhalle aus, während Drummer Chad Taylor die Melodiestränge mit einem dichten Geflecht an Rhythmen verwob, nicht ohne selbst ein paar blitzartige Akzente zu setzen.
Das Duo von James Brandon Lewis mit Chad Taylor, den man vom Chicago Underground Duo und Marc Ribot’s Spiritual Unity kennt, bildete den Abschluß des Willisauer Jazzfestivals 2019. Selbstverständlich waren sich die beiden Afro-Amerikaner der riesigen Fußstapfen bewußt, in die sie da in der Schweizer Provinz traten, hatten doch auf den selben Brettern schon die Saxofon-Drums-Duette von Max Roach und Anthony Braxton, Max Roach und Archie Shepp, Dewey Redman und Ed Blackwell sowie Rashied Ali und Arthur Rhames für Furore gesorgt. Wie konnten die beiden in diese „Giant Steps“ treten?
Brandon Lewis und Taylor bewältigten die Herausforderung mit Bravour. Ihr dichtes, energiegeladenes Wechselspiel konnte es mit den Auftritten der Giganten aufnehmen: wunderbar ihr Interplay, traumhaft die intensive Kommunikation. Da war Leidenschaft, da war Feeling, da war Drive im Spiel. Hier hatten sich offenbar zwei Meister gefunden und brannten jetzt die Fackel an beiden Enden an.
Egal in welcher Formation James Brandon Lewis auftritt, immer ist es sein voller, voluminöser Ton, der sofort ins Ohr springt und seinen Melodien eine hymnische Kraft verleiht. Im Spiel des New Yorkers klingen Echos aus der langen Geschichte des Jazzsaxofons wider, denn Brandon Lewis steht – wie er sagt – „auf Tradition“, obwohl es vor allem John Coltrane ist, der da im Hintergrund wirkt.
Nicht dass Brandon Lewis ein Coltrane-Epigone wäre – ganz und gar nicht: Er läßt sich allein von der Leidenschaft und künstlerischen Integrität des Meisters inspirieren, um dann seine eigene Musik zu schaffen. 2016 wurde Brandon Lewis eingeladen neben Saxofongrößen wie Sonny Fortune, Billy Harper, James Carter, Greg Osby und Odean Pope an einem Coltrane-Memorial-Marathon-Konzert in Philadelphia teilzunehmen, das so konzipiert war, dass ein Saxofonsolo dem nächsten folgte. Brandon Lewis dachte darüber nach, wie er den Auftrag meistern könnte. „Was ich auf keinen Fall wollte, waren Stücke von Trane in seinem Stil nachzuspielen,“ erläutert er seine Herangehensweise. „Vielmehr zerlegte ich ein paar seiner Kompositionen und kombinierte die Fragmente auf neue Weise, die dann wiederum als Ausgangspunkte für meine eigenen Improvisationen dienten.“
Die Strategie ging auf, wobei sein Auftritt mit Chad Taylor in Willisau nach dem selben Muster funktionierte. Im Eröffnungsstück „Twenty Four“ band er Partikel der Coltrane-Kompositionen „Giant Steps“ und „26-2“ zusammen, um im Titel „Imprints“ über Coltranes „Impressions“ zu fantasieren, während er mit dem Titel „Willisee“ auf dasjenige Stück zurückgriff, mit dem 1980 das Duo von Ed Blackwell und Dewey Redman seinen Auftritt in Willisau begonnen hatte.
James Brandon Lewis kam 1983 in Buffalo, New York zur Welt. Seine Mutter brachte ihn früh mit Jazz in Kontakt, während sein Vater, ein Baptisten-Pfarrer, dafür sorgte, dass er schon in jungen Jahren Gospelmusik in der Kirche spielte. Diese Erfahrung verlieh seinem Spiel eine vokale Qualität, als würde Brandon Lewis sein Instrument „sprechen“ lassen, ähnlich einem afro-amerikanischen Priester, der sich in Ekstase predigt. Nach einem Musikstudium, in dessen Verlauf er mit Wadada Leo Smith, Andrew Cyrille und Richard Davis näher Bekanntschaft machte, fühlte sich Brandon Lewis „well prepared“, um in New York sein Glück zu versuchen.
2012 ließ er sich in Brooklyn nieder und hat seither eine beeindruckende Karriere absolviert – kurz: Er hat so ungefähr mit jedem gespielt, der auf der zeitgenössischen New Yorker Jazzszene Rang und Namen hat. Nach seinem Debutalbum, das er noch in eigener Regie produzierte und veröffentlichte, nahm er mit William Parker und Gerald Cleaver eine Platte auf, welcher Einspielungen mit Jamaaladeen Tacuma und Rudy Royston sowie mit seinem elektrischen UnRuly Quintet mit Jamie Branch folgten, was das breite Spektrum an Stilformen umreißt, in dem sich Brandon Lewis souverän bewegt. Einerseits führt er das Erbe der schwarzen „Fire Music“ fort, andererseits hält ihn das nicht davon ab, Ausflüge in die Klangwelten der Fusion Music, des Jazzrock, von Funk und Hiphop zu unternehmen.
Das Repertoire, das er mit seinem neuen Quartett erarbeitet hat, spiegelt diese Vielfalt wider. Mit Aruan Ortiz (Piano), Brad Jones (Baß) und Chad Taylor (Drums) präsentiert Brandon Lewis ein knappes Dutzend prägnanter Kompositionen, die eine breite Palette von akustischem Jazz umfassen – von lyrisch-besinnlich bis druckvoll-expressiv, ab und zu mit minimalistischen Pattern durchsetzt. Im Titel „Per 1“geht es sogar einmal derart knackig zur Sache, dass einem unweigerlich Eddie Harris’ „Freedom Jazz Dance“ einfällt. Apropos: Dies wäre kein schlechter Titel, sollte James Brandon Lewis jemals nach einer Überschrift für sein musikalische Oeuvre suchen.
Neuerscheinungen:
James Brandon Lewis & Chad Taylor: Live in Willisau (Intakt)
James Brandon Lewis Quartet: Molecular (Intakt)
Der Artikel erschien 2020 in der Zeitschrift JAZZTHETIK (jazzthetik.de)