GASTBEITRAG von SIMON STEINER:
Rembetiko dekonstruieren
Niko Ordoulidis und X-Terra: The Eastern Piano Project
Der Pianist wurde in den Bergen Mazedoniens in der kleinen Stadt Naousa geboren. Er lebte jahrelang in Thessaloniki und hat als Musiker und Musikwissenschaftler in Griechenland, Bulgarien, England, Italien und der Schweiz studiert und gearbeitet. Ordoulidis schreibt Musik für Soloklavier, Theater und Volksorchester. Er sucht nach Wegen, die vielfältigen musikalischen Redewendungen einer großen geografischen Spanne neu zu lesen, zu verstehen und zu verhandeln: Populäre Musik aus Osteuropa, dem Balkan und dem Mittelmeerraum. Er gründete verschiedene Formationen mit Studenten der Universität, an der er unterrichtet.
Nun erscheint im April 2021 sein neues Album: X-Terra – The Eastern Piano Project. Das Album ist eine provozierende Nacherzählung alter Geschichten und Volksweisen, die von ihren ursprünglichen Orten in die Gegenwart transformiert werden.
Niko Ordoulidis hörte früher zeitgenössische Rembetiko-Aufnahmen, hauptsächlich von George Dalaras. Als Niko 2000 für sein Studium nach Thessaloniki zog, begann er dort als professioneller Musiker zu arbeiten und spielte Klavier, wo es nur ging. Diese Jahre haben seine Liebe zu Rembetiko geprägt. In dieser Phase promovierte Niko und er studierte alte griechische Volksweisen. Ihm war klar, dass es einen Code geben kann, um alte Weisen heute wieder "zum Sprechen zu bringen". Nun entstand ein neues Album, Niko, wie immer am Klavier, mit Akis Pitsanis als Sänger. Auch Pitsanis erneuert Traditionen, "die weder Herkunftsort noch Nationalität haben. Alte Repertoires modernisieren, in neue Kleidungsstücke hüllen - lässig, aber zeitgemäß. Das Alte ist sein Werkzeug, um das Neue zu erschaffen," liest man in dem Begleittext des Albums X-Terra.
Rembetika und andere alte Volksweisen füllen das Album: Lieder von Vassilis Tsitsanis von 1940 und Kostas Skarvelis, von 1934 sind dabei, ein Volkslied von ca.1910, "I want a princess", das bereits in Litauen, Serbien, Rumänien, Ungarn, der Ukraine, Russland und natürlich Griechenland aufgenommen wurde, komponiert auf der damals üblichen Mandoline, von dem genialen Panagiotis Tountas, 1936. Ein anderes traditionelles Lied nennt sich "Der Metzger", das seit 1920 immer wieder aufgenommen wurde, mal auf griechisch, auf türkisch oder als Klezmer-Song. Eine Bearbeitung des großen Rembetiko-Star Marko Vamvakaris ist vertreten und eine alte Weise aus Kleinasien, ein Carol von Geflüchteten.
Nach welchen Kriterien habt ihr die Tracks ausgewählt?
NO: Jeder von uns hat die alten Stücke schon lange auf die eine oder andere Weise gespielt, mehrmals und in verschiedenen Kontexten. Es gibt einen Zeitpunkt, da werden einem die Lieder in gewisser Weise langweilig. Es kommt vor, dass man selbst meint, sein Lied, oder seine eigene Schöpfung zu spielen. Deshalb sucht ein Musiker nach neuen Wegen, in denen er zusätzliche Linien, zusätzliche Ornamente, zusätzliche Ausdruckseigenschaften usw. hinzufügt. So entstehen eigene Kreationen.
Ihr nennt euer neues Werk ein "Avantgardistisches Meta-Folk-Album"....
NO: Leute, die dem seriösen oder klassischen Elite-Musiknetzwerk angehören, ordnen unser Projekt als populär ein. Das populäre Musiknetzwerk meint genau das Gegenteil und definiert uns als klassisch. Wir dekonstruieren das Alte, wir modernisieren alte Botschaften und überprüfen Begriffe wie Cover-Song. Die Originalstücke werden während der Aufführung / Probe weitgehend verändert. Dipole wie: traditionell-modern, Ost-West, eigen-fremd, wissenschaftlich-populär sind Denkansätze aber drücken nicht das ganze Werk aus. Diese Dipole sind eher politische als künstlerische Begriffe. Ich komponiere alte Geschichten neu und verwende zeitgenössische und ungewöhnliche Sprachen. Ich glaube, dass ein Stück viele Lesearten, viele Identitäten und viele Formen hat. Und es ist nie zu Ende!
Was können wir zukünftig von dir erwarten?
NO: Ich habe zusammen mit der Sängerin Dora Spetsioti an einem neuen Projekt mit dem Titel "Café Concert" gearbeitet. Es wird sich mit einigen der beliebtesten Melodien aus der historischen Diskographie Osteuropas, des Balkans und des Mittelmeers befassen. Songs auf Türkisch, Sephardisch, Jiddisch, Serbisch, Griechisch und mehr. Dieses Projekt wird auch Videokunst beinhalten.
X-TERRA auf youtube:
https://www.youtube.com/playlist?list=PLVntBt6ykzddQ_74lVSwM3c3alxbNWmOD
Mehr zum Thema Rembetiko:
http://christophwagnermusic.blogspot.com/2020/12/das-kosmopolitische-smyrna-und-seine.html