König im Pop-Olymp
Am 24. Mai feiert Bob Dylan seinen 80. Geburtstag – der amerikanische Barde mit der rauchigen Stimme ist einer der weltweit einflußreichsten Musiker der letzten Jahrzehnte
cw. Seine Songs zählen längst zum Allgemeingut und sind ins kollektiven Gedächtnis der Menschheit eingesickert. Bob Dylan hat im Laufe seiner 60jährigen Karriere eine beachtliche Liste von Liedern geschrieben, die zu Gassenhauern und Evergreens wurden und denen die Folk- und Popmusik entscheidende Impulse verdankt. „Blowin‘ in the Wind“ ist wohl sein bekanntester Song. Aber auch andere Lieder haben es in sich: „The Times They are A-Changin‘“ wurde zur Hymne des Jugendrebellion der 1960er Jahre, „A Hard Rain‘s A-Gonna Fall“ zum Protesthit gegen die Atombombe und „Masters of War“ zum ultimativen Anti-Kriegslied, was Bob Dylan zum bedeutensten Liedermacher der Gegenwart macht. 2016 wurde er für sein Gesamtwerk mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet, eine Würdigung, die ihm einen Platz im Pop-Olymp sicherte, gleich neben Elvis, den Beatles und den Rolling Stones. Am 24. Mai wird Bob Dylan 80 Jahre alt.
Dylan wuchs als Robert "Bobby" Zimmermann in Hibbing, Minnesota auf. Seine Großeltern waren jüdische Einwanderer aus Rußland und Litauen, die auf der Flucht vor Pogromen Anfang des 20. Jahrhunderts in die USA emigriert waren. Sein Vater betrieb einen kleinen Elektro-Laden. Die Stadt hatte wenig zu bieten. Inspiriert von den Songs von Hank Williams und Gene Vincent im Radio, brachte sich der Teenager selbst das Piano- und Gitarrenspiel bei. Während seines Studiums in Minneapolis trat er mit Rock ‘n‘ Roll-Bands in Studentenclubs auf und nannte sich fortan Bob Dylan aus Bewunderung für den walisischen Dichter Dylan Thomas und auch um dem grassierenden Antisemitismus zu entgehen.
Anfang der 1960er Jahre wagte er den Sprung nach New York, wo in Greenwich Village in Manhattan eine lebendige Folkszene blühte. Es war eine eng geknüpfte Gemeinschaft von Bohemiens, die mehr oder weniger in den Tag hineinlebten. Politisch links gepolt, engagierten sich viele in der Bürgerrechtsbewegung – Protest war an der Tagesordnung. Das Interesse des jungen Folkmusikers entwickelte sich in zwei Richtungen. Zum einen hörte er Aufnahmen der alten, vergessenen Folk- und Bluessänger aus den 1920er Jahren und ahmte sie nach. Sein Debut-Album von 1962 ist voll von alten Balladen und Moritaten. Solche Folksongs dienten ihm als Inspiration und Vorbild für eigene Lieder. Bald schrieb er Songs, die über das Alltägliche oder konkrete Zeitereignisse hinausgingen, häufig die Grenze zwischen Realem und Fiktivem verwischten und gleichzeitig traditionell und zeitgemäß waren, dazu in Melodien gefaßt, die Ohrwurm-Qualitäten besaßen.
Bob Dylan trat mit Schlaggitarre und Mundharmonika um den Hals in Kellerclubs wie dem „Gaslight“, „Folk City“ oder dem „Café Wah?“ auf, wo nach der Darbietung der Hut rumging. In diesen „schummrigen, unterirdischen Höhlen“ (Bob Dylan) hörte er die Rebellensongs der Clancy Brothers, die Protestlieder von Pete Seeger und die Gedichte des Beatpoeten Allen Ginsburg. Tagsüber arbeitete er an neuen Songs, wenn er nicht sein Idol, den Politsänger Woody Guthrie, im Krankenhaus besuchte, der an einem unheilbaren Nervenleiden litt, um ihm am Krankenbett auf Wunsch seine eigenen Lieder vorzusingen.
Produzent John Hammond von Columbia Records erkannte sein Talent und nahm den jungen Songwriter unter Vertrag. Der Durchbruch ließ auf sich warten. Erst mit seinem zweiten Album zeigte die Erfolgskurve nach oben. Die Medien wollten ihn zum Messias der jungen rebellischen Generation machen, ein Ansinnen, das er brüsk von sich wies. Nur Protestsänger zu sein, kam ihm wie eine Falle vor.
Beeindruckt vom Erfolg der Beatles, tauschte er seine akustische Klampfe gegen eine E-Gitarre ein. Als Dylan 1965 auf dem Newport Folkfestival gemeinsam mit der Paul Butterfield Bluesband auftrat, kam es zum Eklat. „Die Anlage wurde aufgedreht, und Dylan und die Band stiegen in den ersten Song ein,“ erinnert sich Joe Boyd, späterer Schallplattenproduzent, der damals am Mischpult saß. „Das Publikum wusste nicht, wie ihm geschah: Viele hatte sicher noch nie eine derart laute Band gehört. Am Ende wurde heftig gejubelt, aber auch ziemlich gebuht.“ Diejenigen die da ihr Mißfallen bekundeten, waren puristische Folkfans, die Dylan nun als „Verräter“ brandmarkten. Sie kreideten ihm an, die Folkmusik ans Popgeschäft verkauft zu haben. Als er im nächsten Jahr im Zuge einer Europatournee mit der elektrischen Begleitband The Hawks in der Free Trade Hall im englischen Manchester auftrat, schallte ihm der Vorwurf „Judas!“ entgegen.
Inzwischen Familienvater, verließ Bob Dylan Manhattan und zog aufs Land nach Woodstock im Bundesstaat New York. Doch Fans, Schmarotzer und Revoluzzer spürten ihn auf und bedrängten ihn mit ihren Anliegen, während Paparazzis sein Haus belagerten, was seinen Alltag zum Alptraum werden ließ. Im Sommer 1967 verletzte er sich bei einem Motorradunfall so schwer, dass er eine monatelange Zwangspause einlegte. „In Wahrheit wollte ich der Tretmühle den Rücken kehren“, räumte er später ein. Er nutzte die Auszeit und verbrachte Monate mit den Hawks in ihrem Haus „Big Pink“ in der Nachbargemeinde West Saugerties, um im Keller an neuen Songs zu basteln, die gleich auf Tonband aufgenommen wurden. So entstanden die „Basement Tapes“, die von der Kritik als geglückte Mischung aus unterschiedlichen Folktraditionen wie Rock ‘n‘ Roll, Blues, Gospel, Country, Folk und Cajun gepriesen wurden.
Dylans Leben war nicht ohne Krisen: Familiäre Querelen, Ehescheidungen, Schaffenskrisen, Alkoholprobleme markierten Tiefpunkte im Privatleben des Popstars, dem dennoch ab 1988 mit der Allstar-Band The Traveling Wilburys ein abermaliger Höhenflug gelang. In dieser Gruppe spielte er mit Beatle George Harrison, Tom Petty und Jeff Lynne (Electric Light Orchestra) sowie seinem alten Idol Roy Orbison zusammen. In den Jahren vor der Pandemie war Bob Dylan weltweit ziemlich rastlos unterwegs. Die Auftritte, die er mit einer verjüngten Band aus äußerst routinierten Profis bestritt, konnten recht unterschiedlich ausfallen. War Dylan gut gelaunt avancierten sie zu Glanznummern, war seine Stimmung mau, wurden die Konzerte lustlos und uninspiriert abgespult. Ohne jemals groß aufzublicken oder auch nur ein paar Worte an seine Fans zu richten, verschwand er so schnell wie möglich wieder von der Bühne. Dagegen waren seine Plattenveröffentlichungen durchgehend von solider bis exzellenter Qualität, gediegene Alterswerke, denen die Eitelkeit der Jugend völlig abging.
Nachdem der Troubadour 2016 sein persönliches Archiv für etliche Millionen der Universität von Tulsa überlassen hatte, gelang ihm vor einem halben Jahr noch ein spektakulärerer Coup, als er seine gesamten Verlagsrechte an allen seinen Songs an die Universal Music Group veräußerte. Geschätzter Kaufpreis: ca. 300 Millionen Dollar. Das sollte eigentlich für einen einigermaßen erträglichen Lebensabend reichen.
Doch Dylan ist selbst im hohen Alter noch aktiv. Seine aktuelle Veröffentlichung „Rough and Rowdy Ways“ – das 39. Studioalbum in 60 Jahren – läßt kein Nachlassen der Kräfte erkennen. Darüber hinaus betätigt er sich seit 2006 auch als Radio-Discjockey in seiner „Theme Time Radio Hour“ und ist seit neustem auch unter die Whiskey-Fabrikanten gegangen – Marke: Heaven’s Door. „Mr. Tambourine Man“ sprüht weiterhin vor Kreativität.
Der Text erschien zuerst im SCHWARZWÄLDER BOTE, große Tageszeitung in Südwestdeutschland.