Im Jazzland unterwegs
Patrik Landolts Buch über Intakt Records, eines der profiliertesten Jazzlabels der Gegenwart
Patrik Landolt (Foto: Manuel Wagner)
cw. Im Frühjahr 2022 ging nach 37 Jahren und 388 CD-Veröffentlichungen Patrik Landolt, der Häuptling der Zürcher Plattenfirma Intakt Records, in Ruhestand und übergab den Staffelstab an seine jüngeren Kollegen. Landolt hatte das Label aus dem Nichts aufgebaut und zu einer der angesehensten Marken des Jazz weltweit entwickelt, wobei es ihm gelang, Ensembles wie das London Jazz Composers‘ Orchestra, Trio 3, Tom Rainey Obbligato, Borderland Trio oder Punkt.Vrt.Plastik sowie Musiker und Musikerinnen wie Lucas Niggli, Sylvie Courvoisier, Ingrid Laubrock, Aruán Ortiz, Alexander Hawkins und James Brandon Lewis als feste Größen auf der internationalen Jazzszene zu etablieren.
Darüber hinaus hat Landolt das Lebenswerk der Schweizer Freejazz-Altmeisterin Irène Schweizer über die Jahre betreut und auf zahlreichen LPs und CDs festgehalten. Beim Zürcher Taktlos- und Unerhört-Festival war Schweizer regelmäßig zu hören, an deren Gründung Landolt ebenfalls maßgeblich beteiligt war. Zweifellos: Ohne den „mover and shaker“ aus der Schweiz stünde der moderne bis avantgardistische Jazz um einiges ärmer da.
Jetzt hat der Intakt-Betreiber, der zuvor bei der Zürcher WochenZeitung (WoZ) als „Redaktor“ im Kulturteil arbeitete, eine 120seitige „Chronik“ mit dem Titel „Unterwegs im Freien“ verfasst, in welchem er in 121 „Etappen“ und illustiert von zahlreichen Schwarz-Weiß-Fotos seine Zeit bei Intakt noch einmal Revue passieren läßt: Erinnerungsarbeit, retrospektive Reflexion und Dokumentation in einem.
Dazu gehören spannende Anekdoten, die einen Blick hinter die Kulissen des Jazzbetriebs gewähren und viel über die innere, manchmal nervenaufreibende Arbeit eines Labels verraten, von der der Fan nicht das Geringste mitbekommt. Etwa die kleine Episode vom Auftritt des Trios Keïta-Brönnimann-Niggli beim Intakt-Festival im Londoner Vortex-Club im Frühjahr 2017, wo zuerst Visa-Probleme, dann Verkehrschaos und ein verpasster Flug, dann ein Unfall mit dem Taxi auf dem Weg vom Flughafen den Auftritt fast verhindert hätten, wobei Ali Keïta am Ende doch noch lachend und sekundengenau auf der Bühne stand. Spannend auch die Episode, die sich während des Besuchs bei Cecil Taylor in New York ereignete, als Landolt einen Tag später voll in die Katastrophe der 9/11-Anschläge geriet und tagelang im Hotel ausharren musste, bevor es ihm endlich gelang, einen Rückflug in die Schweiz zu buchen.
Als wesentlich erwies sich über all die Jahre, dass Intakt mit der Zeit ging, letztlich auch die Freejazz-Ästhetik der Anfangsjahre hinter sich ließ und sich auf neue Experimente und musikalische Abenteuer einließ. Nur mit offenen Ohren und der Hand am Puls der Zeit kann heute ein Jazzlabel überhaupt noch bestehen. Landolt hat das beispielhaft vorgemacht. Chapeau!
Patrik Landolt: Unterwegs im Freien. Zürich, New York, London, Berlin. 37 Jahre Musikproduktion von Intakt Records. Versus Verlag, 2022. E 21,90
Interview mit Patrik Landolt:
https://christophwagnermusic.blogspot.com/2022/03/patrik-landolt-vom-zurcher-intakt-label.html