Friday 23 June 2023

Zum Tod von PETER BRÖTZMANN, Teil 2

Der Freejazz-Mist?

Zu seinem 80. Geburtstag ließ Peter Brötzmann Anfang 2021 in einem Interview sein Leben Revue passieren – mit verblüffenden Einsichten



 

Interview: Christoph Wagner

 

Sie wurden im März 2021 80 Jahre alt. Wie ist ihr momentanes Lebensgefühl? 

 

Peter Brötzmann: 80 Jahre ist ein hohes Alter – das spüre ich schon. Besonders im Moment in der langen Pause der Pandemie, bei der der Körper Zeit hat, mir all die Zeichen weiterzugeben. Wenn man soviel unterwegs ist, wie ich das in den letzten Jahren war, hat man gar nicht die Zeit hinzuhören. Mein letztes Konzert war im Februar 2020 in Athen, und jetzt in diesem Corona-Jahr bin ich mir erst bewußt geworden, wie alt ich bin. Ich habe ja immer noch Lust und bin bloß sauer auf den Virus, der mir die Arbeitszeit stiehlt. Ich weiß ja, die Zeit, die mir bleibt, wird kürzer und kürzer. Das ist mir durchaus klar. Ich habe noch ein paar Dinge vor, die ich gerne machen würde, und das sieht momentan eher schlecht aus. Das ärgert mich.

 

Ich habe gehört, Sie hätten Probleme mit der Lunge….

 

PB: Ich hab’ ein dickes Lungenemphysem. Das macht mir schon unter normalen Umständen schwer zu schaffen. Ich kann spazierengehen, nur keine Treppen steigen. Jede Reise, jeder Gang zum Bahnhof wird zur Tortur. Da muß ich mich jedes Mal überwinden. 

 

Wie äußert sich die Krankheit konkret?

 

PB: Man kriegt einfach nicht genug Luft. Im Winter ist es noch schlimmer. Wenn ich von meinem Vorderhaus in mein Studio im Hinterhaus gehe, zehn Meter durch die kalte Luft, dann schnürt sich alles zusammen. Mein Leben ist schon ohne Corona anstrengend genug, und jetzt ist es für mich eine Katastrophe, weil niemand weiß, wie lange diese Pandemie dauert und was danach kommt? Es wird nicht einfach so weitergehen wie vor dem Virus. Das ist klar. Wie sieht es danach mit der Reiserei aus oder mit den Konzertaktivitäten? Da wird sich vieles verändern.




 Wie wirkt Ihr Saxofonspiel auf die Erkrankung?

 

PB: Es ist eine gute Übung für die Lunge, damit sie aktiv bleibt. Ich habe die ganzen Hörner hier rumstehen und spiele täglich, was natürlich nicht dasselbe ist, wie Konzerte zu geben. 

 

Hat die Erkrankung Auswirkungen auf Ihr Saxofonspiel?

 

PB: Ich bin über die Jahre kurzatmiger geworden. Deshalb spiele ich heute nicht mehr über lange Strecken dieses unbedingte Powerplay, sondern mehr Melodien, Strukturen, Pausen, wobei natürlich die Frage ist: Was war zuerst, die Henne oder das Ei? Seit längerem schon habe ich auch im Kopf meine Spielweise verändert. Wahrscheinlich haben sich diese Veränderungen zusammen ergeben. Ich bin musikalisch heute an anderen Dingen interessiert als vor 50 Jahren, wobei mich immer schon die Jazzgeschichte fasziniert hat. 

 

Sie sind ja nicht gerade als Traditionspfleger bekannt, eher als Traditionszertrümmerer….

 

PB: Unsere Revolte in den 1960er und 1970er Jahren war wichtig, um Dinge aufzubrechen, zu verändern. Das haben wir gut hingekriegt. Dennoch war ich immer ein Freund von Duke Ellington, Thelonious Monk oder dem Stride-Pianisten James P. Johnson. Ich mag Melodien, das kann man auf meiner letzten Soloplatte “I Surrender Dear” hören. Diese Melodien sind einfach in meinem Kopf. Sie begleiten mich mein Leben lang, und insofern kommt man vielleicht am Ende des Lebens wieder auf die Anfänge zurück. Vielleicht hat sich ja gar nicht so viel verändert. Ich habe nur ein bisschen dazugelernt. 




 Das Alte wirkt auf einmal wieder neu und das einstmal Neue erscheint alt?

 

PB: Man stößt bei der Totalimprovisation an gewisse Grenzen, die sich nicht weiter hinausschieben lassen. Ich hab’ das freie Spiel ja ins Extrem getrieben wie kaum ein anderer. Aber wenn man das alles hinter sich hat, dann gibt es auch noch etwas anderes. Da bekommen dann Dinge, die früher weniger wichtig erschienen, wieder größere Bedeutung. 

 

In einem Gespräch mit der Gruppe Oxbow vom Moers Jazzfestival 2018 hört man Sie den verblüffenden Satz sagen: “Maybe I’m just tired of that freejazz bullshit.”

 

PB: (lacht) Na gut, das sage ich natürlich mit einem gewissen Grinsen im Kopf, weil wir haben das natürlich schon gut gemacht in den 1960er Jahren. Das war absolut notwendig. Doch heute stellt sich die Situation anders dar. Freejazz wird heute an Hochschulen gelehrt – der Widerspruch des Jahrhunderts! Das macht mich wütend. Die Musik wird ihrer gesellschaftlichen Widerständigkeit entledigt und akademisiert. So wird sie zu einer blutleeren Angelegenheit. Für uns war Freejazz gesellschaftliche Revolte, mit Aufbruch verbunden. Heute kämpft kein Mensch mehr.




 Ist das Kämpfen vielleicht deswegen obsolet geworden, weil es keine musikalischen Grenzen mehr zu durchbrechen gibt? Alles ist niedergerissen…

 

PB: Aber die Probleme sind ja nicht weg. Wir leben ja nicht gerade in den allerlustigsten Zeiten. Die Widerstände damals waren enorm. Ich erinnere mich an ein Festival in Belgien, ein Open-Air in dem kleinen Ort Comblain-La-Tour im Sommer 1965, wo abends John Coltrane spielte und wir am Nachmittag. Da haben Sie uns den Stecker der Übertragungsanlage rausgezogen, um uns am Weiterspielen zu hindern. Doch wir haben einfach unverstärkt weitergemacht. Auf der anderen Seite kamen immer nach den Konzerten eine Handvoll Leute hinter die Bühne, die begeistert waren. Und die Anzahl dieser Leute wuchs.

 

Sie mussten ihre ersten Alben selbst produzieren, weil kein Label interessiert war. Heute kann jeder, der einen Computer besitzt, seine Musik ohne größere Anstrengung in die Öffentlichkeit bringen….

 

PB: Meine ersten beiden Platten habe ich selber produziert, und das führten wir dann mit dem Label Free Music Production (FMP) weiter unter dem Motto: “Wir machen die Dinge selber!” Wir mussten eine komplette alternative Struktur schaffen, um unsere Platten Interessierten zugänglich zu machen. Plattenlabels, die an unserer Musik hätten interessiert sein können, gab es nicht und außerdem hatte man ja seinen Karl Marx gelesen und wollte sich auch nicht an die Musikindustrie verkaufen. Kaum gestartet, ging es schon los mit den Schwierigkeiten. Zuerst musste man einen geeigneten Aufnahmeraum finden und alles im voraus bezahlen. Ich weiß noch, wie teuer die Tonbänder waren. Ich musste im vorab alles geldmäßig mit der GEMA klären, sonst wäre nicht gepresst worden. Der Toningenieur hat umsonst gearbeitet. Ich hatte ja damals noch mein kleines Werbedesign-Büro und ein bisschen Geld, sonst wäre das nie zustande gekommen. Es war schon eine Riesenanstrengung, und trotzdem haben wir es irgendwie hinbekommen.




Half dieses Know-How später das Label Free Music Production (FMP) zu gründen?

 

PB: Unbedingt! Und wir hatte ja auch kleine Erfolge. Die Auflage der ersten Platte war 500, und auf einmal kamen Bestellungen aus Schweden, aus Japan, aus den USA. Es war eine Resonanz da. Die Platte brachte sogar einen kleinen Überschuß ein, den wir dann 1968 in die Produktion des “Machine Gun”-Albums investierten. Diese Produktion war recht aufwendig – acht Musiker. Wir haben zuerst hier in meiner Heimatstadt Wuppertal geprobt, dann im Club “Lila Eule” in Bremen aufgenommen, was Radio Bremen übernommen hat. Das war eine gute Zusammenarbeit, obwohl die Bedingungen schwierig waren, weil die “Lila Eule” ein Betonkeller ist. Die Bühnenbildner des Bremer Theaters haben uns für die beiden Trommler zwei Hütten gebaut wegen der Akustik. 

 

Die Musiker kamen aus der Bundesrepublik, Holland und Großbritannien. Das war schon echte europäische Zusammenarbeit………

 

PB: Ich hatte schon früh gute Verbindungen nach Holland durch die Malerei. 1963 war ich mit Fluxus und Nam June Paik in Amsterdam gewesen zu einer Ausstellung und Fluxus–Performances. Damals habe ich den Pianisten Misha Mengelberg kennengelernt. Gleichzeitig knüpften wir Verbindungen nach England, weil die meine Platten bestellten. Ich kam in Kontakt mit Evan Parker und Paul Rutherford. Naja, ich bin eben immer schon viel gereist. Holland bot sich an, schnell mal über die Grenze zu fahren. In Amsterdam konnte man mal so richtig aufatmen, raus aus dem Adenauer-Mief. 

 


Welche Rolle spielten die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender für die frühe Jazzszene?

 

PB: Die waren absolut unentbehrlich. Dort waren die gut bezahlten Jobs. Ich war ja nie ein großer Freund von Joachim Ernst Berendt beim SWF in Baden-Baden, doch was der Mann für die Musik geleistet hat, war phänomenal. Das kann man gar nicht hoch genug schätzen. Und da war ja nicht nur der SWF oder Radio Bremen. Viele Sender engagierten sich für die Musik. Beim NDR gab es Michael Naura, den konnte man immer anrufen, wenn man Finanzbedarf für ein größeres Projekt hatte.

 

Welche Rolle spielten die Amerikaner? Sie waren ja bereits 1966 mit der Gruppe von Carla Bley auf Europatournee.

 

BP: Die Amis waren für mich immer das Wichtigste. Und ich hatte Glück die richtigen Leute zu treffen. Ich kannte schon früh Steve Lacy, der in Paris lebte. Als Solist oder im Trio trat er oft bei uns in Wuppertal auf. Als er dann mit der Band von Carla Bley nach Solingen in den Jazzclub “Ritterstraße” kam, habe ich mein Altsaxofon eingepackt und fuhr hin. Und während des Auftritts hat mir Lacy zugezwinkert, ich solle auf die Bühne kommen. Da bin ich rauf mit zitternden Knien und bin eingestiegen. Im nächsten Jahr kriegte ich einen Brief von Carla Bley mit ein paar Noten und der Frage, ob ich mit meinem Kumpel, dem Kontrabassisten Peter Kowald, bei einer Tour mitmachen würden? Natürlich habe wir zugesagt. 


 

Wie verlief die Zusammenarbeit?

 

PB: Wir waren damals richtige junge Wilde und nicht an amerikanische Musikerdisziplin gewöhnt. Wir spielten Carla Bleys schöne Stücke, die ich heute noch mag. Wenn ich für einen Chorus dran war mit einem Solo hab’ ich mich nicht an die Anweisungen gehalten, sondern durchgespielt. Mike Mantler, der Trompeter, hat ganz erschrocken geguckt.

 

Wie ging das dann weiter mit Ihren Kontakten nach Amerika?

 

PB: Mit der Band von Carla Bley waren wir in Paris und haben dort Cecil Taylor und seine Gruppe kennengelernt, wobei sich vor allem ein intensiver Kontakt mit dem Schlagzeuger Andrew Cyrille ergab. Trompeter Don Cherry, von Ornette Coleman bekannt, war die andere Verbindung. Er lebte in Südschweden und war viel mit seinem VW-Bus in der Bundesrepublik unterwegs. Öfters hat er Zwischenstation bei uns in Wuppertal gemacht. So entwickelten sich Kontakte. In Berlin haben wir dann die Free Music Production (FMP) aufgezogen und jährlich das Total Music Meeting veranstaltet, zu welchem wir auch amerikanische Musiker einluden. Mitte der 1970er Jahre reiste ich dann zum ersten Mal mit einer Handvoll FMP-Kollegen für Konzerte nach New York, was durch ein Kulturaustauschprogramm Berlin-New York zustande kam. In den USA aufzutreten, war ja nicht ganz einfach. Die haben aber alles arrangiert: Visa, Arbeitserlaubnis etc. Da hab’ ich Feuer gefangen. Ich bin dann immer wieder in die USA gereist, hab’ viele Musiker getroffen und bin bei jeder Session eingestiegen, wo man mich geduldet hat.

 


Wie war die Rezeption in den USA?

 

PB: Die haben schon gemerkt, dass wir etwas Eigenes machen, dass wir nicht kopieren, was uns Respekt verschafft hat. Ich hab’ dann viel mit amerikanischen Musikern gespielt, etwa mit den Schlagzeugern Milford Graves oder Andrew Cyrille. Dann wurde ich zum Vision-Festival in New York eingeladen, das ja eine Plattform für die schwarze Jazz-Avantgarde ist. So haben sich intensive Beziehungen entwickelt, ja Freundschaften ergeben.

 

Sie sind auf der amerikanischen Jazzszene ja beinahe heimisch geworden, haben mit zahlreichen Musikern gespielt, darunter die Supergruppe Last Exit oder das Peter Brötzmann Chicago Tentet….

 

PB: Ich spielte öfters in Chicago mit verschiedenen Musikern, was die Idee aufkommen ließ, eine gemeinsame Band ins Leben zu rufen. Der Chicagoer Saxofonist Ken Vandermark gewann 1999 das MacArthur Fellowship und hat einen Großteil des beträchtlichen Preisgeldes in die erste lange Amerikatour des Chicago Tentets gesteckt. Das war ein guter Start. Auch international wurde das durchaus beachtet. Wir sind nicht reich geworden, aber als Bandleader investiert man sowieso immer nur und wenig fließt zurück. Am Schluß jeder Tour blieb für die einzelnen Musiker nur ein Taschengeld übrig. Wir haben uns mächtig ins Zeug gelegt, doch die Ausbeute war recht übersichtlich. 



 

Das Chicago Tentet hat nach mehr als 10 Jahren das Handtuch geworfen – warum?

 

PB: Wir hatten gute Zeiten und haben alles probiert. Jeder hat gegeben, was er hatte. Zuerst haben wir mit kompositorischen Vorgaben gearbeitet, dann beschlossen, ganz frei zu improvisieren. Doch nach einer gewissen Zeit schlichen sich Routinen ein. Das ist fast unvermeidlich. Es wurde nachlässiger musiziert und die Inspiration fehlte. Ich schließe mich da ausdrücklich mit ein. Ich hab’ dann die Reißleine gezogen, weil ich dachte, besser auf einem guten Niveau aufzuhören, als das Bandprojekt abzuwirtschaften.

 

Sie waren ja zeitgleich in noch etliche andere Bandprojekte involviert, haben viel mit dem norwegischen Drummer Paal Nilssen-Love gearbeitet, auch mit Full Blast, dem elektrischen Powertrio mit Marino Pliakas (Baßgitarre) und Michael Wertmüller (Drums)…. 

 

PB: Full Blast gibt es bereits 25 Jahre, und da ist immer noch Energie und Spannung drin. Musik braucht Zeit sich zu entwickeln. Man kann nicht drei, vier Leute zusammentrommeln, und jetzt machen wir das Beste auf der Welt. So läuft das nicht.



In letzter Zeit sind Sie viel mit der Pedal-Steel-Gitarristin Heather Leigh unterwegs. Mit diesem Duo schlagen sie verhaltenere Töne an. Wieso? 

 

PB: Wir haben ein erstes Konzert vor sechs Jahren in Glasgow gespielt und das hat sofort funktioniert. Dass wir ruhiger spielen, strukturierter und auch melodiebetonter, hat sich aus der Konstellation ergeben. Die Pedal-Steel-Gitarre ist ja ein Instrument, das sehr gut schwebende, gleitende und wolkige Töne erzeugen kann. Darauf musste ich reagieren. Es sollte ja etwas Vernüftiges daraus werden. Ich merkte, dass ich anders spielen musste, als wenn ich mit einer Rhythmusgruppe aus Baß und Schlagzeug zugange bin. Diese Tendenz kam allerdings meinen Bedürfnis der letzten Jahre entgegen, melodiöser und ruhiger zu spielen. Die Zusammenarbeit mit Heather Leigh hat diese Tendenz verstärkt. Für mich war es eine Herausforderung, und Herausforderungen sind wichtig, um musikalisch nicht einzurosten.

 


Buch: 

Brötzmann: Along The Way – Artwork from 2010 - 2020, Hardcover; 228 Seiten. Corbett vs Dempsey & Wolke Verlag. E 36.-

 

 

CDs/LPs:

Peter Brötzmann: I Surrender Dear (Trost)

Brötzmann / Leigh: Sparrow Nights (Trost)

Full Blast: Rio (Trost)

The Peter Brötzmann Chicago Tentet: Be Music, Night (Jazzwerkstatt)


Das Interview erschien ursprünglich in der NEUE ZEITSCHRFIT FÜR MUSIK, Schott/Mainz, der Publikation für Neue Musik und avantgardistische Tendenzen 

https://musikderzeit.de

 

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