Spanische Flamenco-Tänzerinnen und -Tänzer mit einem Gitarristen und zwei Perkussionisten, Granada, ca. 1920
Sunday, 29 October 2023
AUGEundOHR 27: Flamenco
Wednesday, 25 October 2023
Lichtwärts-Tour von Christoph Wagner & Ekkehard Rössle
Lichtwärts! – Jugendbewegung und Lebensreform in Südwestdeutschland um 1900
Multimedia-Vortrag von Christoph Wagner mit Musik von Ekkehard Rössle / Klarinette
Unsere Termine sind:
Sonntag, 12. Nov 2023 Club Voltaire, Tübingen, Haaggasse (19:00)
Dienstag, 14. Nov 2023 Sindelfingen, Musikschule (SMTT) im Odeon, Wolboldstrasse 21 (19:00)
Donnerstag, 16. Nov 2023 Bad Urach,Stadtbücherei Schlossmühle (19:30)
Samstag, 18. Nov 2023 Kulturhaus Schwanen, Waiblingen (20:00)
Sunday, 22 October 2023
SCHEIBENGERICHT 23: Die Buben im Pelz – Verwandler
Lou Reed auf Österreichisch:
Die Buben im Pelz – Verwandler
4 von 5 Sterne
cw. Die Buben im Pelz sind eine Band aus Wien, die von den beiden Musikern und Rundfunkredakteuren Christian Fuchs (u. a. Black Palms Orchestra) und David Pfister (u. a. The Devil & The Universe) geleitet wird. Die beiden sind leidenschaftliche Velvet-Underground-Fans, was soweit geht, dass sie vor ein paar Jahren das berühmte Bananen-Album der Band von Lou Reed und John Cale (das Cover stammte von Andy Warhol) komplett noch einmal aufgenommen haben – mit einem einzigen Unterschied: die Texten waren im Wiener Dialekt gehalten. (Der zweite Unterschied: Das Cover zeigte anstatt der Banane eine Wurst.)
Das war so amüsant wie genial, weil die Liedtexte nicht verkrampft daherkamen, sondern im Dialekt recht lässig und locker klangen. Jetzt haben sich Die Buben ein zweites Mal Lou Reed und Velvet Underground vorgenommen. Dieses Mal wurde jedoch kein komplettes Album nachgestellt, sondern eine „Best of“-Auswahl an Songs von Lou Reed ausgewählt und textlich ins „Weanerische“ übertragen. Ein Ohrwurm wie „Walk on the Wild Side“, mit dem berühmtesten Baßriff der Popgeschichte, verwandelt sich in „Die Wüdn“ (=Die Wilden).
Die Buben im Pelz: Die Wüdn (youtube)
Originell orchestriert, klingt das Album derart überzeugend, cool und einleuchtend, dass man sich fragt, warum niemand in Deutschland so etwas Ähnliches hinbekommt? Es gab doch etwa im Südwesten auch einmal Schwoißfuaß, die zum Erhalt des Dialekts tausend Mal mehr beitrugen als jede Mundartpflege. Der schwäbische Bluesbarde Günther Wölfle hat ja vor 40 Jahren schon mal einen Pflog eingeschlagen mit dem Beatles-Klassiker „Yesterday, an mei‘m Fahrrad ist dr Treter hee (=„kaputt“). Da könnte man anknüpfen.
Die Buben im Pelz: Verwandler (Konkord)
Thursday, 12 October 2023
Interview mit Alexander Hawkins
Neue Horizonte aufreißen
Mit einer Masterclass an der Musikhochschule Zürich sowie seinem Trio ist Alexander Hawkins auf dem Unerhört-Festival präsent – im Interview gibt der englische Pianist und Komponist Auskunft über seine Musik, den Einfluß von Johann Sebastian Bach und das Ziel seines Unterrichtens
Seit 2012 besteht ihr Trio. Wie hat sich die Musik der Gruppe bis heute entwickelt?
AH: Mein Trio bestand anfangs aus Tom Skinner am Schlagzeug und Neil Charles am Baß. Wir nahmen ein Album auf, das deutlich jazzorientiert war. Dann wurde Tom Skinner mit Shabaka Hutchings‘ Sons of Kemet und mit The Smile erfolgreich, der Gruppe, die er mit den beiden Radiohead-Musikern Thom Yorke und Jonny Greenwood gründete. Das nahm ihn zeitlich dermaßen in Anspruch, dass die Zusammenarbeit in meinem Trio immer schwieriger wurde. Da ich meine Kompositionen den beteiligten Musikern auf den Leib schreibe, musste ich mich nach einem anderen Drummer umsehen. So kam Stephen Davis in die Band, was eine Veränderung der Musik mit sich brachte.
War der personelle Wechsel die einzige Veränderung?
AH: Bei weitem nicht. In den letzten Jahren brachte ich mehr konzeptionelle und strukturelle Ideen ein, bedingt durch die Erfahrungen, die ich etwa in der Zusammenarbeit mit Anthony Braxton gemacht hatte. Vermehrt verwende ich heute Kontrapunkt, d.h. die polyphone Technik zweier gegenläufiger Melodiestimmen, die in der Barockmusik ihre Blütezeit hatte. Ich habe in der Vergangenheit viel frei improvisierte Musik gespielt, ob mit Evan Parker oder Louis Moholo, aber in meiner eigenen Musik war ich daran nie wirklich interessiert. Mir geht es um Organisation. Ordnung und Struktur sind Elemente, die mich mehr und mehr faszinieren.
Ich habe gelesen, dass Sie zum Üben Johann Sebastian Bach spielen. Das ist Kontrapunkt in Vollendung. Wirkt Bach als Einfluß?
AH: Ja und nein. Eines ist klar: Bachs Musik ist in ihrer Organisation von transzendenter Schönheit. Das schiere handwerkliche Können dahinter ist ungeheuer bewegend und sehr wichtig für mich. Der Jazz läuft oft Gefahr, mit vielen Noten und Tönen herumzuwerfen. Hingegen gibt es bei Bach oder auch bei Janáček keine Note, die zu viel ist. Diese Perfektion ist unglaublich, vor allem vor dem Hintergrund unserer heutigen Gesellschaft, die in einer Flut von Informationen zu versinken droht. Ich muß mich in dieser Hinsicht allerdings an der eigenen Nase fassen. Als ich jünger war, habe ich auch viel zu viele Noten gespielt.
Man reift musikalisch ....
AH: Hoffentlich! Doch im Jazz wird bis heute viel Wert vor allem auf eine virtuose Spieltechnik gelegt. Konzepte und Ideen kommen dabei zu kurz, was ich als Mangel empfinde.
Alexander Hawkins Trio
Seit einiger Zeit verwenden sie Elektronik ....
AH: Das ist richtig. Das Klavier habe ich voll im Griff, während die Elektronik neu für mich ist. Ich begreife ihre Grundprinzipien, doch ist da immer ein Faktor Unberechenbarkeit im Spiel, und das ist genau der Grund, der mich daran fasziniert. Elektronik bringt ein Element von Zufall, Unvorhersehbarkeit und Spontanität in meine Musik ein.
Welches elektronische Equipment kommt zum Einsatz?
AH: Im Studio arbeite ich neben dem Piano mit einem Prophet-Synthesizer und einem Sampler, bei Konzerten nur mit Sampler. Der Sampler dient als Ergänzung zum Piano, steht also nicht im Mittelpunkt, sondern sorgt für andere Klangfarben im Hintergrund, untermalt die Musik dezent. Es geht darum, Möglichkeiten zu erkunden, wie sich durch Elektronik der musikalische Ausdruck steigern läßt.
Was für Samples kommen zum Einsatz?
AH: Eine große Bandbreite. Einige generiere ich von meinen eigenen Schallplatteneinspielungen, die ich bearbeite und verfremde. Andere entwickle ich mit dem Synthesizer oder dem Piano. Auch habe ich gelegentlich Wortfetzen in die Musik eingespeist, etwa ein paar Sätze meines alten Bandleaders Louis Moholo, dem südafrikanischen Schlagzeuger. Es sind Sätze, die sehr persönlich sind und deshalb von Bedeutung für mich. Ich möchte nicht in die Klischeefalle geraten, die der Sampler natürlich auch darstellt. Direkte Rede in der Musik kann sehr kraftvoll sein, aber auch ziemlich abgedroschen wirken.
Kommt es bei diesen Sprach-Samples auf das Gesagte an oder sind es nur Stimmen ohne inhaltliche Bedeutung?
AH: Es kann beides sein. Stimme kann als Klang interessant sein. Auf der anderen Seite habe ich unlängst ein Sample von Sun Ras Stimme eingesetzt – sehr direkt, weder manipuliert, noch verformt. Und da kommt es dann schon auf den Inhalt an, der mir in diesem Fall wichtig ist. Das Zitat ist auf schmerzliche Weise relevant für Vorgänge von heute. Es geht um Flüchtlinge auf Booten.
Solche Statements berühren die Schnittstelle zwischen Politik und Musik. Wie denken Sie über diesen Punkt?
AH: Schon der Akt Musik zu machen, kann politisch sein, nämlich dann, wenn die Musik aus dem üblichen Gang der Dinge ausbricht und einen anderen Horizont aufreißt. Natürlich sollte man die Wirkung nicht überschätzen, wie es manche Musiker oder Musikerinnen tun, die sich politisch radikal vorkommen, weil sie radikale Musik machen. Das ist Quatsch! Die Leute, die wirklich radikal sind, sind Arbeiter und Angestellte, die an vorderster Front im Berufsleben stehen und z. B. in einen Streik treten, also direkt an politischen Auseinandersetzungen beteiligt sind. Im Gegensatz dazu sollten sich Musiker nicht so aufplustern.
Trotz all dieser Einwände, ist es dennoch für Musiker wichtig, politisches Bewußtsein zu entwickeln. Sie sollten sich bewußt sein, dass es ein Privileg ist, das machen zu können, was man gerne tut, weil viele Menschen diese Option nicht haben. Wir haben die Freiheit uns auszudrücken, und diese Freiheit sollten wir nutzen. Dabei sollte uns aber klar sein, dass sich durch Jazz der Gang der Welt nicht ändern läßt.
Beim Üben daheim in Oxford
AH: Selbstverständlich. Mir ist dadurch bewußt geworden, wie kompliziert die meisten Sachverhalte heute sind, weshalb man sich vor allzu einfachen Parolen hüten sollte. Ich weiß, wie ein wirklich gut recherchiertes Argument aussehen muß, das die Dinge von allen Seiten beleuchtet und nicht schon beim ersten Einwand in sich zusammenfällt.
Musik drückt viele schöne und aufregende Dinge aus, ist aber eigentlich ein zu plumpes Mittel, um sich zu Politik oder Gesellschaft zu äußern. Musik kann anderes besser: inspirieren, begeistern oder auch Menschen in eine andere Sphäre versetzen, um Ruhe und Abstand vom täglichen Chaos zu finden. Sun Ra hat das vorgemacht: Seine Weltraummythologie war eine Art von Eskapismus, um dieser fürchterlichen Wirklichkeit aus Rassismus, Segregation und Gewalt zu entfliehen und ihr etwas Positives entgegenzusetzen.
Sie tendieren dazu, mit Musikern über einen längeren Zeitraum zusammenzuarbeiten....
AH: Das ist richtig, obwohl ich natürlich auch weiß, dass neue Begegnungen frische Impulse bringen können. Aber mit den gleichen Musikern lange Zeit zusammenzuspielen, bringt einen Grad an Vertrautheit, Empathie und Verständnis mit sich, was es erlaubt, tiefer in die Musik einzudringen. Man kann größere Risiken eingehen, weil man sich gut kennt und sich auf die anderen verlassen kann. Bei Improvisationen kann der Eindruck entstehen, dass wir im Trio oft komplett verschiedene Dinge spielen, und schlagartig sind wir dann plötzlich wieder vollkommen beieinander – das funktioniert nur, weil man sich kennt!
Sie geben während des Unerhört-Festivals eine Masterclass an der Musikhochschule Zürich. Was ist ihre Herangehensweise?
AH: Ich bringe ein paar meiner Kompositionen ein, mit denen wir uns dann beschäftigen werden. Sie bilden den Ausgangspunkt für die Studenten und Studentinnen, sich kreativ zu betätigen. Wir kleben nicht an den Noten, sondern entwickeln Ideen und Möglichkeiten, mit dem vorgegebenen Material umzugehen. Ich bin da ganz offen. Ich lerne ebenso von den Beteiligten. Ich erkläre ihnen die Gedanken und Ideen hinter meinen Kompositionen, die strukturellen Bausteine, die ich verwende. Ich erläutere, auf was es mir ankommt und hoffe, dass sie davon ein klein wenig inspiriert werden für ihre eigene Musik. Es wird diskutiert: Wie strukturiere ich eine Komposition? Wie ökonomisch gehe ich mit den Noten um? Wie gestalte ich ein Solo im Kontext eines bestimmten Stücks? Solche Debatten sollen helfen, einen eigenen ästhetischen Standpunkt zu entwickeln. Im Idealfall sollte am Ende für alle Beteiligten ein wenig klarer sein, was sie künstlerisch wollen.
Hawkins in einer Band mit Shabaka Hutchings, zweiter von links
Die Studenten und Studentinnen sind eine Generation jünger als Sie. Sind Sie an deren Musik interessiert?
AH: Um gleich einem Mißverständnis vorzubeugen: Ich finde es wichtig, die Musik jeder Altersgruppe zu hören. Das habe ich von Anthony Braxton gelernt: Für jede Art von Musik empfänglich zu sein und Ideen und Gedanken in Betracht zu ziehen, egal woher sie kommen. Auch wenn ich Musik höre, die mir nicht zusagt, ist es doch eine interessante Frage: Warum gefällt mir das nicht? Man lernt dabei viel über sich selbst und seine eigene Haltung. In England gibt es im Moment eine junge Szene, die Jazz wieder in alternative Veranstaltungsorte bringt und ihm seine einstige Körperlichkeit zurückgibt. Diese Musiker und Musikerinnen holen Jazz aus dem Ghetto der traditionellen Jazzclubs heraus und werden deswegen von der älteren Generation heftig kritisiert. Ich finde diese Musik nicht durchgehend aufregend, doch hat diese Szene einiges, was für sie spricht. Es gibt dort etliche hochtalentierte Musiker und Musikerinnen mit ganz eigenen, starken Visionen, die wissen, auf was sie hinaus wollen. Ihre Haltung und ihr Einsatz ist bewundernswert. Das sehe ich auch als übergeordnetes Ziel meiner Masterclass: Ich möchte dazu beitragen, dass junge Musiker und Musikerinnen einem Schritt weiterkommen auf dem Weg, eine eigene künstlerische Identität zu entwickeln. Denn darauf kommt es letztendlich an.
Alexander Hawkins Trio: Carnival Celestial (Intakt, 2023)
Alexander Hawkins ist mit seinem Trio (29. Nov, Rank; Beginn: 21:45) und der masterclass (28. Nov, Club Mehrspur, Beginn: 20:30) auf dem Zürcher Unerhört-Festival zu hören.
Info: unerhoert.ch
Monday, 9 October 2023
Die Harfe neu erfunden: Zeena Parkins
Ein Kosmos unentdeckter Klänge
Durch die Zusammenarbeit mit Björk, Yoko Ono und John Zorn ist Zeena Parkins zu einer zentralen Figur der experimentellen Szene geworden – in ihren Händen verwandelt sich die Harfe in ein Zauberinstrument
cw. Obwohl Zeena Parkins mehrere Instrumente spielt, ist ihr Name untrennbar mit einem einzigen Instrument verbunden, das in der experimentellen Musik bis in die 1980er Jahre hinein kaum eine Rolle spielte. Die Musikerin, die in Detroit aufwuchs, hat die Harfe zu einem angesehenen und vielbeachteten Klangerzeuger der Avantgarde gemacht und als elektrisches Instrument neu erfunden. Deshalb kann es kaum verwundern, wenn Zeena Parkins‘ Name mittlerweile als Synonym für Harfe gilt.
Mitte der 1980er Jahre wurde man in Europa erstmals auf Parkins aufmerksam. Mit der Gruppe Skeleton Crew (mit Fred Frith und Tom Cora) kam sie zu Tourneen und Festivalauftritten auf den alten Kontinent, um das Engelsinstrument auf eine Weise zu spielen, wie man es bis dato noch nicht gehört hatte: Sie präparierte die Saiten, klemmte Wäscheklammern fest und verfremdete die Töne mit elektronischen Gerätschaften. Kurz: Parkins erkundete die Harfe als einen Kosmos bislang unentdeckter Klänge.
Skeleton Crew mit Tom Cora (links) und Fred Frith (rechts)
Durch Frith und Cora kam die Harfenistin, die inzwischen nach New York gezogen war, mit John Zorn in Kontakt, der Ende der 1980er Jahre regelmäßig Proben in seinem Apartment auf der Lower East Side abhielt. Bei diesen Sessions kamen „Game“-Kompositionen zur Aufführung, die Zorn mit Schildern und Tafeln lenkte und die Parkins die Augen öffneten – so kühn und verwegen konnte Musik sein! Das gab ihr den Kick, bei ihren Erkundungen der Harfe noch mehr zu wagen.
Anfang der 1990er Jahre markierte das Album „Nightmare Alley“ einen Durchbruch, weil es auf vielfältige Art und Weise das noch ungehobene Klangreservoir der Harfe hörbar machte. Das Album war eine Offenbarung, weil Parkins dem unbegleiteten Instrument Sounds entlockte, die man ihm nicht zugetraut hätte. Seither hat sie ihre Klangpalette stetig erweitert und die Stationen der Entdeckungsreise auf fünf weiteren Soloalben dokumentiert.
Die Häutung zur radikalen Avantgardistin wirkte umso drastischer, weil Parkins ursprünglich aus der klassischen Klaviermusik kam. Als Teenager liebäugelte sie mit der Idee, Konzertpianistin zu werden. Doch auf der Musikhochschule wurde ihr irgendwann klar, dass die klassische Musik nicht der Weg war, den sie weiter beschreiten wollte.
Zuvor hatte ihr der Zufall eine Alternative zugespielt. Um neben dem Klavier noch ein zweites Instrument zu erlernen, wurde die Schülerin eines Tages in den hinteren Trakt des Schulgebäudes geführt, in ein dunkles Zimmer ohne Fenster. Als das Licht anging, stand sie acht großen Konzertpedalharfen gegenüber: „In Gold gefaßt, kamen sie mir wie märchenhafte Zauberinstrumente vor. Ich habe mich sofort in sie verliebt. In diesem einen Augenblick hat sich mein ganzes Leben entschieden.“
Parkins begann klassische Harfe zu erlernen und je mehr sie sich in das Instrument vertiefte, umso geringer wurde ihr Ehrgeiz, einmal in einem Klassik-Konzert aufzutreten. Ihre Interessen lagen anderswo.
Vom akustischen zum elektrischen Instrument war der Weg nicht weit, vor allem in einem Umfeld wie Manhattans Downtown-Szene, wo fortwährend mit unorthodoxen Spieltechniken experimentiert und der konventionelle Rahmen der Tonsprache erweitert und hinausgeschoben wurde.
Die früheste Version ihrer elektrischen Harfe wurde 1985 vom verstorbenen Cellisten und Skeleton-Crew-Bandkollegen Tom Cora und dem bildenden Künstler Julian Jackson entworfen. Im Jahr darauf baute sie der Gitarrenbauer Ken Parker in ein freistehendes Instrument um, das im Stehen gespielt werden konnte. Als nächstes nahm der Klangkünstler und Instrumententüftler Douglas Henderson noch ein paar Verbesserungen vor. „Das veränderte das Instrument grundlegend,“ erklärt Parkins. „Er schuf ein Griffbrett, wodurch es möglich wurde, unterschiedliche Spieltechniken zu entwickeln.“
Ob mit Skeleton Crew, dem „Conduction”-Ensemble von Butch Morris, John Zorns frühen “Cobra”-Gruppen, der Formation No Safety mit Chris Cochrane oder dem Duo Phantom Orchard mit Ikue Mori – Parkins, von quecksilberhaftem Temperament, entfaltete eine Vielzahl musikalischer Aktivitäten, die die Harfenistin über die engen Kreise der Avantgarde hinaus bekannt machten. Selbst Musiker der avancierten Popszene horchten auf, wie Sean Lennon der Parkins seiner Mutter Yoko Ono für Konzertauftritte empfahl, was zu einer Beteiligung an Onos „Live“-Album „Blueprint for a Sunrise“ führte.
Um die Jahrtausendwende erhielt Parkins eine Email, die ungefähr so lautete: „Ich bin eine Sängerin auf der Suche nach einer Harfenistin. Hätten Sie vielleicht Interesse?“ Unterschrieben war die Anfrage von Björk, der avantgardistischen Popsängerin, die Parkins dann in ihre Band holte, nicht ohne sie vorher rigoros im Vom-Blatt-Spielen sowie im Nach-Dem-Gehör-Spielen zu testen. Vier Jahre dauerte die Zusammenarbeit. Parkins ging mit Björk auf eine über einjährige Welttournee, um das „Vesperine“-Album zu promoten, wobei die beiden immer wieder gemeinsam an neuen Arrangements arbeiteten.
Zeena Parkins mit Björk – Generous Palmstroke; "Live" at the Royal Opera House (youtube)
Parallel dazu nahm Parkins vermehrt an intermedialen Projekten teil, ob im Tanz-, Film- oder Kunstbereich, bei denen sie mit Choreographen, Regisseuren, visuellen Künstlern, Designer und Bewegungsartisten kooperierte, ob mit Tanzguru Merce Cunningham oder Multimedia-Artist Christian Marclay.
Das aktuelle Album „Lace“ unterstreicht erneut Parkins außergewöhnliche musikalische Individualität. Der ursprüngliche Impuls für die Einspielung liegt 15 Jahre zurück, als die Komponistin vom Merce Cunningham Dance Studio zu einem Konzert der „Music Mondays“-Serie eingeladen wurde. Allerdings hatte die Sache einen Haken: Der Termin war so knapp bemessen, dass für Ensembleproben keine Zeit blieb und Parkins sich stattdessen für einen spontanen Ansatz entschied. Sie wählte ein paar graphisch interessante Beispiele von textilen Spitzenmustern aus ihrer Sammlung aus, die sie auf den Tourneen um die Welt zusammengetragen hatte. Die Spitzen sollten den Musikern und Musikerinnen des Ensembles als Partitur für jeweils ein bestimmtes Stück dienen, das improvisiert wurde, sich aber doch strukturell an dem Spitzenmuster orientieren sollte. Und – surprise, surprise! – es funktionierte!.
Auf das Motiv der Spitzen kam Parkins danach immer wieder zurück, was schließlich zum Album „Lace“ (=Spitzen) führte. Es enthält Kompositionen für Schlagwerk (William Winant) sowie für ein Ensemble aus Cello (Maggie Parkins), analogem Synthesizer (James Fei) und den Bläsern der Gruppe Tilt – von der Harfe keine Spur! Selbst nach einer Karriere von nahezu 40 Jahren ist Zeena Parkins immer noch für eine Überraschung gut.
Zeena Parkins ist am Samstag, den 2. Dezember 2023 auf dem Unerhört-Festival in Zürich zu hören.
Info: unerhoert.ch
Friday, 6 October 2023
AUGEundOHR 27: Mariachi-Quartett aus Mexiko, ca. 1920
Monday, 2 October 2023
Shake Stew mit neuem Video "Lila"
Die neue Single "Lila" von Lukas Kranzelbinders Shake Stew – musikalisch und visuell ausgewöhnlich!