Klang der Dunkelheit
Yoko Ono: von Fluxus über die Beatles und darüber hinaus
cw. Yoko Ono
bellt Urlaute heraus. Ihre Stimme überschlägt sich, Sie klingt so schrill,
exaltiert und durchdringend wie der Gesang im japanischen Noh-Theater. Stöhnen,
Heulen und Seufzen kommen dazu. Dissonante Akkorde und Rückkopplungen
verdichten sich. Gitarrensaiten werden gedehnt und gezogen. Die amerikanische
Vokalistin ist in ihrem Element und schöpft die ganze Bandbreite ihrer Stimmkunst
aus.
Ihr Album “YokoKimThurston” hat Yoko Ono mit zwei “guten Freunden” eingespielt.
Damit sind die Rock-Avantgardisten und Ex-Eheleute Kim Gordon und Thurston
Moore von Sonic-Youth gemeint, der alternativen
Rockband, die seit den 80er Jahren stilprägend gewirkt hatte und sich vor zehn Jahren aufgelöst hat. Mit der Einspielung kehrt Ono zu ihren Anfängen zurück: den
radikalen Experimenten in der Untergrund-Szene von Downtown Manhattan, als sie
sich mit Schrei-Performances und Konzept-Kunst einen Namen machte. Yoko Ono
ruft damit eine mehr als 60jährige Erinnerung wach, die Anfang der 60er Jahre unter
dem Stichwort “Fluxus” begann.
September
1962. Im städtischen Museum in Wiesbaden findet unter der Überschrift “Fluxus -
Internationales Festival Neuster Musik” ein großes Tohuwabohu statt. Das
Ereignis bringt zum ersten Mal die extremsten Avantgardisten und Kunstrebellen aus
der ganzen Welt zusammen. In 14 Konzerten werden alle Register der Anti-Kunst
gezogen und die Vorstellungen konventioneller Ästhetik auf den Kopf gestellt. Es
geht um Schock, Provokation und Skandal. Als Höhepunkt wird ein Klavier
zertrümmert, was einen Reporter zu der Schlagzeile veranlasst: “Die Irren sind
los!”
Frauen
sind in der Fluxus-Szene eine verschwindende Minderheit. Yoko Ono liefert einen
der wenigen weiblichen Beiträge zum Wiesbadener Festivalprogramm. Ein paar
ihrer Werke werden aufgeführt, darunter “Ein Stück, um den Himmel zu sehen.”
Ono, die später als Gattin des Beatle John Lennon zu Weltruhm gelangt, hatte
sich mit radikalen Kunstaktiviäten für das Ereignis empfohlen. In ihrem New
Yorker Loft-Studio hatte sie seit 1960 die “Chambers Street Concerts” veranstaltet,
wo etwa die “Smoke Paintings” zu sehen waren, brennende Gemälde, die sich in
Rauch auflösten.
“Ich
spielte eine Reihe von Konzerten mit La Monte Young,” erinnert sich Ono. “John
Cage überredete all diese tollen Leute, zu unseren Konzerten zu kommen: Peggy
Guggenheim, Duchamp, Max Ernst.” Bei einer anderen Aktion namens “Painting To
Be Stepped On” wurde eine Leinwand auf den Fußboden ausgebreitet, wobei sich durch
die Schuhabdrücke der Besucher allmählich ein abstraktes Bild ergab. Und dazwischen
immer wieder die “Cry Pieces” – Schrei-Stücke: “Mit solchen Geräuschen und
Gefühlen wollte ich arbeiten: der Klang der Angst und der Dunkelheit,”
kommentierte Ono ihre Aktionen.
1933
geboren, stammt Yoko Ono aus einer vermögenden Tokioer Bänkersfamilie. Mit dem Reichtum
ging eine profunde musikalische Ausbildung einher. Ono erhielt privaten
Musikunterricht, nahm Gesangstunden und übte “German Lieder”. Als Onos Vater zum Leiter der
Bank of Tokyo in New York befördert wird, kommt sie in den 50er Jahren in die
USA, um an einer Eliteuniversität Philosophie und Komposition zu studieren. Einer
ihrer Mitstudenten ist George Maciunas, der später zum Initiator und Namensgeber
der Fluxus-Bewegung wird und Ono in seiner New Yorker Galerie ausstellt.
Die Geschäfte mit avantgardistischer Kunst gehen
schlecht. Gläubiger sind Maciunas auf den Versen. 1961 setzt er sich nach
Deutschland ab, wo er für die US-Armee in Wiesbaden als Grafikdesigner arbeitet.
Rasch knüpft er Kontakte zu Künstlern wie Joseph Beuys und Avantgarde-Komponisten
wie Karlheinz Stockhausen. Maciunas sorgt wohl auch dafür, dass Onos Konzept-Stücke
beim Fluxus-Event in Wiesbaden zur Aufführung kommen.
Neben
Wiesbaden ist Wuppertal ein anderes Zentrum der neo-dadaistischen Bilderstürmerei.
Hier finden in der Galerie Parnass Ausstellungen mit neuer Kunst und auch erste
Fluxus-Happenings statt. “In einer Ausstellung präsentierte Nam June Paik seine
präparierten Klaviere und ähnliche musikalischen Apparaturen, die vom Publikum
bespielt werden konnten. Ich hing in der Galerie rum, wenn etwas geboten war,
und half Paik,” erinnert sich der angehende Freejazz-Saxofonist und damalige Student
an der Wuppertaler Werkkunstschule Peter Brötzmann. “Jede Tag oder jeden
anderen Tag ging ich mit meinen Freunden Tomas Schmit und Manfred Montwe in die
Galerie, um die zumeist sehr fragilen Instrument-Installationen, manche mit
Plattenspielern, Tonbandgeräten oder Ferseh-Monitoren, wieder herzurichten,
wenn sie in Mitleidenschaft gezogen worden waren.”
Brötzmann
begleitete Paik zu einem 2-tägigen Fluxus-Event nach Amsterdam. “In einem alten
Kino wurde ein Flux-Fest von der Galerie Amstel 47 veranstaltet. Ich war als
Akteur dabei und an einigen von Paiks Stücken beteiligt,” erinnert sich der
Saxofonist. “Yoko Ono habe ich erst einige Zeit später getroffen, ebenfalls in
Holland bei einem Event, den Anita Schoonhoven organisiert hatte, deren Mann Jan
Schoonhoven ein maßgeblicher Künstler der Zero-Gruppe war. Anita war vom neuen
Jazz angetan. Sie organisierte Konzerte, und auf einem tanzte Yoko Ono herum. Ich
habe nicht gedacht, dass es von großer Bedeutung war, was sie gemacht hat –
eigentlich nur ein bisschen nackt und ein bisschen bemalt. Dennoch war sie neben
Charlotte Moorman, Mary Bauermeister, die mit Stockhausen liiert war, und Alison
Knowles eine der wenigen Frauen, die sich überhaupt in diesem Umfeld
künstlerisch behaupteten.”
Die
Künstlerin Mary Bauermeister organisierte zu der Zeit in Köln im kleinen ‘Theater
am Dom’ frühe Fluxus-Aktionen, sei es mit eigenen Arbeiten oder Kompositionen
von Stockhausen. “John Cage und David Tudor waren einmal da, ebenso Nam June
Paik,” erzählt Brötzmann. “Das Dreieck Wuppertal, Köln und Düsseldorf war ein
Zentrum solcher Aktivitäten. Joseph Beuys war in Düsseldorf, den ich damals mit
Paik in seinem Studio besucht habe und der auch Interesse an Musik zeigte und
ein paar Mal zu unseren Aktionen in Wuppertal kam. Grenzen zwischen bildender
Kunst und Musik gab es damals nicht.”
1964 kam
es zum Eklat. Als Stockhausens experimentelles Musktheaterstück “Originale” in New
York von u.a. Mary Bauermeister, Allen Ginsberg und Nam June Paik aufgeführt
wurde, protestierten die Fluxus-Mitglieder George Maciunas, Tony Conrad und
Henry Flynt vor dem Konzerthaus gegen die Veranstaltung, wobei Flynt in einem
Pamphlet Stockhausens Ablehnung von außereuropäischer und populärer Musik als
“kulturellen Imperialismus” brandmarkte. Damit war der Split vollzogen.
Politisch linksgerichtete Fluxus-Mitglieder attackierten ihre eher individualistischen
und politisch indifferenten Kollegen, die wiederum die stramme politische
Ausrichtung als “Agit Prop” ablehnten. Das Schisma ging als der “erste Tod” von
Fluxus in die Annalen der Kunsthistorie ein. “Verräter, du hast Fluxus
verlassen!” hieß es auf einer Postkarte, die Maciunas an Paik schickte.
1966
stellte Yoko Ono ihre Installationen in einer kleinen Galerie in London aus, wo
sie John Lennon von den Beatles traf. Bald galt das Paar als unzertrennlich und
sorgte mit spektakulären Aktionen wie dem Amsterdamer “Bed-In”-Happening gegen
den Vietnam-Krieg für Schlagzeilen. Beatles-Fans waren auf Yoko Ono nicht gut zu
sprechen: Ihr wurde die Trennung der Fab Four angelastet. Mit Lennon nahm Ono
einige radikale Schallplatten auf, die eine Verbindung zwischen Fluxus und Rock
‘n’ Roll anstrebten, was dem Beatle den Fluxus-Ritterschlag vom Flux-Erfinder George
Maciunas höchstpersönlich einbrachte, aber auch viele Verrisse, Spott und Hohn.
Nach dem
Mord an Lennon im Jahr 1980 führte Yoko Ono die musikalischen Aktivitäten fort,
oft im Gespann mit ihrem Sohn Sean Lennon, wobei sie von Jazzfunk über
experimentellen Rock bis zu Electronica und Remixes immer wieder musikalisches
Neuland betrat, getrieben von einer scheinbar unerschöpflichen kreativen
Neugier.
Die Fluxus-Ära bildet neben den Jahren mit Lennon das Kernstück einer Biographie,
die der Journalist Nicola Bardola über Yoko Ono verfasst hat. Bienenfleißig hat
er die ganze Ono- und Lennon-Literatur durchforstet, dabei viele Fakten
zusammengetragen, die er nun flüssig referiert. Allerdings fehlt ihm neben der
Sachkenntnis und dem Vokabular, auch das theoretische Handwerkszeug, um Yoko
Ono im Kontext der Fluxus-Bewegung kunsthistorisch kompetent einzuordnen.
Weil Bardola mit Ono selbst kein Interview führen konnte, hat er alle
Fakten aus der umfänglichen Sekundärliteratur und diversen Online-Quellen
destilliert. Ebenso wenig hat der Autor alte Weggefährten konsultiert, wie etwa
den Minimalisten La Monte Young, der immerhin einmal Onos Lover und Fluxus-Kompagnon
war, oder den politischen Fluxus-Aktivisten Henry Flynt. Beide hätten sicherlich
Erhellendes z.B über den Konflikt zwischen der politischen und apolitischen Fluxus-Fraktion
beitragen können und Onos Haltung dazu.
John Tchicai
Der Mangel an “First-Hand-Information” erweist sich auch bei der
Behandlung des Albums “Unfinished Music No 2 – Life with the Lions” als
Handicap. Wie Bardola schreibt, spielen auf der Live-Aufnahme “Cambridge 1969” mit
Lennon und Ono “noch ein Saxofonist und ein Schlagzeuger.” Hätte er den
Saxofonisten John Tchicai, immerhin ein maßgeblicher Neuerer im Jazz seit den
60er Jahren, befragt, wäre ihm wenig Schmeichelhaftes über seine Heldin zu
Gehör gekommen: “Auf Tantiemen
warteten wir vergeblich. Ich schrieb Briefe an Yoko Ono, um meinen Anteil zu
reklamieren, bekam aber keine Antwort,” weiß Tchicai über die Multirmillionärin
zu berichten. “Das ist Diebstahl und eine Schande, dass Leute so tief sinken,
Musiker, die sowieso wenig verdienen, um ihre Ansprüche zu prellen.” In der Hagiographie
von Bardola hätten solche Fakten das Heiligenbild nur gestört.
Foto: Lester Cohen
Yoko Onos
Album ist da von größerer Qualität, das auf ihrem eigenen Chimera-Label
erschienen ist. Die Bandbreite der weitgehend improvisierten Titel reicht von entrückten
Gesangsstücken mit verzerrten Gitarrensounds über Gedichtrezitationen in
verteilten Rollen bis zur Nummer “Mirror Mirror”, die das Grimm’sche Märchen
“Schneewittchen” variiert. Gegenüber den jüngeren Begleitmusikern fällt die
Fluxus-Oma nicht ab – im Gegenteil: Selbstbewußt gibt sie die Richtung vor. Immer
steht Onos Stimme im Vordergrund. Wie ganz zu Beginn ihrer Karriere lotet sie
die Möglichkeiten ihres Gesangsorgans in allen Schattierungen aus. “Ich habe
meine ganze Energie in dieses Album gesteckt, um die Welt damit aufzuwecken,”
sagt die Künstlerin, die jetzt 90 Jahre alt geworden ist.
Buch:
Nicola
Bardola: Yoko Ono. Eine Biographie. LangenMüller. 288 Seiten, 24 SW-Fotos.
CD:
Yoko Ono
/ Kim Gordon / Thurston Moore: YokoKimThurston (Chimera Music)
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