Sunday, 30 December 2012

FLASHBACKS: The Who + James Cotton

Werbekarte: The Who plus Bluesmusiker James Cotton mit Band 'in concert'  in Santa Monica an der amerikanischen Westküste im August 1968



AUGE und OHR #16: Traditionelle Musiker aus Formosa

Traditionelle Musiker aus Taiwan/Formasa mit Mundbogen, Maultrommel und Nasenflöte, ca. 1910


Wednesday, 26 December 2012

SOULFOOD: Afro-American Cooking & Soulmusic


SOULFOOD - Seelennahrung
 
Ein Kochbuch der afro-amerikanischen Küche plus CD verbindet Kulinarisches mit Soulmusik

                                                                                                                                    Foto: Axel Kuestner
 
CW. Als einst Jimi Hendrix im Januar 1969 auf Tournee in Deutschland war, versuchte ihm in Stuttgart sein Tourneeveranstalter Fritz Rau das schwäbische Nationalgericht Linsen mit Spätzle und Saitenwürstle nahe zu bringen. “Hendrix begann tapfer mit dem Verzehr. Aber sehr bald ließ er den kaum angerührten Teller stehen und entschuldigte sich für einen Moment,” schreibt Rau in seinen Memoiren. “Er kam nicht wieder. Wahrscheinlich war ihm schlecht geworden. Sein Tourmanager sagt mir: ‘Er kriegt dein Lieblingsessen beim besten Willen nicht runter, aber er möchte deine Gefühle nicht verletzen.’”
 
Hätte Rau die Linsen als schwäbisches “Soulfood” angepriesen, wäre seine Mission vielleicht erfolgreicher verlaufen. Denn “Soulfood” ist neben “Soulmusic” ein Grundbestandteil afro-amerikanischer Kultur. Der Slang-Begriff steht für die schwarze Küche des amerikanischen Südens, für Essen, das nicht nur dem Magen guttut, sondern auch der Seele – Seelennahrung eben!                                                                              Foto: Axel Kuestner
 
Diesen Gerichten widmet sich ein Kochbuch, das unter dem Titel “Soulfood” gerade im Münchner Trikont Verlag erschienen ist und Kulinarisches mit Musikalischem verbindet. Neben Dutzenden von Kochrezepten gibt es eine CD, auf der Soulsänger, Rhythm & Blues-Musiker und HipHop-Künstler von Bo Diddley über Rufus Thomas bis zu Goodie MoB in 18 Songs die schwarze Küche rühmen. Soulfood und Soulmusik – was für eine Kombination!

Soulfood ist nicht, was die Ernährungsberaterin empfiehlt. Diese Gerichte scheren sich keinen Deut um Kalorien oder die Gesundheit – im Gegenteil: Je fetter, desto besser, scheint das Motto zu sein. “Fat and yummy!” Hauptsache: deftig! Kein Wunder, dass aus Bayern, dem Land der Schweinshaxn, Semmelknödeln und Weißwürste, dieses Kochbuch kommt. Seit fünfzehn Jahren sammelt der Münchner Spitzenkoch und Soulmusik-DJ Sven Christ sowohl Rezepte schwarzer Hausmannskost, als auch alte Soul-Platten. Dazu ist er etliche Male in den USA unterwegs gewesen, hat Schallplattenläden nach gebrauchtem Vinyl abgeklappert und bei Leuten, wo er unterkam, nach alten Familienrezepten und speziellen Zutaten gefragt, wobei er sowohl Klangvolles als auch Leckeres zu Tage förderte: “Den Alligator in Würfel schneiden und in einem großen Topf in Öl anbraten”, lautet etwa die Kochanweisung für “Gator Stew” – Alligator Eintopf, während der Rhythm & Blues-Musiker Junior Walker inbrünstig vom “Home Cooking” singt. Doch um die hiesigen Kochfans nicht gleich zu entmutigen (denn in welchem Feinkostgeschäft gibt es schon Alligator?), zeigt der Chefkoch kompromißbereit einen Ausweg: “Wem Alligator zu unheimlich ist, der kann auch Kalb verwenden.”
                                                                                                                                      Foto: Axel Kuestner 
Als Küche der Afro-Amerikaner war “Soulfood” ursprünglich ein Arme-Leute-Essen. Sein Merkmal: der äußerst kreative Umgang mit dem Wenigen, was es gab. Reste gab es nicht, alles wurde verwertet. “Das wichtigste in der Soulfood-Küche ist aber die Lust, mit der diese Gerichte zubereitet werden, dieser unbedingte Wille sich selbst etwas zu gönnen, in einer Welt, in der so etwas wie Luxus nicht vorkommt”, schreibt Christ.
 
Dazu kommt: Soulfood ist kein Fast Food – im Gegenteil: zum Soulfood-Kochen braucht man Zeit. In diesem Umstand spiegelte sich die sozialer Situation der schwarzen Bevölkerung im amerikanischen Süden wider: Geld hatte man kaum, dafür umso mehr Muse zum Musikmachen und Kochen. “Papa Joe’s Ochsenschwanz Eintopf” muß mindestens drei Stunden köcheln.
 
Als Beilagen zu den gegrillten Schweinerippchen oder zum Hähnchen mit Honig-Senf-Kruste gibt es neben Maisbrot und roten Bohnen oft “Greens”, was in unseren Breiten ein Problem aufwirft, denn in Europa ist das entsprechende Blattgrün nicht zu haben. Sven Christ überwindet die Schwierigkeit auf kreative Art:  “Als Ersatz verwende ich die Blätter vom Kohlrabi, von dem wir normalerweise nur die gedünstete Knolle essen. Um aber an die Blätter zu kommen, behaupte ich im Supermarkt, ich hätte Kaninchen zuhause.”
                                                                                                                                      Foto: Axel Kuestner

 
Wer mit der Küche des (deutschen) Südens vertraut ist, dem wird hier einiges bekannt vorkommen: Was in Louisiana unter “Southern Style Barbequed Pig’s Feet” läuft, ist in Bayern schon seit ewig als weißblaues Nationalgericht bekannt. Unterhalb des Weißwurstäquators sagt man schlicht “Schweinshaxn” dazu.
 
Sven Christ: Soulfood. Food & Music - Fat & Yummy!  (Trikont)

Der Beitrag erscheint in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)
 

Sunday, 23 December 2012

KIMMO POHJONEN und das KRONOS QUARTET


Widerspenstige Zähmung
 
Das Kronos Quartet arbeitet mit Akkordeon-Punk Kimmo Pohjonen zusammen


CW. Das Kronos Quartet ist das bekannteste Streichquartett der Welt. Seit den 70er Jahren  hat das Ensemble aus Kalifornien das Image des Streichquartetts radikal modernisiert, als eines Kammerensembles, das nicht nur klassische Musik präsentiert, sondern sich Pop, Jazz und Welmusik öffnet, ohne dabei künstlerische oder kommerzielle Zugeständnisse zu machen. Das Kronos Quartet hat “Purple Haze” von Jimi Hendrix für Streicher arrangiert, dazu mit einer enormen Bandbreite von Künstlern zusammengearbeitet, ein Spektrum, das vom Beat-Poeten Allen Ginsberg über Tango-Meister Astor Piazzolla bis zu Björk, Tom Waits und David Bowie reicht.
 
Ähnlich revolutionär hat Kimmo Pohjonen in Bezug auf das Akkordeon  gewirkt. Der Finne hat der Ziehharmonika zu einem neuen Profil verholfen, es zu einem Instrument gemacht, auf dem man spielen kann wie Jimi Hendrix auf der Gitarre: wild, energiegeladen und aufpeitschend!
Pohjonen baut dabei auf eine Akkordeontradition in Finnland auf, die früher virtuose Ziehharmonikaspieler wie Volkshelden verehrte. Wenn die Akkordeonmeister etwa aus Schweden von einem musikalischen Wettbewerb heimkehrten, wurden sie von der jubelnden Menge wie Fußballstars gefeiert. Solche Begeisterung rufen Akkordeonisten heute nicht mehr hervor, obwohl Pohjonens neues Album (Titel “Uniko”) dazu einigen Anlaß geben würde. Eingespielt mit dem Kronos Quartet sowie dem Elektroniker Samuli Kosminen, ist dem “Jimi Hendrix des Akkordeon” ein kleines Meisterwerk gelungen.

Was den Akkordeon-Rabauken Kimmo Pohjonen mit den Feingeistern des Kronos Quartets verbindet, ist die Lust, Neues auszukundschaften und sich in unbekanntes musikalisches Terrain vorzuwagen. Vor Tabus fürchten sich beide nicht! Zusammen mit Samuli Kosminen hat Pohjonen sieben Stücke entworfen, von denen einige eher träumerische Stimmungen heraufbeschwören. In solch versonnenen Passagen verschmilzt das Akkordeon wunderbar mit dem Streicherklang. Die Musik segelt dann so nahe an der Stille, dass die Instrumente fast zu verstummen scheinen und minimalistische Klangflächen entstehen, die wie Schneefelder in der Morgensonne funkeln. Das Kronos Quartet hat den wilden Akkordeonmann gezähmt. Es hat ihn veranlaßt, in sich hineinzuhören und seine sensiblere Seite zum Vorschein zu bringen.
 
In anderen Kompositionen bricht dagegen Pohjonen ungestümes Temperament hervor. Harte Brüche und dynamische Ausschläge sorgen  für Kontrast. Galoppierende Maschinen-Rhythmen werden von scharfkantige Melodien der Streicher überlagert, elektronische Klangverfremdungen schaukeln sich zu aufbrausenden Tongewittern hoch, wobei Samuli Kosminen mit knarzige Störgeräusche dazwischen funkt.
 
Nur Pohjonens textloser Gesang reicht an die Qualität seiner  Kompositionen nicht heran. Sowohl sein pseudo-mystisches Brummeln aus der Tiefe, als auch sein freihändiges Preludieren wirken so unbeholfen und banal, dass sie in der sonst so vielschichtigen Musik ziemlich deplaziert wirken.

Aktuelles Album:
Kronos Quartet / Kimmo Pohjonen / Samuli Kosmimen: Uniko (Ondine)
 

Tuesday, 18 December 2012

Jazztrends: Interview mit HANK ROBERTS


In den Augenblick hineinhören

Der amerikanische Jazzcellist Hank Roberts


Hank Roberts (Jahrgang 1954) hat das Cello im modernen Jazz etabliert in Gruppen von Bill Frisell oder dem Arcado String Trio. Das Spiel auf dem Streichinstrument empfindet er als Therapie, als Tanz oder als Yoga-Übung. Jetzt legt der amerikanische Saitenvirtuose ein Album vor, das das stilistische Spektrum weit auffächert


Christoph Wagner: Sie spielen in der Band Buffalo Collison mit dem Saxofonisten Tim Berne sowie dem Pianisten Ethan Iverson und dem Schlagzeuger Dave King von The Bad Plus zusammen - zwei verschiedene Generationen von Musikern, die aus unterschiedlichen Traditionen kommen. Wie funktioniert das?
 
Hank Roberts: Bei dieser Gruppe ist keine Musik vornotiert. Wir musizieren spontan. Die Musik entwickelt sich von einem Moment zum nächsten. Wir sprechen uns nicht ab, sondern einer fängt an und die anderen reagieren darauf. Da jeder von uns auch Komponist ist, hoffen wir, das eine kompositorische Logik entsteht. Je mehr wir zusammenspielen, umso besser verstehen wir unsere unterschiedlichen Ausdrucksweisen. Es ist sehr offen - ein idealer Rahmen für Experimente.
 
Wie kam die Band zustande?
 
Hank Roberts: Mit Tim Berne spiele ich seit 1977 zusammen. Ethan Iverson und Dave King traf ich vor ein paar Jahren in Chicago, als sie mit The Bad Plus im gleichen Konzert auftraten, in dem ich mit Bill Frisell spielte.
 
Freejazz ist nicht ohne Verbotsschilder. Groovende Rhythmen oder Harmonien sind für manche Musiker Tabu. Wie geht Buffalo Collision damit um?
 
Hank Roberts: Bei uns ist alles möglich. Es gibt keine Regeln. Wir kennen uns inzwischen so gut, um zu wissen, was jedes andere Mitglied mag. Es geht darum, dass wir uns gegenseitig inspirieren. Wichtig ist, dass wir in den Augenblick hineinhören und dann die richtigen musikalischen Entscheidungen treffen, um der Improvisation auf die Sprünge zu helfen.
 
Was ist der Geheimnis der freien improvisation?
 
Hank Roberts: Wenn man sich nicht auf komplizierte Partituren konzentrieren muss wie in der klassischen Musik oder auf schwierige Akkordfolgen und harmonische Strukturen wie im klassischen Jazz,  eröffnet das Möglichkeiten, sich auf die Gefühle des jeweiligen Augenblicks einzulassen und von diesem Feeling aus zu agieren, um dort hinzugehen, wohin einen der innere Kompass führt. Es geht um das Gefühl, das sich einstellt, wenn man etwas Aufregendes erzeugt und die Inspiration, die manchmal fast einer Erleuchtung gleichkommt.
 
Hat sich ihre Spielweise über die Jahre verändert?
 
Hank Roberts: Jede Lebensphase hat ihre Eigenheiten. Wenn ich mich  an meine Anfänge als Improvisator zurückerinnere, entdecke ich Eigenschaften, von denen ich heute noch profitieren könnte, etwa den jugendlichen Optimismus, die Energie und die Begeisterung, die geistige Frische, die Offenheit und Aufnahmebereitschaft - alles Qualitäten, die junge Improvisatoren mitbringen. Die Qualitäten eines erfahrenen Musikers sind andere. Man ist gelassener, entspannter, kann besser atmen. Ich bin mir sicherer, wer ich bin und habe Frieden mit mir selbst geschlossen. Ich bin nicht so verwirrt wie damals. Ich weiß, wie man wartet, wie man geduldig ist, wie man sich zurücknimmt und bescheidener und demütiger sein kann. Man empfindet besser, was im jeweiligen Moment passend ist. Ich verstehe, wenn einer meiner Mitmusiker etwas Wichtiges zu sagen hat und kann mich dann besser zurücknehmen, wenn es sein muss für ein ganzes Konzert. Es ist wichtig, die musikalischen Fähigkeiten zu entwickeln, die nichts mit dem Instrument, mit der Spieltechnik und dem harmonisches Wissen zu tun haben, sondern damit, der zu sein, der man ist und das zum Ausdruck bringen zu können.
 
Wie wichtig ist es, sein Instrument zu beherrschen?
 
Hank Roberts: Ich versuche immer noch, meine musikalischen Fähigkeiten zu steigern. Mein Hören, meine Handhabung des Instruments, meine technischen Möglichkeiten. Ich übe, bis ich nicht mehr kann. Ich habe ein Pflichtbewusstsein als Musiker. Ich sage mir: ‘Musikmachen ist mein Job. Deshalb sollte ich jeden Tag ein paar Stunden darauf verwenden.’ Das Cellospiel ist aber darüber hinaus auch eine Art Therapie. Wenn es mir schlecht geht, spiele ich Cello und das hilft. Es bereitet mir Vergnügen, das Instrument zu spielen und ich spüre, dass ich auch in meinem Alter noch ein besserer Musiker werden kann. Das Üben kommt mir manchmal wie ein Tanz vor oder eine Yoga-Übung, wobei ich mir mehr meines Leibes bewußt werde. Abgesehen davon macht es einfach Spaß, das Instrument zu spielen.
 
Neben freiem Jazz spielen sie traditionelle Country-Music. Wie passt das zusammen?
 
Hank Roberts: In der Stadt Ithaca im Bundestaat New York, in der ich lebe, spiele ich in einem Trio namens Ti Ti Chickapea mit Banjo und Fiddle. Wir spielen Old Time Music, alte Hillbilly-Melodien. Darüber hinaus schreiben wir eigene Songs, die wir singen. Ich komme ursprünglich aus Süd-Indiana, weshalb die Musik aus dem Süden zu meinen Wurzeln gehört. Ich mag die frühen Hillbilly-Klänge. Mein älterer Bruder hat mich, als er vom College zurückkam, auf Hank Williams und solche Leute aufmerksam gemacht.
 
In Ithaca gibt es etliche Musiker, die Folkmusik machen. Das hat mich inspiriert. Mit der Gruppe Ti Ti Chickapea spielen wir Old Time Music, die wie der Jazz im Blues wurzelt, was es erlaubt, sehr kreativ mit dem Material umzugehen. Ich bin mir bewußt, dass es vielerlei Vorurteile in Jazzkreisen gegenüber der Hillbilly-Musik gibt. Doch darüber sollte man langsam hinweg sein. Entscheidend ist, was man aus der Musik macht. Es gibt eine Million Möglichkeiten. Wenn man sich mit diesem Stil auseinandersetzt, merkt man, dass dort eine ungeheure Vielfalt existiert und es unglaublich gute Musiker gibt.
 
Sie waren einer der ersten Cellisten im modernen Jazz. Gab es Vorbilder?

Hank Roberts: Ich ließ mich von jeder Art von Jazz anregen, von allem, was ich zu hören bekam. Ich las die Zeitschrift Down Beat, hörte von John Coltrane, ging in den örtlichen Plattenladen und kaufte mir eine LP von Trane, dann von Miles Davis. Später stieß ich auf Platten des Art Ensemble of Chicago und kam in Berühung mit der freien Improvisationsszene. Ich entdeckte Derek Bailey, Dave Holland, LPs von ECM.
 
Wie sind sie überhaupt zum Cello gekommen? 
 
Hank Roberts: Nicht ohne Umwege. Als ich neun Jahre alt war, wollte ich Jazzdrummer werden, aber an meiner Schule gab es keine Perkussioninstrumente, nur Saiteninstrumente. Da ich ein hochgewachsener Junge war, wählte ich das Cello. Es fühlte sich gut an. Dann hörte ich einen Jazzposaunisten, und fing neben dem klassischen Cello an, Jazzposaune zu spielen - Standards. Gleichzeitig begeisterte ich mich für Blues, kaufte mir einen Gitarre, wollte ungedingt Bluesgitarrist werden. Ich betrieb das Musikmachen sehr ernsthaft, übte 5 Stunden am Tag Jazzposaune auf der Highschool. Weil ich zu viel übte, beschädigte ich ein paar Muskeln der Lippen und musste eine Weile pausieren. In dieser Zeit trat wieder das Cello in den Vordergrund. Ich spielte die selben Sachen, die ich zuvor auf der Posaune gespielt hatte. Und es ging leichter, ohne derart große Anstrengung. Ein ganz neuer Horizont tat sich auf, weshalb ich mich von da an aufs Cello konzentrierte. Ich erkundigte mich nach anderen Cellisten im modernen Jazz, aber es gab keine. Andere Musiker wie der Vibrafonist Gary Burton wurden zu einem Einfluss, bei dem ich studierte. 1975 traf ich Bill Frisell, auch Marty Ehrlich. Es war also nur logisch, mit dem Cellospiel fortzufahren.
 
Der Cellist Abdul Wadud veröffentlichte 1977 ein Soloalbum. War das ein Anstoß?
 
Hank Roberts: Ich hörte nicht viel von Waduds Musik. Allerdings wiesen mich viele Kollegen auf ihn hin. Sie sagten: ‘Den muss du dir einmal anhören!’ Ich hörte ihn dann auf einer LP von Julius Hemphill, aber nie solo. Trotzdem war es gut zu wissen, dass ich nicht der einzige war, der neuen Jazz auf dem Cello zu spielen versuchte - allein das war schon ein Ansporn.
 
Nach ein paar vielbeachtete Alben wurde es in den 90er Jahren etwas ruhiger um sie. Warum die Auszeit?
 
Hank Roberts: Ich legte für etwa zehn Jahre eine Tourneepause ein. Meine Kinder waren sehr klein und ich wollte nicht immer weg sein. Ich gab Unterricht, spielte mit Gruppen aus der Region. Geld war natürlich ein Problem, aber wir kamen über die Runden. Das jüngste meiner vier Kinder ist jetzt 15 Jahre alt, was mir wieder mehr Spielraum gibt. Sie machen Musik, allerdings nur als Hobby, was in Ordnung ist. Ich wollte sie nicht zum Musikmachen zwingen, sondern ermutigen, selbst herauszufinden, wo ihre Interessen liegen.
 
Jazz ist bei der Jugend nicht unbedingt angesagt. Schätzen ihre Kinder die Musik, die sie machen?
 
Hank Roberts: Ja, sie finden es cool, weil ich etwas Erfolg damit habe. Sie sind stolz auf ihren Dad. Meine Aktien stiegen beträchtlich, als ich vor ein paar Jahren in der Carnegie Hall in einem Konzert mit U2 und Lady Gaga auftrat.
 
Die Gruppe auf ihrem neuen Album ist, wenn man vom Schlagzeug absieht, ein Saitenensemble. Wie kam es zustande?
 
Hank Roberts: Mit Bill Frisell habe ich in den letzten Jahren viel gearbeitet. Deswegen war es naheliegend, ihn in die Band zu holen. Die anderen beiden Musiker, Jerome Harris an der akustischen Baßgitarre und Kenny Wollesen am Schlagzeug, habe ich sehr sorgfältig ausgewählt. Sie stellen eine ideale Plattform dar, um Kompositionen zu schreiben. Stücke zu komponieren, bereitet mir viel Vergnügen. Es ist toll, wenn man von den Medien anerkannt wird, aber ich merke immer mehr, dass die Freude an der Arbeit das Wichtigste für mich ist. Es macht einfach Spaß, eine interessante Band mit interessanten Musikern zusammenzustellen und dann zu überlegen: ‘Was kann man mit diesen Musikern realisieren?  Wie kann man ihre Talente am Besten nutzen?’
 
Sie sind seit längerem beim Label Winter & Winter (vormals JMT Records) unter Vertrag.
 
Hank Roberts: Das bedeutet mir sehr viel. Stefan Winter ist ein Freund, wie ein Bruder, eine echte Stütze. Man kann sich wirklich auf ihn verlassen. Diese kontinuierliche Zusammenarbeit ist mir äußerst wichtig.
 
Welche Bedeutung kommt ihrem Solospiel auf dem Cello zu?
 
Hank Roberts: Ich arbeite kontinuierlich an meinem Solorepertoire und habe 1997 in einem Kloster eine Soloplatte für ein kleines Label in den USA aufgenommen. Zehn bis zwölf Soloauftritte absolviere ich pro Jahr, viele hier am Ort. Ich bin interessiert, was andere Cellisten machen, wenn sie alleine auftreten, Ernst Reijseger etwa, der ein fantastischer Musiker ist. Ich schau mir auf Youtube an, was sie machen. Natürlich höre ich mir auch die großen alten Meister des Cellos an: Pablo Casals hat mit seinen Bach-Interpretationen Maßstäbe gesetzt. Er brachte so viel von seiner Persönlichkeit ein. Anner Bylsma ist gleichfalls ein ungeheurer Virtuose. Seine Instrumentbeherrschung und sein Klang sind phänomenal. Ich würde gerne mehr Zeit aufs Musikhören verwenden. Doch läßt mir meine Arbeit nicht viel Raum. Ich nehme viel Musik selber auf, oft Konzerte, die ich dann sehr genau studiere. Da bleibt nicht viel Zeit, sich noch andere Musik anzuhören. Was aktuell geschieht, das erfahre ich durch meine Kinder. Mein Sohn hört viel Rap und Hiphop. Also werde ich damit konfrontiert und mir gefällt viel davon.  Was mir daran nicht behagt, ist, dass kaum noch etwas von echten Musikern gespielt wird, alles kommt von der Software. Da geht etwas verloren, was ich schade finde: die Individualität richtiger Musiker. Einige dieser Künster machen das dadurch wett, dass sie die Sprache auf sehr kreative Weise verwenden.
 
Aktuelles Album:
Hank Roberts: Everything is alive (Winter & Winter)

Das Interview erschien ursprünglich in der Zeitschrift JAZZTHETIK (www.jazzthetik.de)