Präzisionsmaschine: der Drummer JAKI LIEBEZEIT
Trommelmagier
Er spielt wie eine
Maschine, nur besser - Schlagzeuger Jaki Liebezeit hat sich nach Can neu
erfunden
cw. Anfang der 90er Jahre
beschlich Jaki Liebezeit das ungute Gefühl, musikalisch nicht mehr weiter zu
kommen. Die Möglichkeiten des normalen Schlagzeugs schienen dem ehemaligen
Drummer der Kultformation Can ausgereizt. Das Drum-Kit ödete ihn an, sein
Schlagzeugspiel kam ihm festgefahren vor. Was tun?
Liebezeit vollzog einen
radikalen Bruch. Er begann das Schlagzeugspiel noch einmal neu und anders zu
erlernen. “Ich habe die Bassdrum und das Hi-Hat abgeschafft, weil ich nicht
mehr den üblichen Rockstil spielen wollte,” erzählt er. “Ding, ding, ding...
immer da oben auf die Becken schlagen und nur gelegentlich mal da unten auf
eine Trommel und dazu ganz unten treten - das schien mir abgedroschen. Ich
trommle jetzt wie ein Trommler trommelt, nicht mehr auf den Becken, sondern auf
den Fellen.”
Foto: Manuel Wagner
Liebezeits Faszination
für ethnische Trommelstile wies ihm den Weg aus der Krise. Aus einfachsten Mitteln
das Optimale herauszuholen, wurde zur Maxime. Keine Materialschlachten, sondern
Transparenz und Beschränkung! “In Indien spielen sie zwei kleine Handtrommeln -
das genügt! In der türkischen Musik gibt es eine Basstrommel mit zwei Stöcken -
vollkommend ausreichend, um einen tollen Rhythmus zu machen. Warum muss man
Schichten um Schichten übereinander legen? Das ist europäisches Denken -
musikalischer Hochhausbau! Davon wollte ich weg. Ich wollte einfache Musik
machen, Klänge, durch die man hindurchsehen kann.”
Dieses Prinzip machte er
zum Kern seiner neuen Spielweise, die Liebezeit seither mehr und mehr
verfeinert hat und die es ihm erlaubt, ohne rhythmische Stütze auszukommen.
“Ich brauche keinen Bassisten mehr,” stellt er das Dogma der Rhythmusgruppe in
Frage.
Im Duo mit
Laptop-Virtuose Burnt Friedman beweist der Kölner, dass es auch ohne
Bassfundament geht, d.h. nur mit Trommeln und Elektronik. Liebezeit spielt seine Trumpfkarte geschickt
aus und klopft repetetive Beats mit metronomischer Präzision, die einen Sog
erzeugen, den manche als “trancehaft” oder “hypnotisch” empfinden. Er verzahnt
seine ”Secret Rhythms” - so der Titel die Plattenserie mit Burnt Friedman -
derart organisch mit den pulsierenden Loops und weiten Soundwellen von Laptop
und Synthesizer, dass kein weiteres Instrument vermisst wird.
Liebezeit & Friedman
Die Kehrtwende vor 20
Jahren war nicht das erste Mal, dass Liebezeit das Steuer herumriß. Schon
einmal, Ende der sechziger Jahre, hatte er einen ähnlich radikalen Kurswechsel
vollzogen. Damals spielte er Freejazz mit Manfred Schoof und Alexander von
Schlippenbach und arbeitete mit dem Avantgarde-Komponisten Bernd Alois
Zimmermann zusammen. Doch so richtig glücklich machte ihn das nicht.
Als vom Keyboarder Irmin
Schmidt die Einladung kam, bei einem neuen Bandprojekt einzusteigen, ergriff er
die Chance. Aus den Sessions ging die Gruppe Can hervor, die heute als eine der
wegweisenden Rockformationen der 70er Jahre gilt. “Freejazz machte für mich
keinen Sinn. Das war reine Kopfmusik, nicht körperlich. Rhythmus war verboten,”
benennt er seine Vorbehalte. “Als es dann mit Can los ging, habe ich die Dinge
gemacht, die ich wirklich machen wollte: Rhythmus spielen und Rhythmen
erfinden. Ich habe versucht, ganz einfach zu spielen mit Wiederholungen, zirkular,
und außerdem aufs i-Pünktchen genau.”
Foto: Spoon Records
Damals prägte Holger Czukay den Spruch, Liebezeit spiele wie eine Maschine, nur besser! Sein motorischer Groove
wurde zum Fundament der Rockmusik von Can und nahm die elektronischen Beats
moderner Clubmusik konzeptionell um Jahre vorweg. “Völlig präzise kann man ja
gar nicht wiederholen, es schleichen sich immer kleine Veränderungen ein,”
lautet der Erkenntnisgewinn von damals.
Zehn Jahre war Liebezeit
mit Can aktiv. Ende der 70er Jahre waren die kreativen Batterien leergelaufen.
Die international erfolgreiche Band trennte sich im Einvernehmen. Der Drummer
formierte seine eigene “Phantomband” mit
dem Traffic-Bassisten Rosko Gee, doch der Erfolg blieb aus. Liebezeit
musizierte weiterhin mit Can-Elektroniker Holger Czukay, arbeitete mit dem
englischen Dub-Bassisten Jah Wobble zusammen, trommelte als Gast auf
Einspielungen von Depeche Mode, Brian Eno und Phillip Boa & The Voodooclub
und rief eine Schlagwerkgruppe namens Drums Off Chaos ins Leben, die gerade mit
dem Elektroniker Jens-Uwe Beyer nach dreißig Jahren ihr erstes Album vorgelegt
hat.
Trotz seinen 72 Jahren
wirkt Liebezeit nicht wie ein Rockopa, zu agil und geschmeidig bearbeitet er
seine Felle. Er ist ein konzeptioneller Denker, der raffinierte metrischen
Zyklen ausklügelt und sich den Kopf über Ryhthmuspattern zerbricht. Letztes
Jahr hat er mit dem Faust-Keyboarder Hans Joachim Irmler sogar eine neue Band
zusammengestellt - im Spannungsfeld von Groove, Improvisation und
elektronischen Sounds.
Foto: Manuel Wagner
B.I.L.L - so der Name der
Gruppe - steht für eine bunt schillernde, schwebend-leichte,
digital-durchzuckte Improvisationsmusik, die manchmal fast tänzelnd daherkommt
und ganz auf Intuition baut. Schwärme von Tönen schwirren und flirren, erzeugt
von Clive Bells asiatischen Blasinstrumenten und Robert Lippoks Laptop, der
seine Loops wie verfremdete afrikanische Daumenklaviere oder balinesische
Gongspiele klingen läßt. Irmler hüllt das Ganze in feine Klangnebel, gibt
wehende Orgeltöne dazu oder bringt mit Faust-artigen Riffs ein ruppiges Element
ins Spiel, während Liebezeit mit seinen magischen Schlagmustern der Musik die
nötige Bodenhaftung verleiht. Das hat er schon bei Can meisterhaft gekonnt.
Burnt Friedman & Jaki
Liebezeit: Secret Rhythms 5 (Nonplace)
B.I.L.L (mit Jaki Liebezeit): Spielwiese Zwei (Klangbad)
Drums off Chaos &
Jens-Uwe Beyer (Magazine)
ZUM NACHRUF:
http://christophwagnermusic.blogspot.co.uk/2017/01/wit-rauern-um-jaki-liebezeit-1938-2017.html
RIP Jaki
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