Sunday, 7 July 2013

Präzisionsmaschine: der Drummer JAKI LIEBEZEIT


Trommelmagier
 
Er spielt wie eine Maschine, nur besser - Schlagzeuger Jaki Liebezeit hat sich nach Can neu erfunden



cw. Anfang der 90er Jahre beschlich Jaki Liebezeit das ungute Gefühl, musikalisch nicht mehr weiter zu kommen. Die Möglichkeiten des normalen Schlagzeugs schienen dem ehemaligen Drummer der Kultformation Can ausgereizt. Das Drum-Kit ödete ihn an, sein Schlagzeugspiel kam ihm festgefahren vor. Was tun?
 
Liebezeit vollzog einen radikalen Bruch. Er begann das Schlagzeugspiel noch einmal neu und anders zu erlernen. “Ich habe die Bassdrum und das Hi-Hat abgeschafft, weil ich nicht mehr den üblichen Rockstil spielen wollte,” erzählt er. “Ding, ding, ding... immer da oben auf die Becken schlagen und nur gelegentlich mal da unten auf eine Trommel und dazu ganz unten treten - das schien mir abgedroschen. Ich trommle jetzt wie ein Trommler trommelt, nicht mehr auf den Becken, sondern auf den Fellen.”
                                                                                                                                    Foto: Manuel Wagner   
 Liebezeits Faszination für ethnische Trommelstile wies ihm den Weg aus der Krise. Aus einfachsten Mitteln das Optimale herauszuholen, wurde zur Maxime. Keine Materialschlachten, sondern Transparenz und Beschränkung! “In Indien spielen sie zwei kleine Handtrommeln - das genügt! In der türkischen Musik gibt es eine Basstrommel mit zwei Stöcken - vollkommend ausreichend, um einen tollen Rhythmus zu machen. Warum muss man Schichten um Schichten übereinander legen? Das ist europäisches Denken - musikalischer Hochhausbau! Davon wollte ich weg. Ich wollte einfache Musik machen, Klänge, durch die man hindurchsehen kann.”
 
Dieses Prinzip machte er zum Kern seiner neuen Spielweise, die Liebezeit seither mehr und mehr verfeinert hat und die es ihm erlaubt, ohne rhythmische Stütze auszukommen. “Ich brauche keinen Bassisten mehr,” stellt er das Dogma der Rhythmusgruppe in Frage.
 
Im Duo mit Laptop-Virtuose Burnt Friedman beweist der Kölner, dass es auch ohne Bassfundament geht, d.h. nur mit Trommeln und Elektronik.  Liebezeit spielt seine Trumpfkarte geschickt aus und klopft repetetive Beats mit metronomischer Präzision, die einen Sog erzeugen, den manche als “trancehaft” oder “hypnotisch” empfinden. Er verzahnt seine ”Secret Rhythms” - so der Titel die Plattenserie mit Burnt Friedman - derart organisch mit den pulsierenden Loops und weiten Soundwellen von Laptop und Synthesizer, dass kein weiteres Instrument vermisst wird.
                                                                                                           Liebezeit & Friedman 
Die Kehrtwende vor 20 Jahren war nicht das erste Mal, dass Liebezeit das Steuer herumriß. Schon einmal, Ende der sechziger Jahre, hatte er einen ähnlich radikalen Kurswechsel vollzogen. Damals spielte er Freejazz mit Manfred Schoof und Alexander von Schlippenbach und arbeitete mit dem Avantgarde-Komponisten Bernd Alois Zimmermann zusammen. Doch so richtig glücklich machte ihn das nicht.
 
Als vom Keyboarder Irmin Schmidt die Einladung kam, bei einem neuen Bandprojekt einzusteigen, ergriff er die Chance. Aus den Sessions ging die Gruppe Can hervor, die heute als eine der wegweisenden Rockformationen der 70er Jahre gilt. “Freejazz machte für mich keinen Sinn. Das war reine Kopfmusik, nicht körperlich. Rhythmus war verboten,” benennt er seine Vorbehalte. “Als es dann mit Can los ging, habe ich die Dinge gemacht, die ich wirklich machen wollte: Rhythmus spielen und Rhythmen erfinden. Ich habe versucht, ganz einfach zu spielen mit Wiederholungen, zirkular, und außerdem aufs i-Pünktchen genau.”
                                                                                                             Foto: Spoon Records
Damals prägte Holger Czukay den Spruch, Liebezeit spiele wie eine Maschine, nur besser! Sein motorischer Groove wurde zum Fundament der Rockmusik von Can und nahm die elektronischen Beats moderner Clubmusik konzeptionell um Jahre vorweg. “Völlig präzise kann man ja gar nicht wiederholen, es schleichen sich immer kleine Veränderungen ein,” lautet der Erkenntnisgewinn von damals.
 
Zehn Jahre war Liebezeit mit Can aktiv. Ende der 70er Jahre waren die kreativen Batterien leergelaufen. Die international erfolgreiche Band trennte sich im Einvernehmen. Der Drummer formierte seine eigene  “Phantomband” mit dem Traffic-Bassisten Rosko Gee, doch der Erfolg blieb aus. Liebezeit musizierte weiterhin mit Can-Elektroniker Holger Czukay, arbeitete mit dem englischen Dub-Bassisten Jah Wobble zusammen, trommelte als Gast auf Einspielungen von Depeche Mode, Brian Eno und Phillip Boa & The Voodooclub und rief eine Schlagwerkgruppe namens Drums Off Chaos ins Leben, die gerade mit dem Elektroniker Jens-Uwe Beyer nach dreißig Jahren ihr erstes Album vorgelegt hat.
 
Trotz seinen 72 Jahren wirkt Liebezeit nicht wie ein Rockopa, zu agil und geschmeidig bearbeitet er seine Felle. Er ist ein konzeptioneller Denker, der raffinierte metrischen Zyklen ausklügelt und sich den Kopf über Ryhthmuspattern zerbricht. Letztes Jahr hat er mit dem Faust-Keyboarder Hans Joachim Irmler sogar eine neue Band zusammengestellt - im Spannungsfeld von Groove, Improvisation und elektronischen Sounds.
                                                                                                                            Foto: Manuel Wagner
 
B.I.L.L - so der Name der Gruppe - steht für eine bunt schillernde, schwebend-leichte, digital-durchzuckte Improvisationsmusik, die manchmal fast tänzelnd daherkommt und ganz auf Intuition baut. Schwärme von Tönen schwirren und flirren, erzeugt von Clive Bells asiatischen Blasinstrumenten und Robert Lippoks Laptop, der seine Loops wie verfremdete afrikanische Daumenklaviere oder balinesische Gongspiele klingen läßt. Irmler hüllt das Ganze in feine Klangnebel, gibt wehende Orgeltöne dazu oder bringt mit Faust-artigen Riffs ein ruppiges Element ins Spiel, während Liebezeit mit seinen magischen Schlagmustern der Musik die nötige Bodenhaftung verleiht. Das hat er schon bei Can meisterhaft gekonnt.
 
Burnt Friedman & Jaki Liebezeit: Secret Rhythms 5 (Nonplace)
B.I.L.L (mit Jaki Liebezeit): Spielwiese Zwei (Klangbad)
Drums off Chaos & Jens-Uwe Beyer (Magazine)

ZUM NACHRUF: 
http://christophwagnermusic.blogspot.co.uk/2017/01/wit-rauern-um-jaki-liebezeit-1938-2017.html

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