Hochzeitsmusikkapelle der muslimischen Minderheit der Moros von den Philippinen, ca. 1930
Monday, 28 October 2013
Thursday, 17 October 2013
JAZZTRENDS: LAUREN NEWTON - Maulwerke
Exzentrische Stimmkunst
Lauren Newton bei den Tübinger Jazz & Klassik-Tagen
cw. Die Amerikanerin Lauren Newton ist
die einzige Tübinger Jazzmusikerin von internationalem Rang. Einst machte sie
mit ihrer exzentrischen Gesangskunst im Vienna Art Orchestra Furore und war
neben Bobby McFerrin eine der Beteiligtem beim Vocal Summit. Daneben ließ sie immer
wieder mit eigenen Gruppen und Projekten aufhorchen. Seit die Stimmakrobatin
jedoch an der Musikhochschule in Luzern Jazzgesang unterrichtet, hat sie sich auf
der Konzertszene rar gemacht. Einen ihrer seltenen Auftritte absolvierte sie
jetzt als Heimspiel bei den Tübinger Jazz & Klassik-Tagen und stellte dabei
erneut ihre Extraklasse unter Beweis.
Im Trio mit Karoline Höfler am Kontrabass
und dem Rezitator Hartmut
Andres stellte Newton eines der Hauptwerke des Dadaismus ins Zentrum ihres
Konzerts: die “Ursonate” von Kurt Schwitters - entstanden in den 1920er Jahren.
Die Dadaisten waren wilde Gesellen, die die Kunst so radikal zerlegten, dass
kein Stein auf dem anderen blieb. Und die “Ursonate”
macht da keine Ausnahme.
Es ist ein Lautgedicht, das in einer Fantasiesprache gehalten ist, also
neuerfundene Wortgebilde und Satzkonstruktionen ohne Sinn in
expressiv-poetischer Manier verbindet. Mit Verve trug Hartmut Andres den
Originaltext von Kurt Schwitters vor, der in seiner Radikalität heute noch
verblüfft, während Newton und Höfler darauf mit kurzen Improvisationseinwürfen
antworteten.
Angeregt durch die Exzentrik des Ausgangsmaterials ließ Newton sich zu
vokalistischen Höhenflügen inspirieren. Sie zog alle Register der Gesangskunst
und lotete den Rachenraum als Experimentierlabor für ihre “Maulwerke” aus.
Zwischen opernhaftem Koloraturgesang und jazzmäßiger Scat-Vokalistik war da von
röcheln, hecheln und stöhnen bis zu grunzen, glucksen und zischen alles an
archaischen Urlauten zu vernehmen. Karoline Höfner unterlegte das Ganze mit
nicht minder ausgefallenen Kontrabassklängen, die etwa dadurch erzeugt wurden,
dass die Stuttgarter Bassvirtuosin Wäscheklammern an die Saiten klemmte, die
sie vibrieren und schnarren ließ.
Im zweiten Teil des ausverkauften Konzerts, das im SWR-Studio auf dem
Tübinger Österberg stattfand, knüpften die drei nahtlos an Kurt Schwitters
Klassiker an. Eigene Stücken kamen nun zur Aufführung, die nicht weniger
ausgefallen wirkten und Elemente von konkreter Poesie à la Ernst Jandl mit
kreativen Jazzexperimenten kombinierten. Obwohl diese Welt aus Klängen, Lauten
und Geräuschen oft nicht einfach zu verdauen war, gerieten die musikalischen
Darbietungen dennoch manchmal so witzig, skurril und vergnügt, das die Zuhörer
in spontanes Gelächter ausbrachen und die Künstler nicht ohne Zugabe von der
Bühne ließen.
Thursday, 10 October 2013
Das TOY PIANO: Zur Aktualität eines Kinderinstruments
Die kleine Größe
Isabel Ettenauer, Karlheinz Essl und die Metamorphosen des Toy Pianos
Programmhinweis:
Vom Kinderklavier zum Konzertinstrument - Das Toy Piano wird erwachsen
Eine Sendung von Christoph Wagner
Deutschlandfunk / 11. November 2013 / 20:10 - 21: 00 Uhr
cw. Musikinstrumente
machen bisweilen wundersame Verwandlungen
durch. Das
Toy Piano ist so ein Fall. Ursprünglich als Kinderspielzeug erfunden, findet es
inzwischen zunehmend als Konzertinstrument Beachtung. Ob Pop, Jazz oder avantgardistische
E-Musik, überall wird darauf zurückgegriffen. Selbst im Kino feiert es Erfolge:
Im Soundtrack zu “Amélie” trägt das Kinderklavier maßgeblich zur surreal-träumerischen
Atmosphäre des Films bei.
Das Toy
Piano gibt es in zweierlei Form: als Klavier oder Flügel - nur ein paar Nummern
kleiner! Doch obwohl es eine konventionelle Pianotastatur besitzt, funktioniert
die Tonerzeugung anders als beim normalen Klavier: statt Stahlsaiten werden Metallplättchen
mit Hämmerchen angeschlagen. Das macht das Instrument zu einem Verwandten des Xylophons
und Glockenspiels. Sein strahlend heller Klang nimmt selbst grellen Dissonanzen die Spitze.
Dazu kommt ein Verfremdungseffekt: Wenn
sich ein Erwachsener an das Miniaturinstrument setzt, geraten die Größenverhältnisse
durcheinander. Dann fühlen sich die Zuhörer in eine Märchenwelt versetzt - hinter
die sieben Berge, zu den sieben Zwergen. Damit kann man arbeiten. “Wenn man
mehrere Toy Pianos in einem Raum aufstellt, ergibt das automatisch ein
interessantes Bühnenbild,” weiß Isabel Ettenauer, Toy Pianistin par excellence.
“Man kann das Instrument szenisch einsetzen, sein theatralisches Element
nutzen.”
Was einst
im Kinderzimmer begann, hat mittlerweile den Konzertsaal erreicht. 1948 schrieb
der amerikanische Komponist John Cage mit der “Suite for Toy Piano” die erste ernsthafte Komposition für das Spielzeugklavier. Isabel Ettenauer stieß 1993 auf das fünfteilige
Werk – mit weitreichenden Folgen. “Ich wollte dieses Werk unbedingt selbst aufführen und
begab mich auf die Suche nach einem passenden Instrument, was nicht leicht war.
Schließlich habe ich drei unterschiedliche Instrumente der Marke Schoenhut
erworben,” erinnert sich die Toy Pianistin in spe. “Ich blieb nicht bei Cage
stehen, sondern ging darüber hinaus. Für mein Projekt ‘The Joy of Toy’ bat ich
verschiedene Komponisten, mir Stücke für das Toy Piano zu schreiben.”
Foto: Karlheinz Essl
Um ihr Klangfarbenspektrum zu erweitern, ist Ettenauer weiterhin auf der
Suche nach “neuen” Modellen, die sie anachronistischerweise in Trödelläden, auf
Flohmärkten oder auf Auktionsplattformen im Internet findet. “Wenn ich auf ein
Instrument stoße, muss ich es habe,” sagt sie. “Es ist wie eine Sucht!”
Die ausrangierten Kinderklaviere der Vergangenheit werden so zum
Soundpool der Zukunft. “Jedes Instrument
hat seinen eigenen Charakter und eigenen Klang,” weiß Ettenauer, die inzwischen
über 30 verschiedene Modelle zusammengetragen hat. “Es gibt die
unterschiedlichsten Typen, die alle anders klingen. Manche Instrumente verwenden
Holzhämmerchen, andere Plastikhämmerchen. Sie variieren in der Größe, und auch die
Anordnung der Klangstäbe ist nicht immer gleich.” Wenn die österreichische Pianistin heute zu einem Konzert fährt, hat sie ein halbes
Dutzend Toy Pianos im Gepäck. Für jede neue Komposition gilt es, das optimale
Instrument zu finden.
Im Zuge ihrer Konzerttätigkeit begegnete Isabel Ettenauer 2001 dem
Komponisten Karlheinz Essl, der sich nach einem Konzert begeistert über das Toy
Piano äußerte und anbot, ein Stück für das Instrument zu schreiben. “Essl tauchte vollständig in die Materie ein,” erzählt
Ettenauer. “Ich habe ihm eines meiner Instrumente für einige Zeit ausgeliehen, damit
er sich darin vertiefen und damit experimentieren konnte.”
Die
Komposition “Kalimba” war das erste Stück, das aus Essls Klangforschungen
hervorging. In diesem Werk wird
ein winziger Lautsprecher im Instrumentenkasten plaziert, der elektronisch
verfremdete Töne ins musikalische Geschehen einspeist. Sie vermischen sich mit
den natürlichen Noten des Kinderklaviers zu einem faszinierenden Spiel der
Illusionen und Täuschungen, das den Interpreten zum Hütchenspieler mit Tönen macht.
Doch Essl drang noch tiefer ins Innere des Toy Pianos vor. Er übertrug John
Cages Idee vom “präparierten Klavier” auf das Kinderinstrument und ließ in der
Komposition “whatever shall be” einen Kreisel im Instrumentenkasten rotieren
sowie Fingerhüte über die Metallstäbe gleiten, was einen Glissando-Effekt ergab.
“Essl
erforscht das Toy Piano immer wieder auf neue Art und Weise,” sagt Ettenauer.
“Jedes Stück ist anders. Jede neue Komposition bringt einen noch nie gehörten
Klangkosmos zum Klingen - ein Geschenk für einen Interpreten!”
In Kompositionen wie “WebernSpielWerk” oder “Sequitur V” spielt Essl virtuos
auf der Klaviatur digitaler Technologie und entführt mit Laptop, interaktiver
Software, Ringmodulator, Flanger und Detuner das Toy-Piano ins Wunderland der
Elektronik. Im Stück “Pandora’s Revelation” liefert eine Spieldose das akustische
Ausgangsmaterial für die elektronische Verwandlungskunst. In “Sequitur XIV” tritt
ein afrikanisches Daumenklavier an deren Stelle.
Töne werden verfremdet und verformt, Klänge pulverisiert und im Raum verstäubt
oder auf wundersame Weise vervielfältigt. Manchmal wird ihnen die Bodenhaftung genommen,
um sie in scheinbarer Schwerelosigkeit durch den Raum schweben zu lassen. Ein
anderes Mal werden Töne verlangsamt oder beschleunigt, bzw. man läßt sie
kaskadenhaft sprudeln. Buntschillernde Klangballungen können sich nahezu in Stille
auflösen, um kurz darauf wieder ihre ursprüngliche Gestalt anzunehmen. In Essls
Kompositionen geht die Elektronik mit den akustischen Klängen des Toy Piano
(bzw. der Spieldose oder des Daumenklaviers) eine wunderbare Symbiose ein.
So in den
Raum der Elektronik verlängert, haben Isabel Ettenauer und Karlheinz Essl dem
Toy Piano eine bahnbrechende Musik von visionärer Kraft beschert. Kompositionen
von solchem Kaliber werden es in Zukunft schwerer machen, das Toy Piano als bloßes
“Spielzeug” abzutun - von wegen “Kinderinstrument”!
Neuerscheinung:
Isabel Ettenauer / Karlheinz Essl: Whatever Shall Be (Edition Eirelav 002)
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