Monday, 28 October 2013

Thursday, 17 October 2013

JAZZTRENDS: LAUREN NEWTON - Maulwerke


Exzentrische Stimmkunst

Lauren Newton bei den Tübinger Jazz & Klassik-Tagen


cw. Die Amerikanerin Lauren Newton ist die einzige Tübinger Jazzmusikerin von internationalem Rang. Einst machte sie mit ihrer exzentrischen Gesangskunst im Vienna Art Orchestra Furore und war neben Bobby McFerrin eine der Beteiligtem beim Vocal Summit. Daneben ließ sie immer wieder mit eigenen Gruppen und Projekten aufhorchen. Seit die Stimmakrobatin jedoch an der Musikhochschule in Luzern Jazzgesang unterrichtet, hat sie sich auf der Konzertszene rar gemacht. Einen ihrer seltenen Auftritte absolvierte sie jetzt als Heimspiel bei den Tübinger Jazz & Klassik-Tagen und stellte dabei erneut ihre Extraklasse unter Beweis.

Im Trio mit Karoline Höfler am Kontrabass
und dem Rezitator Hartmut Andres stellte Newton eines der Hauptwerke des Dadaismus ins Zentrum ihres Konzerts: die “Ursonate” von Kurt Schwitters - entstanden in den 1920er Jahren. Die Dadaisten waren wilde Gesellen, die die Kunst so radikal zerlegten, dass kein Stein auf dem anderen blieb. Und die “Ursonate”
macht da keine Ausnahme. Es ist ein Lautgedicht, das in einer Fantasiesprache gehalten ist, also neuerfundene Wortgebilde und Satzkonstruktionen ohne Sinn in expressiv-poetischer Manier verbindet. Mit Verve trug Hartmut Andres den Originaltext von Kurt Schwitters vor, der in seiner Radikalität heute noch verblüfft, während Newton und Höfler darauf mit kurzen Improvisationseinwürfen antworteten.

Angeregt durch die Exzentrik des Ausgangsmaterials ließ Newton sich zu vokalistischen Höhenflügen inspirieren. Sie zog alle Register der Gesangskunst und lotete den Rachenraum als Experimentierlabor für ihre “Maulwerke” aus. Zwischen opernhaftem Koloraturgesang und jazzmäßiger Scat-Vokalistik war da von röcheln, hecheln und stöhnen bis zu grunzen, glucksen und zischen alles an archaischen Urlauten zu vernehmen. Karoline Höfner unterlegte das Ganze mit nicht minder ausgefallenen Kontrabassklängen, die etwa dadurch erzeugt wurden, dass die Stuttgarter Bassvirtuosin Wäscheklammern an die Saiten klemmte, die sie vibrieren und schnarren ließ.

Im zweiten Teil des ausverkauften Konzerts, das im SWR-Studio auf dem Tübinger Österberg stattfand, knüpften die drei nahtlos an Kurt Schwitters Klassiker an. Eigene Stücken kamen nun zur Aufführung, die nicht weniger ausgefallen wirkten und Elemente von konkreter Poesie à la Ernst Jandl mit kreativen Jazzexperimenten kombinierten. Obwohl diese Welt aus Klängen, Lauten und Geräuschen oft nicht einfach zu verdauen war, gerieten die musikalischen Darbietungen dennoch manchmal so witzig, skurril und vergnügt, das die Zuhörer in spontanes Gelächter ausbrachen und die Künstler nicht ohne Zugabe von der Bühne ließen.

Thursday, 10 October 2013

Das TOY PIANO: Zur Aktualität eines Kinderinstruments


Die kleine Größe

Isabel Ettenauer, Karlheinz Essl und die Metamorphosen des Toy Pianos





Programmhinweis:
Vom Kinderklavier zum Konzertinstrument - Das Toy Piano wird erwachsen
Eine Sendung von Christoph Wagner
Deutschlandfunk / 11. November 2013 / 20:10 - 21: 00 Uhr



cw. Musikinstrumente machen bisweilen wundersame Verwandlungen
durch. Das Toy Piano ist so ein Fall. Ursprünglich als Kinderspielzeug erfunden, findet es inzwischen zunehmend als Konzertinstrument Beachtung. Ob Pop, Jazz oder avantgardistische E-Musik, überall wird darauf zurückgegriffen. Selbst im Kino feiert es Erfolge: Im Soundtrack zu “Amélie” trägt das Kinderklavier maßgeblich zur surreal-träumerischen Atmosphäre des Films bei.

Das Toy Piano gibt es in zweierlei Form: als Klavier oder Flügel - nur ein paar Nummern kleiner! Doch obwohl es eine konventionelle Pianotastatur besitzt, funktioniert die Tonerzeugung anders als beim normalen Klavier: statt Stahlsaiten werden Metallplättchen mit Hämmerchen angeschlagen. Das macht das Instrument zu einem Verwandten des Xylophons und Glockenspiels. Sein strahlend heller Klang nimmt selbst grellen Dissonanzen die Spitze.

Dazu kommt ein Verfremdungseffekt: Wenn sich ein Erwachsener an das Miniaturinstrument setzt, geraten die Größenverhältnisse durcheinander. Dann fühlen sich die Zuhörer in eine Märchenwelt versetzt - hinter die sieben Berge, zu den sieben Zwergen. Damit kann man arbeiten. “Wenn man mehrere Toy Pianos in einem Raum aufstellt, ergibt das automatisch ein interessantes Bühnenbild,” weiß Isabel Ettenauer, Toy Pianistin par excellence. “Man kann das Instrument szenisch einsetzen, sein theatralisches Element nutzen.”

Was einst im Kinderzimmer begann, hat mittlerweile den Konzertsaal erreicht. 1948 schrieb der amerikanische Komponist John Cage mit der  “Suite for Toy Piano” die erste ernsthafte Komposition für das Spielzeugklavier. Isabel Ettenauer stieß 1993 auf das fünfteilige Werk – mit weitreichenden Folgen. “Ich wollte  dieses Werk unbedingt selbst aufführen und begab mich auf die Suche nach einem passenden Instrument, was nicht leicht war. Schließlich habe ich drei unterschiedliche Instrumente der Marke Schoenhut erworben,” erinnert sich die Toy Pianistin in spe. “Ich blieb nicht bei Cage stehen, sondern ging darüber hinaus. Für mein Projekt ‘The Joy of Toy’ bat ich verschiedene Komponisten, mir Stücke für das Toy Piano zu schreiben.”
                                                                                                                          Foto: Karlheinz Essl

Um ihr Klangfarbenspektrum zu erweitern, ist Ettenauer weiterhin auf der Suche nach “neuen” Modellen, die sie anachronistischerweise in Trödelläden, auf Flohmärkten oder auf Auktionsplattformen im Internet findet. “Wenn ich auf ein Instrument stoße, muss ich es habe,” sagt sie. “Es ist wie eine Sucht!”

Die ausrangierten Kinderklaviere der Vergangenheit werden so zum Soundpool der Zukunft. “Jedes Instrument hat seinen eigenen Charakter und eigenen Klang,” weiß Ettenauer, die inzwischen über 30 verschiedene Modelle zusammengetragen hat. “Es gibt die unterschiedlichsten Typen, die alle anders klingen. Manche Instrumente verwenden Holzhämmerchen, andere Plastikhämmerchen. Sie variieren in der Größe, und auch die Anordnung der Klangstäbe ist nicht immer gleich.” Wenn die österreichische Pianistin heute zu einem Konzert fährt, hat sie ein halbes Dutzend Toy Pianos im Gepäck. Für jede neue Komposition gilt es, das optimale Instrument zu finden.

Im Zuge ihrer Konzerttätigkeit begegnete Isabel Ettenauer 2001 dem Komponisten Karlheinz Essl, der sich nach einem Konzert begeistert über das Toy Piano äußerte und anbot, ein Stück für das Instrument zu schreiben. “Essl tauchte vollständig in die Materie ein,” erzählt Ettenauer. “Ich habe ihm eines meiner Instrumente für einige Zeit ausgeliehen, damit er sich darin vertiefen und damit experimentieren konnte.”

Die Komposition “Kalimba” war das erste Stück, das aus Essls Klangforschungen hervorging. In diesem Werk wird ein winziger Lautsprecher im Instrumentenkasten plaziert, der elektronisch verfremdete Töne ins musikalische Geschehen einspeist. Sie vermischen sich mit den natürlichen Noten des Kinderklaviers zu einem faszinierenden Spiel der Illusionen und Täuschungen, das den Interpreten zum Hütchenspieler mit Tönen macht.


 Doch Essl drang noch tiefer ins Innere des Toy Pianos vor. Er übertrug John Cages Idee vom “präparierten Klavier” auf das Kinderinstrument und ließ in der Komposition “whatever shall be” einen Kreisel im Instrumentenkasten rotieren sowie Fingerhüte über die Metallstäbe gleiten, was einen Glissando-Effekt ergab.

“Essl erforscht das Toy Piano immer wieder auf neue Art und Weise,” sagt Ettenauer. “Jedes Stück ist anders. Jede neue Komposition bringt einen noch nie gehörten Klangkosmos zum Klingen - ein Geschenk für einen Interpreten!”

In Kompositionen wie “WebernSpielWerk” oder “Sequitur V” spielt Essl virtuos auf der Klaviatur digitaler Technologie und entführt mit Laptop, interaktiver Software, Ringmodulator, Flanger und Detuner das Toy-Piano ins Wunderland der Elektronik. Im Stück “Pandora’s Revelation” liefert eine Spieldose das akustische Ausgangsmaterial für die elektronische Verwandlungskunst. In “Sequitur XIV” tritt ein afrikanisches Daumenklavier an deren Stelle.

Töne werden verfremdet und verformt, Klänge pulverisiert und im Raum verstäubt oder auf wundersame Weise vervielfältigt. Manchmal wird ihnen die Bodenhaftung genommen, um sie in scheinbarer Schwerelosigkeit durch den Raum schweben zu lassen. Ein anderes Mal werden Töne verlangsamt oder beschleunigt, bzw. man läßt sie kaskadenhaft sprudeln. Buntschillernde Klangballungen können sich nahezu in Stille auflösen, um kurz darauf wieder ihre ursprüngliche Gestalt anzunehmen. In Essls Kompositionen geht die Elektronik mit den akustischen Klängen des Toy Piano (bzw. der Spieldose oder des Daumenklaviers) eine wunderbare Symbiose ein.

So in den Raum der Elektronik verlängert, haben Isabel Ettenauer und Karlheinz Essl dem Toy Piano eine bahnbrechende Musik von visionärer Kraft beschert. Kompositionen von solchem Kaliber werden es in Zukunft schwerer machen, das Toy Piano als bloßes “Spielzeug” abzutun - von wegen “Kinderinstrument”!

Neuerscheinung:
Isabel Ettenauer / Karlheinz Essl: Whatever Shall Be (Edition Eirelav 002)