Eine
Ausstellung in Nürnberg spürt der Geschichte der Jugendbewegung nach
cw. Wenn
man sie im Altersheim in Esslingen besuchte, erzählte Erika Schroff gerne von
früher. “Wir haben uns ganz anders gekleidet. Die Mädchen hatten gefalzte Röcke
an und die Buben Schillerkrägen und kurze Hosen. Jedes Wochenende ging es auf
Fahrt. Man ist gewandert und hat in Jugendherbergen übernachtet, manchmal auch
beim Bauern im Heu. Wenn wir Rast machten, wurden Lieder gesungen und Volkstänze
getanzt. Wir haben Wirtschaften gemieden, weil wir Alkoholgegner waren.” Als
junges Mädchen gehörte Erika Schroff (1912 – 2009) zum “Wandervogel”, einem
Zweig der Jugendbewegung. Dieser Aufbruchsbewegung vom Anfang des 20.
Jahrhundert ist gerade im Germanische Nationalmuseum in Nürnberg eine große
Ausstellung gewidmet. Unter dem Titel “Aufbruch der Jugend” wird dort die
“Deutsche Jugendbewegung zwischen Selbstbestimmung und Verführung” in
vielfältigen Exponaten dargestellt. Die höchst spannende und informative Schau (http://www.gnm.de) ist noch bis zum 19. Januar 2014 zu sehen. Ein äußerst interessanter Katalog ist zur Ausstellung erschienen.
Die Jugendbewegung war eine Reaktion auf Industrialisierung und Verstädterung und erhob die Natur zum Ideal. Junge Leute suchten das ungezwungene Leben in der freien Landschaft. 1913 versammelten sich mehrere Tausend Anhänger zum “Fest der Jugend” auf dem Hohen Meißner bei Kassel, um dem Alten abzuschwören und einem neuen Lebensstil zu huldigen, der sich nicht mehr den gesellschaftlichen Zwängen unterwarf. Rund 400 Ausstellungsstücke, von Gemälden, Skulpturen und Fotografien bis zu Textilien und persönlichen Erinnerungsstücken, zeichnen im Germanischen Nationalmuseum die Geschichte der Jugendbewegung nach.
Starke
Impulse kamen von Vertretern der “Lebensreform”, die eine gesunde vegetarische
Ernährung, naturverbundene Lebensweise, Abstinenz und zwanglose Kleidung
propagierten. Auch Nudismus, esoterische Schwärmereien, Naturmystik und
völkisches Gedankengut blühten in diesen Kreisen, was vom Maler Fidus in seinen
Gemälden festgehalten wurde.
Der
1. Weltkrieg wirkte als Einschnitt. Anfangs noch als großes Abenteuer begrüßt,
machte sich mit der Zeit Ernüchterung breit.
Von
der Front zurück, versuchten die junge Leute nun mit ihren Träumen Ernst zu
machen. Aufbruchstimmung machte sich breit. Gruppen zogen raus aufs Land, um
dort “fern allem höllischen Getriebe” der Städte in Gemeinschaft ein einfaches
Leben im Einklang mit der Natur zu führen. Zum Anti-Kapitalismus, zur
Industrie- und Großstadtkritik gesellte sich oft die Bezugnahme auf ein mythisches
Deutsch- und Germanentum, was es dem Nationalsozialismus leicht machte, die
Begeisterung dieser Jugendlichen auf seine Mühlen zu leiten. Die Jugendbewegung
war vielleicht deshalb anfällig für solch extremes Gedankengut, weil man in
diesem Alter eher zur Radikalität neigt. In der Bezugnahme auf die Scholle und
agrarromantische Schwärmereien gab es in der Lebensreform Berührungspunkte zur
Blut- und Boden-Ideologie der Nazis.
Nach
dem 2. Weltkrieg versuchte die Jugendbewegung an die alten Ideale anzuknüpfen.
Doch jetzt lag Neues in der Luft. Ab 1964 fanden auf der Burg Waldeck im Hundsrück,
einem alten Versammlungsplatz der bündischen Jugend, Sängertreffen statt, wo
deutschsprachige Chansons und Protestlieder von Franz Josef Degenhardt, Hannes
Wader und Reinhard Mey gesungen wurden, sehr zum Mißvergnügen konservativer
Jugendbewegter, die das Liedermacherfestival zu sabotieren versuchten. Die
Rebellion der Achtundsechziger machte dann endgültig Schluß mit den jetzt als “altbacken”
empfundenen Ritualen. Erst die neuen sozialen Bewegungen der 70er Jahre, die
Naturschutz und Ökologie auf die Tagesordnung setzten, knüpften wieder an ein
paar alte Ideale der Jugendbewegung an, auch wenn sie sich dessen oft gar nicht
bewußt waren. In der Ausstellung in Nürnberg werden solche unterirdischen
Verbindungslinien deutlich.
Der Bericht erschien zuerst im Schwarzwälder Bote.
Der Bericht erschien zuerst im Schwarzwälder Bote.
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