Polka oder Elektro-Groove
Musikalisch sind Hiss und Hattler Lichtjahre
von einander entfernt, dennoch setzen beide auf Tanzbares
cw. Der deutsche Südwesten besitzt nicht
gerade Massen an Popkünstlern, die
bundesweit Gewicht besitzen. Pur, die Fantastischen Vier, die Söhne Mannheims, Xavier Naidoo und Cro sind vielleicht die
bekanntesten. Die Stuttgarter Polkaband Hiss zählt ebenfalls dazu. Ihre Popularität
reicht weit über Baden-Württemberg hinaus. Das gleiche gilt für Hellmut Hattler
aus Ulm. Der Bassist der Gruppe Kraan gehört zum Urgestein des Krautrock und
ist bis heute in vielerlei Projekten aktiv. Mit seiner eigenen Band Hattler ist
er regelmäßig auch in Nord- und Ostdeutschland unterwegs. Sowohl Hattler als auch
Hiss haben gerade ein neues Album veröffentlicht. Die beiden Einspielungen unterstreichen
einmal mehr, wie vital die Popszene in Südwestdeutschland eigentlich ist.
Hiss gibt es seit fast zwanzig
Jahren. In dieser Zeit hat sich die fünf Mann starke Truppe den Ruf erworben,
eine der am härtesten arbeitenden Bands auf der deutschen Szene zu sein. Mehr
als hundert Konzerte im Jahr sind keine Seltenheit. Kein Weg ist ihnen zu einem
Auftritt zu weit. Weder Sturm noch Hagel kann sie aufhalten. Die Musiker um den
Stuttgarter Sänger und Akkordeonisten Stefan Hiss sind quasi auf der Autobahn
daheim und kennen jede Raststätte zwischen München und Kiel.
Beim Auftritt sind Hiss in ihrem
Element. Auf der Bühne entfaltet die Band ihre Stärken und bringt mit einer feurigen
Mischung aus Polkas, Ska und deutschen Texten jeden Club zum Kochen. In
Nullkommanichts ist der ganze Saal auf den Beinen. Dann wird das Tanzbein
geschwungen und mit den Hüften gewackelt. Hiss schlüpfen in ihren Liedern in die
Rolle von verwegenen Abenteurern, die durch ferne Ländern reisen und an unerfüllter
Liebe, Untreue und andere Schicksalschlägen leiden.
Jetzt reiten die Desperados wieder. Nach
fünf Jahren hat Hiss ein neues Album (Titel: “Das Gesetz der Prärie”) vorgelegt,
das die Band in absoluter Topform zeigt. Eine knackige Rhythmusgruppe sorgt für
unbändigen Drive. Stefan Hiss presst starke Gefühle aus seiner Quetschkommode
und läßt sein Akkordeon jammern und wimmern, während Michael Roth und Thomas
Grollmus ein paar mitreißende Soli auf Mundharmonika und E-Gitarre beisteuern,
die richtig unter die Haut gehen.
Behutsam hat die Band immer wieder ihr
musikalisches Spektrum erweitert. Zum Polka-Beat kommen heute Latin-Elemente
dazu. Eine Nummer verbeitet sogar orientalisches Flair. Der intellektuelle Höhenflug ist Hiss’ Sache
nicht, vielmehr suchen in ihren Songs gescheiterte Männer in ewigen Wahrheiten
Trost: “Bier, Wurst und Tanzmusik” wird als Heilmittel gegen alle möglichen
Heimtücken des Lebens empfohlen.
Ganz anders Hellmut Hattler. Der Veteran
der deutschen Rockszene sucht mit seiner Band Anschluß an die digitale
Gegenwart. Dafür hat er intensiv im Studio gearbeitet, elektronische Beats eingespielt
und immer wieder neu abgemischt, um für die verschiedenen Songs jeweils ein spezielles
Sound-Design zu entwickeln.
Auf seiner neuen Einspielung “The
Kite” wechseln sich Lieder mit Instrumentalnummern ab, wobei die Gesangstitel
oft so starken Ohrwurmcharakter besitzen, dass es der eine oder andere eigentlich
in die Hitparaden schaffen müsste. Die soulige Stimme von Sängerin Fola Dada
gibt den Titeln einen ganz besonderen Charakter, dazu Wärme und Intimität. Hellmut
Hattler legt auf treibende Grooves allergrößten Wert und streut nur
gelegentlich ein kurzes Solo auf der Bassgitarre ein oder läßt seinen
Duo-Partner von Tab Two, den Trompeter Joo Kraus, gedämpfte Melodielinien auf
dem gestopften Horn blasen. Das digitale Zeitalter bringt seine eigenen
Tanzmusik hervor. Hattler ist einer Spielart auf der Spur, die Computer-Sounds
mit handgemachten Klängen verbindet.
DER ARTIKEL ERSCHIEN ZUERST IM SCHWARZÄLDER BOTE - große Tageszeitung im Südwesten
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