Das
Modified Toy Orchestra macht mit ausgebrauchtem Spielzeug elektronische
Popmusik
cw. Das
Modified Toy Orchestra ist keine Popgruppe wie jede andere. Der Grund: das
Instrumentarium der Band besteht ausschließlich aus ausgedientem elektronischen
Kinderspielzeug. Die Formation kommt aus der “circuit bending”-Bewegung der
Elektronikszene, die das kreative Kurzschließen von Schaltkreisen
in elektronischen Gebrauchsgegenständen auf ihre Fahnen geschrieben hat. Mit
digitalen Geräten des modernen Alltags wie Spielsachen, Mobiltelefonen,
Funkuhren und Lerngeräten, die piepsen, sprechen und kleine Melodien spielen,
machen junge Musiker in den USA, Japan und Europa eine neuartige elektronische
Musik, die manchmal lärmig-chaotisch und manchmal poppig-liedhaft klingt.
Das
Modified Toy Orchestra ist eine der führenden Ensembles des Genres. Die Gruppe aus
dem englischen Birmingham wurde vor zehn Jahren von Brian Duffy gegründet, der sich
damals als Musiker in einer Schaffenskrise befand. “Ich verlor das Interesse an
Gitarren, Keyboards und Blasinstrumenten. Es frustrierte mich, im
Möglichkeitsraum dieser Instrumente gefangen zu sein. Immer die gleichen
Akkordfolgen, die selben Intervalle – ich sah keinen Sinn mehr darin,” erinnert
sich der Musiker. Als er zufällig eine elektronische Rechtschreibmaschine mit
einer synthetischen Stimme auf einem Flohmarkt fand, erregte das sein Interesse. “Ich versuchte zu
erkunden, wie diese künstliche Stimme zustande kam und öffnete das Spielzeug,
um irgend einen Hinweise zu finden. Während ich die Schaltkreise erkundete,
schloß ich sie kurz und das Gerät fing an, andere Geräusche zu machen, die
Stimme verzerrte und ein elektronisches Piepsen war zu hören. Das war eine
Entdeckung!”
Duffy
fing systematischer an, elektronische Spielsachen zusammenzutragen und ihre
Schaltkreise umzupolen, um neue Sounds zu erzeugen. “Ich begab mich auf eine
Reise durch die versteckte Welt der Geräusche, Klänge und Töne dieser
elektronischen Spielsachen.” Mit der Zeit dämmerte ihm, dass er das
Kinderspielzeug in Musikinstrumente verwandelte, mit denen man auf die Bühne
gehen und Konzerte geben konnte.
Nach
Jahren des Experimentierens und diverser Soloauftritte gründete Brian Duffy vor
zehn Jahren das Modified Toy Orchestra, das anstatt konventioneller
Musikinstrumente ausschließlich digitale Spielgeräte verwendet. Zwei Grundsätze
kommen dabei zum Tragen: “Wir benutzen
nur Spielsachen, die keinen Wert mehr besitzen, also Abfall sind, um daraus
etwas Interessantes zu kreieren,” erklärt Duffy. “Überdies dürfen diese Geräte nicht
mehr als £ 1 kosten. Wir finden sie in der Mülltonne, im Recycling-Zentrum und
auf Flohmärkten.”
Hinter
diesem Wiederverwendungsprinzip steht die alte alchemistische Idee, aus Schrott
Gold zu machen. Dazu kommt ein radikaldemokratischer Gedanke: Weil für diese
Form des Musikmachens kein Vorwissen erforderlich ist und alle am gleichen
Ausgangspunkt beginnen, kann jeder mitmachen.
Mit
dem Modified Toy Orchestra macht Brian Duffy heute eine elektronische Popmusik im
Songformat mit eingängigem Beat, wobei in jedem Stück eine Reihe ganz speziell
dafür präparierter Spielsachen zum Einsatz kommt: Barbie-Puppen,
Kinderkeyboards, digitale Spielzeug-Gitarren ohne Saiten, dazu elektronische
Drum-Maschinen und Lerngeräte. “Von manchen Instrumenten haben wir nur ein Exemplar
gefunden. Wenn so ein Gerät kaputtgeht, können wir ein bestimmtes Stück nicht
mehr spielen, was sehr frustrierend ist,” erklärt Duffy.
Das
Umpolen von Schaltkreisen (engl. circuit bending) bietet die Möglichkeit, sich
in unbekannte und fremdartige Klanglandschaften zu begeben, die voller
Überraschungen sind. “Die Spielgeräte bieten die Möglichkeit, mit Musik anders
zu verfahren. Es geht darum, mit den Beschränkungen der Spielzeuge zu arbeiten,
sich ihren Begrenzungen zu unterwerfen,” erklärt Duffy. “Begrenzungen sind das
Inspirierendste, was es gibt!”
Der Artikel erschien zuerst im Schwarzwälder Bote.
Ein längeres Interview mit Brian Duffy erscheint in der Neue Zeitschrift für Musik, 2-2014.
Ein längeres Interview mit Brian Duffy erscheint in der Neue Zeitschrift für Musik, 2-2014.
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