Entdeckungsreise
Frühe Musikdokumente aus dem Iran
cw. In Hayes,
West-London lagert ein Schatz. Im Archiv des ehemaligen Medienkonzerns EMI
(davor HMV, früher Grammophone Company) befinden sich Hunderte von Aufnahmen
aus der Frühzeit der Schallplatte – Musik aus den entlegensten Gegenden der
Welt. Diese Klänge heute wieder zugänglich zu machen, hat sich das kleine Label
Honest Jon’s Records zur Aufgabe gemacht.
Mit der
Entstehung der Phonoindustrie um 1900 war unter den Grammophon-Herstellern ein
Wettlauf um die Absatzmärkte der Welt entbrannt. Um “Sprechapparate” weltweit abzusetzen,
brauchte es Schallplatten mit lokaler Musik, sonst fehlte der Anreiz zum Kauf.
Zwischen 1906 und 1933 hielt die englische Gramophone & Typwriter Ltd. deshalb
etliche mehrtägige Aufnahmesessions auch in Teheran ab, bei denen mit
unterschiedlichen Musikern und Ensembles Hunderte von Aufnahmen gemacht wurden.
Eine “Persian Concert Party” reiste sogar im April 1909 zu Einspielungen eigens
nach London. Die Titel wurden in Schellack gepresst, in den Iran rückimportiert
und zusammen mit Plattenspielern in Möbel- und Phonoläden verkauft.
Mehr als
dreißig Aufnahmen aus dem alten Iran haben es auf ein Doppelalbum geschafft,
das neben virtuosen Soli der Laute Tar oder der gestrichenen Kemanche auch
Duette von Klarinette/Gesang sowie Flöte/Gesang bietet, die von Laute, Trommel
und Glockenspiel begleitet werden. In ekstatischer Verzückung überschlägt sich gelegentlich
der Gesang wie ein alpenländischer Jodel. Je älter die Aufnahmen sind, desto
ferner klingen sie für moderne Ohren. Ein informatives Booklet liefert Hindergrundinformation,
ohne die die Musik hermetisch bleiben würde. Daneben bebildern historische
Fotografien die musikalische Entdeckungsreise, die nicht nur in einen anderen
Kulturkreis führt, sondern auch zurück in ein längst vergangenes Zeitalter.
Let No
One Judge You – Early Recordings From Iran 1906-1933 (Honest Jon’s Records)
Die CD-Besprechung erschien zuerst in DIE WOCHENZEITUNG (WoZ)
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