Fundgrube
musikalischer Schätze
Immer
mehr Auftrittsmitschnitte von Popfestivals der siebziger Jahre finden ihren Weg in die
Öffentlichkeit
cw. Die
Ruhrpottstadt Essen machte den Vorreiter. Nach den “Internationalen Essener
Songtagen 1968” und dem “Internationalen Essener Pop- und Bluesfestival 1969”
brach 1970 der Damm: eine wahre Popfestivalwelle überflutete die Bundesrepublik
und zog in der ersten Saison eine halbe Million Besucher an. Rockfestivals
wirkten damals wie Magnete auf alle Jugendlichen, die sich als Teil der
“Woodstock Generation” fühlten. Oft hatte der eine oder andere Fan ein
tragbares Tonbandgerät dabei, um die Auftritte der Stars mitzuschneiden, was
damals problemlos durchging und keine aggressiven Ordner auf den Plan rief.
In
den letzten Jahren haben sich verstärkt kleine Plattenfirmen daran gemacht,
solche Festival-Mitschnitte von Privatpersonen ausfindig zu machen, zu sichten
und - falls die Tonqualität es erlaubt - auf CD zu veröffentlichen. Seit Jahren
gibt es eine “Taper”-Szene, in der Mitschnitte von Konzert- und
Festivalauftritte der Hippie-Ära zirkulieren, oft von bekannten Bands wie Pink
Floyd oder Deep Purple. Nicht selten finden solche Aufnahmen den Weg ins
Internet, wo sie dann auf der Plattform “youtube” landen, wie der Mitschnitt
des Auftritts von Jimi Hendrix in der Stuttgarter Liederhalle im Januar 1969.
EuroPop-Festival, Aachen 1970
Eines
der herausragenden Popereignisse des Jahres 1970 war das Euro-Pop-Festival in
Aachen, das über Pfingsten stattfand und mit großen Namen wie Deep Purple, Taste
und Pink Floyd 40000 Fans anlockte. “Angenehmes Wetter, fantastische Bands –
tolles Festival!” erinnert sich Herbert Grab, Drummer der Rockband
Steinefresser, der von Reutlingen nach Aachen pilgerte.
Die
große Frage eines jeden Festivals damals war: Welche Bands werden überhaupt
kommen? Wer fällt aus? In Aachen wartete man vergeblich auf Traffic und Fairport
Convention. Alle anderen angekündigten Gruppen traten auf – insgesamt 23 an der
Zahl, darunter mit Kraftwerk, Amon Düül und Can auch ein paar deutsche
Formationen und mit Krokodil eine Band aus Zürich.
In
der riesigen Publikumsmenge im Aachener Reiterstadion saß auch der Teenager
Dirk Krause, der sein Tonband mitgenommen hatte, ein paar Mikrofone an die Balustrade
hängte und kräftig mitschnitt. Den Auftritt der Keef Hartley Band aus England - die Band war auch beim berühmten Woodstock-Festival ein Jahr zuvor mit von der Partie gewesen - fing Krause ohne Störungen komplett ein. Die Formation präsentierte sich dabei
in Hochform. Schlagzeuger Keef Hartley, der sich seine Meriten beim Bluesguru
John Mayall verdient hatte, spielte mit seine, Quintett eine brodelnde Mischung
aus Jazz, Rock und Blues. Vor allem der Gitarrist verstand mit virtuosen Solos und
einer meisterhaften Beherrschung des Wah-Wh-Pedals das Publikum auf die Beine
zu bringen. Offenbar war die Verstärkeranlage einigermaßen ordentlich
ausgepegelt, denn der Sound der Aufnahme ist von passabler Qualität, wenn man
einmal von leichten Verzerrungen des Gesangs und der Bläser sowie einer zu
lauten Gitarre im Mix absieht.
Sireena
Records, wo die CD erschienen ist, haben sich auf die Veröffentlichung solcher
verschollener Aufnahmen spezialisiert. Im Katalog des Labels aus Lübeck finden
sich neben dem Mitschnitt eines Konzerts der Edgar Broughton Band aus der
Hamburger “Fabrik” von 1973, auch “Live”-Aufnahmen von Mott The Hoople (Schweden
1971) und Stone The Crows (Montreux 1972). Für den nostalgischen Rockfan verwandelt
sich die Vergangenheit in eine Fundgrube musikalischer Schätze, aus der sicher
noch einige Kostbarkeiten
ans Tageslicht gefördert werden.
Der Artikel erschien zuerst im SCHWARZWÄLDER BOTE, große Tageszeitung in Südwestdeutschland
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