Der Ghetto-Swinger
Der Berliner Jazzgitarrist und
KZ-Überlebende Coco Schumann wird 90
cw. Bis vor ein paar Jahren trat er noch
regelmäßig öffentlich in Berliner in Jazzclubs und Cocktail-Bars auf. Mit
seinem Trio und seiner halbakustischen Gitarre spielte Coco Schumann
geschmeidigen Swing und gedämpfte Jazzstandards. Seine Finger huschten nur so
über die Saiten. Jetzt im hohen Alter machen die Gelenke nicht mehr mit, doch
der 90jährige trägt es mit Galgenhumor. Auf die Frage, ob es schlimm sei so alt zu werden, meint er trocken:
„Schlimmer ist es, wenn man es nicht wird.“
Sein Humor hat ihn nie
verlassen, selbst in den düstersten Zeiten nicht. Und davon hat Schumann einge durchlebt.
Als Heinz Jakob Schumann am 14. Mai 1924 in Berlin geboren, wurde der Teenager unter
der Nazi-Diktatur wegen seiner jüdischen Abstammung – sein Vater war
katholisch, seine Mutter jüdisch –nach Ausschwitz deportiert, wo er den ganzen
Horror der Vernichtungsmaschinerie tagtäglich hautnahm erfuhr und nur durch
Glück überlebte. Musik spielte dabei eine entscheidende Rolle. Schumann musizierte
in der Lagerkapelle, die die Lagerinsaßen auf dem Weg in die Gaskammern
begleiten musste.
Das heraufziehende Unheil hatte
Schumann lange ignoriert. Irgendwie hoffte er, dass der “Nazi-Spuk” bald vorbei
sein würde. Anfangs war er sich seiner jüdischen Herkunft gar nicht bewußt.
Erst als ein Lehrer dem 11jährigen kundtat: “Du
gehörst nicht zu uns, die Hitlerjugend ist nur für Deutsche,“ begann es ihm
langsam zu dämmern. Er flüchtete sich in Musik, Jazz wurde seine
Leidenschaft. “Die vielen unsinnigen Verbote nahm ich gar nicht
ernst. Die täglichen Schikanen ignorierte ich. Selbst als die Judenverfolgung
begann, verdrängte ich, was ich sah.”
Schumann
stand bald jeden Abend auf der Bühne und spielte eine Musik, die eigentlich verboten
war. “Wenn eine Razzia war, stellten wir schnell auf Volkslieder um, wenn
Bombenalarm war, spielten wir im Luftschutzkeller weiter,” erinnert er sich. “Kneipen
am Kurfürstendamm wie die ‘Hasenschaukel’ waren meine Verstecke. Dort
interessierte es niemanden, dass ich ‘Halbjude’ war.” Im März 1943 wird
Schumann verpfiffen und verhaftet, weil er den gelben Judenstern nicht trug. Jetzt
beginnt ein sein Leidensweg ins Grauen menschlicher Existenz, täglich den Tod vor
Augen.
Nach dem
Krieg und all den Greuel wandert Schumann mit seiner Frau nach Australien aus.
Doch das Heimweh ist stärker. In den fünfziger Jahren kehrt er nach Berlin
zurück. Er spielt in einer Jazzcombo mit Helmut Zacharias, nimmt Engagements
auf Kreuzfahrtschiffen an und diverse Schallplatten auf. Schumann tritt mit
Heinz Erhardt im Film “Witwer mit fünf
Töchtern” als Rock ‘n’ Roll-Gitarrist auf, spielt
in der Begleitband von Roberto Blanco und schlägt sich mehr recht als schlecht
als Entertainer durch. Langsam gerät er in Vergessenheit. 1989 erhält er das
Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
1997
stößt das Münchner Trikont-Label auf den Pensionär, was den Startschuß zu einer
zweiten Karriere bedeutet. Im Keller seines kleinen Reihenhauses werden alte Platten gesichtet und durchgehört,
darunter viele Schellacks sowie verstaubte Tonbänder aus Clubs und von Auftritten
auf Kreuzfahrtschiffen - Coco Schumanns persönliches Archiv. Vieles davon ist unveröffentlicht.
Trikont-Schallplatten bringt nach und nach die Aufnahmen im CD-Format heraus.
„Coco Double“ erscheint 1997, „Coco Now!“ 1999 und „Rex Casino“ 2008. Sein Leben wird filmisch dokumentiert, ein Theaterstück
mit dem Titel “Der Ghetto-Swinger” entsteht. So heißt auch seine Autobiographie,
die bei DTV erschienen ist. Und jetzt kommt zu seinem neunzigsten Geburtstag das Buch “I
got rhythm. Das Leben der Jazzlegende Coco Schumann” auf den Markt, neben
einer limiterten Sonderausgabe seiner
Musik auf Vinyl - genau rechtzeitig zur offiziellen Geburtstagsparty am 14. Mai
im Rathaus Schöneberg, zu der sich möglicherweise sogar der Bundespräsident
einfinden wird.
Der Artikel erschien zuerst im Schwarwälder Bote, große Tageszeitung in Südwestdeutschland.
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